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"Ich bin nicht auf dem linken Auge blind"

Gesine Lötzsch, Vorsitzende der Linkspartei, bekräftigt das politische Ziel eines demokratischen Sozialismus. Dies sei auch die Schlussfolgerung ihres umstrittenen Artikels "Wege zum Kommunismus". Sie rechtfertige auch das bevorstehende Gespräch mit der ehemaligen RAF-Terroristin Inge Viett.

Gesine Lötzsch im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Heinemann: Am Telefon ist jetzt Gesine Lötzsch, die Vorsitzende der Linkspartei. Guten Morgen!

    Gesine Lötzsch: Guten Morgen!

    Heinemann: Frau Lötzsch, wünschen Sie sich ein kommunistisch regiertes Deutschland?

    Lötzsch: Mein Ziel und das Ziel meiner Partei ist der demokratische Sozialismus, und in dem Artikel, aus dem Sie zitiert haben, ziehe ich ja die Schlussfolgerung, dass dem demokratischen Sozialismus die Zukunft gehört. Und ich nutze diesen Artikel, um auf Vorschläge meiner Partei zu verweisen zur Lösung der Finanzkrise und zur Bewältigung der ökologischen Herausforderung. Ich werbe in dem Artikel für den öffentlichen Beschäftigungssektor und die Demokratisierung der Wirtschaft, und ausdrücklich natürlich werbe ich dafür, dass sich die wichtigsten Probleme der Gegenwart nicht mit militärischen Mitteln lösen lassen.

    Heinemann: Und das Ganze unter der Überschrift "Wege zum Kommunismus".

    Lötzsch: Ja, aber Sie haben ja gesehen, dass ich in diesem Artikel entwickle, dass die Antwort meiner Partei und meine persönliche Antwort auch der demokratische Sozialismus ist, und ich beziehe mich da sehr stark auf Rosa Luxemburg. Nicht umsonst ist Rosa Luxemburg für uns als Linke eine der wichtigsten Bezugspersonen aus der Geschichte der Arbeiterbewegung, und nicht umsonst haben wir auch unsere parteinahe Stiftung nach Rosa Luxemburg benannt, denn Rosa Luxemburg ist diejenige, die den Gedanken der Freiheit des Individuums mit dem Gedanken der sozialen Gerechtigkeit am eindrucksvollsten verbunden hat. Und darum hat sich Rosa Luxemburg zum Beispiel auch ganz scharf abgesetzt und abgegrenzt und überworfen mit Lenin und Trotzki, weil sie gesagt hat: So, dieser sowjetische Parteikommunismus, das kann nicht das Ziel sein.

    Heinemann: Nur leider hatte Rosa Luxemburg mit der Demokratie so ihre Schwierigkeiten, denn im Gründungsaufruf des Spartakusbundes steht unter anderem: "Von der obersten Spitze des Staates bis zur kleinsten Gemeinde muss deshalb die proletarische Masse die überkommenen Organe der bürgerlichen Klassengesellschaft, die Bundesräte, Parlamente, Gemeinderäte durch eigene Klassenorgane, Arbeiter, Soldatenräte und so weiter ersetzen." Also - parlamentarische Schwierigkeiten hatte die Frau schon, nicht?

