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"Ich lebe wirklich den Traum"

Der Schauspieler Hinnerk Schönemann spielte unter anderem in "Das Leben der Anderen" mit und arbeitete mit Steven Spielberg zusammen. Vor einigen Jahren ist er nach Mecklenburg-Vorpommern in ein kleines Dorf gezogen. Die Stadt vermisst er dort überhaupt nicht.

Das Gespräch führte Hartwig Tegeler | 15.04.2013
    Hartwig Tegeler: Hinnerk Schönemann, wir gehen jetzt zu auf ein altes ´gebäuerliches´ Gebäude ...

    Hinnerk Schönemann: ´Gebäuerliches´ Gebäude, das klingt gut, ja.

    Tegeler: Wir fangen noch mal an.

    Schönemann: Nee, wieso, das ist doch gut. Das lassen wir so. Wir gehen auf ein altes ´gebäuerliches´ Gebäude zu. Das ist ein ehemaliger Schweinestall.

    Tegeler: Ein ehemaliger Schweinestall? Und was macht der Schauspieler Hinnerk Schönemann?

    Schönemann: Ja, das sind meine Gänse, die gerade versuchen zu sagen, dass wir hier weggehen sollen.

    Tegeler: Was macht ein Schauspieler in einem ehemaligen Schweinestall, der jetzt aber in der Renovierungsphase immer noch ist? Und wahrscheinlich auch noch ganz lange sein wird?

    Schönemann: Ja, sieht so aus wie ganz lange, aber ich vermute mal - ich sage das immer so: noch zwei, drei Jahre -, aber wir haben ein bisschen angefangen und haben aber ach zwei, drei Jahre Stop gehabt, weil wir das Glück hatten, sage ich mal, uns ein bisschen Land zu kaufen und ein bisschen Wald zu kaufen. Und so weiter. Und da ist erst mal das Geld rein geflossen. Und jetzt bin ich ja Papa. Und jetzt wollen wir uns beeilen, dass wir das größere Haus bald fertig kriegen. Spätestens 2015 werden wir hier Weihnachten drin feiern. So ist der Plan.

    Tegeler: Kommt das Geld aus der Schauspielerei?

    Schönemann: Ja, klar. Oder was? Hier für den Hausbau. Ja, klar. Logisch. Ich verdiene ja nicht anderes Geld. Nur ein bisschen. Mit Bauer.

    Tegeler: Was machen Sie konkret in der Landwirtschaft hier, wenn sie nicht vor der Kamera stehen?

    Schönemann: Im Winter mache ich Holz. Weil, wir heizen nur mit Holz. Und im Sommer mache ich Heu. Ich bin Heubauer. Im Nebenerwerb. So sagt man das.

    Tegeler: Und das Heu ist für den Verkauf oder für die Pferde, die fünf, die Sie haben?

    Schönemann: Also, wir verbrauche ein paar Ballen für die eigenen Pferde und die anderen können verkauft werden, ja.

    Tegeler: Hinnerk Schönemann, es ist ja nicht so selbstverständlich, wenn man mit einem Schauspieler spricht, der in den letzten Jahren ziemlich viel im Kino und im Fernsehen präsent war, mit ihm auf dem platten Dorf in Mecklenburg-Vorpommern in der Nähe von Plau am See durch ein Gebäude zu laufen, und dann fragt man sich immer, der Mann hat bei Steven Spielberg, worauf wir zurückkommen werden, gearbeitet. Was macht der hier auf dem Land. Was hat der hier verloren?

    Schönemann: Ich habe hier alles gefunden. Verloren habe ich hier gar nichts. Aber ich habe hier alles gefunden. Also, ich bin zwar in Rostock geboren, aber wir sind, also meine Mutter hat hier in diesem Dorf ganz früh schon ein Haus sich gekauft. Und mein Onkel hat dieses Dorf hier ganz früh gefunden. Deswegen sind wir alle mehr oder weniger hier.

