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Ice Music Festival in Norwegen
Wenn am Bergsee die Eismusik spielt

Wer das Ice Music Festival in Norwegen besucht, braucht warme Winterkleidung. Denn das kleine Open Air Festival, bei dem alle Instrumente, die Bühne und sogar die Sitzplätze aus Eis gemacht sind, findet an einem zugefrorenen Gletschersee statt, auf über 1.000 Metern Höhe zwischen Oslo und Bergen.

Von Janine Breuer-Kolo |
Vier Musiker mit ihren Eis-Instrumenten spielen Eismusik
Instrumenten, Bühne und sogar die Sitzplätze sind aus Eis beim jährlich stattfindenden Ice Music Festival in Finse (Deutschlandradio / Janine Breuer-Kolo)
Warme Töne aus kaltem Material. So klingt das Eis in der Stille von Finse. Es gibt keinen Verkehrslärm. Die kleine Bergsiedlung auf 1.200 Meter Höhe erreicht man nur mit dem Zug, der mehrmals täglich durch den Ort fährt. Die Strecke der Bergenbahn gilt als eine der schönsten in Europa, entlang an Fjorden, Berg- und Fischerdörfern oder durch Gebirgszüge. Nach zweieinhalb Stunden aus Bergen oder viereinhalb Stunden aus Oslo steht man plötzlich am einsamen Bahnsteig, am höchsten Bahnhof Nordeuropas.
Hier fahren keine Autos. Dafür gab es mal Raumschiffe, kurz, als Ende der 70er Teile für "Stars Wars - Das Imperium schlägt zurück" hier in Finse gedreht wurden. Ein Hotel direkt am Bahnsteig und ein paar versprengte, meist unbewohnte Ferienhäuschen finden sich auf dem Hochplateau. Jetzt im Winter steigt man aus dem Zug in eine andere, stille, weiße Winterwelt, die für den Erfinder des Ice Music Festivals nicht schöner sein könnte:
"Ich denke, der Winter ist wundervoll. Ich finde auch Eis bezaubernd. Die meisten Menschen sehen es als etwas Schlechtes an, weil es kalt ist und es zu viel Schnee gibt. Ich versuche es umgekehrt zu sehen - als etwas Wundervolles und als Ressource. Es ist etwas, das uns die Natur schenkt. Wir machen eine Sauerei und dann gibt uns die Natur Schnee und alles ist hundertprozentig sauber. Es ist sehr freundlich von der Natur, dies zu tun."
Terje Isungset ist Jazz-Percussionist, kommt aus dem kleinen Skiort Geilo, ganz in der Nähe von Oslo. Dort hat sein Eismusik-Festival bis vor ein paar Jahren stattgefunden, dann wurde es zu warm - der Klimawandel beschäftigt den Eismusikmacher sehr - und Terje zog mit dem Festival weiter nach oben, nach Finse, an den Fuß des Gletschers. Sein erstes Eiskonzert hat er vor 20 Jahren gespielt, unter einem gefrorenen Wasserfall. "Als ich also zum ersten Mal das Geräusch von Eis hörte und sah, war es, als würde ich mich verlieben."
Seitdem testet und hortet er Eis von überall auf der Welt oder aus verschiedenen Jahren, jedes klingt anders. Und jedes Jahr - jetzt schon zum fünfzehnten Mal - bringt Terje Isungset Kreative und Profimusiker zusammen, die mit ihm das Ice Music Festival Norwegen auf die Beine stellen.
Jedes Instrument wird aus Eis gebaut - für nur ein Konzert
Eric Mutel zum Beispiel, eigentlich Fotograf aus Frankreich, ist schon mehrere Jahre dabei und hilft in diesem Jahr beim Bau der Eisinstrumente. Mal mit der Motorsäge, mal mit Hammer und Meißel oder Eisschaber rückt er den dicken Eisblöcken zu Leibe, die in diesem Jahr von einem anderen Gletscher aus Norwegen stammen und mit dem Zug nach Finse gebracht wurden.
Er bearbeitet sie direkt am meist verlassenen Bahnsteig, an einem Tag bei minus 20 Grad, am nächsten bei nur knapp unter 0 Grad. Nicht gerade einfach: "Nun, wenn man eine richtige Ausrüstung hat, ist es natürlich in Ordnung, die ganze Zeit in der Kälte zu arbeiten, vielleicht bekommt man kalte Hände, aber das Problem ist, dass es so zerbrechlich ist. Es ist zerbrechlicher als Glas und manchmal hat man eine Menge Arbeit und dann zerbricht es einfach."
