Der von Olaf Irlenkäuser herausgegebene, schön gemachte Band - nüt Modiglianis berühmtem Porträt der jungen Achmatowa auf dem Umschlag bringt nun hundert dieser Gedichte in neuer zum Teil erstmaliger Übersetzung, wobei der Schwerpunkt auf dem Frühwerk liegt. Die Auswahl ist als Ergänzung zu den in deutsch vorliegenden Sammlungen sehr zu begrüßen, denn natürlich wollen wir das Gesamtwerk dieser großen Dichterin kennenlernen, auch wenn ein paar der frühen Texte in ihrer leicht manirierten Erotik - mit Bildern wie "Hermelinmantel" oder "weißen Pfauen" - uns heute seltsam fremd und fern erscheinen.
Die meist lakonisch knappen Gedichte und Balladen erzählen in äußerst verdichteter Form - oft enthalten sie den Stoff ganzer Romane - vom überwältigenden Schmerz der Liebe, von Eifersucht, Trennung und Tod. Häufig sind es Rollengedichte, Minidramen, in denen sich das lyrische Ich hinter verschiedenen Masken - Königin, Dienerin, Dichterin - verbirgt.
Achmatowas Verse zeichnen sich aus durch übergenau beobachtete, konkret sinnliche Details: das auf beiden Seiten schon heiße Kissen der Schlaflosen, der Handschuh der linken, der versehentlich auf die rechte Hand gezogen wird, der auf dem Ehering ruhende, trübe Blick des Geliebten. In prägnant erfaßten Dingen oder Gesten sind die überbordenden Gefühle der Liebenden im poetischen Wort aufgehoben.
Das Spezifische und Eigenartige, das Achmatowas Lyrik so unverwechselbar macht, ist ihre syntaktisch völlig natürliche, gesprochene Umgangssprache, die gleichwohl in eine strenge metrische Form mit markanten Reimen gebannt ist. Und genau hier nun liegt auch das große Problem: ihre Gedichte sind in weiten Teilen unübertragbar. Entweder man erhält die selbstverständliche und doch auf geheimnisvolle Weise klingende Leichtigkeit der Alltagssprache, muß dann aber auf den Reim verzichten, wie es etwa Sarah und Rainer Kirsch in vielen ihrer Nachdichtungen getan haben, wodurch aber etwas sehr Wesentliches vom klassischen Klang der Achmatowschen Lyrik verlorengeht. Oder - und diesen Weg geht der junge Lyriker und Übersetzer Alexander Nitzberg - man versucht das fast Unmögliche: eben nicht nur die Klarheit und Einfachheit der Syntax, sondern auch Metrum und Reim zu bewahren.
Manchmal bezahlt er das mit allzu großer Ferne vom Original, mit weit hergehalten, künstlichen Reimwörtern. Das von ihm als wesentlich Erkannte jedoch - der ruhige Fluß der Sätze - wird meist im Deutschen nachvollziehbar. Etwa in der aus nur sieben Doppelzeilen bestehenden, eine dramatische Dreiecksgeschichte von Eifersucht und Tod enthaltenden Ballade vom "serogl@ korol", vom "grauäugigen König", der hier allerdings aus metrischen Gründen zum "König mit samtigem Blick" wird. Manchmal gelingen Alexander Nitzberg wunderbare, überzeugende Lösungen, wie in dem Gedicht von 1917:
Wir müssen den Abschied üben./Schlendern zu zweit herum./ Es dämmert./Wir gehn im Trüben./Du grübelst./ Ich bleibe stumm.