"Ich der Allmächtige", "Yo el Supremo", der Höchste auf Erden, der personifizierte Staat, der Wille des Volkes, verehrt, gefürchtet, gehaßt. Er redet und redet. Der Ewige Diktator diktiert ohne Unterlaß seinem Knecht, dem devoten Schreiberling Patino, die schier endlose Flut seiner Gedanken und Erinnerungen an die Geschichte Paraguays, an die ehemals koloniale Abhängigkeit, an die Befreiungskämpfe um 1810, an seine Machtergreifung und Herrschaft. Tiraden der Verachtung und des Mißtrauens gegenüber dem einheimischen Patriziat folgen Tiraden der Verspottung seiner Gefangenen, die er seit Jahrzehnten in lichtlosen Kerkerlöchern vor sich hin faulen läßt. Elende Nachkommenschaft jener Wucherer, Händler, Hamsterer und Krämer. (...) Auf ihre Angst haben sie geschissen. In ihrer Scheiße wurden sie begraben. Aus diesen Misthaufen krochen diese Mistviecher hervor. Mephistophelische Anopheles. Sie summen mit dem Hintern, nicht mit dem Rüssel, wie jede andere Mücke.
"Nun, im Alter, ist er selbst ein Wrack geworden, das schmerzt und eitert und aus allen Poren leckt. Die Jahrzehnte seiner rigiden Herrschaft gegen die privaten Interessen des Kapitals haben die Subversion gegen ihn jedoch nicht ausmerzen können. Du weißt doch, daß die Häftlinge ständig Mäuse abrichten, um sich heimlich miteinander zu verständigen. Sogar, um sich Essen zu beschaffen. (...) Ich habe auch alle Löcher und Gänge der Ameisen, die Kanäle der Grillen und die ächzenden Spalten zustopfen lassen. Eine finsterere Finsternis gibt es nicht. Schmähschriften überfluten dennoch das Land, und der Große Diktator, den niemand mehr zu Gesicht bekommt, waltet, als lebte er ewig. Doch sein Reich ist ein erstarrtes Ungetüm, ein unüberschaubares finsteres Labyrinth. Dabei hatte er Paraguay als erstes Land Südamerikas ins Licht führen wollen. Das Zeitalter des Lichts, Voltaire, Diderot, Montesquieu, die französische Revolution waren und sind seine Vorbilder, mit denen er schon in seiner Jugend im Klosterinternat den mittelalterlichen Klerus schockiert hatte. Doch aus dem Ideal der Freiheit ist Knechtschaft geworden und aus Brüderlichkeit Terror. Nur die Gleichheit vor dem Gesetz hat es zu etwas gebracht. Was mich betrifft, so habe ich zum Nutzen aller weder Verwandte noch Schützlinge, noch Freunde. Die Pamphletisten werfen mir vor, ich würde am strengsten mit meinen Verwandten, meinen alten Freunden verfahren. Das entspricht streng der Wahrheit."
Nicht nur der Staat, auch der Allmächtige selbst ist ein Ungetüm. Sogar noch nach seinem Ende ist er allgegenwärtig. Daß es mit ihm zu Ende gegangen ist - die schadhaften, teils versengten, teils zerrissenen Diktate weisen darauf hin. Gegen Ende der 560 eng bedruckten Seiten wird es dann ganz klar: zwei Herausgeber, ein Korrektor und ein Kompilator, offenbar Zeitgenossen des 20. Jahrhunderts, haben die nachgelassenen Tagebuchseiten und autobiografischen Schriften des Allmächtigen zusammengestellt. Mit eigenen Kommentaren und mit Briefen, Memoiren und Schriften anderer Verfasser aus der Zeit der Diktatur haben sie die alten Texte versehen und die monomanische Suada des Herrschers gebrochen.
Der griesgrämige Diktator besitzt einen Vorrat an Heften mit Wendungen und Worten, die er guten Büchern entnommen hat. Wenn er dringend irgendein Schriftstück verfassen muß, schlägt er in ihnen nach.
Und diesen Herrscher hat es tatsächlich gegeben. Sein Name: José Gaspar de Francia, Doktor der Rechtswissenschaft. Maßgeblich ist er an der Unabhängigkeitsbewegung Paraguays beteiligt gewesen und 1816 vom Kongreß zum Diktator auf Lebenszeit gewählt worden, zum "Dictador Supremo de la República".
