Ingeborg Bachmann ist am 17. Mai 1948 knapp 22 Jahre alt. Sie schreibt an diesem Tag an ihre Eltern:
Gestern noch unruhige Besuche bei Dr. Löcker, Ilse Aichinger, Edgar Jené (surrealistischer Maler), wo es sehr nett war und ich den bekannten Lyriker Paul Celan etwas ins Auge fasste.
Drei Tage später schreibt sie wieder.
Heute hat sich noch etwas ereignet. Der surrealistische Lyriker Paul Celan, den ich bei dem Maler Jené am vorletzten Abend mit Weigel noch kennenlernte und der sehr faszinierend ist, hat sich herrlicherweise in mich verliebt, und das gibt mir bei meiner öden Arbeiterei doch etwas Würze. Leider muss er in einem Monat nach Paris. Mein Zimmer ist momentan ein Mohnfeld, da er mich mit dieser Blumensorte zu überschütten beliebt.
Die beiden jungen Personen, die sich da im Wien der Nachkriegszeit begegnen, haben wenig mit denen zu tun, die in den siebziger und achtziger Jahren die Lesebücher beherrschen sollten. Ingeborg Bachmann und Paul Celan sind in der literarischen Öffentlichkeit noch völlig unbekannt. Als einziges direktes Zeugnis jenes Frühlings existiert die Abschrift eines Gedichts, das Celan mit dem Datum "23. Mai 1948" Bachmann widmete:
"
Ägypten
Du sollst zum Aug der Fremden sagen: Sei das Wasser.
Du sollst, die du im Wasser weißt, im Aug der Fremden suchen.
Du sollst sie rufen aus dem Wasser: Ruth! Noemi! Mirjam!
Du sollst sie schmücken, wenn du bei der Fremden liegst.
Du sollst sie schmücken mit dem Wolkenhaar der Fremden.
Du sollst zu Ruth und Mirjam und Noemi sagen:
Seht, ich schlaf bei ihr!
Du sollst die Fremde neben dir am schönsten schmücken.
Du sollst sie schmücken mit dem Schmerz um Ruth, um Mirjam und Noemi.
Du sollst zur Fremden sagen:
Sieh, ich schlief bei diesen!"
In diesem Gedicht ist für Celan das Leitmotiv seiner Beziehung zu Ingeborg Bachmann angeschlagen. Ägypten, das war das Exil der Juden, und Celan, der Jude aus Czernowitz, zählt im Duktus der Gebote Moses jüdische Frauennamen auf, aus früherer, verlorener Zeit, und stellt ihnen jetzt in Wien die "Fremde", die Nichtjüdin entgegen. Die Fremde nimmt das Vermächtnis der jüdischen Freundinnen auf, sie wird dadurch für Celan zum Medium der Sprache selbst - seiner Sprache. Celan zieht weiter nach Paris. Bald wird der gemeinsame Frühling in Wien für beide zu einem Mirakel. Bachmann bekennt:
Ich wird gewiss nie mehr durch den Stadtpark gehen, ohne zu wissen, dass er die ganze Welt sein kann, und ohne wieder der kleine Fisch von damals zu werden.
Ästhetische Fragen spielen in dem Briefwechsel kaum eine Rolle. Mit der Veröffentlichung dieses Zwiegesprächs ist zwangsläufig die Entscheidung verbunden, das Augenmerk der Öffentlichkeit auf intimste persönliche Zeugnisse zu legen. So etwas hat man von Celan wie von Bachmann bisher nie gelesen. Bachmann bricht im Herbst 1950, zweieinhalb Jahre nach dem mythenbildenden Frühling, nach Paris zu Celan auf. Über den Versuch eines gemeinsamen Lebens in Celans Hotelzimmer erfahren wir nur indirekt etwas, auf jeden Fall zieht Bachmann nach ungefähr einem Monat aus. Die Spannung zwischen den völlig verschiedenen Erfahrungen scheint unerträglich geworden zu sein - zwischen dem Czernowitzer, knapp dem Massenmord an den Juden entronnen, und der Klagenfurterin, die diese Stadt mit Adolf Hitler teilen musste, dem auf dem Balkon des Hotels "Sandwirt" frenetisch zugejubelt worden war. Aber vermutlich ist dies nicht die einzige Erklärung.
Weißt Du eigentlich noch, dass wir doch, trotz allem, sehr glücklich miteinander waren, selbst in den schlimmsten Stunden, wenn wir unsre schlimmsten Feinde waren? Warum hast Du mir nie geschrieben? Warum spürst Du nicht mehr, dass ich noch zu Dir kommen will mit meinem verrückten und wirren und widerspruchsvollen Herzen, das ab und zu noch immer gegen Dich arbeitet? - Ich fange ja langsam zu verstehen an, warum ich mich so sehr gegen Dich gewehrt habe, warum ich vielleicht nie aufhören werde, es zu tun. Ich liebe Dich und ich will Dich nicht lieben, es ist zuviel und zu schwer; aber ich liebe Dich vor allem - heute sage ich es Dir, auch auf die Gefahr hin, dass Du es nicht mehr hörst oder nicht mehr hören willst.
