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"Ich freue mich auf den Wahlkampf"

Für den Vorsitzenden der Piratenpartei, Bernd Schlömer, gehören Debatten und Diskussionen zur Demokratie. Er gesteht ein, dass seine Partei sich in den letzten Monaten nach außen nicht immer gut verkauft habe. Mit Blick auf die Bundestagswahl sollen nun die Kandidaten im Vordergrund stehen.

Bernd Schlömer im Gespräch mit Falk Steiner |
    Falk Steiner: Im Interview der Woche begrüße ich Bernd Schlömer, den Vorsitzenden der Piratenpartei. Herr Schlömer, vor nicht einmal einem Jahr sah es so aus, als ob die Piraten eigentlich alle anderen Parteien das Fürchten lehren würden. Nun sieht es ein wenig anders aus. Sie haben Sozialwissenschaften und Kriminologie studiert, arbeiten im Bundesministerium der Verteidigung. Können Sie erklären, was in den Monaten nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen schief gegangen ist?

    Bernd Schlömer: Ich glaube, man kann nicht davon sprechen, dass etwas schief gegangen ist. Parteien sind in der Wählergunst manchmal vorne und manchmal weiter hinten. Die Piratenpartei hatte einen enormen Hype im letzen Jahr, viele Menschen in Deutschland haben ihre Anliegen, Wünsche, Ideen auf die Piratenpartei projiziert, die Menschen wollen einen politischen Wandel und haben auf die Piraten gesetzt. Jetzt hat die Zustimmung ein bisschen nachgelassen, aber ich bin zuversichtlich, dass wir im Wahljahr schon wieder richtig aufholen werden.

    Steiner: Nun gut, aber es gibt ja doch einige Probleme, die die Piratenpartei momentan mit sich herumträgt. Insbesondere der Führungsstreit innerhalb des Vorstandes der hat die Piratenpartei auch öffentlich sehr als Chaotenhaufen dastehen lassen. Wie kommt das? Und glauben Sie, dass das nun mit dem Rückzug von Johannes Ponader erledigt ist?

    Schlömer: Also, ich muss einmal deutlich sagen, Debatten und Diskussionen gehören dazu, wenn man von Demokratie spricht. Wir müssen das nicht als negatives Moment wahrnehmen. Wir müssen diskutieren, wir müssen debattieren, denn nur durch die Debatte kann auch eine gute und qualitätsreiche Position gefunden werden. Wir hatten in den letzten Monaten und Wochen auch Debatten im Bundesvorstand, wir haben uns nicht immer sehr gut in die Außenwelt hinein verkauft, das gebe ich zu. Wir müssen, glaube ich, besser zeigen, dass wir daran interessiert sind, an unseren gemeinsamen Zielen, Inhalten und Programmen gemeinsam zu arbeiten und diese auch gemeinsam zu vertreten. Und ich glaube, dass wir jetzt auch eine etwas ruhigere Phase erreichen werden, weil wir jetzt auch die Kandidaten in den Vordergrundstellen möchten. Wir wollen ja Wahlkampf machen.

    Steiner: Diese Kandidaten, die sind ja nach wie vor überwiegend männlich. In Berlin war das jetzt mal eine Ausnahme, dort sind vor allen Frauen an die Landeslisten-Spitze gewählt worden. Wie kommt das?

    Schlömer: Also, das weiß ich nicht. Wir haben mit Melanie Kalkowski in Nordrhein-Westfalen auch eine Frau auf Platz eins gewählt, wir haben in Hamburg eine aussichtsreiche Kandidatin mit Anne Alter, die sich jetzt am Wochenende zur Wahl stellt. Wir haben in Brandenburg mit Anke Domscheit-Berg an Nummer zwei auch eine Frau. Und wir haben in Berlin vier Frauen an der Spitze. Ich glaube, dass die Piratenpartei auch mit den Frauen, die jetzt an der Spitze schon gut vertreten sind, und wir bestehen nicht nur aus Männern.