Doch Augusto Roa Bastos' Roman "Ich der Allmächtige" ist nur im weitesten Sinne des Wortes ein historischer Roman, auch wenn zahlreiche historische Fakten und Figuren benannt und skizziert werden. Der Text imaginiert vor allem die Wahrnehmungs- und Interpretationsweise geschichtlicher Ereignisse, die selbst kaum noch zu fassen sind. Er porträtiert ein Bewußtsein, einschließlich seiner Spaltung und Besessenheit, seiner krankhaften Abneigungen und Wahnvorstellungen. In einer assoziativen Ekstase walgt der ebenso intelligente wie gebildete Diktator seine eigene Geschichte und die seines jungen Staates förmlich durch. Ein klarsichtiges Delirium, eine alptraumartige Apologie, ein strenger Popanz. Und zugleich eine Parabel über die politischen und sozialen Geschicke Südamerikas bis in unsere Tage. Das Pathos der europäischen Aufklärung verhakt sich mit einer patriarchalischen Herrschermentalität zu einer tragischen Allianz.
"Es sind keine erfundenen Geschichten zum Vergnügen von Lesern, die sich wie Heuschrecken auf sie stürzen. (...) Dies ist eine Bilanz. Ein Brett, das über den Rand des Abgrunds ausgelegt ist."
Auf dem es einem bei der Lektüre schwindelt. Ein Geländer, etwa in Form einer auch nur in Ansätzen überschaubaren Chronologie verweigert der Roman. Die historischen Anspielungen brauchen den Resonanzraum historischer Kenntnisse. Schwärmerei für lateinamerikanische Literatur und einen magischen Realismus von der blumigen Art einer Isabel Allende reichen nicht. Obwohl auch "Ich der Allmächtige" manch eindrückliches Zeugnis jener ursprünglichen heftigen Erzählweise lateinamerikanischer Romane liefert. Etwa wenn der Allmächtige aus den Untiefen seines Reiches einen gigantischen Meteor in die Hauptstadt transportieren läßt:
"Schließlich erlaubte der niedrigste Wasserstand des Paraguay-Flusses seit hundert Jahren den Grenztruppen, den Meteor auf speziell angefertigten Lafetten voranzubringen, gezogen von tausend Ochsengespannen und von mehr als tausend Soldaten, die unter den besten Schwimmern der Armee ausgewählt worden waren. Da ist er."
Mit der Gefangennahme des Meteors, dieses himmlischen Kindes des Zufalls, glaubt der Diktator auch der Zufälle der Geschichte Herr zu werden: "Zufalls-Meteor, angekettet, angefesselt an meinen Stuhl."
Kosmische Dimensionen hat dieser Roman ohnehin. In seiner großen Dichte, in seiner Vielfalt und seinem Beziehungsreichtum wirkt er eher wie eine Kosmogonie in der Phase des Urknalls. Als explodiere eine erzählerische Ursuppe zu einem sich dehnenden Romanraum. So könnte man dieses einzigartige Werk fast unabhängig von seinem Inhalt auch als Roman über das Schreiben und Erzählen selbst lesen:
"Hör zu. Gib acht. Wir werden gemeinsam der Schrift auf den Grund gehen. Ich werde dich die schwierige Kunst des Schreibens lehren, die nicht, wie du glaubst, in der Floration der Schriftzüge, sondern in der Defloration der Zeichen besteht."
"Ich der Allmächtige" ist eine Herausforderung an den Leser, vergleichbar mit den Herausforderungen großer Romane 20. Jahrhunderts. Dieser Kosmos wird sich dem Leser nur erschließen, wenn er mit all seinen Fähigkeiten lesend am Schöpfungsprozeß mitwirkt. Wort für Wort, Satz für Satz, ohne alle anderen Tausende von Wörtern und Sätzen zu vergessen.
Einen solchen Text neu übersetzten zu lassen, ist ein ebenso mutiges wie verdienstvolles Unterfangen. Der Suhrkamp Verlag scheint damit jenen Stimmen trotzen zu wollen, die den Untergang seiner sprichwörtlich gewordenen Verlagskultur geradezu beschwören. Aber auch die Übersetzung von Elke Wehr ist eine große sprachliche Leistung. Ihr Text ist nicht unbedingt besser als die erste Übertragung ins Deutsche vor 23 Jahren von José Friedl Zapata, die in der Deutschen Verlags-Anstalt erschienen und längst vergriffen ist. Sie ist anders. Sie ist rhythmischer, sie bringt mitunter ein hartes Staccato in die Sätze, immitiert einen sprechsprachlichen Gestus, während die ältere Übersetzung dem schriftsprachlichen Fluß der Romantradition des 19. Jahrhunderts verpflichtet ist. Elke Wehr ist auch mutiger bei den zotigen und derben Ausbrüchen des Diktators, die in der 77er Übertragung eher abgeschwächt sind. Zudem bemüht sich die Übersetzerin, so weit es geht, die historischen Bezüge in den Formulierungen der Erzählfiguren verständlicher zu machen. Ein moderner, gegenwärtiger Stil war offenbar Ziel dieser Arbeit, was aber die Herausforderung an den Leser nicht wesentlich schmälert:
"Ich befehle, meine sterblichen Überreste nach Ablauf dieser Frist zu verbrennen und die Asche in den Fluß zu streuen."