Celan bleibt verhalten. Er vermittelt ihr Schuldgefühle:
Du hast bisher mehr vom Leben gehabt, Inge, als die meisten Deiner Altersgenossen. Keine der Türen ist Dir verschlossen geblieben, und immer wieder tut sich Dir eine neue Tür auf. Du hast keinen Grund, ungeduldig zu sein, Ingeborg, und wenn ich eine Bitte äußern darf, so ist es gerade diese: denk, wie rasch alles Dir zu Gebote steht. Und sei nun ein wenig sparsamer mit Deinen Ansprüchen.
Den ersten Kulminationspunkt erreicht der Briefwechsel im Spätherbst 1951. Zur selben Zeit, als Celan seine künftige Ehefrau Gisèle kennenlernt, entscheidet sich Bachmann noch einmal ganz für ihn. Sie will trotz ihrer Bedenken eine feste Stellung beim Radio annehmen, "für uns", wie sie sagt, und bietet ihm finanzielle Sicherheit an. Es ist erkennbar, dass sie zusehends am Kulturbetrieb leidet, obwohl sie sich sehr erfolgreich in ihm zu bewegen beginnt. Bei allem äußeren Glitter spürt sie, dass sie sich nach Celan sehnt, als den einzigen, der mit ihr das "Andere" zu leben versucht, wie sie es nennt. Die harsche Absage Celans trifft sie wie ein Schlag.
Ich habe alles auf eine Karte gesetzt und ich habe verloren. Was mit mir weiter geschieht, hat wenig Interesse für mich. Ich kann, seit ich aus Paris zurück bin, nicht mehr leben, wie ich früher gelebt habe, ich habe das Experimentieren verlernt.
Es ist die Zeit, in der Ingeborg Bachmann ihren berühmten ersten Band "Die gestundete Zeit" zusammenstellt und sich in etlichen Gedichten an Celan abarbeitet, mit vielen wörtlichen Zitaten und Anspielungen. Der Briefwechsel leuchtet jetzt auch den Hintergrund jenes einzigen, berühmten Fotos aus, das Bachmann und Celan zusammen zeigt. Es wurde auf der Tagung der Gruppe 47 im Mai 1952 geknipst: Bachmann, die ängstlich zu Celan blickt, während er etwas sagt; Celan, der starr wirkt, wie in sich gefangen. Es war nur wenige Monate nach der Zurückweisung Bachmanns durch Celan, und dennoch hatte sie bis zum Schluss, gegen den ursprünglichen Willen des Gruppenchefs Hans Werner Richter, um die Teilnahme Celans gekämpft. Doch ausgerechnet Bachmann wird gegen Celan bei dieser Tagung in den Gruppendiskussionen ausgespielt, Celan lastet Bachmann das auch an. Der Briefwechsel bricht nun für fünfeinhalb Jahre fast völlig ab.
Damit, was im Oktober 1957 geschieht, konnte dann keiner rechnen. Bachmann und Celan treffen sich, wohl eher zufällig, auf einer Tagung in Wuppertal über Literaturkritik, und es ist so, als ob ein Blitz einschlüge. Celans Gedicht "Köln, Am Hof" wird jetzt durch seine Entstehungsgeschichte unerwartet transparent: Celan und Bachmann mieteten in der Nacht des 14. Oktober, nach der Tagung in Wuppertal, ein Hotelzimmer in Köln, mit der Adresse "Am Hof", und das Gedicht reagiert auf diese Liebesnacht.
Köln, Am Hof
Herzzeit, es stehn
die Geträumten für
die Mitternachtsziffer.
Einiges sprach in die Stille, einiges schwieg,
einiges ging seiner Wege.
Verbannt und Verloren
waren daheim.
Ihr Dome.
Ihr Dome ungesehn,
ihr Ströme unbelauscht,
ihr Uhren tief ins uns.
In der Zeit danach schickt Celan Bachmann, die mittlerweile in München wohnt, fast jeden Tag ein neues Gedicht sowie glühende Liebesbriefe.
Ich kann verstehen, Ingeborg, dass Du mir nicht schreibst, nicht schreiben kannst, nicht schreiben wirst: ich mach's Dir ja schwer mit meinen Briefen und Gedichten, schwerer noch als bisher. Sag mir nur dies: soll ich Dir schreiben und Dir Gedichte schicken? Soll ich für ein paar Tage nach München (oder anderswohin) kommen? Du musst verstehen: anders konnte ich nicht handeln. Hätte ich anders gehandelt, es hätte bedeutet, dass ich Dich verleugne - das kann ich nicht. Sei ruhig und rauch nicht zu viel! Paul
Das Verhältnis der beiden scheint sich umzukehren: jetzt ist es Celan, der Bachmann mit Liebesbekundungen überhäuft. Bachmann hingegen reagiert vorsichtig, ja überfordert.
