Die Hotels von San Francisco regen meine Phantasie am stärksten an: nicht die großen Paläste, nein, das sind Mausoleen. Sondern die kleinen, schwer zu findenden, versteckten, unordentlichen und schäbigen Hotels, sie sind poetische Verse aus Schleim, Todeswünschen und Niederlagen. Ich bekomme dort Fieber, höre Musik aus der Nachbarschaft, gebe mich nach Lust und Laune als Mann oder als Frau; in solchen Momenten zählt nichts außer der Notwendigkeit, einen gelebten Tag an den anderen zu reihen, bis, bis was, bis der Horizont implodiert.
Unter dem Titel "Im Herzen des Herzens eines anderen Landes" hat Etel Adnan ihr Leben protokolliert. Das schmale Bändchen ist weder Autobiographie noch Tagebuch, sondern eine Art Bestandsaufnahme in Form kurzer Texte: Alltagsbeobachtungen, Kindheitserinnerungen und Träume, philosophische Betrachtungen, politische Kommentare und Aphorismen. Versehen sind sie mit Überschriften wie "Ort", "Wetter", "Leute" oder "Letzte wichtige Fakten" – 36 Stichworte, die Adnan aus einem Buch des amerikanischen Autors William Gass entlieh. Der Band beginnt mit Aufzeichnungen aus dem Jahr 1972, als Etel Adnan aus den USA nach Beirut zurückkehrte:
Ort
Ich verließ diesen Ort, indem ich ganz bis nach Kalifornien floh. Ein Exil, das Jahre dauerte. Ich kam zurück auf einer Tragbahre und fühlte mich hier wie eine Fremde, wie exiliert aus dem bisherigen Exil. Stets bin ich entfernt von etwas, von einem Ort. Meine Sinne haben mich verlassen, einer nach dem anderen, um ihr eigenes Leben zu führen. Wenn du mir auf der Straße begegnest, sei dir nicht sicher, dass ich es bin. Mein Mittelpunkt liegt nicht im Sonnensystem.
Die Texte, die zwischen Prosa und Lyrik changieren, offenbaren den persönlichen Kosmos von Etel Adnan. Vor allem aber spiegeln sie ihre Fähigkeit, innere und äußere Realitäten in ihrer Vielschichtigkeit wahrzunehmen.
Mental life is a continuum, its like a tapestry, things flow. We don´t say for one hour I think about music, in the next hour...
So the mind has a mobility and can even carry layers of thinking. So I do not fight that, I´d rather like to capture that.
The moment of writing is the moment when this fusion of different realities becomes possible for expression. How, you don´t know, but suddenly you feel it.
I don´t write all the time, but when I start writing this moments are there.
Die Welt der Gedanken ist ein Kontinuum, es ist wie bei einem Teppich, die Dinge sind verwoben. Man denkt nicht eine Stunde lang an Musik und in der nächsten an etwas anderes. Der Geist ist beweglich und kann Dinge parallel denken. Ich bekämpfe das nicht, sondern versuche eher, genau das zu erfassen. Der Moment des Schreibens ist der, wenn ich das Zusammenspiel verschiedener Realitäten ausdrücken kann. Wenn dieser Moment gekommen ist, dann schreibe ich.
Neben Gedichten, Essays und Theaterstücken hat Etel Adan den Roman "Sitt Marie-Rose" geschrieben: Eine Geschichte aus dem libanesischen Bürgerkrieg, die jetzt in einer Neuausgabe erschienen ist. Im Mittelpunkt steht eine Lehrerin, die vor den Augen ihrer Schüler von christlichen Milizen ermordet wird. Sie ist zwar auch Christin, hat sich jedoch für die Palästinenser engagiert. Einer der Mörder ist ihr Jugendfreund. Der Roman beruht auf einer wahren Geschichte. Etel Adnan hat Marie-Rose Anfang der 70er Jahre in Beirut kennen gelernt. 1976 erfuhr sie in Paris aus der Zeitung, dass diese Frau von den Falangisten entführt und auf grausame Art hingerichtet wurde.
I was in Paris, in a small little room, but I had my typewriter, it was there. And I got angry and I started.
