Frage: Pedro Almodóvar, Sie hatten Ihren neuen Film "Die Haut, in der ich wohne" schon ein paar Jahre in Planung, bevor er dann auf die Leinwand kam. Warum hat das in diesem Fall so lange gedauert?
Pedro Almodóvar: Für mich ist es viel schwieriger, einen Roman zu adaptieren, als ein Originaldrehbuch zu schreiben. Beim Lesen stellte ich immer wieder fest, dass vieles als Film so nicht funktionieren würde. Ich habe in all den Jahren gewissermaßen gegen den Roman angekämpft. Bis ich ihn irgendwann ganz vergessen habe und dann versuchte, meine eigene Story zu schreiben. Es war nicht leicht, eine Figur wie diesen Arzt zu erfinden, und dabei glaubwürdig zu sein. Ich wollte die Leute erschrecken, sie sollten ihn nicht grotesk finden. Je ungewöhnlicher die Situation, desto schwieriger ist es für mich als Autor, sie glaubwürdig darzustellen.
Frage: Ist der Arzt, den Antonio Banderas spielt, eine Art moderner Frankenstein? Er stattet ja einen Menschen, Vera, komplett mit einer neuen, künstlichen Haut aus.
Almodóvar: Ich muss zugeben, dass Frankenstein im Film irgendwie präsent ist. Ich hatte das zwar nicht im Sinn, als ich das Drehbuch geschrieben habe, aber natürlich ist er gegenwärtig. Wir sehen Vera mit einer Art Landkarte von Narben auf ihrem Körper. Das ist schon ein moderner Frankenstein, und ich akzeptiere ihn auch als meinen Kompagnon. Also ich meine die Idee von Frankenstein, nicht den Frankensteinfilm. Obwohl ich den sehr mag, aber der ist ganz anders. Und ich habe mich auch bewusst nicht darauf bezogen. Ich hatte allerdings daran gedacht, einen Stummfilm in Schwarz-weiß zu drehen, weil ich Fritz Lang so sehr bewundere. Ich fand es dann aber doch zu riskant. Der Film war schon so riskant genug, da hatte ich etwas Angst.
Frage: Dieser Arzt missbraucht seine Macht, auch seinen Reichtum und seine Autorität als Wissenschaftler für seine Experimente. Worauf spielen Sie damit an?
Almodóvar: Es ist mehr ein Missbrauch von Macht. Wir haben ja etwa im Fall von Dominic Strauss-Kahn ein ungeheuerliches Beispiel für die Demonstration von Macht erlebt. In Windeseile hat er nach seiner Festnahme in den USA mit einem Sack voll Geld seine Freiheit erkauft.
Der Missbrauch, den der Arzt im Film ausübt, ist auch der Missbrauch eines Mächtigen. Der kann ja unterschiedliche Formen annehmen: Sie erkaufen sich ihr Recht für Millionen Dollar, sie schaffen Gefängnisse wie Guantanamo und füllen sie mit Gefangenen, die nicht wie Menschen behandelt werden, denen nicht einmal die Grundbedingungen menschlicher Existenz zugestanden werden. Es gibt heute viele Beispiele für Machtmissbrauch in unserer Gesellschaft. Und manchmal sind wir daran unbewusst beteiligt - durch unsere Gleichgültigkeit. Ich denke nicht, dass es uns im heutigen Europa an Solidarität mangelt. Aber ich bin nicht sicher, wie sehr uns zum Beispiel kümmert, was in Afrika passiert. Ob die Menschen dort überleben oder nicht.
Frage: Was wir im Film sehen, ist allerdings von geringerer politischer Tragweite.
Almodóvar: Der Missbrauch, den der Arzt im Film begeht, ist viel konkreter: Er versucht, mithilfe wissenschaftlicher Experimente, die durchaus legitim sein können, die Identität eines Menschen zu verändern. Weiter kann Missbrauch meiner Meinung nach nicht gehen, das ist die schlimmste Form, die man sich vorstellen kann. Und dieser Missbrauch kann auch begangen werden durch etwas an sich Gutes. Mit Transgenese zum Beispiel kann man ja auch Gutes bewirken. Also ich sage nicht, dass Wissenschaft an sich schlecht ist, genau wie Elektrizität nicht an sich schlecht ist. Aber wenn man sie für den elektrischen Stuhl benutzt, dann bin ich gegen Elektrizität. Und wenn man Wissenschaft so einsetzt wie der Arzt im Film, bin ich auch dagegen. Sowohl Elektrizität als auch Transgenese sind große Errungenschaften der Menschheit, aber die Menschheit hat eben auch eine große Fähigkeit, Böses zu tun.
