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"Ich halte es auch für einen Fehler, die Brennelementesteuer zeitlich zu befristen"

"Was die Regierung vorhat, und das finde ich schon beeindruckend", sagt Claudia Kemfert, Expertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, zum Energie-Konzept der Bundesregierung - leider stoße man sich an diesem einen Puzzle-Stein, der Kernenergie.

Claudia Kemfert im Gespräch mit Christian Bremkamp |
    Christian Bremkamp: Am Telefon begrüße ich jetzt Claudia Kemfert,
    sie leitet die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Guten Tag, Frau Kemfert.

    Claudia Kemfert: Guten Tag! Ich grüße Sie.

    Bremkamp: Nicht nur die Oppositionsparteien und diverse Umweltverbände zeigen sich empört, auch viele Stadtwerke kritisieren den Atomkompromiss scharf. Haben Sie Verständnis für deren Bedenken?

    Kemfert: Ja, ich verstehe die Sorgen, die man dort hat. Aber man muss wirklich sehen, was die Regierung vorhat, und das finde ich schon beeindruckend, dass man tatsächlich den Umbau des Energiesystems sich vorgenommen hat. 80 Prozent der Stromerzeugung in den nächsten vier Jahrzehnten will man aus erneuerbaren Energien gewinnen, gleichzeitig will man den Energieverbrauch halbieren, im Gebäudesanierungsprogramm sehr viel tun. Also das finde ich schon sehr ambitioniert, um eben die Klimaschutzziele von minus 80 Prozent der Treibhausgase in diesem Zeitraum zu erfüllen. Das ist das Eigentliche, was mir daran sehr gefällt und was ich auch sehr gut finde, aber leider stößt man sich da nur an diesem einen Puzzle-Stein, und das ist die Kernenergie.

    Bremkamp: Frau Kemfert, lassen Sie uns beim Jetzt bleiben. Ist es nicht in der Tat ungerecht, auf kommunaler Ebene versucht man erneuerbare Energien zu fördern und auszubauen, schlussendlich aber bekommt die Atombranche so etwas wie einen Zuschlag?

    Kemfert: Also ich teile diese Kritik nicht, denn die Förderung erneuerbarer Energien wird ja gar nicht angetastet, denn die erneuerbaren Energien haben weiterhin Vorrang, wir haben die Vergütung und das wird auch weiter so laufen. Wir sind heute bei 16 Prozent der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und die mittelständischen Anbieter, oder auch eben Stadtwerke, kommunale Anbieter, werden weiter investieren. Das sehe ich in keinster Weise gefährdet.
    Die großen Energieversorger in der Tat müssen jetzt auf den Zubau von Kohlekraftwerken verzichten, weil die braucht man in dem Moment nicht mehr, wo man die Kernkraftwerke länger laufen lässt, und wenn man das so macht, dann sind die Netze auch frei für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Gleichzeitig muss man natürlich auch die Infrastruktur ausbauen und die Speichermöglichkeit erhöhen, aber das sehe ich nicht im Konflikt mit dem derzeitigen Programm, was man sich da vorgenommen hat.

    Bremkamp: Nicht angetastet, sagen Sie. Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Harry Voigtsberger moniert, das Ganze, die Laufzeitenverlängerung, vergrätze innovative Investoren. "Jetzt verstopft billiger Atomstrom die Netze."

    Kemfert: Nur in dem Moment, wo auch der Kohlestrom noch da ist. In den nächsten zehn Jahren gehen ja aus Altersgründen hoffentlich die alten Kraftwerke vom Netz, das sind ungefähr die Hälfte. Heute hat man ja knapp 50 Prozent des Stroms, der eben mit Kohle gewonnen wird. Davon könnte die Hälfte dann weggehen. Wenn man diese 25 Prozent dann ersetzt, eben mit den erneuerbaren Energien, gleichzeitig die Infrastruktur ausbaut, sehe ich da keine Vergrätzung von Investoren, im Gegenteil. Ich glaube, die Zeit ist günstig. Und dass die Bundesregierung die erneuerbaren Energien deutlich fördern will, das sieht man ja am Energieprogramm, denn das soll ja deutlich ausgebaut werden.

    Bremkamp: Aber machen Laufzeitverlängerungen volkswirtschaftlich überhaupt Sinn, wenn Alternativanbieter dadurch möglicherweise ins Hintertreffen geraten können?

    Kemfert: Also ich sehe es nicht, dass die Alternativanbieter ins Hintertreffen geraten, weil die Förderung ja weiter läuft und auch die Infrastruktur ausgebaut wird. In dem Moment, wo allerdings die Kohlekraftwerke, die man derzeit in Planung hat, die 26, auch tatsächlich gebaut werden, dann hat man die Netze wiederum voll, dann hat man den Kraftwerkspark so festzementiert, wie er heute ist, auf die nächsten 40 Jahre, und das ist natürlich schon ein Problem. Aber ich denke, die Großkonzerne werden weniger Anreiz haben, in die Kohlekraftwerke zu investieren, oder man muss es dann auch politisch nicht genehmigen, den Zubau von Kohlekraftwerken. Dann ist der Weg frei für den Ausbau der erneuerbaren Energien und da haben natürlich die Kommunen und auch die Stadtwerke, mittelständische Anbieter dann die Nase vorn.