I wanted to know what was in that culture to make possible that type of violence. And I imagined her death and everything.
I wanted to write a book to put on trial a culture or people who reject the other, reject the difference in thinking, in fact.
So "Sitt Marie-Rose" I wrote it in a month and a half, just sitting
and when the book came out it got translated into Arabic inmediately and it got sold out. It was the first novel on the civil war in Lebanon, the very first one, it came out in 76.
And that book is still in print, its taught in some 30 universities every year in the United States.
Because it is not only about Lebanon, it is the violent total rejection of the other, killing.
Ich war in Paris in einem kleinen Zimmer, hatte aber meine Schreibmaschine dabei. Ich war so wütend, dass ich sofort angefangen habe zu schreiben. Ich wollte wissen, was in dieser Kultur diese Form von Gewalt hervorbringt. Mit diesem Buch wollte ich die Menschen anklagen, die das Andere ablehnen, die abweichende Meinungen ablehnen. Ich habe "Sitt Marie-Rose" in nur 6 Wochen geschrieben. Das Buch erschien 1976 auf Französisch, wurde direkt ins Arabische übersetzt und war sofort ausverkauft. Es war der erste Roman über den libanesischen Bürgerkrieg. Noch heute wird das Buch jedes Semester an über 30 amerikanischen Universitäten behandelt, denn es geht nicht nur um den Libanon, sondern um die gewaltsame Vernichtung des Anderen.
Politische Ereignisse haben Etel Adnan zeitlebens beschäftigt und waren immer wieder Gegenstand ihrer Texte. Sei es der libanesische Bürgerkrieg, den sie in ihrem Gedicht "Der Express Beirut – Hölle" Jahre vor dessen Ausbruch kommen sah, sei es der arabisch-israelische Konflikt oder der Irakkrieg. "In einer Kriegszeit leben" heißt ein Kapitel in ihrem Buch "Im Herzen des Herzens eines anderen Landes". Ein atemloses Protokoll aus dem März 2003:
Zu Mittag essen. Ein Bier verlangen. Trinken, essen und zahlen. Aufbrechen. Nach Hause kommen. Den Schlüssel finden. Eintreten. Warten. Über den Krieg nachdenken. Auf die Uhr sehen. Die Nachrichten anstellen. Dem Gift, das die Kriegsberichterstatter absondern, zuhören. Kopfschmerzen bekommen. Trockene Kekse essen. Das Radio wieder anstellen. Bomben auf Bagdad fallen hören. Krankenwagen hören. Auf den Balkon hinaustreten. Die länger werdenden Schatten auf dem Gras betrachten. Ein paar tote Fliegen auf dem Fensterbrett zählen. Zum Tisch gehen und die Post durchsehen. Sich entmutigt fühlen. Etwas Wasser trinken. Den Wind nicht verstehen. Sich fragen, ob die Menschheit nicht in Chaos ist. Den Planeten in die Luft sprengen wollen. Menschen bewundern, die gegen den Krieg sind.
"Ich bin sowohl Amerikanerin als auch Araberin", heißt es an anderer Stelle in dem Band, "und die beiden Identitäten kommen sich manchmal in die Quere, nicht jeden Tag, nicht mal oft, aber in seltenen Momenten werde ich zu einem Berg, den ein entsetzliches Erdbeben gespalten hat". Während des Irakkriegs wurde dies für Etel Adnan schmerzlich erfahrbar.
Of course it breaks my heart, the war in Iraque is not only destroying people, it is destroying the history. They lost the library. This is a library which had many scripts from medieval days and before. And this does not belong only to Iraque, it does belong to the world, and I am not saying it sentimentally, our cultures are mixed, even if we don´t want to admit it.
I dont think violence is any answer to anything. I feel problems are made by human beings, therefore human beings can solve them.
