Bettina Klein: Bereits Mitte November waren deutsche Waffengeschäfte Gegenstand der Diskussion, und zwar ganz regulär, denn zu diesem Zeitpunkt wurde der alljährliche Rüstungsexportbericht vorgestellt. Nun spießt der "Spiegel" die Sitzung des Bundessicherheitsrates vom vergangenen Montag auf - ein Gremium, das in unregelmäßigen Abständen geheim tagt, aber dann offenbar doch wieder nicht so geheim, dass gar nichts herausdringen würde, und diese Handhabung wird inzwischen selbst Gegenstand der Kritik.
Eine Anfrage, die dabei behandelt und in der Entscheidung vertagt wurde: Saudi-Arabien möchte nicht nur Leopard-II-Panzer, sondern angeblich auch Radpanzer vom Typ Boxer, eines der modernsten Kampffahrzeuge der Welt, wie es heißt. Dahinter steht die Frage nach einer neuen Doktrin der Bundesregierung, die da vereinfacht gesagt heißen soll: Waffenlieferung auch in heikle Regionen, dafür Zurückhaltung bei künftigen Auslandseinsätzen der Bundeswehr, die auf diese Weise einfacher zu begründen wäre.
Mitgehört hat Rainer Stinner (FDP), außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion im Deutschen Bundestag. Ich grüße Sie, Herr Stinner.
Rainer Stinner: Hallo, guten Tag.
Klein: Ihren Parlamentskollegen und Ausschussvorsitzenden von der CDU, Ruprecht Polenz, haben wir gerade im Bericht von Klaus Remme gehört. Er möchte, dass all diese Fragen zur deutschen Rüstungspolitik transparenter und grundsätzlich auch öffentlich diskutiert werden können. Schließen Sie sich dieser Forderung an?
Stinner: Ja, der schließe ich mich an. Es gibt ja im Prinzip drei Aspekte, die auch alle drei hier schon angesprochen worden sind. Der erste Aspekt ist tatsächlich die Information und die Behandlung dieses Themas in der Öffentlichkeit und im Parlament. Zweitens die Bedeutung einer deutschen wehrtechnischen Industrie. Dieses Thema ist unterbelichtet in der bisherigen Diskussion, ob wir sie brauchen und warum wir sie brauchen. Und drittens tatsächlich die außenpolitische Bewertung einzelner Exporte, zu denen ich gegenwärtig aber nichts sagen kann, weil ich gar nicht weiß, ob sie eigentlich verhandelt werden oder nicht.
Klein: Lassen Sie uns einige Punkte durchgehen. Weshalb wird denn das bisher als geheim eingestuft und nur im Bundessicherheitsrat verhandelt? Dafür gab es ja sicherlich auch gute Argumente.
Stinner: Ja, dafür gab es sicherlich gute Argumente. Aber man muss natürlich von Zeit zu Zeit überprüfen, ob die Argumente noch stichhaltig sind. Also ich sage mal so aus Sicht eines Parlamentariers: Wir werden - und dagegen wehre ich mich gar nicht - jetzt auch in dem Interview von Ihnen ja in Haftung genommen für Gerüchte, für Themen, die aus der Bundesregierung heraus kommen, was das Thema Rüstungsexporte angeht. Und das ist natürlich auf Dauer eine für uns nicht akzeptable Situation. Deshalb erwarte ich, dass wir gemeinsam überlegen, wie können wir die Einbeziehung des Parlamentes verbessern. Erstens erwarte ich, dass der Rüstungskontrollbericht schneller kommt. Es spricht nichts dafür, ihn schon im Mai zu veröffentlichen. Die Ausreden, das seien statistische Probleme, kann ich nicht gelten lassen. Und zweitens, dass wir tatsächlich überlegen, ob bei Voranfragen, speziell wenn sie in gewisse kritische Situationen und Länder gehen, tatsächlich ein Gremium des Bundestages eingeschaltet wird, zumindest informiert wird.
Klein: Wäre das rechtlich möglich?
Stinner: Das wäre rechtlich möglich, der Bundestag müsste nur ein Gesetz erlassen.
Klein: Dann sagen Sie uns doch mal, weshalb das bisher nicht geschehen ist.