Paul, vor zehn Tagen ist Dein erster Brief gekommen. Seither will ich jeden Tag antworten und versäume es über dem stundenlangen verzweifelten Sprechen mit Dir. Welche Abkürzungen muss ich in dem Brief jetzt nehmen! Wirst Du mich trotzdem verstehen? Ich bin Dir dankbar, dass Du Deiner Frau alles gesagt hast, denn es ihr "ersparen", hieße doch, schuldiger werden, auch sie verringern. Weil sie ist, wie sie ist, und weil Du sie liebst. Aber ahnst Du, was ihre Hinnahme und ihr Verstehen für mich bedeuten? Und für Dich? Du darfst sie und Euer Kind nicht verlassen.
Du hast mir gesagt, Du seist auf immer versöhnt mit mir, das vergesse ich Dir nie. Muss ich jetzt denken, dass ich Dich wieder unglücklich mache, wieder die Zerstörung bringe, für sie und Dich, Dich und mich? Dass man so verdammt sein sollte, kann ich nicht begreifen. Ich wollte Dir noch sagen in Köln, Dich bitten, die "Lieder auf der Flucht" noch einmal zu lesen, in jenem Winter vor zwei Jahren bin ich am Ende gewesen und habe die Verwerfung angenommen. Ich habe nicht mehr gehofft, freigesprochen zu werden. Zu welchem Ende? Ingeborg
Kein Drehbuchschreiber hätte es effektvoller arrangieren können: just in diesem Herbst der Gefühlswallungen zieht Celan mit Frau und Kind zum ersten Mal in eine große, gemeinsame Wohnung, unabhängig von anderen Familienmitgliedern seiner Frau.
Vieles überspringend: Ich werde nach München kommen, Ende November, gegen den 26ten. Ins Übersprungene zurück: Ich weiß ja nicht, was all das bedeutet, weiß nicht, wie ichs nennen soll, Bestimmung, vielleicht, Schicksal und Auftrag, Namensuche hat keinen Sinn, ich weiß, dass es so ist, für immer. Auch mir gehts wie Dir: dass ich Deinen Namen aussprechen und aufschreiben darf, ohne mit einem Schauer zu hadern, der mich dabei überkommt - für mich ists, trotz allem, Beglückung. Du weißt auch: Du warst, als ich Dir begegnete, beides für mich: das Sinnliche und das Geistige. Das kann nie auseinandertreten, Ingeborg. Denk an "In Ägypten". Sooft ichs lese, seh ich Dich in dieses Gedicht treten.
Celan besucht Bachmann in den nächsten Monaten mehrfach auf Lesereisen in der Bundesrepublik, und es sind tatsächlich geglückte Begegnungen. Er widmet ihr nachträglich 23 Gedichte in seinem ersten offiziellen Gedichtband "Mohn und Gedächtnis", beglaubigt sie auf diese Weise als seine Muse. Als sie eine Lesung in Wien hat, schickt er ihr in einem Briefumschlag nur folgende Zeilen:
Du liest jetzt. Ich denk an Deine Stimme.
Diese Monate bilden den Höhepunkt in ihrer Beziehung. In Celans Gedicht "Köln, Am Hof" heißt es: "Verbannt und Verloren / waren daheim"; "Am Hof" gehörte zum ehemaligen Judenviertel. Bachmann widmet nun Celan ihren Band "Die gestundete Zeit" mit den Worten: "München, Am Hof", nimmt das "Verbannt und Verloren" in Celans Gedicht auch als ihren Ort an, also vor allem ihren Part der "Verlorenen". Bachmann identifiziert sich mit Celan im Bewusstsein dessen, dass dies nicht lebbar ist. Schon bald wirft auch die "Goll-Affäre" ihre ersten Schatten: Claire Goll, die Witwe Yvan Golls, verleumdet Celan mit perfiden, haltlosen Plagiatsvorwürfen, und Celan reagiert darauf nicht einfach nur überempfindlich - diese Verleumdung aktualisiert sein Trauma, ein überlebender Jude zu sein. Sie ist der Auslöser für seine ernsthafte psychische Erkrankung.
Es ist klar, dass Celan seine Familie nicht verlässt, und es entwickelt sich eine verständnisvolle Beziehung zwischen Bachmann und Celans Frau Gisèle. Im Sommer fährt Bachmann zu einer Klärung nach Paris. Und die Daten erscheinen wieder wie aus einem unglaublichen Filmplot: Am 2. Juli 1958 hat Bachmann das letzte, quälende Gespräch mit Celan, und am 3. Juli beginnt sie ihre Liaison mit Max Frisch, der zur Aufführung zweier seiner Theaterstücke nach Paris gereist ist. In der ersten Zeit ihrer Max Frisch-Verliebung schreibt sie jedoch an Celan:
Der vergangene Herbst drängt sich in diesen Herbst.
Noch am 23. Dezember unterzeichnet sie einen Brief an Celan mit "In Liebe. Ingeborg". Sie wird zwischen der Bindung zu Celan und dem Zusammenleben mit Max Frisch fast zerrissen. Ingeborg Bachmann ist die einsame Heldin dieses Briefwechsels, sie kämpft einen verwegenen und beherzten Kampf auf verlorenem Posten und zerbricht schließlich daran. Max Frisch aber wirkt eher erbärmlich. Einmal bittet Celan beide, Bachmann und Frisch, um Unterstützung gegen eine von ihm durchaus zurecht als antisemitisch empfundene Kritik von Günter Blöcker. Er kommt dabei auf die "Todeslager" zu sprechen. Frisch reduziert dies auf die Frage der üblichen Autorenprobleme mit Verrisssen:
Wäre in Ihnen, mit Bezug auf diese Kritik, auch nur ein Funke gekränkter Eitelkeit, so wäre ja die Nennung der Todeslager, scheint mir, unerlaubt, ungeheuerlich.