Es bricht mir das Herz. Der Irakkrieg vernichtet nicht nur Menschen, sondern auch die Geschichte. Die Bibliothek ging verloren, eine Bibliothek mit uralten Schriften. Das sind Dinge, die nicht nur den Irakern gehören, sondern der ganzen Welt. Und das sage ich nicht aus sentimentalen Gründen. Unsere Kulturen sind miteinander verbunden, auch wenn wir das nicht eingestehen wollen. Mit Gewalt lässt sich kein Problem lösen. Es sind Menschen, die Probleme schaffen, und deshalb sollten Menschen sie auch lösen.
Unter dem Titel "Im Herzen des Herzens eines anderen Landes" hat Etel Adnan ihr Leben protokolliert. Das schmale Bändchen ist weder Autobiographie noch Tagebuch, sondern eine Art Bestandsaufnahme in Form kurzer Texte: Alltagsbeobachtungen, Kindheitserinnerungen und Träume, philosophische Betrachtungen, politische Kommentare und Aphorismen. Versehen sind sie mit Überschriften wie "Ort", "Wetter", "Leute" oder "Letzte wichtige Fakten" – 36 Stichworte, die Adnan aus einem Buch des amerikanischen Autors William Gass entlieh. Der Band beginnt mit Aufzeichnungen aus dem Jahr 1972, als Etel Adnan aus den USA nach Beirut zurückkehrte:
Ort
Ich verließ diesen Ort, indem ich ganz bis nach Kalifornien floh. Ein Exil, das Jahre dauerte. Ich kam zurück auf einer Tragbahre und fühlte mich hier wie eine Fremde, wie exiliert aus dem bisherigen Exil. Stets bin ich entfernt von etwas, von einem Ort. Meine Sinne haben mich verlassen, einer nach dem anderen, um ihr eigenes Leben zu führen. Wenn du mir auf der Straße begegnest, sei dir nicht sicher, dass ich es bin. Mein Mittelpunkt liegt nicht im Sonnensystem.
Die Texte, die zwischen Prosa und Lyrik changieren, offenbaren den persönlichen Kosmos von Etel Adnan. Vor allem aber spiegeln sie ihre Fähigkeit, innere und äußere Realitäten in ihrer Vielschichtigkeit wahrzunehmen.
Mental life is a continuum, its like a tapestry, things flow. We don´t say for one hour I think about music, in the next hour...
So the mind has a mobility and can even carry layers of thinking. So I do not fight that, I´d rather like to capture that.
The moment of writing is the moment when this fusion of different realities becomes possible for expression. How, you don´t know, but suddenly you feel it.
I don´t write all the time, but when I start writing this moments are there.
Die Welt der Gedanken ist ein Kontinuum, es ist wie bei einem Teppich, die Dinge sind verwoben. Man denkt nicht eine Stunde lang an Musik und in der nächsten an etwas anderes. Der Geist ist beweglich und kann Dinge parallel denken. Ich bekämpfe das nicht, sondern versuche eher, genau das zu erfassen. Der Moment des Schreibens ist der, wenn ich das Zusammenspiel verschiedener Realitäten ausdrücken kann. Wenn dieser Moment gekommen ist, dann schreibe ich.
Neben Gedichten, Essays und Theaterstücken hat Etel Adan den Roman "Sitt Marie-Rose" geschrieben: Eine Geschichte aus dem libanesischen Bürgerkrieg, die jetzt in einer Neuausgabe erschienen ist. Im Mittelpunkt steht eine Lehrerin, die vor den Augen ihrer Schüler von christlichen Milizen ermordet wird. Sie ist zwar auch Christin, hat sich jedoch für die Palästinenser engagiert. Einer der Mörder ist ihr Jugendfreund. Der Roman beruht auf einer wahren Geschichte. Etel Adnan hat Marie-Rose Anfang der 70er Jahre in Beirut kennen gelernt. 1976 erfuhr sie in Paris aus der Zeitung, dass diese Frau von den Falangisten entführt und auf grausame Art hingerichtet wurde.
I was in Paris, in a small little room, but I had my typewriter, it was there. And I got angry and I started.
I wanted to know what was in that culture to make possible that type of violence. And I imagined her death and everything.
I wanted to write a book to put on trial a culture or people who reject the other, reject the difference in thinking, in fact.