    Steiner: Marina Weisband veröffentlicht nächste Woche ihr Buch. Haben Sie es schon gelesen?

    Schlömer: Nein, ich habe es noch nicht gelesen.

    Steiner: Nun ist Marina Weisband die Vorgängerin von Johannes Ponader gewesen. Da stellt sich natürlich schon die Frage: Waren die Schuhe zu groß, in die Johannes Ponader dann gestiegen ist, nämlich die von Marina Weisband. Und welche Funktion hat Marina Weisband eigentlich heute noch in der Piratenpartei, denn präsent ist sie ja nach wie vor?

    Schlömer: Also, Johannes Ponader hat einen etwas anderen Stil gehabt als Marina Weisband. Aber ich schätze Johannes Ponader sehr, er vertritt eine Strömung innerhalb der Piratenpartei, die sehr stark auf Beteiligung, auf Ergebnis und vor allen Dingen auch auf ergebnisoffenen Debatten steht. Er ist letztendlich jemand, der das Prinzip der Basisdemokratie auch verinnerlicht hat. Er hat insofern auch sehr viel geleistet für die Piratenpartei, er wird auch der Piratenpartei erhalten bleiben und auch zukünftig eine gewichtige Rolle spielen. Marina Weisband wird auch, glaube ich, als ein Gesicht der Piratenpartei, die Art und Weise, wie wir die Demokratie zukünftig ausüben wollen, wie unser Demokratieverständnis aussieht, wie wir mittels digitaler Mitbestimmung, Beteiligung zu demokratisch verfassten Entscheidungen kommen, Mitprägen und Mitbeschreiben, das kann sie sehr gut. Und ich hoffe, dass sie sich auch damit jetzt bei uns auch weiterhin engagieren wird.

    Steiner: Wenn man sich ein wenig retrospektiv anschaut, wie es mit den Piraten auf- und jetzt, vorläufig zumindest, erst einmal wieder abwärts ging, da fühlt man sich an das Schicksal der schwedischen Piratenpartei erinnert. Auch sie hatte erst einen Höhenflug, und dann ging sie doch krachend in den Keller. Wie wollen Sie vermeiden, dass es den deutschen Piraten genau so ergeht?

    Schlömer: Wir haben uns anders, als die schwedische Schwesterpartei, thematisch breiter aufgestellt. Wenn ich mir jetzt die Vorbereitungen auf den Bundesparteitag anschaue, die Programmatik der Piratenpartei, so haben wir doch viele, viele Themenschwerpunkte, die auch außerhalb der klassischen Netzpolitik und des Urheberrechts liegen. Wir haben Positionen in der Energie- und Umweltpolitik, in der Außen- und Sicherheitspolitik. Wir haben uns Positionen gegeben in der Wirtschaftspolitik. Wir wollen stärker für Transparenz, Offenheit und Integrität stehen, wir wollen Korruptionsbekämpfung fördern als politische Partei. Und ich glaube, dass wir mit diesem guten Mix an politischen Positionen und Programmen auch bestehen können im politischen Wettbewerb. Also, da bin ich sehr zuversichtlich. Das hebt uns ein bisschen ab von der schwedischen Schwesterpartei, die nur ein Thema vertreten hat und es nicht geschafft hat, in relativ kurzer Zeit dann auch weitere Positionen zu entwickeln. Aber das ist in Schweden jetzt auch anders, das muss man auch sagen. Die schwedische Piratenpartei hat sich auch anders aufgestellt, auch thematisch verbreitert.

    Steiner: Nun gut. Internet-Themen waren allerdings in der vergangenen Legislaturperiode – die jetzt langsam abläuft und dann mit der Wahl am 22. September enden wird – waren ja doch recht häufig auf der politischen Agenda, und bei manchen der Debatten waren die Piraten vertreten – beispielsweise bei den Debatten rund ums Urheberrecht und die Frage politischer Transparenz. Bei vielen anderen Themen waren die Piraten doch eigentlich eher unsichtbar, beispielsweise bei Fragestellungen wie Netzneutralität und Datenschutzreform auf EU-Ebene. Wie erklären Sie sich denn das? Hat die Piratenpartei ihre Wurzeln und ihre ursprünglichen Kernthemen vergessen in der Diskussion um neue Felder?