So spricht ein unbeteiligter Schweizer zu einem jüdischen Überlebenden! Diese mangelnde Sensibilität ist ziemlich entlarvend. Bachmann dagegen ahnt, was hier vorgeht, und sie fleht Celan an, doch zu sehen, wieviele Freunde er habe, wie groß seine Anerkennung sei, er solle doch die ganzen Papierfetzen, statt sie zu lesen, wegwerfen:
Aber das willst Du ja nicht wahrhaben, dass diese nichts besagen. Du willst, dass es stärker ist, du willst Dich begraben lassen darunter. Das ist Dein Unglück, das ich für stärker halte als das Unglück, das Dir widerfährt. Du willst das Opfer sein. Aber es liegt an Dir, es nicht zu sein.
Es gibt mehrere Stellen in diesem Briefwechsel, an denen einem der Atem stockt. Einmal geht es auch um die Haltung Bachmanns und Celans zu dem Philosophen Martin Heidegger. Bachmann lässt keinen Zweifel daran, dass sie einen Zusammenhang zwischen Heideggers Denken und seiner anfänglichen Begeisterung für den Nationalsozialismus sieht. Celan aber schreibt, im Jahre 1959, folgendes:
Ich bin, Du weißts, sicherlich, der letzte, der über die Freiburger Rektoratsrede und einiges andere hinwegsehen kann; aber ich sage mir auch, zumal jetzt, da ich meine höchst konkreten Erfahrungen mit so patentierten Antinazis wie Böll oder Andersch gemacht habe, dass derjenige, der an seinen Verfehlungen würgt, besser ist als derjenige, der sich in seiner seinerzeitigen Unbescholtenheit auf das bequemste und einträglichste eingerichtet hat.
Diese Sätze bilden einen schwierig zu handhabenden, kaum benutzten Schlüssel zum Verständnis Celans. Eines aber scheint klar zu sein: es geht ihm weniger um die Vergangenheit als um die unbedingte Gegenwart. Das Aufgebot an Herausgebern dieses Briefwechsels ist beträchtlich: jeweils zwei aus der Celan- und zwei aus der Bachmann-Philologie zeichnen für Textgestalt und Kommentar des Bandes verantwortlich, der Bedeutung des Anlasses gemäß. Es gibt deswegen gleich zwei Nachworte. Dass man sich da bei allen verdienstvollen Querverweisen und Materialsichtungen manchmal nicht ganz einigen konnte, ist wohl verständlich. Verblüffend sind aber einige Fehler, die angesichts des Selbstverständnisses wissenschaftlicher Exaktheit und Sorgfalt ziemlich gravierend wirken. So wird behauptet, die Wendung "sie sagten sich Dunkles und Helles" sei eine Zeile von Celan - dabei handelt es sich um ein Zitat aus Bachmanns "Malina", mit dem sie Celan variiert. Celan und Bachmann lernten Walter Höllerer keineswegs bereits 1952 auf der Tagung der Gruppe 47 kennen, Höllerer war erst zwei Jahre später dabei. Die Ausrufe "Du weißt" oder "Du weißt ja", die in den Briefen Bachmanns und Celans auftauchen, werden zudem als bloße Füllsel bezeichnet, die "oftmals die direkte Aussage ersetzen". Man hätte durchaus sehen können, dass sich dies auf eine Zeile in Celans Gedicht "Corona" bezieht, die beide als geheimes Erkennungswort verwenden: "Es ist Zeit, dass man weiß!"
"Es ist Zeit, dass man weiß!
Es ist Zeit, dass der Stein sich zu blühen bequemt,
dass der Unrast ein Herz schlägt.
Es ist Zeit, dass es Zeit wird.
Es ist Zeit."
Dieser Briefwechsel ist ein Ereignis. Es erinnert alles an die letztlich nicht auszulotende Geschichte mit den zwei Königskindern, die füreinander bestimmt waren, aber nicht zueinander kommen konnten. Der Versuch, in spürbar dünner Höhenluft Dichtung und Leben miteinander in Einklang zu bringen, verbindet die Briefe Ingeborg Bachmanns und Paul Celans mit den großen Marksteinen der Literaturgeschichte. So etwas hat es seit Kafkas Briefen an Felice und Milena nicht mehr gegeben. Solch ein Buch erscheint nur alle paar Jahrzehnte.
Offizieller Erscheinungstermin: 18. August
Ingeborg Bachmann / Paul Celan: Herzzeit. Der Briefwechsel. Mit den Briefwechseln zwischen Paul Celan und Max Frisch sowie zwischen Ingeborg Bachmann und Gisèle Celan-Lestrange. Herausgegeben und kommentiert von Bertrand Badiou, Hans Höller, Andrea Stoll und Barbara Wiedemann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main. 399 Seiten.
