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"Ich klage nur, um Europa zu retten"

Der Volkswirtschaftler Joachim Starbatty hat schon gegen die Einführung des Euro geklagt. Jetzt hat er die deutschen Gelder für Griechenland im Visier, weil er den "Marsch in den Schuldenstaat" stoppen will.

Joachim Starbatty im Gespräch mit Anne Raith |
    Anne Raith: Wenig stand in Brüssel und in vielen europäischen Hauptstädten in den vergangenen Tagen so im Fokus, wie die neue Tranche der Hilfsgelder für Griechenland. Zunächst blickte man bang nach Athen, wo das Parlament über das Milliarden-Sparpaket abstimmte, Voraussetzung für die Auszahlung der Gelder, zu der sich die Finanzminister der Euro-Zone dann am Wochenende bereitfanden. Ab heute wandern die bangen Blicke in Brüssel und vielen anderen europäischen Hauptstädten dann nach Karlsruhe, wo über zwei Klagen gegen eben jene Hilfen und den Euro-Rettungsschirm verhandelt werden.
    Am Telefon ist jetzt Joachim Starbatty, er ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Tübingen. Er hat gemeinsam mit weiteren Professoren schon 1998 gegen die Einführung des Euro geklagt und gemeinsam haben sie nun Klage eingereicht gegen den Euro-Rettungsschirm und die Hilfen für Griechenland. Einen schönen guten Morgen nach Karlsruhe!

    Joachim Starbatty: Ja guten Morgen, Frau Raith.

    Raith: Herr Starbatty, Sie haben – ich habe es eben gesagt - '98 gegen die Einführung des Euro geklagt, 2008 gegen den Vertrag von Lissabon, nun also gegen den Rettungsschirm und die Hilfen. Klagen Sie eigentlich aus Prinzip gegen alles, was den Euro betrifft?

    Starbatty: Nein. Ich klage nur, um Europa zu retten. Wir haben 1998 geklagt, weil die Verträge nicht erfüllt waren, die Konvergenzkriterien waren verletzt, und wir haben gesagt, wenn das die Eintrittskriterien für die Währungsunion sind und wenn diese Eintrittskriterien noch nicht einmal im Anfang erfüllt sind, dann kann man nicht erwarten, dass sie später erfüllt werden, und genau das ist ja eingetroffen. Und beim Lissabon-Vertrag haben wir klären lassen, was ist noch nationale Souveränität und was ist Supranationalität. Das war ein ganz wichtiges Urteil und das Bundesverfassungsgericht hat hier gute Klarheiten geschaffen. Und jetzt klagen wir, weil wir den Marsch in den Schuldenstaat befürchten und das Gericht anrufen, damit es Leitplanken setzt, damit dieser Marsch gestoppt werden kann.

    Raith: Das Beispiel Euro-Einführung – den Euro gibt es ja nun heute – hat gezeigt, er war damals mit dem Grundgesetz vereinbar, es handelt sich um eine politische Entscheidung. Das war damals der Tenor von Karlsruhe. Warum glauben Sie, könnte Ihre Klage diesmal Erfolg haben?

    Starbatty: Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, der Euro kann eingeführt werden, weil es eine Stabilitätsgemeinschaft wird, und die Möglichkeiten, dass es nicht erreicht wird, kann man nicht belegen, deswegen machen wir es. Und jetzt haben wir die Situation, wo wir sehen, dass aus der Stabilitätsgemeinschaft eine Transfergemeinschaft wird, und das kann kein Staat schaffen, wenn wir nachher für 17 Staaten oder nachher auch für 27 Staaten Mitverantwortung tragen. Hier muss das Gericht ganz klar sagen, was geht und was nicht geht, und die No-Bail-out-Klausel ist ja die Voraussetzung für eine Stabilität, und das war auch der Grund, weswegen das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, der Euro und die Einführung des Euro ist mit dem Grundgesetz vereinbar, aber immer nur unter dieser Klausel der No-Bail-out, das heißt, kein Staat darf aus seinen Schwierigkeiten herausgehauen werden, wenn er selber an diesen Schwierigkeiten Schuld ist.

    Raith: Aber die Regierungen halten ja dagegen, wir helfen alle freiwillig.

    Starbatty: Ja. Wenn der Finanzminister mit seinem eigenen Geld haften würde, dann hätte ich nichts dagegen. Aber das Haften bedeutet ja, dass er mit dem Steuergeld haftet, und da kann er nicht sagen "freiwillig". Er macht es freiwillig, aber die Bürger machen es freiwillig, die ihr Geld dafür hergeben müssen? Also so einfach kann man sich aus dieser textlichen und rechtlichen Angelegenheit nicht herauswinden. Das ist einfach nicht seriös.

    Raith: So einfach wird sich möglicherweise aber Karlsruhe herausstehlen müssen. Es handelt sich ja um Europarecht. Ist Karlsruhe da überhaupt die richtige Adresse, wenn Sie sich auf die No-Bail-out-Klausel beziehen?

    Starbatty: Die No-Bail-out-Klausel ist die Voraussetzung für die Stabilitätsgemeinschaft und die Voraussetzung dafür, dass der Euro eingeführt wurde. Insofern ist auch das Grundgesetz betroffen und insofern ist das deutsche Bundesverfassungsgericht auch die richtige Adresse. Ob das jetzt nach Luxemburg weiterwandert, das können wir nicht sehen, aber auf jeden Fall ist es so, das sage ich immer noch einmal: die No-Bail-out-Klausel, das heißt, wir dürfen niemals andere heraushauen aus ihren Schwierigkeiten, wenn sie selbst dort hineingekommen sind, das ist die Grundlage für die Stabilitätsgemeinschaft und deswegen gehört das auch vor ein deutsches Gericht.