Frage: Man kann Ihren Film auch als Kommentar zum Thema plastische Chirurgie, Missbrauch der Schönheitschirurgie verstehen. Pedro Almodóvar, Wie ist denn Ihre Haltung dazu?
Almodóvar: Falls Sie den großen Moralisten in mir sehen wollen, muss ich Ihnen sagen, wenn ich schreibe, bin ich alles andere als das. Ich will nur, dass meine Figuren lebendig und glaubwürdig sind. Aber ich würde kosmetische Chirurgie nicht per se verurteilen. Sie ist eine Erscheinung unserer Zeit und ich glaube, dass der Missbrauch oft von den Kunden selbst betrieben wird.
Von Leuten, die auf der Suche nach Schönheit in einen Teufelkreis geraten, was zuweilen zu grotesken Extremen führt. Grundsätzlich finde ich solche Operationen gut, zum Beispiel können sie einem helfen, hässliche Verwachsungen oder angeborene Verunstaltungen zu korrigieren. Das ist doch wunderbar! Und ich finde es auch legitim, die Jugend zu verlängern, wenn auch nicht in alle Ewigkeit, aber doch in Maßen. Wenn es einem dadurch möglich wird zu genießen, dass man 60 Jahre alt ist, wo 60 heute doch dem Alter von 40 von vor 20 Jahren entspricht. Dann ist das doch ein willkommener Fortschritt. Alles, was Jugend verlängert, ist gut, und ich meine nicht nur die äußerliche, sondern auch die organische und die emotionale Jugend. Ich würde doch lieber 90 werden als mit 50 oder 60 sterben.
Frage: In der Filmbranche, besonders bei Schauspielerinnen, ist es gang und gäbe, sich auf Jünger operieren zu lassen. Aus Sicht des Regisseurs ist das doch sicher manchmal problematisch.
Almodóvar: Als Filmregisseur muss ich sagen, dass ich Schauspieler bevorzuge, die sich nicht haben behandeln lassen. Denn für die Gefühle, die sie ausdrücken müssen, brauche ich Gesichter, die ihr wahres Alter widerspiegeln. Und wenn wir so weiter machen, wird es irgendwann unmöglich sein, einen Historienfilm zu drehen. Viscontis Leopard heute, mit den Schauspielerinnen die wir haben? Da würde ja keine Frau alt genug aussehen, um die Mutter von jemandem zu sein. Da sähe die Mutter jünger aus als die Tochter. Als Komödie funktioniert das natürlich, zum Beispiel würde ich gerne mal eine über die drei wichtigsten Frauen im Leben von Elvis Presley drehen: Ehefrau, Tochter und Enkelin sehen gleich alt aus. Ich hab sie mal zusammen auf dem Titel der Vanity Fair gesehen, und die Großmutter – Priscilla, sah bald jünger aus als die Enkelin! Das ist sehr witzig, für eine Komödie ist das wunderbar.
Frage: Nach 21 Jahren haben Sie jetzt wieder mit Antonio Banderas zusammengearbeitet, er war ja ein wichtiger Darsteller für Sie in Ihren Anfangsjahren. Wie war denn dieses Wiedersehen an einem Filmset?
Almodóvar: Ich fühle mich Antonio sehr verbunden, er war in den 80ern wie ein Teil meiner Familie. Er war wie ein jüngerer Bruder für mich. Und er war auch einfach der Richtige damals. Spanische Schauspielerinnen zu finden, war immer leichter. Aber männliche Darsteller gab es wenige. Mit seiner Leidenschaft und seinem Begehren war Antonio perfekt für die Rollen, die ich in den 80ern geschrieben habe. Wir haben eine enge Verbindung, aber klar, als er in die USA ging, eine Familie gründete und sich eine neue Karriere aufbaute, habe ich ihn nur gesehen, wenn ich mal in L.A. war, so alle zwei Jahre. Aber man kann auch eine Beziehung zu jemandem haben, ohne ihn dauernd zu sehen und zu sprechen. Wir haben eine emotionale Basis, gemeinsame Erlebnisse, das schweißt zusammen.
Frage: In den 80er und auch 90er-Jahren waren Sie, Pedro Almodovar, das Enfant terrible des europäischen Kinos. Die Rolle hat inzwischen Lars von Trier übernommen. Haben Sie dieses Image damals eigentlich genossen?
Almodóvar: Ich respektiere, was Journalisten über mich sagen. Die Presse hat in den 80er- und 90er-Jahren schon viel Anstoß an meinen Filmen genommen. Ich wurde immer schon mit Skandalfilmen in Verbindung gebracht und es stört mich nicht, wenn sie so was über mich sagen, aber ich habe es selbst nie so empfunden. Ich war einfach nur immer spontan – damals wie heute. Und das hat die Leute oft aufgeregt, und ich glaube das wollen sie auch. Die Leute wollen Skandale. Trotzdem habe ich mich nie als Enfant terrible gefühlt. Aber dieses Label hängt mir wohl mein Leben lang an.
