Christoph Heinemann: Heute werden Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor den Vereinten Nationen in New York sprechen. Der eine will einen Antrag auf die Vollmitgliedschaft Palästinas stellen, der andere möchte genau dies verhindern. Barack Obama hat unterdessen auch schon das US-Veto dagegen angekündigt. Entschieden wird heute sowieso nichts. Für Empörung sorgte erwartungsgemäß der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad mit gewohnt USA- und Israel-feindlichen Äußerungen. Für erhebliche diplomatische Verstimmung hatte tags zuvor – und das war nicht zu erwarten – der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy gesorgt, der nicht nur die amerikanische Verhandlungsführung in Frage stellte, sondern vor den Delegierten Einzelheiten des Verhandlungsplans des Nahostquartetts ausplauderte.
In Tel Aviv sind wir mit Shimon Stein verbunden, ehemaliger Botschafter des Staates Israel in der Bundesrepublik. Er arbeitet heute am Institut für nationale Sicherheitsstudien an der Universität in Tel Aviv. Guten Morgen!
Shimon Stein: Guten Morgen!
Heinemann: Herr Stein, wenn wir das noch mal zusammenfassen: Friedensverhandlungen binnen eines Monats, innerhalb von sechs Monaten dann eine Einigung auf die Grenzen und innerhalb eines Jahres auf einen Friedensvertrag. Das ist ein ehrgeiziges Ziel. Ist dieser Plan Erfolg versprechend?
Stein: Ich kann es mir und den Palästinensern und uns allen nur wünschen, dass das endlich realisiert wird. Aber ich meine, es war das Quartett, das bereits schon vor zwei oder mehr Jahren auch noch Deadlines, Endziele gesetzt hat, in 2010 war die Rede, dass innerhalb von einem Jahr werden wir schon bereits eine umfassende Lösung hinter uns haben. Es war der Präsident Obama, der im September des letzten Jahres auch gesagt hat, in diesem Jahr im September werden wir alle in der Lage sein, einen palästinensischen Staat als Mitglied zu begrüßen. Und nun am Ende sieht die Realität leider anders aus, als wir es uns alle wünschen.
Heinemann: Würde Israel denn die Grenzen von 1967 definitiv akzeptieren?
Stein: Wenn Sie den Ministerpräsidenten Netanjahu und den Außenminister Lieberman fragen, dann ist die Antwort kategorisch nein. Die halten das als eine unakzeptable Vorbedingung. Das hat schon bereits Netanjahu, als er im Mai in Washington war, klar und unmissverständlich gesagt. Sie haben es auch bemerkt, dass der Obama in seiner Rede vorgestern vor den Vereinten Nationen 67 als Reibungspunkt zwischen uns und den Amerikanern nicht erwähnt. Wenn Sie mich fragen, ich meine, wir müssen die 67er-Linie als Ausgangslinie nehmen, um weiter zu verhandeln. Und ich meine, das ist meine Meinung, aber Sie haben mich ja nicht nach meiner Meinung gefragt, sondern nach der offiziellen Meinung, und so wie ich die verstehe, ist die 67er-Linie als Vorbedingung der zukünftigen Grenze unakzeptabel, und das wird, glaube ich, auch heute Abend Netanjahu in seiner Rede auch klar und unmissverständlich zum Ausdruck bringen.
Heinemann: Ohne, dass er irgendeine Bewegung in dieser Frage ankündigen wird?
Stein: Die offizielle Meinung spricht über die Wiederaufnahme der Verhandlungen ohne Vorbedingungen. Das hört sich auch gut an. Er meint, ohne die Vorbedingungen der Palästinenser. Ich würde hinzufügen, es wäre gut für uns alle, wenn die Gespräche, die Verhandlungen wieder aufgenommen werden, ohne dass die beiden Seiten Vorbedingungen auch stellen, denn die beiden Seiten tun auch einseitige Maßnahmen, die ja nicht friedensfördernd auch sind. Aber wie gesagt, Netanjahu wiederholt das immer und wieder, direkte Verhandlungen ohne Vorbedingungen, und deshalb meint er, dass die palästinensischen Bemühungen in den Vereinten Nationen kontraproduktiv auch sind.
Heinemann: Die Zeit drängt, das meinte gestern Sumaya Farhat-Naser von der Universität Birseit bei Ramallah, palästinensische Politikwissenschaftlerin, bei uns im Deutschlandfunk. Wir hören zu:
O-Ton Sumaya Farhat-Naser: "Israel schafft Fakten am Boden, damit die Gründung eines Palästinastaats unmöglich gemacht wird, und alle schauen zu. Deshalb ich wünschte, dass in Deutschland die Regierung für Menschenrechte, für Menschenwürde, für Freiheit, für Demokratie auch für die Palästinenser eintritt, für die Sicherheit Israels, aber auch die Sicherheit der Palästinenser, sich für ihre Zukunft einsetzt und klare Worte sagt."