    Raith: Die No-Bail-out-Klausel ist ein Argument, auf das Sie sich stützen. Ein anderes ist die Verletzung des Wahlrechts. Inwiefern sehen Sie das verletzt bei den Griechenland-Hilfen?

    Starbatty: Der Wähler wählt seine Abgeordneten, die für ihn tätig werden, und wenn dann Gesetze kommen wie das letzte, wo gesagt wird, also wenn du nicht zustimmst, dann bricht Europa zusammen, das ist alles alternativlos, das ist ja keine wahre Entscheidung mehr. Dann hat ja jeder Abgeordnete, wie das eben auch in Ihrer Anmoderation anklang, eine Pistole im Rücken. Und wenn jetzt der Rechnungsschirm kommt, dann geht es so, dass ein Einmalbetrag sozusagen bewilligt wird, und dann entscheiden Experten über die Schuldenentwicklung in Deutschland. Das darf doch nicht sein, dass ein solch nationales Recht, das wir uns als Bürger von den absolutistischen Herrschern erkämpft haben, jetzt einfach so aus der Hand gegeben wird. Da muss doch das Gericht drübergucken und sagen, was da geht und was da nicht geht.

    Raith: Aber – Sie haben es angesprochen – das Parlament hat ja gesagt, und in der Anmoderation, die Sie ansprachen, hieß es auch, ein Recht auf eine bestimmte Entscheidung gibt es natürlich nicht. Wenn der Bundestag entscheidet, müssen wir das doch letztlich mittragen.

    Starbatty: Ja! Es ist jetzt so, dass der Rettungsschirm da ist, und dann, dass der Bundestag nicht mehr über die einzelnen Tranchen entscheiden darf, die aus diesem Rettungsschirm kommen, und das muss genau geprüft werden, ob da ein Automatismus in Gang gesetzt wird, der nicht mehr vom Parlament kontrolliert werden kann. Darum geht es.

    Raith: Wäre das denn für Sie schon ein ausreichender Erfolg, wenn es am Ende aus Karlsruhe heißt, bei künftigen Auszahlungen muss jedes Mal der Bundestag wieder neu ja sagen?

    Starbatty: Das ist etwas, was besser ist als das, was wir jetzt zurzeit haben.

    Raith: Und wenn der Bundestag dann jedes Mal wieder zustimmt, geben Sie sich damit dann zufrieden?

    Starbatty: Wir werden dafür sorgen, dass auch der Bundestag dann in die Richtung geht, die vermeidet, dass wir einen Schuldenberg aufbauen und dass wir im Schuldensumpf versinken. Dafür werden wir uns immer einsetzen, und zwar im Sinne der Bürger.

    Raith: Der Augsburger Staatsrechtler Matthias Rossi hält dagegen und sagt klipp und klar, das ist nicht praktikabel, was Sie fordern, weil das ja in erster Linie die Bundesregierung einschätzen muss, und die muss sich ja wiederum mit allen Mitgliedsstaaten und mit der EU-Kommission abstimmen.

    Starbatty: Ja, dann entscheiden letztlich Experten. Und ich muss ganz ehrlich sagen, ich lehne es ab, dass irgendwelche Experten aus der Troika, also aus Brüssel, aus Washington, oder auch jetzt aus Frankfurt bei der EZB, über unser Schicksal entscheiden. Das muss immer in der Hand des Parlamentes bleiben.

    Raith: Zufrieden wären Sie teilweise, wenn das Parlament immer wieder mitentschied. Was wäre denn Ihr Idealziel? Welches Signal könnte von Karlsruhe ausgehen?

    Starbatty: Das ideale wäre, wenn Griechenland das tut, was ökonomisch und politisch vernünftig ist, aus der Währungsunion auszutreten, abzuwerten, sich zu erholen und wieder als vollwertiges Mitglied in die Währungsgemeinschaft einzutreten. Was jetzt hier abläuft, dass ein Parlament in Griechenland gegen die Mehrheit des Volkes entscheidet, das kann auf Dauer nicht durchgehen. Das ist einfach auch nicht europäisch. Europäisch ist Solidarität der Völker miteinander, aber was wir zurzeit erleben ist, dass wir ein strauchelndes Griechenland noch stärker schubsen, bis es endgültig fällt, denn die Hilfen, die an Griechenland gehen, gehen ja nicht an die griechischen Bürger, sondern damit wird Griechenland in Stand gesetzt, seine Schulden gegenüber seinen Gläubigerbanken zu bezahlen. Es geht also letztlich um die Rettung des europäischen Bankensystems. Das müsste doch endlich mal auch von Politikern erkannt werden und klar formuliert werden.

    Raith: ... , kritisiert der Ökonom Joachim Starbatty. Er ist einer derjenigen, die beim Bundesverfassungsgericht Klage gegen den Euro-Rettungsschirm und das erste Hilfspaket für Griechenland eingereicht haben. Ab heute wird verhandelt. – Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Starbatty: Ja, ich danke auch sehr!

    DLF-Hintergrund: Karlsruhe verhandelt über deutsche Hilfspakete für Griechenland