So "Sitt Marie-Rose" I wrote it in a month and a half, just sitting
and when the book came out it got translated into Arabic inmediately and it got sold out. It was the first novel on the civil war in Lebanon, the very first one, it came out in 76.
And that book is still in print, its taught in some 30 universities every year in the United States.
Because it is not only about Lebanon, it is the violent total rejection of the other, killing.
Ich war in Paris in einem kleinen Zimmer, hatte aber meine Schreibmaschine dabei. Ich war so wütend, dass ich sofort angefangen habe zu schreiben. Ich wollte wissen, was in dieser Kultur diese Form von Gewalt hervorbringt. Mit diesem Buch wollte ich die Menschen anklagen, die das Andere ablehnen, die abweichende Meinungen ablehnen. Ich habe "Sitt Marie-Rose" in nur 6 Wochen geschrieben. Das Buch erschien 1976 auf Französisch, wurde direkt ins Arabische übersetzt und war sofort ausverkauft. Es war der erste Roman über den libanesischen Bürgerkrieg. Noch heute wird das Buch jedes Semester an über 30 amerikanischen Universitäten behandelt, denn es geht nicht nur um den Libanon, sondern um die gewaltsame Vernichtung des Anderen.
Politische Ereignisse haben Etel Adnan zeitlebens beschäftigt und waren immer wieder Gegenstand ihrer Texte. Sei es der libanesische Bürgerkrieg, den sie in ihrem Gedicht "Der Express Beirut – Hölle" Jahre vor dessen Ausbruch kommen sah, sei es der arabisch-israelische Konflikt oder der Irakkrieg. "In einer Kriegszeit leben" heißt ein Kapitel in ihrem Buch "Im Herzen des Herzens eines anderen Landes". Ein atemloses Protokoll aus dem März 2003:
Zu Mittag essen. Ein Bier verlangen. Trinken, essen und zahlen. Aufbrechen. Nach Hause kommen. Den Schlüssel finden. Eintreten. Warten. Über den Krieg nachdenken. Auf die Uhr sehen. Die Nachrichten anstellen. Dem Gift, das die Kriegsberichterstatter absondern, zuhören. Kopfschmerzen bekommen. Trockene Kekse essen. Das Radio wieder anstellen. Bomben auf Bagdad fallen hören. Krankenwagen hören. Auf den Balkon hinaustreten. Die länger werdenden Schatten auf dem Gras betrachten. Ein paar tote Fliegen auf dem Fensterbrett zählen. Zum Tisch gehen und die Post durchsehen. Sich entmutigt fühlen. Etwas Wasser trinken. Den Wind nicht verstehen. Sich fragen, ob die Menschheit nicht in Chaos ist. Den Planeten in die Luft sprengen wollen. Menschen bewundern, die gegen den Krieg sind.
"Ich bin sowohl Amerikanerin als auch Araberin", heißt es an anderer Stelle in dem Band, "und die beiden Identitäten kommen sich manchmal in die Quere, nicht jeden Tag, nicht mal oft, aber in seltenen Momenten werde ich zu einem Berg, den ein entsetzliches Erdbeben gespalten hat". Während des Irakkriegs wurde dies für Etel Adnan schmerzlich erfahrbar.
Of course it breaks my heart, the war in Iraque is not only destroying people, it is destroying the history. They lost the library. This is a library which had many scripts from medieval days and before. And this does not belong only to Iraque, it does belong to the world, and I am not saying it sentimentally, our cultures are mixed, even if we don´t want to admit it.
I dont think violence is any answer to anything. I feel problems are made by human beings, therefore human beings can solve them.
Es bricht mir das Herz. Der Irakkrieg vernichtet nicht nur Menschen, sondern auch die Geschichte. Die Bibliothek ging verloren, eine Bibliothek mit uralten Schriften. Das sind Dinge, die nicht nur den Irakern gehören, sondern der ganzen Welt. Und das sage ich nicht aus sentimentalen Gründen. Unsere Kulturen sind miteinander verbunden, auch wenn wir das nicht eingestehen wollen. Mit Gewalt lässt sich kein Problem lösen. Es sind Menschen, die Probleme schaffen, und deshalb sollten Menschen sie auch lösen.