Archiv


"Ich bin auch diesen Rampensau-Trieb von mir schon gewöhnt"

"Lieder vom Rand der Galaxis" als Live-Solo-Act zum 30. Schaffensjahr von Wolf Maahn: Grund genug, sich über Idole, das Musikmachen an sich und die Wertigkeit der Musik zu unterhalten - und warum alleine auftreten bedeutet, keine Sekunde abschalten zu können.

Das Gespräch führte Kerstin Janse |
    Kerstin Janse: Zu Gast im Studio Wolf Maahn, herzlich willkommen!

    Wolf Maahn: Hallo, hallo.

    Janse: Kompliment! Wenn man´s nicht wüsste, würde man nicht vermuten, dass dort wirklich nur Wolf Maahn allein auf der Bühne sitzt. Aber es ist so.

    Maahn: Ja, das ist so und ich wunder mich selber, wie fett das klingt und wir haben halt im Studio natürlich irgendwie versucht, das sehr dicht zu kriegen, obwohl es halt nur eine Gitarre und ein stampfender Fuß und meine Stimme ist. Vielen Leuten fällt es erstmal gar nicht auf, dass es eigentlich ein Solo – im wahrsten Sinne des Wortes – Solo-Album ist.

    Janse: Wie muss man sich das dann technisch live vorstellen? Ich meine, das ist ja auch eine körperliche Höchstleistung, weil, man kann sich ja nie auf Bandsound ausruhen. Das heißt, das ganz Konzert hängt an Wolf Maahn. Körperlich, geistig und von der Atmosphäre.

    Maahn: Ja, da ist mir auch schon aufgefallen. Also bei meiner ersten Solotour, die war ja bereits 2005, da hatten sich verschiedenste Anfragen gesammelt und wir haben einfach gesagt, wir machen das jetzt. Es war ´ne gewisse Herausforderung, irgendwie muss man so was auch annehmen dann, und dann hab ich schon die ersten Konzerte gedacht. ´Mein Gott, an was du jetzt alles denken musst, du kannst wirklich keine Sekunde mal abschalten´. Ich bin auch sehr konzentriert bei Bandkonzerten, aber ich kann mich auch mal voll verspielen und es fällt eigentlich kaum auf.

    Janse: Es ist dann ja einer im Hintergrund, der einen retten kann. Weil er dann einen "Lick" drüberspielt oder weil er merkt, jetzt schwimmt er und dann gibt es ja so Signale unter Musikern. Aber so rein körperlich das durchzuhalten, kein Problem? Ich meine, man hört nicht nur eine Gitarre, sondern auch eine Cajón.

    Maahn: Genau, da ist immer der Fuß, der auch den Beat gibt und ich glaube, wenn der Sound gut ist auf der Bühne, was immer ganz wichtig ist für mich, dann kann ich auch vier Stunden spielen. Aber wenn man sich nicht so ganz gut hört oder die Gitarre nicht so gut hört, dann kann´s sehr schnell anstrengend werden.

    Janse: Das "Solosein" auf der Bühne ist eine Geschichte, dann aber auch solo am Abend nach dem Konzert. Weil, gerade da ist ja das große Gefühl oft, wenn man zusammen von der Bühne geht. Dann gehen Sie allein von der Bühne. Sind das einsame Momente, stille Momente oder etwas ganz Neues für Sie?

    Maahn: Ich bin meistens glücklicherweise in der Situation, nicht nur mit meiner Frau auf Tour, auch mit Freunden, die die Techniker sind. Das heißt, das ist wirklich ein sehr, sehr inniges Verhältnis auch zu den anderen Jungs, die dabei sind. Wir sind wie ´ne Clique, die unterwegs sind. Vielleicht vor der Show. Das war am Anfang auch so, dass bei den ersten Solo-Konzerten in großen Garderoben man auf einmal allein saß. So unmittelbar, bevor man auf die Bühne geht. Aber auch das genieß ich, hab inzwischen auch die Vorteile gesehen. Man kann sich dann natürlich noch mehr konzentrieren.

    Janse: Wir haben vorhin den Titel gehört "Durch alle Zeiten - Dieses Jahr 30 Jahre Wolf Maahn". Ein bisschen geschummelt finde ich, weil die "Food Band" außen vor zu lassen ... OK, lief nicht unter Wolf Maahn, ist aber eigentlich auch Wolf Maahn gewesen. 30 Jahre in der Rückbetrachtung, welche Dekade war die spannendste?