    Lötzsch: Ja, also Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht haben ja, als sie gesehen haben, wie sich die Gesellschaft entwickelt und ihre Ideen überprüft haben, aufgerufen zur Teilnahme an den Wahlen, und auch für uns als Partei Die Linke ist ja der Wahlerfolg immer ein wichtiger Gradmesser, welche Zustimmung wir bei den Menschen finden mit unseren Ideen. Und für mich ist ganz klar: Wir können nur über das Gewinnen von demokratischen Mehrheiten in der Gesellschaft - und dazu zählen natürlich auch Mehrheiten und Zustimmungen bei Wahlen entscheidend dazu, denn das ist ja das Wesen unserer Demokratie - Veränderung in der Gesellschaft erreichen. Und an der Diskussion sehe ich ja, dass sehr, sehr viele Menschen sich Gedanken machen: Wie kann diese Gesellschaft sich weiter entwickeln, wie gehen wir mit den Herausforderungen der Zukunft um? Überlegen wir mal ein paar Tage zurück, ein paar Jahre zurück: Vor drei, vier Jahren hätte sich doch noch niemand die Gedanken darüber gemacht, dass wir eine Eurokrise haben, dass Fragen gestellt werden, welche Zukunft der Euro hat. Die Finanzkrise ist mit einer Heftigkeit über uns hereingebrochen, dass es wirklich wichtig ist, nach neuen Wegen zu suchen, und ich fordere auf, dass wir gemeinsam über neue Wege nachdenken. Und ich finde auch ganz wichtig zu betonen, dass unsere Partei natürlich die einzige Partei ist, die die Frage stellt nach dem Zusammenhang von Eigentum und Demokratie. Eigentum entsteht durch Arbeit, und wir haben gerade auch im Zeichen der Finanzkrise erlebt, dass diejenigen, die die Finanzkrise verursacht haben, dicke Gewinne weiter einstreichen konnten, vom Staat unterstützt wurden, und Menschen, die hart arbeiten, immer weniger von diesem Eigentum erhalten.

    Heinemann: Welche Rosa-Luxemburg-Klassenorgane schweben Ihnen denn so vor?

    Lötzsch: Ich möchte, dass die Menschen an der Demokratie in hohem Maße beteiligt sind. Wir beteiligen uns an Wahlen, wir sind in, wir allein auf der kommunalen Ebene in der gesamten Bundesrepublik mit über 6000 Mandatsträgern vertreten, wir merken aber auch, dass die Wahlbeteiligung zurückgeht. Und darum versuchen wir, Menschen zurückzugewinnen, sich an Wahlen zu beteiligen. In meinem Wahlkreis Berlin-Lichtenberg zum Beispiel gibt es ein bundesweit einmaliges Projekt, das nennt sich Bürgerhaushalt. Da werden die Menschen eingeladen, bevor der Haushalt verabschiedet wird, gemeinsam mit den Bezirksverordneten, also den kommunalen Vertretern und der Bürgermeisterin darüber zu diskutieren…

    Heinemann: Machen die Grünen schon seit Jahrzehnten.

    Lötzsch: Nein, das stimmt nicht. Dieses Projekt hier in Berlin-Lichtenberg ist bundesweit einmalig anerkannt, und unsere Bürgermeisterin Christina Emmrich wird international eingeladen, um darüber zu berichten.

    Heinemann: Thüringens Linken-Fraktionschef, Ihr Parteichef Bodo Ramelow hat gesagt, er hätte das Wort Kommunismus in diesem Zusammenhang vermieden und er hätte sich zumindest gewünscht, dass dieses Wort nicht gebraucht würde, ohne der blutigen Spur des Kommunismus auch nur in einem Viertelsatz wenigstens zu gedenken, und ähnlich äußerte sich gestern bei uns im Deutschlandfunk Ihr Parteifreund Stefan Liebich:

    "Wenn man auf einem Podium sitzt mit einer ehemaligen RAF-Terroristin und der DKP-Vorsitzenden, gehört mindestens eines dazu, was man dann ganz klar sagen muss, nämlich, dass es ganz viele Verbrechen im Namen des Kommunismus gegeben hat, von denen wir uns in aller Klarheit distanzieren. Ich finde, das ist notwendig zu sagen, ehe man sich dann den Antworten auf die Fragen der Gegenwart zuwendet."

    Heinemann: Also warum fehlt der Viertelsatz?

    Lötzsch: Also für mich ist ganz klar, dass wir uns von den Verbrechen, die im Namen des Kommunismus begangen wurden, distanzieren. Wir haben das auf dem Gründungsparteitag der PDS gemacht, wir haben das als Linke immer wieder bekräftigt, und wir haben uns seit 20 Jahren damit auseinandergesetzt. Und ich ...

