Archiv


"Ich glaube nicht, dass wir mehr Medizinstudenten brauchen"

Zu wenig und falsch verteilt: Frank Ulrich Montgomery, Vizepräsident der Bundesärztekammer, will den Mangel und die Ballung der Ärzte in den großen Städten durch Anreize begegnen: Dabei stehe gar nicht so das Geld im Vordergrund, sondern die "unwahrscheinliche Menge von Arbeit und die schlechte Infrastruktur".

Frank Ulrich Montgomery im Gespräch mit Jaspar Barenberg |
    Jasper Barenberg: Die Lage, sie scheint dramatisch und paradox zugleich. Es gibt in Deutschland weit mehr Ärzte pro Einwohner als im internationalen Durchschnitt. Nirgendwo sonst auch gehen die Menschen öfter zum Arzt. Und doch warnen Fachleute länger schon vor einem drohenden Ärztemangel. Eine Entwicklung jedenfalls zeichnet sich bereits jetzt ab: in vielen großen Städten ballen sich die Arztpraxen, dafür fehlen in ländlichen Gebieten schon jetzt vor allem Hausärzte. Andere werden in den nächsten Jahren aus Altersgründen aufhören und die Nachfolge ist nicht geregelt. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler, er will jetzt gegensteuern mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen. Den Zugang zum Medizinstudium zum Beispiel will der FDP-Politiker erleichtern und dabei bevorzugen, wer sich später für einige Jahre als Landarzt verpflichtet. Taugt das Rezept gegen Ärztemangel? Die Meinungen darüber gehen auseinander. Über die Vorschläge des Gesundheitsministers wollen wir jetzt auch mit dem Vizepräsidenten der Bundesärztekammer sprechen. Guten Morgen, Frank Ulrich Montgomery.

    Frank Ulrich Montgomery: Guten Morgen!

    Barenberg: Herr Montgomery, haben wir denn zu wenig Ärzte, oder sind die Ärzte nur falsch verteilt?

    Montgomery: Beide Probleme packen Sie genau richtig an, beides stimmt. Erstens: wir haben zu wenig Ärzte vor allem auf dem flachen Land und erstaunlicherweise heute auch in den Krankenhäusern. Den deutschen Krankenhäusern fehlen etwa 5.000 Ärzte, vor allem junge Assistenzärzte. Und sie sind natürlich auch falsch verteilt, weil das haben Sie in Ihrem Bericht eben völlig richtig beschrieben: in den Städten ballen sich die Ärzte, auf dem flachen Land ist die Infrastruktur nicht so, dass Ärzte dort gerne arbeiten, und dieses Verteilungsproblem muss man lösen.

    Barenberg: Wer kann dieses Problem lösen?

    Montgomery: Das Problem kann man nur durch Anreize lösen in einer modernen Gesellschaft. Man muss das Arbeiten auf dem Land attraktiv machen, aber man muss auch die Frage stellen, ob wir uns wirklich weiterhin leisten können, dass 40 Prozent derjenigen, die das Medizinstudium anfangen, am Ende nicht in der Medizin arbeiten wollen, sondern etwas anderes machen. Deswegen hat der Philipp Rösler völlig Recht, wenn er dieses Problem jetzt am Anfang der ganzen Misere, nämlich am Studium angeht.

    Barenberg: Wie groß ist denn das Problem? Wie groß ist die Dimension? Was befürchten Sie für die Zukunft, sollte jetzt nicht gegengesteuert werden?

    Montgomery: Erstens wissen wir, dass in den nächsten Jahren etwa 70.000 Ärzte altersbedingt ausscheiden werden, während gleichzeitig nur etwa 50.000 aus den Universitäten nachkommen. Wir haben hier also ein strukturelles Problem von etwa 20.000 Ärzten. Dazu wissen wir, dass von den 11.000 Studienanfängern nur etwa 6.5000 hinterher in der traditionellen kurativen Medizin ankommen. Beide Dinge müssen wir angehen. Wir müssen die Studienbedingungen verbessern - das ist das eine, damit die Abbrecherquote geringer ist -, und wir müssen zweitens hinterher die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern verbessern, damit die, die das Studium erfolgreich beendet haben, dann auch lieber in der Medizin arbeiten, statt ins Ausland zu gehen, oder aber in anderen Berufsfeldern tätig zu werden.

    Barenberg: Studienbedingungen verbessern, sagen Sie, und die Arbeitsbedingungen beim Start in den Beruf. Was muss da in erster Linie geschehen aus Ihrer Sicht?

    Montgomery: Wir haben gerade in diesen Tagen ja wieder die Tarifverhandlungen mit den Vereinigungen der kommunalen Arbeitgeber, also den großen staatlichen Krankenhäusern, und hier muss endlich den Arbeitgebern klar werden, dass sie vernünftige Arbeitszeiten bieten müssen, damit zum Beispiel auch Frauen Familie und Beruf übereinander bringen können. Sie müssen vernünftige Arbeitsbedingungen liefern, denn die jungen Leute von heute wollen nicht mehr 18 Stunden arbeiten, ohne zu wissen, wann sie nach Hause kommen, und sie müssen natürlich auch beim Gehalt endlich vernünftige Gehälter für die Ärzte in Krankenhäusern zahlen. Da kann man ganz viel tun, um den Ärztemangel relativ schnell zu beseitigen.