Heinemann: Die Palästinenserin Sumaya Farhat-Naser gestern im Deutschlandfunk. Herr Stein, welche Alternative zu einer Staatsgründung haben die Palästinenser, wenn ihr künftiges Staatsgebiet von Israel mehr und mehr zubetoniert wird?
Stein: Zweifelsohne sind die Bedingungen der Siedlungen eine große Hürde, die schwer zu überwinden sein wird. Aber das wissen wir auch alle. Deshalb meine ich, die Tatsache, dass die beiden sprechen über Vorbedingungen und über einseitige Maßnahmen, sie sollen einfach die einstellen. Leider muss man sagen, nicht nur Israel, sondern die Palästinenser und die amerikanische Administration tragen die Verantwortung, die uns zu dem heutigen Abend geführt hat. Ich hätte mir gewünscht, dass Israel den palästinensischen Staat anerkennen wird, weil das fast eine fait accompli zu sein scheint, dass man diese neue Lage zum Anlass nimmt, um die Verhandlungen wieder aufzunehmen auf der Basis von zwei Staaten, um zu sehen, wie wir weiter im Hinblick auf eine zukünftige Entscheidung über die Gründung eines palästinensischen Staates, wie wir eigentlich weiter vorangehen. Mit einem Staat kommt auf die Palästinenser große Verantwortung auch zu. Ich frage mich zum Beispiel, wenn Abbas spricht, spricht er auch für Hamas in Gaza? Was wird eigentlich die Zukunft des Gaza sein, was die Verantwortung der Palästinenser betrifft, den Terror einzustellen? Deshalb glaube ich, für uns steht der Tag danach als große Herausforderung und wir müssen den Weg finden zurück in die Verhandlungen. Ich halte eine umfassende Lösung binnen einem Jahr für unrealistisch. Deshalb müssen wir einen Weg finden, zunächst über die Grenzen, Sicherheit und auf der Basis des Vertrauens, das wir schaffen werden, auch weiter die momentan schwierigen Fragen für uns für die Palästinenser das Rückkehrrecht und Jerusalem zu diskutieren.
Heinemann: Herr Stein, Sie sprachen von der Mitverantwortung der US-Regierung. Ist Israel ganz froh darüber, dass Barack Obama auf die jüdischen Wählerinnen und Wähler Rücksicht nehmen muss?
Stein: Wenn Sie ein Ministerpräsident sind und wenn Sie über die Freundschaft zwischen Israel und der USA befinden, die für uns von großer strategischer Bedeutung ist, dann können Sie zufrieden sein, dass anstelle von Unterschieden, anstelle von Differenzen, wie sie im Mai vorhanden waren, als Netanjahu Washington besuchte, dass man heute sieht eine große Eintracht zwischen Israel und den Vereinigten Staaten. Die Gründe, die den Präsidenten dazu geführt haben, vorgestern eine proisraelische Rede zu halten, sind ganz klar. Ich meine nicht, dass er so darüber froh ist. Seine Meinung hat er im Mai gesagt und ich hielte damals im Gegensatz zu meiner Regierung seine Rede für äußerst positiv und sehr behilflich. Aber die hat er gestern ja nicht wiederholt, er steht mit dem Rücken zur Wand, er blickt auf November des kommenden Jahres und Juden spielen für ihn eine große Rolle, und deshalb ja, die Innenpolitik war vorgestern im Rahmen der Vereinten Nationen, als Obama über den Konflikt auch sprach.
Heinemann: Shimon Stein, ehemaliger Botschafter des Staates Israel in der Bundesrepublik. Er arbeitet heute am Institut für nationale Sicherheitsstudien an der Universität Tel Aviv. Herr Stein, danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Stein: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Shimon Stein: Guten Morgen!
Heinemann: Herr Stein, wenn wir das noch mal zusammenfassen: Friedensverhandlungen binnen eines Monats, innerhalb von sechs Monaten dann eine Einigung auf die Grenzen und innerhalb eines Jahres auf einen Friedensvertrag. Das ist ein ehrgeiziges Ziel. Ist dieser Plan Erfolg versprechend?
Stein: Ich kann es mir und den Palästinensern und uns allen nur wünschen, dass das endlich realisiert wird. Aber ich meine, es war das Quartett, das bereits schon vor zwei oder mehr Jahren auch noch Deadlines, Endziele gesetzt hat, in 2010 war die Rede, dass innerhalb von einem Jahr werden wir schon bereits eine umfassende Lösung hinter uns haben. Es war der Präsident Obama, der im September des letzten Jahres auch gesagt hat, in diesem Jahr im September werden wir alle in der Lage sein, einen palästinensischen Staat als Mitglied zu begrüßen. Und nun am Ende sieht die Realität leider anders aus, als wir es uns alle wünschen.
Heinemann: Würde Israel denn die Grenzen von 1967 definitiv akzeptieren?