    Schlömer: Nein, wir haben uns, genau so wie andere Parteien auch, zur Datenschutzreform geäußert und auch positioniert. Es ist so, das ist meine Beobachtung, dass die Medien – die Medien-Öffentlichkeit – die politischen Randerscheinungen der Piratenpartei viel lieber kommentieren und beschreiben, als sich den inhaltlichen Positionen der Piratenpartei zuzuwenden. Wir sind eine Partei, die im Bereich Datenschutz auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung setzt, die auf das Recht auf Privacy, Privatheit, Gewährleistung von Privatsphäre setzt, die draufsetzt, dass der Verbraucherschutz im Bereich Datenschutz stärker als bislang verankert wird und dass auch die unabhängigen Kontrollinstanzen gefördert werden. Auch hier haben wir uns geäußert. Es ist vielleicht in der Diskussion um die Datenschutzreform auf EU-Ebene ein bisschen untergegangen, aber wir haben uns geäußert. Wir müssen uns aber auch besser positionieren, glaube ich. Wir müssen versuchen, einfach, klar und transparent zu beschreiben, welche Position wir auch im Datenschutz haben, und dazu bin ich ja hier, das auch noch mal zu beschreiben.

    Steiner: Die Piratenpartei tagt vom 10. bis 12. Mai in Neumarkt in der Oberpfalz, mitten im Herzen von Bayern soll dazu beitragen, zum einen freie Vorstandsposten nachzuwählen, zum anderen auch dazu, das Programm zu erweitern um Aspekte, die bislang noch fehlen. Welche Aspekte sind das denn aus Ihrer Sicht, die der Piratenpartei nach wie vor am dringendsten fehlen, bevor sie ein wirkliches umfassendes Programm hat?

    Schlömer: Also, es ist immer die Frage, die Piratenpartei wird immer danach gefragt, ob sie ein Vollprogramm hat. Da fragt man sich als Vertreter der Piratenpartei: Haben denn die anderen Parteien ein Vollprogramm? Ich glaube, der Begriff des Vollprogramms ist erst entstanden, seit die Piratenpartei auf die politische Bühne hier in Deutschland getreten ist. Wir sind eigentlich gut aufgestellt, wir haben vielerlei Positionen. Ich versuche, so etwas wie einen Slogan zu etablieren, der letztendlich beschreibt, wofür die Piratenpartei steht. "Freiheit" – das bedeutet Wahrung von Grund- und Bürgerrechten, "Transparenz" – als Voraussetzung für Demokratie, aber auch Transparenz, Offenheit beispielsweise, um an Einblicke in den Verbraucherschutz zu gelangen. Wir wollen transparente Information, die auch richtig sind, beispielsweise woher und woraus unsere Eier bestehen. Die Diskussion um Bio-Eier ist eine klassische Frage nach Transparenz und Offenheit im Verbraucherschutz. Dafür wollen wir uns stärker einsetzen. Und wir wollen uns natürlich dafür einsetzen, dass Beteiligungsmodelle im digitalen Zeitalter anders gestrickt werden. Wir wollen, dass der Bürger stärker beteiligt wird. Dieser Slogan "Freiheit, Transparenz und Beteiligung" soll ein Stück weit zum Ausdruck bringen, wofür die Piratenpartei steht. Dazu gehört auch die Teilhabe. Das sind wirtschafts- und sozialpolitische Formulierungen. Wenn man gesellschaftlich und politisch mitreden möchte, dann müssen wir über auch eine gute Bildungspolitik sprechen. Wir müssen darauf achten, viele Menschen sind unzufrieden und haben Angst, dass ihre Kinder nicht den Zugang zu Bildungschancen haben – zu Bildungs- und Qualifizierungswegen. Hiermit wollen wir und werden wir uns positionieren, wir werden uns aber auch bei der Diskussion um eine andere Sozialpolitik engagieren, bei Mindestlöhnen wollen wir mitsprechen. Das alles sind schon Positionen, die wir haben. Wir haben darüber hinaus auch Positionen der Wirtschaftspolitik, auch in der Außen- und Sicherheitspolitik, und wir sind auch gut aufgestellt. Es geht glaube ich darum, beim Bundesparteitag auch ein wenig konkreter zu werden, wofür und was wir gerne machen möchten. Ich bin also insofern schon sehr zufrieden mit dem, was wir schon formuliert haben.