    Maahn: Joh, das ist echt ´ne schwere Frage, weil jede Dekade hatte natürlich ihre ganz eigenen Reize. Da möchte ich mich nicht festlegen. Ich finde halt grundsätzlich, der Wert von Musik in der Allgemeinheit, in der Öffentlichkeit, hat irgendwie gelitten. In all der Zeit. Vielleicht auch durch das Internet. Ich meine früher war es ja so, du hattest 50 Alben und warst total stolz auf deine Plattensammlung und kauftest dir dann irgendwann das 51. und denkst ´OK, vielleicht erreich ich die 100 irgendwann´. Stolz auf deine Sammlung, auf jedes Stück. Jetzt hat ja schon jeder 14-Jährige, was weiß ich, zehntausend Songs auf seinem iPod. Und das wird mal eben alles überspielt. Das ist halt ´ne andere Art mit Musik umzugehen, die ein bisschen schnelllebiger ist und das ist vielleicht auch der Grund, warum wir jetzt das erste Mal Vinyl seit vielen Jahren rausbringen, weil ich glaube das passt auch zu der Platte sehr gut.

    Janse: Der Verfall der Wertigkeit der Musik. Gehen wir trotzdem auf die 30 Jahre mal ein. Es gibt besondere Geschichten, die man erzählen kann.

    Maahn: Oh ja, oh ja. Es gibt die großen Konzerte, die ich sehr genossen habe. Das ganz Besondere war das Wackersdorf-Festival, das legendäre. Da ist viel drüber geschrieben worden. Tatsächlich war es so was wie das deutsche Woodstock. Natürlich der Moment, wo ich meinen Protestsong "Tschernobyl – das letzte Signal" dann mit Herbert Grönemeyer, Niedecken und vielen Anderen auf der Bühne performte vor 120.000 Leuten. Und man hat das Gefühl, man bewegt gerade was. Es kamen schon Sondersendungen im ZDF, weil man irgendwie der Meinung war, es könnte alles auch eskalieren. Aber es blieb ja alles so friedlich und es hat alles trotzdem funktioniert. War sehr toll. Aber auch natürlich Konzerte mit Bob Dylan oder schon vor der Wolf-Maahn-Zeit unter Food Band, wo wir mit Bob Marley gespielt haben, werde ich natürlich nie vergessen. Die Tour mit Roxy Music. Auch jetzt wieder Festivals in neuerer Zeit, das Fehmarn Open Air, das es leider nicht mehr gibt, was wir 2010 ja gemacht haben. Begegnungen mit Menschen. Mir fällt ein, Pete Townsend ist mir mal begegnet, und ich habe mich sehr gewundert, wie leuchtende Augen er hat. Und was er doch für ein Gentleman ist. Also ich glaube, das würde die Sendung doch fast sprengen jetzt.

    Janse: Anekdoten über Anekdoten. Wann gab´s den Moment, wo Wolf Maahn den Beppel hinschmeißen wollte und keinen Bock mehr hatte? Den muss es auch gegeben haben!

    Maahn: Also ´kein Bock mehr´ nicht, aber schon eine gewisse Ernüchterung, die in den 90er-Jahren eintrat. In den 80ern war es ja Volkssport zu sagen ´wir können die Welt verändern und sie kann besser werden´. Und in den 90ern kam dann so die Ernüchterung. Der Fall der Mauer, der Wettbewerb der Systeme fiel weg. Es war zum Beispiel restlos uncool in den 90ern, Benefiz Veranstaltungen zu machen. Vielleicht auch wegen der gewissen "Benefiz-Inflation" in den 80ern. Als wir dann Mitte der 90er dieses "Rock for Bosnia" mitinitiiert haben und nach Künstlern gesucht haben, gab´s eigentlich außer den Fantastischen Vier ungefähr drei Monate keine Zusage von irgendeinem Namhaften. Bis dann endlich Fury in the Slaughterhouse kamen. Wir haben so viel Absagen bekommen, das darf man eigentlich keinem erzählen, wer da damals alles nicht dabei sein wollte.

    Janse: Mit dem Wissen von heute, was würden Sie anders angehen im Rückblick?