Stinner: Nun, das ist bisher nicht geschehen, weil offensichtlich aus der Breite des Parlamentes nicht eine entsprechende Initiative gemacht worden ist. Ich kann mir vorstellen, dass Regierungsvertreter, die jetzt zuhören, das nicht unbedingt mit Wohlgefallen hören, aber das hilft mir ja nichts. Ich glaube, dass die bisherige Praxis nicht mehr praktikabel ist, und wenn ich vergleiche, wie andere Länder mit Rüstungsexporten umgehen, dann herrscht bei den meisten anderen Ländern eine viel größere Öffentlichkeit. In Amerika wird sehr öffentlich diskutiert, ab einer gewissen Größenordnung muss der Präsident vorab abfragen an den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses und es wird diskutiert, und in anderen Ländern wird das Parlament auch intensiver eingeschaltet. Es spricht nichts dagegen, dass wir in Deutschland eine ähnliche Praxis einführen.
Klein: Es ist schon interessant, Herr Stinner, dass diese Notwendigkeit bisher nicht gesehen wurde, ganz gleich wie der Bundestag zusammengesetzt war und welche Parteien an der Regierung gewesen sind. Welche Erklärung haben Sie dafür?
Stinner: Ja. Deshalb würde ich mal sagen, diese Kritik jetzt, die von der Opposition kommt, ist das übliche, das ist das übliche Thema. Die Oppositionsparteien waren lange genug in exekutiver Verantwortung, haben nichts daran geändert. Also das würde ich ein bisschen tiefer hängen, aber es ist verständlich. Aber dennoch sind wir alle aufgerufen, gemeinsam als Parlamentarier und Bundesregierung darüber nachzudenken, wie wir die Situation verbessern können.
Klein: Spinnen wir Ihren Gedanken weiter. Würden Sie denn eine Mehrheit im Deutschen Bundestag sehen für ein solches parlamentarisches Gremium, das sich in Zukunft damit befassen würde?
Stinner: Da bin ich mir jetzt noch nicht so sicher, wie das aussehen würde. Das hängt natürlich auch von der Ausgestaltung ab.
Klein: Auch nicht bei Ihrer eigenen Fraktion?
Stinner: Wir haben darüber noch nicht im Detail gesprochen, vor allen Dingen haben wir noch keinen Gesetzentwurf vorliegen. Von daher ist es etwas früh zu spekulieren, und das bringt mir ja auch nichts. Ich sage nur, ich gebe Ihnen zu verstehen, dass die bisherige Praxis, wie ich finde, verbesserungsbedürftig ist, und daran sollten wir in aller Ruhe gemeinsam arbeiten.
Klein: Diese Doktrin, von der jetzt immer wieder die Rede ist und von der der "Spiegel" auch heute in seiner neuen Ausgabe schreibt, Merkel-Doktrin genannt, heißt vereinfacht gesagt: lieber Rüstungsexporte auch in heikle Regionen und dafür lieber keine Auslandseinsätze von Bundeswehrsoldaten. Diese Zurückhaltung ließe sich dann damit auch einfacher begründen. Besteht diese Doktrin nun offiziell oder nicht?
Stinner: Ich glaube nicht, dass sie besteht. Auf den ersten Blick klingt das ja wie eine interessante Idee. Auf den zweiten Blick finde ich es aber wesentlich weniger interessant, das als Doktrin herauszustellen. Gehen wir mal die Länder durch, bei denen im Augenblick laut Presse, laut "Spiegel" und anderen Presseorganen Rüstungsanfragen sind. Das ist Saudi-Arabien, das ist Katar, das ist Israel, das ist Ägypten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass hier Rüstungsexporte in solche Länder der Ersatz sein sollten für eventuell deutschen Bundeswehreinsatz. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand daran denkt, nach Katar, nach Saudi-Arabien, nach Ägypten und nach Israel Bundeswehrsoldaten zu schicken. Von daher halte ich diese Theorie doch für etwas weit hergeholt.
Klein: Wir lesen ja, dass die Bundeskanzlerin sich in etwas kleinerem Kreise dazu geäußert habe und das so mehr oder weniger hat durchblicken lassen. Würden Sie es denn für ein richtiges Bestreben der Bundesregierung halten, das im Grundsatz zu verfolgen?
Stinner: Also ich glaube, dieser Trade-off zwischen Rüstungslieferungen versus eigenem Engagement ist außerordentlich gefährlich. Wir müssen und wir werden unser eigenes Engagement, politisches Engagement zunächst, aber wenn es Not tut auch militärisches Engagement, genau dahin überprüfen, ob damit politische Ziele erreicht werden können. Wir haben aus den vergangenen Jahren durchaus alle gemeinsam gelernt. Aber da gegenzusetzen Rüstungsexporte, halte ich für eine Theorie, die nicht zieht.