    Bremkamp: Neue Kohlekraftwerke sind in Planung, werden gebaut, sagen Sie. Warum braucht man dann noch Atomkraft?

    Kemfert: Ja, entweder oder. Ich denke nicht, dass man neue Kohlekraftwerke bauen sollte und auch nicht in dem Umfang. 26 sind derzeit in Planung, davon werden einige gebaut. Die Restlichen sollte man dann nicht mehr bauen. Das braucht man nicht mehr und die Genehmigungsverfahren können jetzt eingestellt werden.

    Bremkamp: Aber geht das so einfach?

    Kemfert: In dem Moment, wo die Kernkraft tatsächlich durch ist. Das hat man ja noch nicht entschieden. Das geht nicht so einfach, aber ich denke, die Politik muss hier eine entsprechende Entscheidung treffen: Entweder sie will Kohle oder sie will Kernenergie. Beides macht natürlich keinen Sinn.

    Bremkamp: Das erneuerbare Energien-Gesetz sieht vor, den Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung bis 2020 auf mindestens 30 Prozent zu erhöhen. Glauben Sie, dass es dabei bleiben wird?

    Kemfert: Ja, wenn nicht sogar noch erhöht. Mit dem jetzigen Programm ist ja noch viel mehr geplant, denn die 35 Prozent, die man ja jetzt anvisiert hat, sind durchaus erreichbar. In dem Moment, wo man auch die Vergütungssätze jetzt anpasst und entsprechend die Förderung auch weiterlaufen lässt und die Infrastruktur, sich darum kümmert, dass es ausgebaut wird und die Speichermöglichkeiten auch geschaffen werden, halte ich es für durchaus realistisch. Zusätzlich will man ja auch noch die Offshore-Windparks fördern, mit mehr Förderprogrammen oder expliziten Förderprogrammen, und auch eine Netzumlage einrichten, die eben den Netzausbau auch voranbringt, und dann, denke ich, sind diese 30 Prozent, wenn nicht sogar noch mehr, durchaus realistisch in den nächsten zehn Jahren.

    Bremkamp: Frau Kemfert, ich will gerne noch zu einem anderen Punkt kommen. Brennelementesteuer nur befristet bis 2016, dazu steuerlich absetzbar. Was erleben wir hier gerade, wie die Atombranche eine Bundesregierung vorführt?

    Kemfert: Ja. Ich halte es auch für einen Fehler, die Brennelementesteuer zeitlich zu befristen. Das ist überhaupt gar nicht notwendig, denn die Steuer wird ja nur dann bezahlt, wenn man auch Kernkraft nutzt. Da hätte ich mir gewünscht, dass die Lobbyisten sich da nicht durchgesetzt hätten. Das haben sie an anderer Stelle ja auch nicht. Aber hier wird deutlich, dass man vor der Wirtschaft eingeknickt ist. Und auch bei den Zusatzgewinnen wäre durchaus mehr möglich gewesen. Man hat hier zwar sehr dezidiert gerechnet und auch sich angeschaut, was am Ende da übrig bleibt, aber man braucht eben auch erhebliche finanzielle Beträge, um den Umbau des Energiesystems zu schaffen, die Infrastruktur und auch die Neuinvestitionen, die da zu tätigen sind. Also da hätte ich mir mehr gewünscht, aber die Lobbyisten haben sich da nicht voll und ganz durchgesetzt, denn Großteile dieser Zusatzgewinne werden ja einbehalten.

    Bremkamp: Mehr Geld bräuchte man auch für die Sanierung des Endlagers Asse.

    Kemfert: Ganz genau, und dafür soll ja auch die Brennelementesteuer teilweise zumindest eingesetzt werden. Ich finde das sehr schade, dass man es zur Haushaltssanierung so stark einsetzt, aber ich hoffe einfach, dass sich das im Zeitablauf verschiebt, wenn die Kassen auch wieder etwas in Richtung weniger großes Defizit gehen.

    Bremkamp: Claudia Kemfert war das, Energieexpertin beim DIW in Berlin. Herzlichen Dank für das Gespräch.

    Kemfert: Ich danke Ihnen.

    Weitere Informationen zum Thema:
    "Er hat wirklich keinerlei Durchsetzungskraft mehr"- Interview mit dem rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck, der Umweltminister Norbert Röttgen den Rücktritt nahe legt (DLF, 7.9.20120)
    "Wir brauchen kostengünstige Stromversorgung"- Interview mit Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer zur Verlängerung der AKW-Laufzeiten (DKultur, 7.9.2010)
    Merkel lobt Energiekonzept als "Revolution" - Akuell zum von der Regierung beschlossenen Atomkompromiss, 6.9.2010