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"Ich höre die Bayern nur jammern"

Bayern will vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Länderfinanzausgleich klagen. Das sei populistisch, sagt Sachsen-Anhalts Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD). Es sei eine Frechheit, dass man wegen der eigenen Wahl jetzt Druck macht und für die Stammtische sagt: Jetzt ist Schluss.

Jens Bullerjahn im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Bayern will also vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Länderfinanzausgleich klagen, das beschloss das schwarz-gelbe Kabinett in München. Schwarz-Gelb, das bedeutet in Bayern CSU/FDU. Im Länderfinanzausgleich helfen die vier Geberländer den restlichen Nehmern, sie sollen so mit den zur Erfüllung ihrer jeweiligen Staatsaufgaben notwendigen Mitteln ausgestattet werden. Einige norddeutsche Bundesländer, die von dem Geld aus dem Süden profitieren, werfen dem Freistaat unsolidarisches Verhalten vor, wofür wir gleich eine Stimme aus dem Osten hören.
    Am Telefon ist Jens Bullerjahn (SPD), der Finanzminister des Landes Sachsen-Anhalt. Guten Tag.

    Jens Bullerjahn: Ich grüße Sie, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Bullerjahn, was bedeutete es für Ihr Land, wenn das Verfassungsgericht den bestehenden Ausgleich für verfassungswidrig erklärte?

    Bullerjahn: Das ist ein Betrag von rund 550 bis 650 Millionen Euro, sozusagen ganz praktisches Geld. Aber dahinter steht ja am Ende die Grundsatzfrage: Wie soll das deutsche Finanzsystem dann aufgestellt werden, von der kommunalen Ebene über die Länder zum Bund hin und horizontal und vertikal. Da gibt es ja keinen, der eine in sich schlüssige Lösung im Moment hat.

    Heinemann: Nein, und es gibt Schieflagen und das ist ja genau das, was Horst Seehofer beklagt – zum Beispiel, dass die Nehmerländer fremdfinanzierte Leistungen anbieten können, kostenlose Kindergartenplätze zum Beispiel, die sich die Geberländer gar nicht erlauben können. Was hat das mit Ausgleich zu tun?

    Bullerjahn: Ja das ist aber auch Unfug. Also ich wäre schon mal dankbar, wenn die Bayern auf eine Art und Weise mit uns reden würden, die, ich sage mal, nicht nur Schwarz-Weiß zulässt. Ich wäre froh, wenn Herr Söder bei der Finanzministerkonferenz mal auftauchen würde, den habe ich noch nie gesehen, seitdem er im Amt ist. Ein Land wie Sachsen-Anhalt, was Kindergartenbeiträge einnimmt, hat sich immer dazu bekannt, dass man vernünftig haushalten soll. Wir werden dieses Jahr keine neuen Schulden aufnehmen, wir wollen nächstes Jahr tilgen. Trotzdem soll ich investieren, um aufzuholen. Es ist alles unstimmig und es nervt. Ich meine, es ist so eine Mischung zwischen alle Welt lacht nur noch über die Bayern, auch über die Finanzpolitik, mit der BayernLB und zehn Milliarden sollten Söder und Seehofer nun ein bisschen ruhiger werden. Auf der anderen Seite: Wenn man das Thema aufgreift, was ja richtig ist, dann haben wir uns verabredet, dass nach der nächsten Bundestagswahl vernunftbegabte Wesen an den Tisch kommen und dann mal das grundsätzlich aufgreifen, auch Anreizsysteme, auch das Controlling, was über den Stabilitätsrat hinaus jetzt sowieso schon wirken wird. Und deswegen: Es ist manchmal nur noch nervig.

    Heinemann: Das heißt, im Prinzip bedarf der Länderfinanzausgleich einer Reform?

    Bullerjahn: Das wissen doch aber alle schon. Ich meine, das ist doch nichts Neues, da brauche ich den Söder nicht, da brauche ich auch den Seehofer nicht. Ich meine, ich finde es eine Frechheit, dass man wegen der eigenen Wahl jetzt hier einen Druck aufmacht nach dem Motto, ich lade euch ein, und wenn man nicht springt, was wir übrigens (alle wussten vorher), dann werde ich wegen der Wahl jetzt für die Stammtische sagen, jetzt ist Schluss. Man kann immer damit reden, ob die Länder ordentlich haushalten. Ich lade jeden bayrischen Finanzminister herzlich ein, mal da mitzuwirken, wie ich hier in zehn Jahren vielleicht 17.000 Stellen abbaue in Sachsen-Anhalt - ich weiß nicht, ob das in Bayern schon einer gemacht hat -, Finanzämter schließe, Gefängnisse schließe, um diesen Auflagen vom Stabilitätsrat, den ich mit wollte, auch zu erfüllen. Gleichermaßen soll ich aber investieren, und dann sehe ich mal, wie viele Studierende wir in Sachsen-Anhalt ausbilden, die dann alle nach Bayern geworben werden, weil die unter Bedarf ausbilden, natürlich mit höheren Personalkosten, weil die ganz anders eingruppieren. Das stimmt vorne und hinten nicht und deswegen haben wir Finanzminister, die diese Sachen ernst nehmen und ihren Job auch richtig machen, verabredet, es wird nach der nächsten Wahl eine neue Föderalismuskommission geben. Seehofer weiß auch – das haben die MPs miteinander besprochen -, dass es dazu einen Fahrplan geben soll, wo alle, alle Finanzbeziehungen auf den Tisch kommen – zum Beispiel die unterproportionelle Steuerkraft der Kommunen im Osten mal mehr im Länderfinanzausgleich auszugleichen, aber auch Anreizsysteme zu lassen, dass manche Länder vielleicht noch mehr gefragt werden -, und das kann man nicht nebenbei machen, schon gar nicht vor einer Wahl.