Pedro Almodóvar: Für mich ist es viel schwieriger, einen Roman zu adaptieren, als ein Originaldrehbuch zu schreiben. Beim Lesen stellte ich immer wieder fest, dass vieles als Film so nicht funktionieren würde. Ich habe in all den Jahren gewissermaßen gegen den Roman angekämpft. Bis ich ihn irgendwann ganz vergessen habe und dann versuchte, meine eigene Story zu schreiben. Es war nicht leicht, eine Figur wie diesen Arzt zu erfinden, und dabei glaubwürdig zu sein. Ich wollte die Leute erschrecken, sie sollten ihn nicht grotesk finden. Je ungewöhnlicher die Situation, desto schwieriger ist es für mich als Autor, sie glaubwürdig darzustellen.
Frage: Ist der Arzt, den Antonio Banderas spielt, eine Art moderner Frankenstein? Er stattet ja einen Menschen, Vera, komplett mit einer neuen, künstlichen Haut aus.
Almodóvar: Ich muss zugeben, dass Frankenstein im Film irgendwie präsent ist. Ich hatte das zwar nicht im Sinn, als ich das Drehbuch geschrieben habe, aber natürlich ist er gegenwärtig. Wir sehen Vera mit einer Art Landkarte von Narben auf ihrem Körper. Das ist schon ein moderner Frankenstein, und ich akzeptiere ihn auch als meinen Kompagnon. Also ich meine die Idee von Frankenstein, nicht den Frankensteinfilm. Obwohl ich den sehr mag, aber der ist ganz anders. Und ich habe mich auch bewusst nicht darauf bezogen. Ich hatte allerdings daran gedacht, einen Stummfilm in Schwarz-weiß zu drehen, weil ich Fritz Lang so sehr bewundere. Ich fand es dann aber doch zu riskant. Der Film war schon so riskant genug, da hatte ich etwas Angst.
Frage: Dieser Arzt missbraucht seine Macht, auch seinen Reichtum und seine Autorität als Wissenschaftler für seine Experimente. Worauf spielen Sie damit an?
Almodóvar: Es ist mehr ein Missbrauch von Macht. Wir haben ja etwa im Fall von Dominic Strauss-Kahn ein ungeheuerliches Beispiel für die Demonstration von Macht erlebt. In Windeseile hat er nach seiner Festnahme in den USA mit einem Sack voll Geld seine Freiheit erkauft.
Der Missbrauch, den der Arzt im Film ausübt, ist auch der Missbrauch eines Mächtigen. Der kann ja unterschiedliche Formen annehmen: Sie erkaufen sich ihr Recht für Millionen Dollar, sie schaffen Gefängnisse wie Guantanamo und füllen sie mit Gefangenen, die nicht wie Menschen behandelt werden, denen nicht einmal die Grundbedingungen menschlicher Existenz zugestanden werden. Es gibt heute viele Beispiele für Machtmissbrauch in unserer Gesellschaft. Und manchmal sind wir daran unbewusst beteiligt - durch unsere Gleichgültigkeit. Ich denke nicht, dass es uns im heutigen Europa an Solidarität mangelt. Aber ich bin nicht sicher, wie sehr uns zum Beispiel kümmert, was in Afrika passiert. Ob die Menschen dort überleben oder nicht.
Frage: Was wir im Film sehen, ist allerdings von geringerer politischer Tragweite.
Almodóvar: Der Missbrauch, den der Arzt im Film begeht, ist viel konkreter: Er versucht, mithilfe wissenschaftlicher Experimente, die durchaus legitim sein können, die Identität eines Menschen zu verändern. Weiter kann Missbrauch meiner Meinung nach nicht gehen, das ist die schlimmste Form, die man sich vorstellen kann. Und dieser Missbrauch kann auch begangen werden durch etwas an sich Gutes. Mit Transgenese zum Beispiel kann man ja auch Gutes bewirken. Also ich sage nicht, dass Wissenschaft an sich schlecht ist, genau wie Elektrizität nicht an sich schlecht ist. Aber wenn man sie für den elektrischen Stuhl benutzt, dann bin ich gegen Elektrizität. Und wenn man Wissenschaft so einsetzt wie der Arzt im Film, bin ich auch dagegen. Sowohl Elektrizität als auch Transgenese sind große Errungenschaften der Menschheit, aber die Menschheit hat eben auch eine große Fähigkeit, Böses zu tun.
Frage: Man kann Ihren Film auch als Kommentar zum Thema plastische Chirurgie, Missbrauch der Schönheitschirurgie verstehen. Pedro Almodóvar, Wie ist denn Ihre Haltung dazu?