    Steiner: Bei dem Bundesparteitag in Neumarkt in der Oberpfalz werden allerdings auch freie Vorstandsposten nachgewählt werden. Die spannende Frage ist natürlich: Wer sollte denn eigentlich in den Vorstand nachrücken, damit diese Partei wirklich auch wahlkampffähig wird. Denn bislang kann man wohl sagen, dass die Partei es nicht ist.

    Schlömer: Also ich glaube, dass die Piratenpartei sehr wohl wahlkampffähig ist. Wir werden schon eine kluge Kampagne und Aktionspolitik fahren, und der Bürger wird sich noch wundern, wie schlagkräftig die Piratenpartei ist. Und darauf freue ich mich auch. Wir sind ja auch angetreten jetzt, um andere Parteien herauszufordern und wollen auch langsam Freude in die Politik zurückbringen.

    Steiner: Welche Parteien wollen Sie denn herausfordern?

    Schlömer: Wir werden letztendlich alle Parteien herausfordern. Wir sind in einer Situation, wo wir auch frei, forsch und fröhlich in die Agitation einsteigen können und wollen, und wir wollen letztendlich auch ein Stück weit das System infrage stellen. Die Bürger wollen einen Politikwechsel, wollen eine andere Politik. Und die Piraten sind gut aufgestellt, und mit einem Lächeln kann ich Ihnen sagen: Ich freue mich auf den Wahlkampf.

    Steiner: In Niedersachsen ist die Situation eingetreten, dass zwei große Lager gegeneinander gekämpft haben. Ähnliches könnte auch auf der Bundesebene passieren. Wie gehen Sie damit um, wenn die Piraten – die Stimme ist vielleicht nicht sicher, wenn man im Bundestag etwas ändern möchte – wie wollen Sie den Wähler davon überzeugen, dass Sie eine Alternative zu entweder einem rot-grünen oder einem schwarz-gelben Lager darstellen?

    Schlömer: Ich bin mir gar nicht so sicher, ob wir im Bund einen Lagerwahlkampf erleben werden. Es gibt vielerlei Hinweise darauf, dass die Grünen durchaus auch liebäugeln mit einer schwarz-grünen Koalition. Dann hätten wir nämlich keinen Lagerwahlkampf mehr. Dann würde ich den Menschen, die jetzt zuhören und allen, die die Piratenpartei kennenlernen wollen, durchaus raten, die Piratenpartei auch als ernsthaften Konkurrenten und als Wettbewerber wahrzunehmen, sich die Positionen anzuschauen, die wir auch in der Website Piratenpartei.de präsentieren. Ich glaube, dass wir mit frischen Kampagnen auch sehr viel Erfolg haben können. Und einen Lagerwahlkampf wird es, wie in Niedersachsen, so nicht geben.

    Steiner: Sie hören das Interview der Woche. Zu Gast der Bundesvorsitzende der Piratenpartei Bernd Schlömer. In einem halben Jahr wird der Bundestag gewählt. Momentan stehen Sie bei zwei bis drei Prozent in Umfragen. Stellen wir uns vor, die Piratenpartei würde die Fünf-Prozent-Hürde knacken. Von den Piratenfraktionen in den Landtagen hört man ja relativ wenig. Auf der Webseite des Landtages Nordrhein-Westfalen lassen sich 164 kleine Anfragen an die Landesregierung, eine große Anfrage, drei Gesetzentwürfe und vier Entschließungsanträge finden. Einer dieser Anträge wurde von der Landtagsmehrheit kürzlich sogar angenommen: "Die Verbesserung der Lebensbedingungen von Bienen und anderen pollen- und nektarsammelnden Insekten" war das Ziel. Ist das piratische Politik?