Gestern noch unruhige Besuche bei Dr. Löcker, Ilse Aichinger, Edgar Jené (surrealistischer Maler), wo es sehr nett war und ich den bekannten Lyriker Paul Celan etwas ins Auge fasste.
Drei Tage später schreibt sie wieder.
Heute hat sich noch etwas ereignet. Der surrealistische Lyriker Paul Celan, den ich bei dem Maler Jené am vorletzten Abend mit Weigel noch kennenlernte und der sehr faszinierend ist, hat sich herrlicherweise in mich verliebt, und das gibt mir bei meiner öden Arbeiterei doch etwas Würze. Leider muss er in einem Monat nach Paris. Mein Zimmer ist momentan ein Mohnfeld, da er mich mit dieser Blumensorte zu überschütten beliebt.
Die beiden jungen Personen, die sich da im Wien der Nachkriegszeit begegnen, haben wenig mit denen zu tun, die in den siebziger und achtziger Jahren die Lesebücher beherrschen sollten. Ingeborg Bachmann und Paul Celan sind in der literarischen Öffentlichkeit noch völlig unbekannt. Als einziges direktes Zeugnis jenes Frühlings existiert die Abschrift eines Gedichts, das Celan mit dem Datum "23. Mai 1948" Bachmann widmete:
"
Ägypten
Du sollst zum Aug der Fremden sagen: Sei das Wasser.
Du sollst, die du im Wasser weißt, im Aug der Fremden suchen.
Du sollst sie rufen aus dem Wasser: Ruth! Noemi! Mirjam!
Du sollst sie schmücken, wenn du bei der Fremden liegst.
Du sollst sie schmücken mit dem Wolkenhaar der Fremden.
Du sollst zu Ruth und Mirjam und Noemi sagen:
Seht, ich schlaf bei ihr!
Du sollst die Fremde neben dir am schönsten schmücken.
Du sollst sie schmücken mit dem Schmerz um Ruth, um Mirjam und Noemi.
Du sollst zur Fremden sagen:
Sieh, ich schlief bei diesen!"
In diesem Gedicht ist für Celan das Leitmotiv seiner Beziehung zu Ingeborg Bachmann angeschlagen. Ägypten, das war das Exil der Juden, und Celan, der Jude aus Czernowitz, zählt im Duktus der Gebote Moses jüdische Frauennamen auf, aus früherer, verlorener Zeit, und stellt ihnen jetzt in Wien die "Fremde", die Nichtjüdin entgegen. Die Fremde nimmt das Vermächtnis der jüdischen Freundinnen auf, sie wird dadurch für Celan zum Medium der Sprache selbst - seiner Sprache. Celan zieht weiter nach Paris. Bald wird der gemeinsame Frühling in Wien für beide zu einem Mirakel. Bachmann bekennt:
Ich wird gewiss nie mehr durch den Stadtpark gehen, ohne zu wissen, dass er die ganze Welt sein kann, und ohne wieder der kleine Fisch von damals zu werden.
Ästhetische Fragen spielen in dem Briefwechsel kaum eine Rolle. Mit der Veröffentlichung dieses Zwiegesprächs ist zwangsläufig die Entscheidung verbunden, das Augenmerk der Öffentlichkeit auf intimste persönliche Zeugnisse zu legen. So etwas hat man von Celan wie von Bachmann bisher nie gelesen. Bachmann bricht im Herbst 1950, zweieinhalb Jahre nach dem mythenbildenden Frühling, nach Paris zu Celan auf. Über den Versuch eines gemeinsamen Lebens in Celans Hotelzimmer erfahren wir nur indirekt etwas, auf jeden Fall zieht Bachmann nach ungefähr einem Monat aus. Die Spannung zwischen den völlig verschiedenen Erfahrungen scheint unerträglich geworden zu sein - zwischen dem Czernowitzer, knapp dem Massenmord an den Juden entronnen, und der Klagenfurterin, die diese Stadt mit Adolf Hitler teilen musste, dem auf dem Balkon des Hotels "Sandwirt" frenetisch zugejubelt worden war. Aber vermutlich ist dies nicht die einzige Erklärung.
Weißt Du eigentlich noch, dass wir doch, trotz allem, sehr glücklich miteinander waren, selbst in den schlimmsten Stunden, wenn wir unsre schlimmsten Feinde waren? Warum hast Du mir nie geschrieben? Warum spürst Du nicht mehr, dass ich noch zu Dir kommen will mit meinem verrückten und wirren und widerspruchsvollen Herzen, das ab und zu noch immer gegen Dich arbeitet? - Ich fange ja langsam zu verstehen an, warum ich mich so sehr gegen Dich gewehrt habe, warum ich vielleicht nie aufhören werde, es zu tun. Ich liebe Dich und ich will Dich nicht lieben, es ist zuviel und zu schwer; aber ich liebe Dich vor allem - heute sage ich es Dir, auch auf die Gefahr hin, dass Du es nicht mehr hörst oder nicht mehr hören willst.