Almodóvar: Falls Sie den großen Moralisten in mir sehen wollen, muss ich Ihnen sagen, wenn ich schreibe, bin ich alles andere als das. Ich will nur, dass meine Figuren lebendig und glaubwürdig sind. Aber ich würde kosmetische Chirurgie nicht per se verurteilen. Sie ist eine Erscheinung unserer Zeit und ich glaube, dass der Missbrauch oft von den Kunden selbst betrieben wird.
Von Leuten, die auf der Suche nach Schönheit in einen Teufelkreis geraten, was zuweilen zu grotesken Extremen führt. Grundsätzlich finde ich solche Operationen gut, zum Beispiel können sie einem helfen, hässliche Verwachsungen oder angeborene Verunstaltungen zu korrigieren. Das ist doch wunderbar! Und ich finde es auch legitim, die Jugend zu verlängern, wenn auch nicht in alle Ewigkeit, aber doch in Maßen. Wenn es einem dadurch möglich wird zu genießen, dass man 60 Jahre alt ist, wo 60 heute doch dem Alter von 40 von vor 20 Jahren entspricht. Dann ist das doch ein willkommener Fortschritt. Alles, was Jugend verlängert, ist gut, und ich meine nicht nur die äußerliche, sondern auch die organische und die emotionale Jugend. Ich würde doch lieber 90 werden als mit 50 oder 60 sterben.
Frage: In der Filmbranche, besonders bei Schauspielerinnen, ist es gang und gäbe, sich auf Jünger operieren zu lassen. Aus Sicht des Regisseurs ist das doch sicher manchmal problematisch.
Almodóvar: Als Filmregisseur muss ich sagen, dass ich Schauspieler bevorzuge, die sich nicht haben behandeln lassen. Denn für die Gefühle, die sie ausdrücken müssen, brauche ich Gesichter, die ihr wahres Alter widerspiegeln. Und wenn wir so weiter machen, wird es irgendwann unmöglich sein, einen Historienfilm zu drehen. Viscontis Leopard heute, mit den Schauspielerinnen die wir haben? Da würde ja keine Frau alt genug aussehen, um die Mutter von jemandem zu sein. Da sähe die Mutter jünger aus als die Tochter. Als Komödie funktioniert das natürlich, zum Beispiel würde ich gerne mal eine über die drei wichtigsten Frauen im Leben von Elvis Presley drehen: Ehefrau, Tochter und Enkelin sehen gleich alt aus. Ich hab sie mal zusammen auf dem Titel der Vanity Fair gesehen, und die Großmutter – Priscilla, sah bald jünger aus als die Enkelin! Das ist sehr witzig, für eine Komödie ist das wunderbar.
Frage: Nach 21 Jahren haben Sie jetzt wieder mit Antonio Banderas zusammengearbeitet, er war ja ein wichtiger Darsteller für Sie in Ihren Anfangsjahren. Wie war denn dieses Wiedersehen an einem Filmset?
Almodóvar: Ich fühle mich Antonio sehr verbunden, er war in den 80ern wie ein Teil meiner Familie. Er war wie ein jüngerer Bruder für mich. Und er war auch einfach der Richtige damals. Spanische Schauspielerinnen zu finden, war immer leichter. Aber männliche Darsteller gab es wenige. Mit seiner Leidenschaft und seinem Begehren war Antonio perfekt für die Rollen, die ich in den 80ern geschrieben habe. Wir haben eine enge Verbindung, aber klar, als er in die USA ging, eine Familie gründete und sich eine neue Karriere aufbaute, habe ich ihn nur gesehen, wenn ich mal in L.A. war, so alle zwei Jahre. Aber man kann auch eine Beziehung zu jemandem haben, ohne ihn dauernd zu sehen und zu sprechen. Wir haben eine emotionale Basis, gemeinsame Erlebnisse, das schweißt zusammen.
Frage: In den 80er und auch 90er-Jahren waren Sie, Pedro Almodovar, das Enfant terrible des europäischen Kinos. Die Rolle hat inzwischen Lars von Trier übernommen. Haben Sie dieses Image damals eigentlich genossen?
Almodóvar: Ich respektiere, was Journalisten über mich sagen. Die Presse hat in den 80er- und 90er-Jahren schon viel Anstoß an meinen Filmen genommen. Ich wurde immer schon mit Skandalfilmen in Verbindung gebracht und es stört mich nicht, wenn sie so was über mich sagen, aber ich habe es selbst nie so empfunden. Ich war einfach nur immer spontan – damals wie heute. Und das hat die Leute oft aufgeregt, und ich glaube das wollen sie auch. Die Leute wollen Skandale. Trotzdem habe ich mich nie als Enfant terrible gefühlt. Aber dieses Label hängt mir wohl mein Leben lang an.