Stein: Wenn Sie den Ministerpräsidenten Netanjahu und den Außenminister Lieberman fragen, dann ist die Antwort kategorisch nein. Die halten das als eine unakzeptable Vorbedingung. Das hat schon bereits Netanjahu, als er im Mai in Washington war, klar und unmissverständlich gesagt. Sie haben es auch bemerkt, dass der Obama in seiner Rede vorgestern vor den Vereinten Nationen 67 als Reibungspunkt zwischen uns und den Amerikanern nicht erwähnt. Wenn Sie mich fragen, ich meine, wir müssen die 67er-Linie als Ausgangslinie nehmen, um weiter zu verhandeln. Und ich meine, das ist meine Meinung, aber Sie haben mich ja nicht nach meiner Meinung gefragt, sondern nach der offiziellen Meinung, und so wie ich die verstehe, ist die 67er-Linie als Vorbedingung der zukünftigen Grenze unakzeptabel, und das wird, glaube ich, auch heute Abend Netanjahu in seiner Rede auch klar und unmissverständlich zum Ausdruck bringen.
Heinemann: Ohne, dass er irgendeine Bewegung in dieser Frage ankündigen wird?
Stein: Die offizielle Meinung spricht über die Wiederaufnahme der Verhandlungen ohne Vorbedingungen. Das hört sich auch gut an. Er meint, ohne die Vorbedingungen der Palästinenser. Ich würde hinzufügen, es wäre gut für uns alle, wenn die Gespräche, die Verhandlungen wieder aufgenommen werden, ohne dass die beiden Seiten Vorbedingungen auch stellen, denn die beiden Seiten tun auch einseitige Maßnahmen, die ja nicht friedensfördernd auch sind. Aber wie gesagt, Netanjahu wiederholt das immer und wieder, direkte Verhandlungen ohne Vorbedingungen, und deshalb meint er, dass die palästinensischen Bemühungen in den Vereinten Nationen kontraproduktiv auch sind.
Heinemann: Die Zeit drängt, das meinte gestern Sumaya Farhat-Naser von der Universität Birseit bei Ramallah, palästinensische Politikwissenschaftlerin, bei uns im Deutschlandfunk. Wir hören zu:
O-Ton Sumaya Farhat-Naser: "Israel schafft Fakten am Boden, damit die Gründung eines Palästinastaats unmöglich gemacht wird, und alle schauen zu. Deshalb ich wünschte, dass in Deutschland die Regierung für Menschenrechte, für Menschenwürde, für Freiheit, für Demokratie auch für die Palästinenser eintritt, für die Sicherheit Israels, aber auch die Sicherheit der Palästinenser, sich für ihre Zukunft einsetzt und klare Worte sagt."
Heinemann: Die Palästinenserin Sumaya Farhat-Naser gestern im Deutschlandfunk. Herr Stein, welche Alternative zu einer Staatsgründung haben die Palästinenser, wenn ihr künftiges Staatsgebiet von Israel mehr und mehr zubetoniert wird?
Stein: Zweifelsohne sind die Bedingungen der Siedlungen eine große Hürde, die schwer zu überwinden sein wird. Aber das wissen wir auch alle. Deshalb meine ich, die Tatsache, dass die beiden sprechen über Vorbedingungen und über einseitige Maßnahmen, sie sollen einfach die einstellen. Leider muss man sagen, nicht nur Israel, sondern die Palästinenser und die amerikanische Administration tragen die Verantwortung, die uns zu dem heutigen Abend geführt hat. Ich hätte mir gewünscht, dass Israel den palästinensischen Staat anerkennen wird, weil das fast eine fait accompli zu sein scheint, dass man diese neue Lage zum Anlass nimmt, um die Verhandlungen wieder aufzunehmen auf der Basis von zwei Staaten, um zu sehen, wie wir weiter im Hinblick auf eine zukünftige Entscheidung über die Gründung eines palästinensischen Staates, wie wir eigentlich weiter vorangehen. Mit einem Staat kommt auf die Palästinenser große Verantwortung auch zu. Ich frage mich zum Beispiel, wenn Abbas spricht, spricht er auch für Hamas in Gaza? Was wird eigentlich die Zukunft des Gaza sein, was die Verantwortung der Palästinenser betrifft, den Terror einzustellen? Deshalb glaube ich, für uns steht der Tag danach als große Herausforderung und wir müssen den Weg finden zurück in die Verhandlungen. Ich halte eine umfassende Lösung binnen einem Jahr für unrealistisch. Deshalb müssen wir einen Weg finden, zunächst über die Grenzen, Sicherheit und auf der Basis des Vertrauens, das wir schaffen werden, auch weiter die momentan schwierigen Fragen für uns für die Palästinenser das Rückkehrrecht und Jerusalem zu diskutieren.
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Heinemann: Shimon Stein, ehemaliger Botschafter des Staates Israel in der Bundesrepublik. Er arbeitet heute am Institut für nationale Sicherheitsstudien an der Universität Tel Aviv. Herr Stein, danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Stein: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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