Celan bleibt verhalten. Er vermittelt ihr Schuldgefühle:
Du hast bisher mehr vom Leben gehabt, Inge, als die meisten Deiner Altersgenossen. Keine der Türen ist Dir verschlossen geblieben, und immer wieder tut sich Dir eine neue Tür auf. Du hast keinen Grund, ungeduldig zu sein, Ingeborg, und wenn ich eine Bitte äußern darf, so ist es gerade diese: denk, wie rasch alles Dir zu Gebote steht. Und sei nun ein wenig sparsamer mit Deinen Ansprüchen.
Den ersten Kulminationspunkt erreicht der Briefwechsel im Spätherbst 1951. Zur selben Zeit, als Celan seine künftige Ehefrau Gisèle kennenlernt, entscheidet sich Bachmann noch einmal ganz für ihn. Sie will trotz ihrer Bedenken eine feste Stellung beim Radio annehmen, "für uns", wie sie sagt, und bietet ihm finanzielle Sicherheit an. Es ist erkennbar, dass sie zusehends am Kulturbetrieb leidet, obwohl sie sich sehr erfolgreich in ihm zu bewegen beginnt. Bei allem äußeren Glitter spürt sie, dass sie sich nach Celan sehnt, als den einzigen, der mit ihr das "Andere" zu leben versucht, wie sie es nennt. Die harsche Absage Celans trifft sie wie ein Schlag.
Ich habe alles auf eine Karte gesetzt und ich habe verloren. Was mit mir weiter geschieht, hat wenig Interesse für mich. Ich kann, seit ich aus Paris zurück bin, nicht mehr leben, wie ich früher gelebt habe, ich habe das Experimentieren verlernt.
Es ist die Zeit, in der Ingeborg Bachmann ihren berühmten ersten Band "Die gestundete Zeit" zusammenstellt und sich in etlichen Gedichten an Celan abarbeitet, mit vielen wörtlichen Zitaten und Anspielungen. Der Briefwechsel leuchtet jetzt auch den Hintergrund jenes einzigen, berühmten Fotos aus, das Bachmann und Celan zusammen zeigt. Es wurde auf der Tagung der Gruppe 47 im Mai 1952 geknipst: Bachmann, die ängstlich zu Celan blickt, während er etwas sagt; Celan, der starr wirkt, wie in sich gefangen. Es war nur wenige Monate nach der Zurückweisung Bachmanns durch Celan, und dennoch hatte sie bis zum Schluss, gegen den ursprünglichen Willen des Gruppenchefs Hans Werner Richter, um die Teilnahme Celans gekämpft. Doch ausgerechnet Bachmann wird gegen Celan bei dieser Tagung in den Gruppendiskussionen ausgespielt, Celan lastet Bachmann das auch an. Der Briefwechsel bricht nun für fünfeinhalb Jahre fast völlig ab.
Damit, was im Oktober 1957 geschieht, konnte dann keiner rechnen. Bachmann und Celan treffen sich, wohl eher zufällig, auf einer Tagung in Wuppertal über Literaturkritik, und es ist so, als ob ein Blitz einschlüge. Celans Gedicht "Köln, Am Hof" wird jetzt durch seine Entstehungsgeschichte unerwartet transparent: Celan und Bachmann mieteten in der Nacht des 14. Oktober, nach der Tagung in Wuppertal, ein Hotelzimmer in Köln, mit der Adresse "Am Hof", und das Gedicht reagiert auf diese Liebesnacht.
Köln, Am Hof
Herzzeit, es stehn
die Geträumten für
die Mitternachtsziffer.
Einiges sprach in die Stille, einiges schwieg,
einiges ging seiner Wege.
Verbannt und Verloren
waren daheim.
Ihr Dome.
Ihr Dome ungesehn,
ihr Ströme unbelauscht,
ihr Uhren tief ins uns.
In der Zeit danach schickt Celan Bachmann, die mittlerweile in München wohnt, fast jeden Tag ein neues Gedicht sowie glühende Liebesbriefe.
Ich kann verstehen, Ingeborg, dass Du mir nicht schreibst, nicht schreiben kannst, nicht schreiben wirst: ich mach's Dir ja schwer mit meinen Briefen und Gedichten, schwerer noch als bisher. Sag mir nur dies: soll ich Dir schreiben und Dir Gedichte schicken? Soll ich für ein paar Tage nach München (oder anderswohin) kommen? Du musst verstehen: anders konnte ich nicht handeln. Hätte ich anders gehandelt, es hätte bedeutet, dass ich Dich verleugne - das kann ich nicht. Sei ruhig und rauch nicht zu viel! Paul
Das Verhältnis der beiden scheint sich umzukehren: jetzt ist es Celan, der Bachmann mit Liebesbekundungen überhäuft. Bachmann hingegen reagiert vorsichtig, ja überfordert.
Paul, vor zehn Tagen ist Dein erster Brief gekommen. Seither will ich jeden Tag antworten und versäume es über dem stundenlangen verzweifelten Sprechen mit Dir. Welche Abkürzungen muss ich in dem Brief jetzt nehmen! Wirst Du mich trotzdem verstehen? Ich bin Dir dankbar, dass Du Deiner Frau alles gesagt hast, denn es ihr "ersparen", hieße doch, schuldiger werden, auch sie verringern. Weil sie ist, wie sie ist, und weil Du sie liebst. Aber ahnst Du, was ihre Hinnahme und ihr Verstehen für mich bedeuten? Und für Dich? Du darfst sie und Euer Kind nicht verlassen.