Klein: Einen weiteren Punkt haben Sie genannt, der noch nicht so stark beleuchtet wurde in der öffentlichen Diskussion, wie Sie meinten, nämlich die Frage, ob das ganze eben auch dazu dient, die deutsche Rüstungsindustrie zu fördern, nachdem es ja Sparbestrebungen gibt auch in Deutschland, was die Militärausgaben angeht. Wäre das gerechtfertigt?
Stinner: Ja. Hier gibt es für mich einen ganz einfachen Mehrsatz, Viersatz. Erstens: Ich bin dafür, dass wir die Bundeswehr brauchen. Zweitens: Ich bin dafür, dass die Bundeswehr nicht nur mit ausländischen Waffen ausgerüstet wird. Drittens: Der Umfang der Bundeswehr an Rüstungsausgaben ist nicht so, dass er alleine eine eigene wehrtechnische deutsche Industrie trägt. Und daraus folgt zwangsläufig, dass wir uns Gedanken machen müssen, wenn wir diese ersten drei Sätze so akzeptieren, dass wir im vierten Satz sagen, dann hat natürlich das Thema Rüstungsexport durchaus eine Rolle. Und das kann man natürlich offen diskutieren. Es kann mir jeder sagen, dass er den zweiten oder den dritten Satz nicht will. Er kann mir auch sagen, er will den ersten Satz nicht. Aber ich glaube, in der Öffentlichkeit besteht die Mehrheit der Auffassung, dass wir weiter eine Bundeswehr brauchen und dass es nicht sinnvoll ist, die Bundeswehr nur mit auswärtigen, ausländischen Waffen zu bewaffnen.
Klein: Aber im Falle des Falles, Zurückhaltung bei Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien wäre geboten Ihrer Meinung nach?
Stinner: Das wäre der dritte Punkt, den ich angesprochen hatte, nämlich die außenpolitische Einzelbeurteilung einzelner möglicher Anfragen. Hier sind unsere Richtlinien ja sehr, sehr klar, nämlich Rüstungsexporte sind verboten grundsätzlich in nicht befreundete Länder, es sei denn, außen- und sicherheitspolitische Interessen Deutschlands stehen dafür, dass wir diese Rüstungsexporte machen. Das heißt, ich gehe davon aus - aber ich bin nicht dabei. Offensichtlich ist der "Spiegel" dabei, wenn er Zitate zitiert; ich weiß es nicht, kann es mir auch kaum vorstellen, aber es ist ja so geschrieben worden. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung und dass die beteiligten Minister und die Experten dort diese Einzelabwägung der außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands sehr sorgfältig vornehmen. Davon gehe ich aus.
Klein: Rainer Stinner, außenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk. Herzlichen Dank, Herr Stinner, für das Gespräch.
Stinner: Danke Ihnen – auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Eine Anfrage, die dabei behandelt und in der Entscheidung vertagt wurde: Saudi-Arabien möchte nicht nur Leopard-II-Panzer, sondern angeblich auch Radpanzer vom Typ Boxer, eines der modernsten Kampffahrzeuge der Welt, wie es heißt. Dahinter steht die Frage nach einer neuen Doktrin der Bundesregierung, die da vereinfacht gesagt heißen soll: Waffenlieferung auch in heikle Regionen, dafür Zurückhaltung bei künftigen Auslandseinsätzen der Bundeswehr, die auf diese Weise einfacher zu begründen wäre.
Mitgehört hat Rainer Stinner (FDP), außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion im Deutschen Bundestag. Ich grüße Sie, Herr Stinner.
Rainer Stinner: Hallo, guten Tag.
Klein: Ihren Parlamentskollegen und Ausschussvorsitzenden von der CDU, Ruprecht Polenz, haben wir gerade im Bericht von Klaus Remme gehört. Er möchte, dass all diese Fragen zur deutschen Rüstungspolitik transparenter und grundsätzlich auch öffentlich diskutiert werden können. Schließen Sie sich dieser Forderung an?
Stinner: Ja, der schließe ich mich an. Es gibt ja im Prinzip drei Aspekte, die auch alle drei hier schon angesprochen worden sind. Der erste Aspekt ist tatsächlich die Information und die Behandlung dieses Themas in der Öffentlichkeit und im Parlament. Zweitens die Bedeutung einer deutschen wehrtechnischen Industrie. Dieses Thema ist unterbelichtet in der bisherigen Diskussion, ob wir sie brauchen und warum wir sie brauchen. Und drittens tatsächlich die außenpolitische Bewertung einzelner Exporte, zu denen ich gegenwärtig aber nichts sagen kann, weil ich gar nicht weiß, ob sie eigentlich verhandelt werden oder nicht.
