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"Ich halte das für einen echten Rückschritt"

Die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat sich in scharfer Form über das US-Anti-Terrorgesetz geäußert. Es könne keine Ermessens-Spielräume bei der Genfer Konvention geben. Darüber hinaus gehe es nicht an, dass einem Regierungschef als letzte Instanz die Entscheidung darüber übertragen wird, "was Folter ist und was nicht", sagte die Rechtsexpertin.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die Genfer Konvention zur Behandlung von Kriegsgefangenen ist nicht außer Kraft gesetzt, aber dem amerikanischen Präsidenten wird ein Ermessensspielraum bei der Interpretation eingeräumt. Kann es einen Interpretationsspielraum der Genfer Konvention geben?

    Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: In dieser Form mit Sicherheit nicht. Ich finde das unglaublich, was dort letzte Nacht jetzt mit den Stimmen der Mehrheit der Senatoren als neue Gesetzgebung beschlossen worden ist. Es kann doch wohl nicht sein, dass ein Präsident darüber entscheidet, was Folter ist.

    Heckmann: Das heißt, keine Interpretation der Genfer Konvention ist möglich, das ist so gesetzt und danach hat sich die US-Regierung auch zu halten?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Es gibt keine Spielräume, dass man sagt, eine menschenunwürdige Verhaltensweise liegt dann nicht vor, wenn man jemanden etwas länger unter Wasser taucht oder mal etwas fest anfasst. Das geht eben in der Form nicht. Und schon gar nicht geht es, dass es eben einem Regierungschef übertragen wird, als letzte Instanz, was Folter ist und was nicht.

    Heckmann: Was werden denn die Folgen, wenn dieses Gesetz so in Kraft tritt - und danach sieht es ja aus?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Also ich gehe davon aus, so das, was ich bisher gehört habe, dass dieses Gesetz in dieser Form nicht in Einklang steht mit internationalen Konventionen - ob es gegen die US-Verfassung verstößt, was ja auch in der Debatte gerügt wurde, kann ich nicht abschließend beurteilen, aber anscheinend scheint einiges dafür zu sprechen. Aber was ich ganz entscheidend finde, ist, was ja ein Abgeordneter wohl gesagt hat, der hier hingewiesen hat auf die Nürnberger Prozesse, auf Tradition in Rechtsstaatlichkeit, als man sich mit unglaublichen Verbrechen auseinandersetzen musste und die Rechtsstaatlichkeit nicht außer Kraft gesetzt hat.

    Heckmann: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, das Oberste Gericht in Washington hat ja gefordert in seinen Urteilen, dass eben die Genfer Konvention eingehalten wird und beachtet wird bei der Behandlung von Terrorverdächtigen. Würden Sie sagen, dass das jetzt vorliegende Gesetz ein Verstoß gegen dieses Urteil ist?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Also nach meiner Einschätzung und nach meinen Einblicken neige ich dazu, eher zu sagen: Ja, das verstößt gegen das Urteil.

    Heckmann: Die Frage ist: Wie sollte die internationale Gemeinschaft auch darauf reagieren? Sollte die Bundesregierung beispielsweise dagegen protestieren, auch wenn man eine Abkühlung des transatlantischen Verhältnisses dann riskiert?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Also ich denke schon, dass die Bundesregierung sehr wohl Kritik und auch große Bedenken an dem jetzigen Gesetzgebungsvorhaben äußern sollte. Es hat ja auch viel zu lang gedauert, bis überhaupt mal Stimmen laut wurden, die diesen rechtsfreien Raum Guantanamo kritisiert haben, dann auch in der internationalen Staatengemeinschaft. Und bei aller Notwendigkeit, gegen Terror vorzugehen, hier werden einige Demokraten, einige aufrechte Demokraten sagen, die Grundlagen für eben unsere westlichen Demokratien und das, was das Leben hier so lebenswert macht, ist in Gefahr gesetzt.

    Heckmann: Das Gesetz regelt ja auch, dass Ermittler des US-Geheimdienstes international vor Strafverfolgung geschützt werden sollen. Kann das die EU akzeptieren angesichts der CIA-Geheimflüge und der Geheimgefängnisse, die ja letztens eingeräumt worden sind?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Erstens wird ja deutlich noch einmal, dass der amerikanische Präsident diese illegalen CIA-Geheimgefängnisse in Europa für richtig und notwendig hält – das ist schon einmal ein Skandal für sich. Das Zweite ist, dass immer amerikanische Praxis leider gewesen ist, ja auch indem sie sich dem internationalen Strafgerichtshof entzogen haben, rückgängig gemacht haben, was der Vorgänger-Präsident Bill Clinton eingeleitet hatte, nämlich auch das Anerkennen dieses Statuts. Deshalb ist es amerikanische Praxis leider nach wie vor, eigene Staatsangehörige der internationalen Strafbarkeit zu entziehen. Und ich denke, dass das sehr wohl die Europäische Union beschäftigen muss. Und auch ein politisches Thema sein muss.

    Heckmann: Man hatte ja in letzter Zeit das Gefühl, dass die amerikanische Regierung langsam wieder zum internationalen Konsens zurückkehrt, was die Beachtung von Menschenrechten angeht und die Zusammenarbeit auf internationaler Ebene. Hat man sich da getäuscht?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Also ich halte das für einen echten Rückschritt, was hier jetzt passiert ist mit diesem Gesetz, das ja klar dem Wahlkampf geschuldet ist, den Zwischenwahlen, die jetzt eben stattfinden. Und ich denke, leider hat sich Amerika wieder hier eher ein Stück weit von internationalen Konventionen und Grundlagen entfernt.