Du hast mir gesagt, Du seist auf immer versöhnt mit mir, das vergesse ich Dir nie. Muss ich jetzt denken, dass ich Dich wieder unglücklich mache, wieder die Zerstörung bringe, für sie und Dich, Dich und mich? Dass man so verdammt sein sollte, kann ich nicht begreifen. Ich wollte Dir noch sagen in Köln, Dich bitten, die "Lieder auf der Flucht" noch einmal zu lesen, in jenem Winter vor zwei Jahren bin ich am Ende gewesen und habe die Verwerfung angenommen. Ich habe nicht mehr gehofft, freigesprochen zu werden. Zu welchem Ende? Ingeborg
Kein Drehbuchschreiber hätte es effektvoller arrangieren können: just in diesem Herbst der Gefühlswallungen zieht Celan mit Frau und Kind zum ersten Mal in eine große, gemeinsame Wohnung, unabhängig von anderen Familienmitgliedern seiner Frau.
Vieles überspringend: Ich werde nach München kommen, Ende November, gegen den 26ten. Ins Übersprungene zurück: Ich weiß ja nicht, was all das bedeutet, weiß nicht, wie ichs nennen soll, Bestimmung, vielleicht, Schicksal und Auftrag, Namensuche hat keinen Sinn, ich weiß, dass es so ist, für immer. Auch mir gehts wie Dir: dass ich Deinen Namen aussprechen und aufschreiben darf, ohne mit einem Schauer zu hadern, der mich dabei überkommt - für mich ists, trotz allem, Beglückung. Du weißt auch: Du warst, als ich Dir begegnete, beides für mich: das Sinnliche und das Geistige. Das kann nie auseinandertreten, Ingeborg. Denk an "In Ägypten". Sooft ichs lese, seh ich Dich in dieses Gedicht treten.
Celan besucht Bachmann in den nächsten Monaten mehrfach auf Lesereisen in der Bundesrepublik, und es sind tatsächlich geglückte Begegnungen. Er widmet ihr nachträglich 23 Gedichte in seinem ersten offiziellen Gedichtband "Mohn und Gedächtnis", beglaubigt sie auf diese Weise als seine Muse. Als sie eine Lesung in Wien hat, schickt er ihr in einem Briefumschlag nur folgende Zeilen:
Du liest jetzt. Ich denk an Deine Stimme.
Diese Monate bilden den Höhepunkt in ihrer Beziehung. In Celans Gedicht "Köln, Am Hof" heißt es: "Verbannt und Verloren / waren daheim"; "Am Hof" gehörte zum ehemaligen Judenviertel. Bachmann widmet nun Celan ihren Band "Die gestundete Zeit" mit den Worten: "München, Am Hof", nimmt das "Verbannt und Verloren" in Celans Gedicht auch als ihren Ort an, also vor allem ihren Part der "Verlorenen". Bachmann identifiziert sich mit Celan im Bewusstsein dessen, dass dies nicht lebbar ist. Schon bald wirft auch die "Goll-Affäre" ihre ersten Schatten: Claire Goll, die Witwe Yvan Golls, verleumdet Celan mit perfiden, haltlosen Plagiatsvorwürfen, und Celan reagiert darauf nicht einfach nur überempfindlich - diese Verleumdung aktualisiert sein Trauma, ein überlebender Jude zu sein. Sie ist der Auslöser für seine ernsthafte psychische Erkrankung.
Es ist klar, dass Celan seine Familie nicht verlässt, und es entwickelt sich eine verständnisvolle Beziehung zwischen Bachmann und Celans Frau Gisèle. Im Sommer fährt Bachmann zu einer Klärung nach Paris. Und die Daten erscheinen wieder wie aus einem unglaublichen Filmplot: Am 2. Juli 1958 hat Bachmann das letzte, quälende Gespräch mit Celan, und am 3. Juli beginnt sie ihre Liaison mit Max Frisch, der zur Aufführung zweier seiner Theaterstücke nach Paris gereist ist. In der ersten Zeit ihrer Max Frisch-Verliebung schreibt sie jedoch an Celan:
Der vergangene Herbst drängt sich in diesen Herbst.
Noch am 23. Dezember unterzeichnet sie einen Brief an Celan mit "In Liebe. Ingeborg". Sie wird zwischen der Bindung zu Celan und dem Zusammenleben mit Max Frisch fast zerrissen. Ingeborg Bachmann ist die einsame Heldin dieses Briefwechsels, sie kämpft einen verwegenen und beherzten Kampf auf verlorenem Posten und zerbricht schließlich daran. Max Frisch aber wirkt eher erbärmlich. Einmal bittet Celan beide, Bachmann und Frisch, um Unterstützung gegen eine von ihm durchaus zurecht als antisemitisch empfundene Kritik von Günter Blöcker. Er kommt dabei auf die "Todeslager" zu sprechen. Frisch reduziert dies auf die Frage der üblichen Autorenprobleme mit Verrisssen:
Wäre in Ihnen, mit Bezug auf diese Kritik, auch nur ein Funke gekränkter Eitelkeit, so wäre ja die Nennung der Todeslager, scheint mir, unerlaubt, ungeheuerlich.