    Schlömer: Piratige Politik zeichnet sich dadurch aus, dass man auch etwas abseits von tradiertem Politik- und Parteienverhalten agiert. Die Piratenpartei kennt keinen Fraktionszwang, sie sucht, wie im Übrigen in der Schweiz seit langer Zeit Tradition, vielleicht vergleichbar einer Konkordanzdemokratie identische Ziele, Inhalte und Programme zu anderen Parteien zu suchen, damit auch gute Lösungen für die Bürger im Ergebnis entstehen können. Wir erleben in Deutschland immer zwei große Lager, die letztendlich aus Parteitaktik und politischem Kalkül die Interessen der Bürger aus den Augen verloren haben. Und ich glaube, dass diese andere Art des politischen Gebarens, Verhaltens und Handelns ohne Fraktionszwang interessiert an guten Lösungen, Ringen um Argumente und Suchen nach Mehrheiten eher zukunftsträchtig sein wird. Und deshalb kommt es dazu, dass auch Gesetzesentwürfe von Piraten auf Mehrheiten stoßen, weil sie von anderen Parteien akzeptiert werden. Wenn die Piratenpartei hier ein bisschen Klimawechsel im Parlamentarismus in Deutschland herbeiführen kann, dann wäre ich glücklich.

    Steiner: Nun hat die Piratenpartei ja doch einige der anderen politischen Parteien vor sich her getrieben, sowohl was die Themenagenda angeht als auch was die Prozesse angeht. Viele sprechen heute von Transparenz. Warum braucht man eigentlich noch die Piraten?

    Schlömer: Es gilt ja auch, kritisch zu hinterfragen: Wie weit geht denn die Transparenz? Wenn wir uns einmal die Diskussion um die Nebeneinkünfte von Abgeordneten anschauen, dann haben wir ja vor 14 Tagen erleben können, dass die Diskussion, wie weit Nebentätigkeiten und letztendlich die damit in Verbindung stehenden Honorare vom Deutschen Bundestag begraben wurden. Sie wurden nämlich verschoben in die nächste Legislaturperiode. Es ist wiederum einmal nicht erreicht worden, dass wir darüber Auskunft bekommen, in welcher Höhe von null Cent an Abgeordnete des Deutschen Bundestages Nebentätigkeiten nachgehen und wie viel Geld sie dafür bekommen. Und ich glaube, deshalb ist es sehr gut, dass die Piratenpartei bei allen Landtagswahlen und bei der Bundestagswahl in diesem Jahr antritt, um nämlich auch zu kontrollieren, ob es mit diesem Gebaren der etablierten Parteien 'wir kümmern uns um Transparenz' denn wirklich gut bestellt ist. Das andere Beispiel, ich hatte es eben schon angesprochen: Verbraucherschutz. Was geschieht denn dort? Wir müssen jetzt feststellen, dass wiederum beispielsweise im Lebensmittelbereich nicht alles so richtig läuft, wie es eigentlich laufen sollte. Und hier ist eine unbelastete Partei, die überall jetzt bei den Wahlen antreten möchte. Und ich glaube, es gilt auch kritisch zu prüfen im parlamentarischen Betrieb, ob denn die Versprechen der Altparteien eingehalten werden. Und deshalb sind die Piraten notwendig.

    Steiner: Aber muss man an der Stelle nicht auch ganz klar bilanzieren, auch die Piraten tun sich dann, wenn es um die Praxis geht, nicht unbedingt leicht. Also die Berliner Abgeordnetenhausfraktion beispielsweise, dort sollten alle Nebeneinkünfte offengelegt werden. Das hat ganz schön lange gedauert. Ist das überhaupt bis heute vollständig erfolgt oder ist das nur der Anspruch, den man vor sich herträgt?