"Nun, im Alter, ist er selbst ein Wrack geworden, das schmerzt und eitert und aus allen Poren leckt. Die Jahrzehnte seiner rigiden Herrschaft gegen die privaten Interessen des Kapitals haben die Subversion gegen ihn jedoch nicht ausmerzen können. Du weißt doch, daß die Häftlinge ständig Mäuse abrichten, um sich heimlich miteinander zu verständigen. Sogar, um sich Essen zu beschaffen. (...) Ich habe auch alle Löcher und Gänge der Ameisen, die Kanäle der Grillen und die ächzenden Spalten zustopfen lassen. Eine finsterere Finsternis gibt es nicht. Schmähschriften überfluten dennoch das Land, und der Große Diktator, den niemand mehr zu Gesicht bekommt, waltet, als lebte er ewig. Doch sein Reich ist ein erstarrtes Ungetüm, ein unüberschaubares finsteres Labyrinth. Dabei hatte er Paraguay als erstes Land Südamerikas ins Licht führen wollen. Das Zeitalter des Lichts, Voltaire, Diderot, Montesquieu, die französische Revolution waren und sind seine Vorbilder, mit denen er schon in seiner Jugend im Klosterinternat den mittelalterlichen Klerus schockiert hatte. Doch aus dem Ideal der Freiheit ist Knechtschaft geworden und aus Brüderlichkeit Terror. Nur die Gleichheit vor dem Gesetz hat es zu etwas gebracht. Was mich betrifft, so habe ich zum Nutzen aller weder Verwandte noch Schützlinge, noch Freunde. Die Pamphletisten werfen mir vor, ich würde am strengsten mit meinen Verwandten, meinen alten Freunden verfahren. Das entspricht streng der Wahrheit."
Nicht nur der Staat, auch der Allmächtige selbst ist ein Ungetüm. Sogar noch nach seinem Ende ist er allgegenwärtig. Daß es mit ihm zu Ende gegangen ist - die schadhaften, teils versengten, teils zerrissenen Diktate weisen darauf hin. Gegen Ende der 560 eng bedruckten Seiten wird es dann ganz klar: zwei Herausgeber, ein Korrektor und ein Kompilator, offenbar Zeitgenossen des 20. Jahrhunderts, haben die nachgelassenen Tagebuchseiten und autobiografischen Schriften des Allmächtigen zusammengestellt. Mit eigenen Kommentaren und mit Briefen, Memoiren und Schriften anderer Verfasser aus der Zeit der Diktatur haben sie die alten Texte versehen und die monomanische Suada des Herrschers gebrochen.
Der griesgrämige Diktator besitzt einen Vorrat an Heften mit Wendungen und Worten, die er guten Büchern entnommen hat. Wenn er dringend irgendein Schriftstück verfassen muß, schlägt er in ihnen nach.
Und diesen Herrscher hat es tatsächlich gegeben. Sein Name: José Gaspar de Francia, Doktor der Rechtswissenschaft. Maßgeblich ist er an der Unabhängigkeitsbewegung Paraguays beteiligt gewesen und 1816 vom Kongreß zum Diktator auf Lebenszeit gewählt worden, zum "Dictador Supremo de la República".
Doch Augusto Roa Bastos' Roman "Ich der Allmächtige" ist nur im weitesten Sinne des Wortes ein historischer Roman, auch wenn zahlreiche historische Fakten und Figuren benannt und skizziert werden. Der Text imaginiert vor allem die Wahrnehmungs- und Interpretationsweise geschichtlicher Ereignisse, die selbst kaum noch zu fassen sind. Er porträtiert ein Bewußtsein, einschließlich seiner Spaltung und Besessenheit, seiner krankhaften Abneigungen und Wahnvorstellungen. In einer assoziativen Ekstase walgt der ebenso intelligente wie gebildete Diktator seine eigene Geschichte und die seines jungen Staates förmlich durch. Ein klarsichtiges Delirium, eine alptraumartige Apologie, ein strenger Popanz. Und zugleich eine Parabel über die politischen und sozialen Geschicke Südamerikas bis in unsere Tage. Das Pathos der europäischen Aufklärung verhakt sich mit einer patriarchalischen Herrschermentalität zu einer tragischen Allianz.