So spricht ein unbeteiligter Schweizer zu einem jüdischen Überlebenden! Diese mangelnde Sensibilität ist ziemlich entlarvend. Bachmann dagegen ahnt, was hier vorgeht, und sie fleht Celan an, doch zu sehen, wieviele Freunde er habe, wie groß seine Anerkennung sei, er solle doch die ganzen Papierfetzen, statt sie zu lesen, wegwerfen:
Aber das willst Du ja nicht wahrhaben, dass diese nichts besagen. Du willst, dass es stärker ist, du willst Dich begraben lassen darunter. Das ist Dein Unglück, das ich für stärker halte als das Unglück, das Dir widerfährt. Du willst das Opfer sein. Aber es liegt an Dir, es nicht zu sein.
Es gibt mehrere Stellen in diesem Briefwechsel, an denen einem der Atem stockt. Einmal geht es auch um die Haltung Bachmanns und Celans zu dem Philosophen Martin Heidegger. Bachmann lässt keinen Zweifel daran, dass sie einen Zusammenhang zwischen Heideggers Denken und seiner anfänglichen Begeisterung für den Nationalsozialismus sieht. Celan aber schreibt, im Jahre 1959, folgendes:
Ich bin, Du weißts, sicherlich, der letzte, der über die Freiburger Rektoratsrede und einiges andere hinwegsehen kann; aber ich sage mir auch, zumal jetzt, da ich meine höchst konkreten Erfahrungen mit so patentierten Antinazis wie Böll oder Andersch gemacht habe, dass derjenige, der an seinen Verfehlungen würgt, besser ist als derjenige, der sich in seiner seinerzeitigen Unbescholtenheit auf das bequemste und einträglichste eingerichtet hat.
Diese Sätze bilden einen schwierig zu handhabenden, kaum benutzten Schlüssel zum Verständnis Celans. Eines aber scheint klar zu sein: es geht ihm weniger um die Vergangenheit als um die unbedingte Gegenwart. Das Aufgebot an Herausgebern dieses Briefwechsels ist beträchtlich: jeweils zwei aus der Celan- und zwei aus der Bachmann-Philologie zeichnen für Textgestalt und Kommentar des Bandes verantwortlich, der Bedeutung des Anlasses gemäß. Es gibt deswegen gleich zwei Nachworte. Dass man sich da bei allen verdienstvollen Querverweisen und Materialsichtungen manchmal nicht ganz einigen konnte, ist wohl verständlich. Verblüffend sind aber einige Fehler, die angesichts des Selbstverständnisses wissenschaftlicher Exaktheit und Sorgfalt ziemlich gravierend wirken. So wird behauptet, die Wendung "sie sagten sich Dunkles und Helles" sei eine Zeile von Celan - dabei handelt es sich um ein Zitat aus Bachmanns "Malina", mit dem sie Celan variiert. Celan und Bachmann lernten Walter Höllerer keineswegs bereits 1952 auf der Tagung der Gruppe 47 kennen, Höllerer war erst zwei Jahre später dabei. Die Ausrufe "Du weißt" oder "Du weißt ja", die in den Briefen Bachmanns und Celans auftauchen, werden zudem als bloße Füllsel bezeichnet, die "oftmals die direkte Aussage ersetzen". Man hätte durchaus sehen können, dass sich dies auf eine Zeile in Celans Gedicht "Corona" bezieht, die beide als geheimes Erkennungswort verwenden: "Es ist Zeit, dass man weiß!"
"Es ist Zeit, dass man weiß!
Es ist Zeit, dass der Stein sich zu blühen bequemt,
dass der Unrast ein Herz schlägt.
Es ist Zeit, dass es Zeit wird.
Es ist Zeit."
Dieser Briefwechsel ist ein Ereignis. Es erinnert alles an die letztlich nicht auszulotende Geschichte mit den zwei Königskindern, die füreinander bestimmt waren, aber nicht zueinander kommen konnten. Der Versuch, in spürbar dünner Höhenluft Dichtung und Leben miteinander in Einklang zu bringen, verbindet die Briefe Ingeborg Bachmanns und Paul Celans mit den großen Marksteinen der Literaturgeschichte. So etwas hat es seit Kafkas Briefen an Felice und Milena nicht mehr gegeben. Solch ein Buch erscheint nur alle paar Jahrzehnte.
Offizieller Erscheinungstermin: 18. August
Ingeborg Bachmann / Paul Celan: Herzzeit. Der Briefwechsel. Mit den Briefwechseln zwischen Paul Celan und Max Frisch sowie zwischen Ingeborg Bachmann und Gisèle Celan-Lestrange. Herausgegeben und kommentiert von Bertrand Badiou, Hans Höller, Andrea Stoll und Barbara Wiedemann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main. 399 Seiten.