Im Moment arbeitet Eric an einem Horn, zwei längliche Eisklötze höhlt er aus, legt sie später aufeinander und verschmelzt sie, mit der Aushöhlung innen. Dann formt er von außen das Horn. Eine Eisgitarre gibt es schon, mit dem Schneemobil vom Bahnsteig transportiert zum kleinen Festivalgelände 50 Meter entfernt am Ufer des gefrorenen Sees. Daneben auf der Bühne: ein Eis-Plattentisch, die Eis-Harfe. Ein Xylophon, bzw Ice-Ophon, Percussions. Jedes Instrument ein einmaliges Kunstwerk. Gebaut für diese zwei Tage Ice Music Festival – danach wird jedes einzelne einfach der Natur zurückgegeben. "Wir sollten das vielleicht im Auge behalten, denn die Dinge sind nicht dafür gemacht, dass sie bleiben, sie ändern sich einfach ständig. Es ist nicht leicht, damit umzugehen, aber ich denke, es ist okay, wenn es natürliche Dinge sind, wissen Sie?"
Dankbar einfach annehmen, was die Natur einem gibt oder nimmt, ist eine gute Haltung, wenn man vergängliche Kunst aus Eis schafft. Und hier oben, auf der verschneiten Hochebene im berühmten Nationalpark Hardangervidda fällt es nicht schwer, man fühlt sich ohnehin weit weg von allem und eins mit der Natur. Und um seine Kunstwerke zu behalten, hat er ja noch die Fotografie, schmunzelt Eric. Für die Profimusiker ist es nochmal was anderes, schließlich ist ihr Eisinstrument jedes Mal ein anderes und wird erst kurz vor dem Konzert fertig – üben ist da nicht möglich. Man muss schon ein bisschen mutig sein, und darf keine Angst davor haben, zu experimentieren. "Das Instrument ist etwas ganz Besonderes, also muss ich ein bisschen vorsichtiger spielen als normalerweise. Das ist eine große Herausforderung und macht einen irgendwie ein bisschen bescheiden."
Besondere Verbindung zwischen Künstlern und Publikum
Viktor Reuter aus Schweden spielt Kontrabass, war schon mit dem Eismusikerfinder auf Tour in China und Deutschland und hat auch schon drinnen gespielt. Hier draußen in der weiten Landschaft aus Schnee und Eis, bei Wind und Wetter und schwankenden Temperaturen eine besondere Herausforderung. Auch für den jungen Harfenisten Emmanuel Padilla Holguin. Er kommt aus Mexico, lebt seit ein paar Jahren in Oslo und ist kurzfristig eingesprungen. Sowas Verrücktes wie das Ice Music Festival hat er noch nicht erlebt. "Nein, das ist keine gewöhnliche Sache. Ich meine, es ist wirklich seltsam, das erste Mal, als wir den Harfenkorpus ausprobierten, war er zu groß, so dass wir ihn mit einer Kettensäge durchschneiden mussten, um normal spielen zu können." Und er hat sichtlich Spaß! Er bringt sogar das eingemummelte Publikum dazu, der Mama Esperanza in Mexiko ein kleines Geburtstagsständchen zu singen.
Die Verbindung zwischen Künstlern und Publikum ist besonders hier oben. Wer sich zum Ice Music Festival aufmacht, möchte das Einzigartige erleben und ist auch bereit, dafür weit zu reisen und zu frieren. Rund 100 Zuschauer sitzen eingemummelt auf den Schneestufen des kleinen Amphitheaters am Ufer des Gletschersees, die dicken Jacken rascheln, oft hält man den Atem an, um keinen Lärm zu machen. Sie kommen aus Norwegen, Österreich, Singapur, Peking, England - und sind wie verzaubert nach dem Konzert unter sternenklarem Nachthimmel. "Es ist irgendwie eine andere Welt, eine Märchenwelt, es ist erstaunlich, ein guter Klang in dieser kleinen Schüssel, der einen zum Weinen bringt."
Das Publikum und die Festivalmacher sind glücklich. Für dieses Jahr hat das Wetter mitgespielt, ein Tag war sogar richtig sonnig – und die Temperaturen lagen immerhin knapp unter dem Gefrierpunkt. Im vergangenen Jahr hat ein Sturm das komplette Festivalgelände zerstört und sie mussten die Eismusik teilweise in einen Schuppen verlegen. Auch deswegen gehört eine kleine Diskussionsrunde mit einem Klimaforscher jetzt zum Programm in Finse. Und die Botschaft, dass wir mit der Natur arbeiten, aber sie nicht ausbeuten dürfen - und ihr alles zurückgeben sollen.
Und wie verhext zieht ein Schneesturm auf am Tag nach dem Ice Music Festival und bedeckt das kleine Festivalgelände und die Instrumente mit einer meterdicken Schneeschicht. Auf dass sie im nächsten Jahr hier in Finse wieder neu entstehen, für wieder neue Eismusik, sagt Festivalgründer Terje Isungset. Er hat schon neue Ideen im Kopf. "Es ist wie das erste Mal, als ich den Klang des Eises hörte und sah. Es ist, als würde ich mich verlieben. Und wenn man sich wirklich verliebt, kann man nicht damit aufhören."