    Schlömer: Ich habe den Anspruch als Bundesvorsitzender, dass alle Nebentätigkeiten veröffentlicht werden und ich kann auch den Finger in die Wunde legen, wenn dem nicht so ist. Es haben sich die Fraktionen zusammengetan, einen gemeinsamen Website-Auftritt gewählt, und dort sollen alle Nebentätigkeitseinkünfte auch veröffentlicht werden. Wenn dies der eine oder andere nicht macht, dann werden wir schon kritisch Nachfragen stellen, denn letztendlich wird die Piratenpartei nicht getragen von den Fraktionen alleine, sondern auch von den Mitgliedern und vor allen Dingen von den Mitgliedern, von der sogenannten Basis. Und dort werden wir immer wieder an die Türen der Fraktionen klopfen, auch bei den Piratenfraktionen, und sagen: Bitte schön, veröffentlicht eure Nebeneinkünfte.

    Steiner: Nun ist der Bundesvorstand der Piratenpartei nach wie vor ein ehrenamtliches Gremium. Es gibt eigentlich keine Bezahlung in dem Sinne. Es gibt höchstens mal Aufwandsentschädigung, wenn ich es richtig in Erinnerung habe?

    Schlömer: Also, ich bekomme keine Aufwandsentschädigung. Was wir kennen in der Piratenpartei ist, dass unsere Reisekosten erstattet werden, sofern wir es wünschen. Man kann aber auch den Aufwand wieder spenden an die Piratenpartei. Wir haben zwei bezahlte Kräfte: eine Halbtagsstelle für die Bundesspressesprecherin und in der Geschäftsstelle eine 400-Euro-Kraft.

    Steiner: Nun könnte man sagen, Sie fordern aber zugleich das bedingungslose Grundeinkommen, wenn Sie ihre eigenen Mitarbeiter noch nicht einmal voll beschäftigen können, obwohl die allerhand zu tun haben, zweifelsohne – wie geht das zusammen?

    Schlömer: Ja, wir müssen natürlich in Deutschland auch darüber sprechen, welchen Wert ehrenamtliche Arbeit hat. Wir müssen und können nicht immer davon sprechen, dass Arbeit immer nur das klassische Bild von Arbeit, wie wir es seit Hunderten von Jahren kennen, prägt, sondern es gibt sehr viel ehrenamtliche, sehr viel gemeinnützige Arbeit, die vielleicht es auch verdient, dass sie entlohnt wird. Und das ist eine kleine Komponente in der Diskussion um die Einführung von Grundeinkommen. Es geht aber insbesondere darum, andere Formen der Existenzsicherung und der sozialen Sicherung zu implementieren. Das ist die Idee von Grundeinkommen. Wir müssen auch die bislang als alternativlos verkaufte Wirtschafts- und Sozialpolitik einmal kritisch hinterfragen. Ist die Hartz-IV-Gesetzgebung überhaupt zukunftsfähig? Müssen wir nicht angesichts von Tausenden von Gerichtsverfahren, angesichts von sehr, sehr viel Kritik von Sozialverbänden überlegen, ob wir nicht eine andere Form der sozialen Sicherung wählen sollen. Und die Piraten schlagen dazu vor, strukturiert und systematisch über ein Grundeinkommen für jeden Menschen in diesem Land zu sprechen. Das ist einmal eine Alternative, die letztendlich auch dazu führen wird, dass man die Debatte aufbricht, die doch ein bisschen in die Enge getrieben wurde. Und ich verspreche mir sehr viel von diesem Ansatz.

    Steiner: Nun ist das Grundeinkommen kein Spezifikum der Piraten. Es gibt ja auch in der CDU tatsächlich auch Überlegungen, eben solch ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen. Warum sollte man gerade den Piraten seine Stimme geben, wenn man denn diese Idee grundsätzlich gut findet?