Klein: Lassen Sie uns einige Punkte durchgehen. Weshalb wird denn das bisher als geheim eingestuft und nur im Bundessicherheitsrat verhandelt? Dafür gab es ja sicherlich auch gute Argumente.
Stinner: Ja, dafür gab es sicherlich gute Argumente. Aber man muss natürlich von Zeit zu Zeit überprüfen, ob die Argumente noch stichhaltig sind. Also ich sage mal so aus Sicht eines Parlamentariers: Wir werden - und dagegen wehre ich mich gar nicht - jetzt auch in dem Interview von Ihnen ja in Haftung genommen für Gerüchte, für Themen, die aus der Bundesregierung heraus kommen, was das Thema Rüstungsexporte angeht. Und das ist natürlich auf Dauer eine für uns nicht akzeptable Situation. Deshalb erwarte ich, dass wir gemeinsam überlegen, wie können wir die Einbeziehung des Parlamentes verbessern. Erstens erwarte ich, dass der Rüstungskontrollbericht schneller kommt. Es spricht nichts dafür, ihn schon im Mai zu veröffentlichen. Die Ausreden, das seien statistische Probleme, kann ich nicht gelten lassen. Und zweitens, dass wir tatsächlich überlegen, ob bei Voranfragen, speziell wenn sie in gewisse kritische Situationen und Länder gehen, tatsächlich ein Gremium des Bundestages eingeschaltet wird, zumindest informiert wird.
Klein: Wäre das rechtlich möglich?
Stinner: Das wäre rechtlich möglich, der Bundestag müsste nur ein Gesetz erlassen.
Klein: Dann sagen Sie uns doch mal, weshalb das bisher nicht geschehen ist.
Stinner: Nun, das ist bisher nicht geschehen, weil offensichtlich aus der Breite des Parlamentes nicht eine entsprechende Initiative gemacht worden ist. Ich kann mir vorstellen, dass Regierungsvertreter, die jetzt zuhören, das nicht unbedingt mit Wohlgefallen hören, aber das hilft mir ja nichts. Ich glaube, dass die bisherige Praxis nicht mehr praktikabel ist, und wenn ich vergleiche, wie andere Länder mit Rüstungsexporten umgehen, dann herrscht bei den meisten anderen Ländern eine viel größere Öffentlichkeit. In Amerika wird sehr öffentlich diskutiert, ab einer gewissen Größenordnung muss der Präsident vorab abfragen an den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses und es wird diskutiert, und in anderen Ländern wird das Parlament auch intensiver eingeschaltet. Es spricht nichts dagegen, dass wir in Deutschland eine ähnliche Praxis einführen.
Klein: Es ist schon interessant, Herr Stinner, dass diese Notwendigkeit bisher nicht gesehen wurde, ganz gleich wie der Bundestag zusammengesetzt war und welche Parteien an der Regierung gewesen sind. Welche Erklärung haben Sie dafür?
Stinner: Ja. Deshalb würde ich mal sagen, diese Kritik jetzt, die von der Opposition kommt, ist das übliche, das ist das übliche Thema. Die Oppositionsparteien waren lange genug in exekutiver Verantwortung, haben nichts daran geändert. Also das würde ich ein bisschen tiefer hängen, aber es ist verständlich. Aber dennoch sind wir alle aufgerufen, gemeinsam als Parlamentarier und Bundesregierung darüber nachzudenken, wie wir die Situation verbessern können.
Klein: Spinnen wir Ihren Gedanken weiter. Würden Sie denn eine Mehrheit im Deutschen Bundestag sehen für ein solches parlamentarisches Gremium, das sich in Zukunft damit befassen würde?
Stinner: Da bin ich mir jetzt noch nicht so sicher, wie das aussehen würde. Das hängt natürlich auch von der Ausgestaltung ab.
Klein: Auch nicht bei Ihrer eigenen Fraktion?
Stinner: Wir haben darüber noch nicht im Detail gesprochen, vor allen Dingen haben wir noch keinen Gesetzentwurf vorliegen. Von daher ist es etwas früh zu spekulieren, und das bringt mir ja auch nichts. Ich sage nur, ich gebe Ihnen zu verstehen, dass die bisherige Praxis, wie ich finde, verbesserungsbedürftig ist, und daran sollten wir in aller Ruhe gemeinsam arbeiten.
Klein: Diese Doktrin, von der jetzt immer wieder die Rede ist und von der der "Spiegel" auch heute in seiner neuen Ausgabe schreibt, Merkel-Doktrin genannt, heißt vereinfacht gesagt: lieber Rüstungsexporte auch in heikle Regionen und dafür lieber keine Auslandseinsätze von Bundeswehrsoldaten. Diese Zurückhaltung ließe sich dann damit auch einfacher begründen. Besteht diese Doktrin nun offiziell oder nicht?
