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"Ich bin multipel talentlos"

Gilad Atzmon ist vor allem als unbequemer Kritiker seines Heimatlandes Israel bekannt. Doch Atzmon ist zugleich ein hoch sensibler Saxofonist, Klarinettist und Komponist, der in den feinen, leisen Tönen seine besten Momente hat.

Von Lugi Lauer |
    "Ich liebe die Empfindungen, die ein neuer Ort auslöst. Man muss nur mal durch Paris gehen und auf die Geräusche achten, die U-Bahn, die sich schließenden Türen. Es ist frappierend, wie groß der Unterschied zu anderen Städten ist. Auch die Musik in den Straßen, alles klingt anders. Diese Differenzen will ich feiern, das ist die Idee des Albums. Unterschiede sind etwas ganz Großartiges, denn nur daraus wird Schönheit geboren."

    Damit hat Gilad Atzmon umrissen, worum es ihm in seiner Musik grundsätzlich geht: um Schönheit. Das Album "Songs of the Metropolis" ist der Versuch einer akustischen Zusammenfassung vielfacher Sinneseindrücke, ein Amalgam aus Gerüchen, Bildern, Geräuschen. Und ein Album, das Geschichte und Gegenwart atmet.

    Atzmons Musik kann man nicht isoliert von seiner politischen Haltung betrachten. Denn der 48-Jährige geht nicht nur mit wachen Sinnen durchs Leben. Er pflegt dabei auch seinen scharfen Verstand mitzunehmen. Selbst in Instrumentalstücken bezieht er gesellschaftlich Stellung.

    "Ich bin definitiv der Ansicht, dass wir etwas verloren haben. Als ich zum Beispiel das erste Mal nach Berlin kam, war die Stadt geteilt, die Mauer war etwas ganz Besonderes, auch die Musikszene. Wenn man heute durch die Städte reist, sind sie mehr und mehr dieselben. Auf der einen Seite haben wir die Globalisierung. Und auf der anderen Seite haben wir eine Politik der Identität. Menschen sollen sich mit bestimmten Ideen identifizieren, anstatt authentisch zu sein. Man identifiziert sich mehr und mehr mit billigen Vorgaben, mit Produkten. Diese beiden Elemente tragen zu einer kompletten Verflachung der Realität bei."

    Es überrascht bei Gilad Atzmon nicht, dass das Album Songs of the Metropolis einen theoretischen Überbau hat. Der britische Historiker Prof. Garrioch analysiert die Entwicklung von städtischen Klängen. Atzmon zitiert ihn im Booklet. Ganz so kopflastig ist die Musik dann aber doch nicht.

    "Bei mir funktioniert das so: Ich sitze am Piano, spiele, und denke keinen Moment daran, ein Album über Städte zu machen. Nehmen wir Berlin, ich hatte immer schon ein Lied mit diesem Weimar-Cabaret-Flair. Ein anderes klang sehr französisch, wieder ein anderes österreichisch, und ich dachte, was wird das jetzt hier, ein Chamäleon-Festival? Aber nein, es ist, was es ist, ein Lied für Berlin, eines für Paris, eines für Wien. Es war ein dualer Prozess. Ich schrieb etwas und fand die passende Stadt dazu, oder die Stadt fand mich."

    Ganz sicher aber fand Gilad Atzmon die passenden Töne. Ein Glockenspiel im Walzertakt suggeriert eine Karussellfahrt in Wien, Winterstiefel stampfen durch Moskau oder Atzmon bengelt sich lausbübisch durch Tel Aviv. Die Gefahr, Klischees zu bedienen, ist bei solchen Unternehmungen allgegenwärtig. Doch Gilad Atzmon bleibt gelassen.

    "Ich bin begabt genug, solche Dinge geschehen zu lassen. Selbst wenn ich nach Tango, wenn ich wie Piazzolla klingen möchte: Ich bin multipel talentlos, sodass ich doch immer nur nach mir selber klinge."