"Es sind keine erfundenen Geschichten zum Vergnügen von Lesern, die sich wie Heuschrecken auf sie stürzen. (...) Dies ist eine Bilanz. Ein Brett, das über den Rand des Abgrunds ausgelegt ist."
Auf dem es einem bei der Lektüre schwindelt. Ein Geländer, etwa in Form einer auch nur in Ansätzen überschaubaren Chronologie verweigert der Roman. Die historischen Anspielungen brauchen den Resonanzraum historischer Kenntnisse. Schwärmerei für lateinamerikanische Literatur und einen magischen Realismus von der blumigen Art einer Isabel Allende reichen nicht. Obwohl auch "Ich der Allmächtige" manch eindrückliches Zeugnis jener ursprünglichen heftigen Erzählweise lateinamerikanischer Romane liefert. Etwa wenn der Allmächtige aus den Untiefen seines Reiches einen gigantischen Meteor in die Hauptstadt transportieren läßt:
"Schließlich erlaubte der niedrigste Wasserstand des Paraguay-Flusses seit hundert Jahren den Grenztruppen, den Meteor auf speziell angefertigten Lafetten voranzubringen, gezogen von tausend Ochsengespannen und von mehr als tausend Soldaten, die unter den besten Schwimmern der Armee ausgewählt worden waren. Da ist er."
Mit der Gefangennahme des Meteors, dieses himmlischen Kindes des Zufalls, glaubt der Diktator auch der Zufälle der Geschichte Herr zu werden: "Zufalls-Meteor, angekettet, angefesselt an meinen Stuhl."
Kosmische Dimensionen hat dieser Roman ohnehin. In seiner großen Dichte, in seiner Vielfalt und seinem Beziehungsreichtum wirkt er eher wie eine Kosmogonie in der Phase des Urknalls. Als explodiere eine erzählerische Ursuppe zu einem sich dehnenden Romanraum. So könnte man dieses einzigartige Werk fast unabhängig von seinem Inhalt auch als Roman über das Schreiben und Erzählen selbst lesen:
"Hör zu. Gib acht. Wir werden gemeinsam der Schrift auf den Grund gehen. Ich werde dich die schwierige Kunst des Schreibens lehren, die nicht, wie du glaubst, in der Floration der Schriftzüge, sondern in der Defloration der Zeichen besteht."
"Ich der Allmächtige" ist eine Herausforderung an den Leser, vergleichbar mit den Herausforderungen großer Romane 20. Jahrhunderts. Dieser Kosmos wird sich dem Leser nur erschließen, wenn er mit all seinen Fähigkeiten lesend am Schöpfungsprozeß mitwirkt. Wort für Wort, Satz für Satz, ohne alle anderen Tausende von Wörtern und Sätzen zu vergessen.
Einen solchen Text neu übersetzten zu lassen, ist ein ebenso mutiges wie verdienstvolles Unterfangen. Der Suhrkamp Verlag scheint damit jenen Stimmen trotzen zu wollen, die den Untergang seiner sprichwörtlich gewordenen Verlagskultur geradezu beschwören. Aber auch die Übersetzung von Elke Wehr ist eine große sprachliche Leistung. Ihr Text ist nicht unbedingt besser als die erste Übertragung ins Deutsche vor 23 Jahren von José Friedl Zapata, die in der Deutschen Verlags-Anstalt erschienen und längst vergriffen ist. Sie ist anders. Sie ist rhythmischer, sie bringt mitunter ein hartes Staccato in die Sätze, immitiert einen sprechsprachlichen Gestus, während die ältere Übersetzung dem schriftsprachlichen Fluß der Romantradition des 19. Jahrhunderts verpflichtet ist. Elke Wehr ist auch mutiger bei den zotigen und derben Ausbrüchen des Diktators, die in der 77er Übertragung eher abgeschwächt sind. Zudem bemüht sich die Übersetzerin, so weit es geht, die historischen Bezüge in den Formulierungen der Erzählfiguren verständlicher zu machen. Ein moderner, gegenwärtiger Stil war offenbar Ziel dieser Arbeit, was aber die Herausforderung an den Leser nicht wesentlich schmälert:
"Ich befehle, meine sterblichen Überreste nach Ablauf dieser Frist zu verbrennen und die Asche in den Fluß zu streuen."