    Barenberg: Nun ist die Klage über nicht genug Geld eine alte, die Klage über falsche Arbeitsbedingungen so noch nicht. Wandelt sich da ein ganzes Berufsbild auch? Sie haben von den vielen weiblichen Medizinern, von der wachsenden Zahl an Frauen im Arztberuf gesprochen.

    Montgomery: Ja, Sie haben völlig Recht. Inzwischen sind etwa zwei Drittel der Medizinstudenten weiblich. Das tut der Medizin übrigens unheimlich gut. Aber bei den Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern sind wir noch nicht so weit, dass wir uns darauf eingestellt haben, dass Frauen andere Arbeitszeiten nachfordern, andere Arbeitszeiten brauchen als Männer, und hier sind wir wirklich in der alten Männerdomäne Krankenhaus noch sehr traditionell und sehr altmodisch und antiquiert und da müssen wir einiges ändern. Wir vom Marburger Bund und von der Bundesärztekammer sind bereit, das zu tun. Die Arbeitgeber müssen jetzt auch noch ein kleines bisschen springen und nachkommen.

    Barenberg: Auch die Arbeit in einer Landpraxis, in einer Hausarztpraxis in ländlichen Gebieten, sie scheint wenig attraktiv. Was ist aus Ihrer Sicht eigentlich der Grund dafür? Auch das Geld?

    Montgomery: Der Grund ist gar nicht mal so sehr das Geld, denn das Problem ist ja sehr einfach. Wenn sie sehr viele Patienten haben, verdienen sie auch mehr Geld. Das Geld steht also gar nicht im Vordergrund, sondern es steht die unwahrscheinliche Menge von Arbeit und die schlechte Infrastruktur. Hier können wir lernen von anderen Ländern. Nehmen wir zum Beispiel Schweden. In Schweden bekommt der Landarzt nicht nur das Angebot, dass zum Beispiel auch seine Ehefrau oder sein Ehepartner eine Stelle in derselben Kommune bekommt. Da wird nicht nur dafür gesorgt, dass die Kinder vernünftig versorgt werden. Da steht auch eine Infrastruktur mit zum Beispiel gut ausgebildeten medizinischen Fachangestellten, die dem Arzt helfen. Wir müssen hier ein bisschen weiterdenken, indem wir in Zukunft mit Mitteln der Kommunalpolitik Infrastruktur schaffen, die es interessant macht für junge Leute, auf dem Land als Arzt zu arbeiten.

    Barenberg: Aber Herr Montgomery, tun die Kommunen nicht eben das jetzt schon? Bieten sie nicht enorme Anreize für angehende Ärzte, Praxen zu übernehmen in strukturschwachen Gebieten, in ländlichen Gebieten, bieten alle möglichen Anreize, um sie dorthin zu locken, und es hat eben noch nicht so viel Erfolg gebracht, wie das vielleicht notwendig wäre?

    Montgomery: Ich kann gerade die kommunalen Anreize überhaupt nicht sehen bisher. Was ich sehe sind immer sogenannte Umsatzgarantien. Genau die braucht man aber überhaupt nicht, denn wie gesagt: es sind ja genug Patienten da. Es ist daher auch, wenn Sie so wollen, genug Umsatz da. Mit Geld löst man das Problem eben alleine nicht. Ansonsten sind unsere Kommunen gerade in diesen Dingen in Deutschland ausgesprochen rückschrittlich. Ich kenne nur ganz wenige Kommunen, die Infrastrukturhilfen zu geben versuchen. Man denkt immer nur ans Geld, man denkt nie daran, dass man im Grunde genommen mit Sachmitteln, mit anderen Dingen viel mehr erreichen kann, als mit Geld allein.

    Barenberg: Nun hat der Bundesgesundheitsminister, Philipp Rösler, auch den Vorschlag gemacht, den Numerus clausus für das Medizinstudium fallen zu lassen. Wir haben es schon kurz angeschnitten. Heißt das auch im Umkehrschluss, wir brauchen mehr Medizinstudenten in diesem Land?

    Montgomery: Ich glaube nicht, dass wir mehr Medizinstudenten brauchen, denn wir bilden eigentlich genügend Ärzte aus. Wir müssen nur die Arbeit attraktiv genug machen für diese. Der Köder muss sozusagen dem Fisch schmecken und nicht dem Angler. Deswegen ist eine Vermehrung der Studienzahl nicht der richtige Weg. Darüber hinaus muss man auch mal sagen, wer soll das bezahlen. Ein Medizinstudienplatz kostet etwa 300.000 Euro in den sechs Jahren, die man studiert. Damit ist uns nicht gedient, sondern gedient ist damit, dass man die Studienbedingungen verbessert und die Arbeitsbedingungen hinterher besser macht.

    Barenberg: Letzte Frage mit der Bitte um eine kurze Antwort. Macht dann der Vorschlag überhaupt Sinn, den Numerus clausus fallen zu lassen?

    Montgomery: Den Numerus clausus fallen zu lassen, macht keinen Sinn, aber vernünftige und bessere Auswahlkriterien für junge Leute, dass man die Motivation, die soziale Kompetenz mit abprüft und nicht nur die Abiturnote alleine.

    Barenberg: Heute Morgen im Interview mit dem Deutschlandfunk Frank Ulrich Montgomery, der Vizepräsident der Bundesärztekammer. Vielen Dank, Herr Montgomery.