    Heinemann: Aber das hätte doch, Entschuldigung, das hätte doch ... in einem solchen Text hätte man das doch wenigstens in einem Halbsatz mal erwähnen müssen.

    Lötzsch: Ja, da mögen Sie recht haben, darum bekräftige ich ja noch mal meine Haltung, dass ich zu diesen Positionen ganz ausdrücklich stehe, und dass es unsere Aufgabe ist, als Linke insbesondere dafür zu sorgen, dass es zu solchen Verbrechen nie wieder kommen darf.

    Heinemann: Stichwort Verbrechen: Sie werden morgen im Rahmen einer von der "Jungen Welt" veranstalteten Rosa-Luxemburg-Konferenz unter anderem mit Inge Viett, einer verurteilten Terroristin der RAF diskutieren, die sich bis heute nicht distanziert oder losgesagt hat von Mord und Totschlag, von einer Entschuldigung mal ganz zu schweigen. Was reizt Sie an diesem Gespräch?

    Lötzsch: Ich bin vor allen Dingen daran interessiert, die vielen Menschen im Publikum davon zu überzeugen, dass die Positionen der Partei Die Linke die richtigen sind, dass sie nämlich mit friedlichen Mitteln, mit transparenten Mitteln, damit, dass wir Mehrheiten gewinnen wollen, die Gesellschaft verändern wollen, ...

    Heinemann: Und dazu brauchen Sie eine bekennende Terroristin?

    Lötzsch: Ich brauche sie dazu nicht, ich bin mit ihren Positionen überhaupt nicht einverstanden.

    Heinemann: Ja, wieso reden Sie dann mit ihr?

    Lötzsch: Meine Positionen unterscheiden sich grundsätzlich von ihnen, und in der Politik, das ist so, spricht man ständig mit Menschen, die andere Positionen haben. Ich gehe dorthin mit der Absicht, um im Publikum Menschen für unsere Ideen einer friedlichen Veränderung der Welt und natürlich einer friedlichen Veränderung der Bundesrepublik Deutschlands zu gewinnen. Das ist meine ganz klare Position, und da gibt es keinerlei Berührungspunkte und keinerlei Verwechslungsgefahr.

    Heinemann: Frau Viett hat mit Frieden oder friedlichen Veränderungen nicht viel im Hut. Frau Lötzsch, sind Sie auf dem linken Auge blind?

    Lötzsch: Ich bin nicht auf dem linken Auge blind, und darum habe ich Ihnen ganz deutlich gesagt, dass ich die Positionen von Frau Viett, die sie ja auch noch einmal schriftlich niedergelegt hat, nicht teile, und ich werde auf dieser Konferenz für meine Positionen werben, nämlich, dass wir die Gesellschaft nur, indem wir überzeugen, indem wir gemeinsam neue Wege suchen, indem wir Mehrheiten erringen, auf friedlichem demokratischen Wege verändern können. Ich lehne jede Art von Terrorismus, von Untergrundtätigkeit ab, und das ist eine ganz klare Position.

    Heinemann: Würden Sie auch mit bekennenden Neonazis reden?

    Lötzsch: Nein, das würde ich nicht, weil ich dort im Publikum bei solchen Veranstaltungen nicht die Chance sehen würde, Menschen für die Position der Linken zu gewinnen. Bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz sehe ich die große Chance, Menschen für die Positionen der Linken, nämlich für eine friedliche Veränderung der Gesellschaft, für eine Verteilungsgerechtigkeit, für eine Gesellschaft, wo nicht weiter erlaubt ist, dass die Banken den Staat ausplündern, zu gewinnen, und zwar auf friedlichem demokratischen Wege, indem wir entsprechende demokratische Mehrheiten in unserer Gesellschaft herstellen.

    Heinemann: Gesine Lötzsch, die Vorsitzende der Linkspartei. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Lötzsch: Auf Wiederhören!