    Heinemann: Also wenn da vorne und hinten so wenig stimmt, was ist dann so schlimm an der Klage?

    Bullerjahn: Ja weil es populistisch ist, und das ist nicht nur, weil ich jetzt das auch so sein will. Wissen Sie, ich bin jetzt hier sechseinhalb Jahre Finanzminister, ich bin bald Dienstältester. Ich höre die Bayern nur jammern, die ja auch mithilfe anderer Länder so stark geworden sind.

    Heinemann: Aber sie haben was daraus gemacht!

    Bullerjahn: Ich glaube, Sachsen-Anhalt macht auch was daraus. – Man erweckt hier den Eindruck, dass die einzigen Verrückten sozusagen die Nehmerländer sind und die anderen machen alles richtig. Wie die da hingekommen sind und wie man vielleicht miteinander auch umgehen kann, dass alle mitgenommen werden, darüber reden wir im kleinsten Kreis. Da sagt Ihnen übrigens jeder aus Bayern, ich verstehe das, aber Sie müssen mich verstehen, jetzt geht es ein bisschen sozusagen für die Balustrade. Es ist doch klar: Das Gesetz muss geändert werden. Das haben wir heute übrigens schon vom Verfassungsgericht aufgegeben bekommen, dass wir den Länderfinanzausgleich mit klären. Dazu gehört aber auch die Frage, wie zum Beispiel im Osten, was passiert mit der wegfallenden EU-Förderung. Wie passiert denn das mit der demografischen Auswirkung? Bei mir werden mal statt drei Millionen zwei Millionen in Sachsen-Anhalt wohnen, das fragt kein Mensch. Noch dazu, weil Bayern sich überhaupt nicht schämt, ganz viele Ostdeutsche aggressiv abzuwerben, die wir hier gerade ausgebildet haben, übrigens auch mit Mitteln des Länderfinanzausgleichs. Und diese Offenheit, zum Beispiel mal zu überlegen, ja wenn dann die ganzen Studierenden nach Bayern gehen, ob die Bayern dafür einen Ausgleich mal zahlen, dies kriegt man in so einer Schwarz-Weiß-Diskussion gar nicht hin.

    Heinemann: Unterm Strich, Herr Bullerjahn, ist der Länderfinanzausgleich zurzeit zu wenig Hilfe zur Selbsthilfe und zu viel Mittel für eine anstrengungslose Finanzplanung von Finanzministern?

    Bullerjahn: Nein! Nur weil da aus Bayern suggeriert wird, dieser Satz muss ja nicht stimmen. Ich bin dafür, dass wir in einem föderalen System auch sozusagen das belohnen, was andere aus eigener Kraft machen. Ich bin aber dagegen, dass wir jetzt hier aus populistischem Grund heraus – gerade sind Namen genannt worden, die es ja immer wieder machen – am Ende auch ein Deutschland produzieren, was solche großen Unterschiede aufweist, dass das, glaube ich, nicht unser Ziel sein kann.

    Heinemann: Entsteht durch den warmen Geldregen nicht eine Subventionsmentalität?

    Bullerjahn: Ach wo! Wissen Sie, ich weiß nicht, wie gut Sie den Osten kennen. Ich habe hier permanent jedes Jahr seit Jahren damit zu kämpfen, dass rund 200, 250 Millionen nicht mehr im Haushalt sind. Wir haben Anpassungsprozesse, die anscheinend im Westen völlig verkannt werden. Ich würde mir wünschen, wenn die Kollegen aus Bayern aus ihrem Olymp mal runter kämen und sich mal ein paar Tage hier mit hinsetzen, wie es zum Beispiel Hannelore Kraft mal gemacht hat. Dann würde manches sich wahrscheinlich auch relativieren.

    Heinemann: Vielleicht hören die das in Bayern, wir sind ja Bundessender. – Jens Bullerjahn (SPD), der Finanzminister von Sachsen-Anhalt. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Bullerjahn: Bitte schön. Tschüss!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.