    Maahn: Hmm, das sind ja die spannenden Fragen! Ach das sind eher so Kleinigkeiten. Ich glaube im Großen und Ganzen bist du als Künstler auch verpflichtet deiner Inspiration zu folgen. Natürlich gab´s da ein englischsprachiges Album Ende der 80er, was viele irritiert hat. Was mir aber auch ´ne Tür aufgemacht hat. Wenn ich jetzt inzwischen einen englischen Song drin habe, und jetzt auf dem Soloalbum ist ja ein englisches wieder dabei, dann finden die Leute das völlig normal. Aber damals haben viele gesagt ´bist du bekloppt?`. Ich fand´s trotzdem OK, ein Album, das ich mir sogar selber noch anhören kann, "Third language". Aber ansonsten sind´s eher so praktische kleine Dinge wie zum Beispiel dieses Jahr habe ich, obwohl ich erkältet war, ein Konzert gespielt in Bonn. Ein Solokonzert. Und war danach ziemlich angeschlagen, hab danach aber noch weitere Konzerte gespielt, was zur Folge hatte, dass ich eigentlich so ungefähr sechs Wochen im Bett liegen musste. Das würde ich, glaube ich, dann doch lieber absagen das nächste Mal.

    Janse: Aber eine späte Erkenntnis, die hätte man schon vorher haben können.

    Maahn: Ja, aber so sind wir halt, die bekloppten Musiker.

    Janse: Als Musiker geht man auf die Bühne, solange man den Kopf oben trägt.

    Maahn: Ja, ich bin auch diesen Rampensau-Trieb von mir schon gewöhnt.

    Janse: Rampensau-Trieb ist das etwas, was Sie als Ihre Charaktereigenschaft bezeichnen würden?

    Maahn: Ja, das habe ich inzwischen rausgefunden, das ist wohl wirklich so.

    Janse: 30 Jahre Wolf Maahn, letztes Jahr 50 Jahre Beatles, dieses Jahr 50 Jahre Stones. Welche dieser beiden Bands hat Sie mehr beeinflusst?

    Maahn: Oh, oh, oh, die alte Frage! Das ging schon am Schulhof los, als ich Beatles-Fan war und die ersten Stones-Fans am Schulhof traf und die mich dann auch auf ihre Seite gezogen haben. Aber ich habe das Fan-tum beigehalten und ehrlich gesagt, es sind die Beatles, und es war auch mein erstes wirkliches Livekonzert, das ich sehen durfte mit elf Jahren im Zirkus Krone Bau München auf der BRAVO Beatles Blitz Tournee. So hieß das damals. Drei Konzerte von der beliebten Zeitschrift BRAVO organisiert. Also ich weiß nur noch, dass alle auf den Stühlen standen, geschrien haben und dass "Paperback writer" das erste Mal live gespielt wurde, was damals die aktuelle Single war.

    Janse: Und Sie waren tatsächlich dabei, weil es haben ja gar nicht so viele Leute reingepasst in den Zirkus. Sie waren dabei mit den Eltern oder wie lief das als Elfjähriger?

    Maahn: Mit meinen beiden größeren Brüdern und die Beatles haben glaube ich 30 Minuten gespielt und hatten sechs Vorgruppen.

    Janse: Und die Stones sind dann später ins Bewusstsein gerückt. Finden Sie´s gut, dass die – Entschuldigung – alten Säcke, beide werden nun nächstes Jahr 70, Richards und Jagger, dass die so noch dabei sind? Ist das in Ordnung?

    Maahn: Also ich finde, sie haben immer noch einiges zu bieten. Gerade wenn man den Scorsese Film sieht. Zum Beispiel diese Wahnsinnsenergie, gerade von Jagger, die man da sieht. Wie der seine Kräfte bündeln kann und wie er singt, das ist fast besser als früher. Er hat natürlich jetzt nicht mehr so ganz – also ich sag mal, das große Sexsymbol, das wird langsam schwer – aber selbst da ist er eigentlich irgendwie unbefangen und versucht halt noch zu sehen, was so geht. Ich mag einfach, wie er singt, ich mag sehr, wie Keith Richards Gitarre spielt, nach wie vor. Und nicht zuletzt auch Ron Wood. Charlie Watts ist vielleicht einer der besten Drummer der Welt. Mehr will ich dazu eigentlich gar nicht sagen.

    Janse: Wolf Maahn, Sie sind 57. Ich würde Ihnen, uns und den Fans wünschen, dass Sie mit 70 auch noch diese Energie versprühen.

    Maahn: Oh ja! Das wär´ nicht schlecht!

    Janse: Und bedanke mich herzlich für den Besuch im Corso-Studio!

    Maahn: Gerne!