Stinner: Ich glaube nicht, dass sie besteht. Auf den ersten Blick klingt das ja wie eine interessante Idee. Auf den zweiten Blick finde ich es aber wesentlich weniger interessant, das als Doktrin herauszustellen. Gehen wir mal die Länder durch, bei denen im Augenblick laut Presse, laut "Spiegel" und anderen Presseorganen Rüstungsanfragen sind. Das ist Saudi-Arabien, das ist Katar, das ist Israel, das ist Ägypten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass hier Rüstungsexporte in solche Länder der Ersatz sein sollten für eventuell deutschen Bundeswehreinsatz. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand daran denkt, nach Katar, nach Saudi-Arabien, nach Ägypten und nach Israel Bundeswehrsoldaten zu schicken. Von daher halte ich diese Theorie doch für etwas weit hergeholt.
Klein: Wir lesen ja, dass die Bundeskanzlerin sich in etwas kleinerem Kreise dazu geäußert habe und das so mehr oder weniger hat durchblicken lassen. Würden Sie es denn für ein richtiges Bestreben der Bundesregierung halten, das im Grundsatz zu verfolgen?
Stinner: Also ich glaube, dieser Trade-off zwischen Rüstungslieferungen versus eigenem Engagement ist außerordentlich gefährlich. Wir müssen und wir werden unser eigenes Engagement, politisches Engagement zunächst, aber wenn es Not tut auch militärisches Engagement, genau dahin überprüfen, ob damit politische Ziele erreicht werden können. Wir haben aus den vergangenen Jahren durchaus alle gemeinsam gelernt. Aber da gegenzusetzen Rüstungsexporte, halte ich für eine Theorie, die nicht zieht.
Klein: Einen weiteren Punkt haben Sie genannt, der noch nicht so stark beleuchtet wurde in der öffentlichen Diskussion, wie Sie meinten, nämlich die Frage, ob das ganze eben auch dazu dient, die deutsche Rüstungsindustrie zu fördern, nachdem es ja Sparbestrebungen gibt auch in Deutschland, was die Militärausgaben angeht. Wäre das gerechtfertigt?
Stinner: Ja. Hier gibt es für mich einen ganz einfachen Mehrsatz, Viersatz. Erstens: Ich bin dafür, dass wir die Bundeswehr brauchen. Zweitens: Ich bin dafür, dass die Bundeswehr nicht nur mit ausländischen Waffen ausgerüstet wird. Drittens: Der Umfang der Bundeswehr an Rüstungsausgaben ist nicht so, dass er alleine eine eigene wehrtechnische deutsche Industrie trägt. Und daraus folgt zwangsläufig, dass wir uns Gedanken machen müssen, wenn wir diese ersten drei Sätze so akzeptieren, dass wir im vierten Satz sagen, dann hat natürlich das Thema Rüstungsexport durchaus eine Rolle. Und das kann man natürlich offen diskutieren. Es kann mir jeder sagen, dass er den zweiten oder den dritten Satz nicht will. Er kann mir auch sagen, er will den ersten Satz nicht. Aber ich glaube, in der Öffentlichkeit besteht die Mehrheit der Auffassung, dass wir weiter eine Bundeswehr brauchen und dass es nicht sinnvoll ist, die Bundeswehr nur mit auswärtigen, ausländischen Waffen zu bewaffnen.
Klein: Aber im Falle des Falles, Zurückhaltung bei Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien wäre geboten Ihrer Meinung nach?
Stinner: Das wäre der dritte Punkt, den ich angesprochen hatte, nämlich die außenpolitische Einzelbeurteilung einzelner möglicher Anfragen. Hier sind unsere Richtlinien ja sehr, sehr klar, nämlich Rüstungsexporte sind verboten grundsätzlich in nicht befreundete Länder, es sei denn, außen- und sicherheitspolitische Interessen Deutschlands stehen dafür, dass wir diese Rüstungsexporte machen. Das heißt, ich gehe davon aus - aber ich bin nicht dabei. Offensichtlich ist der "Spiegel" dabei, wenn er Zitate zitiert; ich weiß es nicht, kann es mir auch kaum vorstellen, aber es ist ja so geschrieben worden. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung und dass die beteiligten Minister und die Experten dort diese Einzelabwägung der außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands sehr sorgfältig vornehmen. Davon gehe ich aus.
Klein: Rainer Stinner, außenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk. Herzlichen Dank, Herr Stinner, für das Gespräch.
Stinner: Danke Ihnen – auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.