    Schlömer: Die Piratenpartei sollte gewählt werden von den Menschen, wenn Menschen sich stärkere Beteiligung an politischen Entscheidungsverfahren wünschen. Sie sollte gewählt werden, wenn man der Überzeugung ist, dass es ganz gut tut, mal nach 30 Jahren eine neue Partei in den Deutschen Bundestag zu lassen, die einmal dafür sorgt, dass das Fenster geöffnet wird und der 'Muff unter den Talaren' – so hieß es ja in den 68ern – einmal weggeweht wird. Man sollte die Piratenpartei wählen, weil man auch dann davon überzeugt ist, dass bestimmte etablierte Verfahren einmal infrage gestellt werden. Und sie sollte gewählt werden, weil die Piratenpartei innovative politische Felder, im Bereich der Netzpolitik, des Datenschutzes, wir hatten es angesprochen, und auch der Sozialpolitik vertritt. All das sind Dinge, warum man die Piratenpartei wählen kann. Die CDU hat das Thema Grundeinkommen nicht auf ihrer Agenda. Es ein Vertreter, ein ehemaliger Ministerpräsident, der das seit Jahren durch das Land trägt. Aber es ist nicht Teil der offiziellen Programmatik.

    Steiner: Nun arbeiten Sie selber tagtäglich für die Bundesregierung, das heißt letzten Endes für die Kanzlerin. Wie würden Sie deren Amtszeit bislang bilanzieren?

    Schlömer: Also ich bin als Vorsitzender der Piratenpartei nicht sehr glücklich über die Amtszeit von Frau Merkel. Viele Dinge sind nicht angefasst worden. Wir erleben die politische Demokratie, die parlamentarische Demokratie als sehr fad, oder ich erlebe sie als sehr fad. Wichtige Debatten sind nicht angestoßen worden aus Gründen, die ich nicht wirklich nachvollziehen kann. Es gibt in vielerlei Hinsicht einen Reformstau. Und insofern würde ich sagen: Es reicht, Frau Merkel.

    Steiner: Gibt es eine Partei, mit der Sie lieber koalieren würden?

    Schlömer: Die Frage Koalition stellt sich eigentlich für die Piratenpartei nicht in dieser Form. Ich habe gerade versucht zu beschreiben, dass die Piratenpartei einen Politikstil pflegen möchte und implementieren möchte, der mit der Demokratieform in der Schweiz vielleicht vergleichbar ist, das Suchen von wechselnden Mehrheiten, um bestmögliche Ziele, Inhalte und Programme umsetzen zu können, um gute und beste Ergebnisse zu erzielen. Und die Piratenpartei ist nicht angetreten, um gleich einen Koalitionsvertrag zu formulieren und dann einen Politikstil zu prägen, wie wir ihn seit 30 Jahren auch kennen. Ich würde die Piratenpartei und deren parlamentarische Arbeit als konstruktive Opposition begreifen, die mitstimmt, wenn man glaubt, dass es eine wichtige und richtige Idee gewesen ist, und die eine harte Oppositionsarbeit machen wird, wenn sie der Überzeugung ist, dieser Weg ist nicht richtig.

    Steiner: Herr Schlömer, Sie sind jetzt seit fast einem Jahr Bundesvorsitzender dieser Partei. Was hätten Sie anders gemacht?

    Schlömer: Das ist eine gute Frage. Wir hatten im letzten Jahr eine sehr dynamische Phase. Wir sind, wenn man sich das vor Augen führt, von knapp 13.000 Mitgliedern Anfang letzten Jahres auf über 35.000 Mitglieder am Ende des Jahres angewachsen. Wir haben sehr viele neue politische Strömungen in die Partei bekommen, viele Menschen, die Politik machen wollten, die überzeugt sind von der Piratenpartei. Das kann man kaum bewältigen, was dort an neuen Ideen, Gedanken und auch Entwicklungen Einzug gehalten hat. Ich bin einigermaßen froh darüber, dass es uns gelungen ist, die Piratenpartei auch zusammen zuhalten. Das ist eine ganz wichtige Herausforderung. Wir sind eine Bürgerrechtsbewegung, die auch heterogen ist. Das kann man durchaus sagen. Letztendlich, wenn man sie beschreiben möchte, würde ich sie immer als sozialliberale Kraft der Informationsgesellschaft bezeichnen. Das ist vielleicht etwas, was dann alle Mitglieder auch teilen würden. Insofern bin ich schon glücklich darüber, dass die Piratenpartei diese Wachstumsphase sehr gut verkraftet hat. Fehler habe ich sicherlich viele gemacht, aber das gehört dazu. Das macht mich als Menschen auch aus.

