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"Ich bin der Planer der Zukunft"

Fast 20 Jahre lang leitete der Dichter und Schriftsteller Michael Krüger den Carl Hanser Verlag in München. In wenigen Wochen verlässt der fast 70-Jährige seinen Verlagsposten. Ein Gespräch über Zukunftspläne, Tod und Kafka.

mit Sandra Hoffmann | 20.08.2013
    Sandra Hoffmann: Michael Krüger, wir treffen uns, um übers Aufhören zu sprechen im Besonderen. Aufhören nach 45 Jahren, die Sie hier an Ihrem Schreibtisch im Carl Hanser Verlag sitzen. Ist das so etwas wie ein kleiner Tod?

    Michael Krüger: Na, ich hoffe natürlich nicht, dass ein Aufhören einer Arbeit unbedingt den Tod assoziiert. Auf der anderen Seite werde ich Ende des Jahres 70 Jahre alt sein, sodass einem die Vorstellung des Todes als eine dann doch in der Nähe befindliche Kategorie nicht ganz fremd ist.

    Hoffmann: Ich zitiere aus Kafkas "Bericht für eine Akademie": "Überblicke ich meine Entwicklung und ihr bisheriges Ziel, so klage ich weder, noch bin ich zufrieden. Die Hände in den Hosentaschen, die Weinflasche auf dem Tisch, liege ich halb, halb sitze ich im Schaukelstuhl und schaue aus dem Fenster." Wie ist das bei Ihnen?

    Krüger: Ja, ich liebe diesen Text sehr, und da ich in der Zwischenzeit auch zu einem Präsidenten einer Akademie gewählt worden bin, habe ich diesen wunderbaren Text auch nochmals gelesen. Das Komische ist, wenn man so lange in diesem Beruf tätig war, dann gibt es ja nicht den Bruch des Aufhörens, der ja nur dann entsteht, wenn man irgendwie unehrenhaft entlassen wird. Das heißt, ich kann gar nicht im Schaukelstuhl sitzen und dem Vergehen der Tage zuschauen, weil ich erstens große Teile des Programms des nächsten Jahres bearbeiten muss, und sogar natürlich große Teile des Programms 2015 im Auge, das heißt als Manuskript schon vor mir habe, als vorläufiges Manuskript, d.h. meine Tätigkeit im Moment besteht darin, eine Zukunft zu planen, die ohne mich auskommen wird. Aber ich bin der Planer der Zukunft.

    Hoffmann: Das klingt nach Spagat.

    Krüger: Das ist eine merkwürdige Sache, d.h., ich habe eine Reihe von ganz hervorragenden Büchern, die gerade im Entstehen sind, die ich also sehr ernsthaft begleite, ohne zu wissen, ob meine Nachfolger ebenso begeistert davon sind, wie ich es bin. Das ist das eine. Zum anderen verlasse ich ja einen Verlag, in dem sehr viele Menschen arbeiten, mit denen ich lange zusammengearbeitet habe, und die nur etwas jünger sind als ich, und deshalb natürlich auch nicht ihr Gehirn auswechseln können, d. h., man ist in einem Verlag sowieso gezwungen, in längerfristigen Sequenzen zu denken. Bücher entstehen ja nicht ad hoc. Ich sitze an sicherlich 150 Projekten, die in den nächsten zwei Jahren realisiert werden sollen. Hinzu kommt, dass der Verlag sich ja auf viele Städte verteilt, Wien, Zürich, Berlin und München, dass der Verlag aus Menschen besteht, die hier arbeiten, seit vielen Jahren, mit denen ich eben jetzt, obwohl ich weiß, dass ich am 31.12. ein besenreines Zimmer zu übergeben habe, weiter darüber nachdenken muss, bis zum letzten Tag, wie sich der Verlag in naher Zukunft entwickelt. Und mein Nachfolger hat dann die Aufgabe, nicht nur diese vielen Fäden zusammenzubinden zu einem Zopf, sondern sich dann über seine Zukunft Gedanken zu machen, die aber, was das Programmatische betrifft, erst in eineinhalb Jahren beginnt.

    Hoffmann: Wir sitzen hier ja in Ihrem Büro am Tisch, und es sieht noch gar nicht aus, als ob auch nur ein Buch eine Wanderschaft Richtung Verschenken oder Kehrschaufel gemacht hat, also die Vorstellung, dass Sie hier in fünf Monaten besenrein gehen wollen, bei all dem, was Sie mir gerade erzählt haben, was Sie noch zu tun haben, scheint fast unmöglich.