    Steiner: Nun kann man natürlich sagen, viele der Neumitglieder sind eigentlich erst auf der Welle des Erfolges gekommen. Wie lange braucht die Partei noch, um diesen Zustrom an Neumitgliedern wirklich zu verarbeiten und auch inhaltlich zu verkraften?

    Schlömer: Also administrativ haben wir den Zustrom an Mitgliedern durchaus verkraftet. Ich bin sehr zuversichtlich, dass auch jedes Mitglied oder nahezu jedes Mitglied jetzt einen Mitgliedsausweis hat und auch aufgefordert wird, seinen Mitgliedsbeitrag zu zahlen. Wir haben die Wachstumsphase jetzt, glaube ich, abgeschlossen. Wir sind zurzeit in einer Phase, in der der Mitgliederzuwachs und die Anzahl der Austritte nahezu identisch sind. Insofern wachsen wir jetzt nicht mehr. Es gilt jetzt, die Organisation, die Binnenorganisation, die Struktur der Piratenpartei sich sorgfältig anzuschauen: wie viel Arbeitsgruppen haben wir, was tun sie, gibt es dort möglicherweise Überschneidungen, wie kann man Arbeitsgruppen auch zusammenführen? Ich gebe ein Beispiel: Wir haben eine Arbeitsgruppe Friedenspolitik, wir haben eine Arbeitsgruppe Außen- und Sicherheitspolitik, da gibt es sicherlich auch redundante Arbeitsinhalte. Da könnte man überlegen, ob man dort nicht die Arbeit auch zusammenführen kann. Wir haben im Bereich Wirtschaft, Finanzen, Haushalt und Steuern verschiedene Arbeitsgruppen. Auch hier kann man überlegen, ob man dann auch zusammenführt. Letztendlich ist aber für jeden in der Piratenpartei auch Platz. Wenn man sagt, ich möchte meine eigene Arbeitsgruppe gerne weiter machen, dann darf man das auch. Und das sind so Überlegungen, die man jetzt anstellen muss, wie weit man die politische Meinungsbildung innerhalb der Partei besser organisiert, strukturiert. Das sind ganz normale Dinge nach einer großen Wachstumsphase.

    Steiner: Nun, wenn wir ein wenig in die Zukunft schauen, wo stehen die Piraten denn, wenn Sie zwei Jahre Bundesvorsitzender waren?

    Schlömer: Ja, das ist eine Frage, die Sie mir stellen – auf mich kommt es gar nicht so sehr an. Ich hoffe und glaube und bin mir auch ganz sicher, dass die Piratenpartei nachhaltig das politische System hier in Deutschland verändern wird. Wir sind als Partei angetreten, um mit dem Aufkommen des Internetzeitalters, der Informationsgesellschaft auch neue Politikstile, neue Politikmodelle in den parlamentarischen und politischen Betrieb einzuführen. Das wird man uns nicht nehmen können. Wir haben damit schon nachhaltig die Landschaft verändert. Und ich glaube, dass die Piraten und insbesondere ihre Politik – und darauf kommt es ja an – das politische System über Jahrzehnte prägen werden. Andere Parteien werden auch letztendlich eine andere Art von auch innerparteilicher Demokratie pflegen müssen, werden auch andere Formen der Beteiligung suchen müssen. Ansonsten wird man den Bürger nicht mehr überzeugen und nicht mehr erreichen können. Und dazu haben die Piraten entscheidend beigetragen.

    Steiner: Das war Bernd Schlömer im Interview der Woche, er ist Bundesvorsitzender der Piratenpartei. Herzlichen Dank.

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