    Krüger: Es ist so. Es ist vollkommen absurd, die Vorstellung, was man zum Beispiel mit den ganzen Büchern macht. Manchmal träume ich von einem überlebensgroßen Hoover-Staubsauger, der an einem schönen Dezembermorgen hier ins Zimmer geschoben wird, und mit einem Schwapp das ganze Zimmer leer macht. Denn: Es ist ja nicht nur das zu bearbeiten, was Sie hier sehen, es gibt natürlich noch viele Schränke, es gibt unendlich viele Keller voller Bücher, die auf irgendeine Weise in meinem Leben eine Rolle gespielt haben.

    Hoffmann: Kann man sich das Abschiednehmen erleichtern?

    Krüger: Natürlich ist das Abschiednehmen auch eine Sache, sozusagen der gedanklichen Konstruktion. Denn, wenn man Abschied nehmen muss, dann muss man sich natürlich auch fragen, von was kann ich mich verabschieden.

    Hoffmann: Von was können Sie sich verabschieden?

    Krüger: Naja, zum Beispiel, sehr simpel, ich weiß ganz genau, dass ich bestimmte Bücher nie mehr werde lesen können. Ich werde Ende des Jahres 70 sein, und dann bleiben einem, wenn man gesund bleibt, noch zehn klare Jahre. Es gibt so wahnsinnig viel, was ich noch lesen wollte, es gibt aber auch so wahnsinnig viel, was ich schreiben will. Schreiben, das heißt ja Zukunft, also das ist ja etwas, was ich dem Alten hinzufüge. Aber je mehr Pläne ich habe, desto deutlicher wird mir, dass ich von sehr vielen Dingen Abschied nehmen muss, um überhaupt diese zehn Jahre, immer vorausgesetzt ich erlebe sie, erleben zu können.

    Hoffmann: Von welchen?

    Krüger: Zum Beispiel der Abschied auch von zu viel Präsenz auch in dem Betrieb. Wenn man so einen Verlag leitet, geleitet hat, so lange wie ich, hat man natürlich in unendlich vielen Gremien gesessen, man hat in Jurys gesessen, man ist immer gefragt worden, weil man durch die Länge der Jahre auch eine Art Auskunftsinstitution geworden ist. Das heißt, vieles von dem, was ich so über die Jahre gemacht habe, und auch gerne gemacht habe, werde ich in Zukunft bleiben lassen müssen, oder bleiben lassen können. Auf jeden Fall werd’ ich’s bleiben lassen.

    Hoffmann: Aber Sie haben ja schon wieder ein neues Amt angenommen, Sie sind Präsident, Präsident der Akademie der schönen Künste. Das ist ja eigentlich ein Neuanfang und weniger ein Bleibenlassen!

    Krüger: Ja, das hat mich insofern interessiert, als dass man mich gebeten hat, mich für dieses Amt aufzustellen, weil hier etwas passiert, was mir in meinem Beruf viel zu wenig vorkam, nämlich es gibt bei der Bayerischen Akademie fünf Klassen. Und plötzlich hoffe ich, dass ich durch diese Wahl da zum Präsidenten, Gelegenheit habe, ein Gespräch der Künste untereinander in Gang zu setzen, um vielleicht doch zu versuchen nicht eine normative Ästhetik zu entwickeln, aber doch darüber nachzudenken, was wir eigentlich tun, wenn wir Bücher schreiben, Musik machen, Bilder malen, und so weiter.

    Hoffmann: Ist das eine Errungenschaft oder eine Bürde der westlichen Zivilisation oder der Medizin, die uns ein langes Leben bescheren kann, dass wir unabhängig von Erfolg oder Scheitern immer weiter wirken wollen?

    Krüger: Ja, das ist natürlich eine der Hauptfragen, glaub’ ich, unserer Verfasstheit, der Körper ist eine riesige Baustelle geworden, man kann alles austauschen, jedes Organ. Die Verbesserung des Menschen als körperliches Wesen ist soweit fortgeschritten, dass man nur staunen kann. Ob es sinnvoll ist, unter den gegebenen Umständen 100 Jahre alt zu werden, ist eine ganz andere Frage. Da ich immer gefühlt habe, dass viele Dinge in meinem Leben zu kurz gekommen sind, hoffe ich natürlich, dass ich in diesen zehn Jahren all das noch werde erleben können, was mir versagt geblieben ist. Ob das geht und wie so was geht, und ob man sich das vornehmen kann, das weiß ich nicht.

    Hoffmann: Ich habe ein Gedicht gefunden, das ist 1999 erschienen, in der Pfaffenweiler Presse, also ein Gedicht von Ihnen, und ich würde Sie bitten, das ganz zum Schluss noch zu lesen:

    Krüger: Schreib deinen Schluss. Dein Atem/ braucht, will er weiter dich nähren, /ein neues Haus. Aufrecht gehst du/ nicht durch die Tür,/ auch wenn der Fang im Netz/ deine Schultern nicht beugt.