    Tegeler: Diese Schauspielerei, die Sie dann ja von der Pike auf gelernt haben ... Oh, was sehen wir hier? Das sieht ganz neu aus. Ein Schneeschieber?

    Schönemann: Ja, also, wenn das hier ganz doll schneit, dann mache ich das an meinen Trecker ran, dieses Schneeschiebeschild. Und dann schiebe ich mal schnell das Dorf frei.

    Tegeler: Man stellt sich vielleicht etwas naiv als Nicht-Schaupieler vor, wenn man in Filmen spielt, wenn man im Fernsehen spielt, muss man in der Metropole wohnen, man muss gesehen werden, um dann Rollen zu kriegen. Ganz offensichtlich ist es so, dass das nicht Ihr Lebensmodell ist als Schauspieler.

    Schönemann: Nicht mehr. Ich hatte das auch lange probiert. Also bis 2007 hatte ich sogar noch eine Wohnung, bis 2006, in Berlin und dachte, es müsse auch so sein. Man braucht einen Kontakt zur Stadt. Aber ich habe mich nicht wohlgefühlt. Und habe dann ganz vehement beschlossen, raus auf das Land, genau, was mir mein Geist, mein Körper mir vorgibt. Und das habe ich dann gemacht. Bin einfach ganz brutal hier hergezogen und habe alles hinter mir gelassen.

    Tegeler: Haben Sie nie was vermisst?

    Schönemann: Nein, nie. Ganz im Gegenteil. Ich habe nie was vermisst, es war zum Teil sogar Horror. Ich kann das nicht. Es sind so viele Menschen, so viele Autos in der Stadt. Ich vermisse es überhaupt nicht. Jetzt kommt Wind.

    Tegeler: Ja, das ist gut. Kleiner Panoramablick.

    Schönemann: Ja, wir gehen auf meine Werkstatt zu. Auf den Männerbereich. Dort, wo Männer sich wohlfühlen. Wo ...

    Tegeler: Oh, Hinnerk Schönemann, Sie haben einen John Dere.

    Schönemann: Wollen wir jetzt Werbung dafür machen? Ja, ich habe einen Johne Dere.

    Tegeler: Nein, das ist, nein, John Dere, das ist keine Werbung. Es gibt einen Film ...

    Schönemann: Ich weiß, welchen Sie meinen. Wo er auf dem Rasentrecker fährt.

    Tegeler: Das ist einer der grandiosesten alten Stuntmänner Hollywoods.

    Schönemann: Das steht sogar der kleine John Dere dafür. Der kleine Trecker da. Ja, es war ein Zufall, das ich den haben wollte. Ja, ich mochte zwar schon immer die Farben gelb und grün ...

    Tegeler: Herrlich!

    Schönemann:... und dass der das jetzt geworden ist. Das ist wirklich ein Jungens-Traum. Da musste ich auch, da habe ich auch lange für gespart.

    Tegeler: Und der sieht verdammt neu aus.

    Schönemann: Der ist zwei Jahre alt.

    Tegeler: Unglaublich.

    Schönemann: Er muss jetzt aber auch 20, 30, 40 Jahre arbeiten.

    Tegeler: Jungen-Traum. Ist das alles hier auch ein Jungen-Traum?

    Schönemann: Absolut. Ich lebe wirklich den Traum. Ich lebe ihn genauso.

    Tegeler: Irgendwann, Ende der 90er-Jahre wahrscheinlich, kam ein Schweizer in ihr Leben. Markus Imboden. Und ich glaube, der hat in Ihnen gesehen den lakonischen, wortwitzigen Norddeutschen. Der einfach nicht viel Worte macht gesehen.

    Schönemann: Jetzt kriegt man eine falsche Sicht, weil ich hier jetzt plappere wie ein Wasserfall, aber im Grunde bin ich sehr still. Aber das mit Markus Imboden, dass wir uns getroffen haben, das ist wirklich wie ein Sechser im Lotto.

    Tegeler: Also, wenn ich Sie mir vorstelle in diesen Filmen von Markus Imboden, dann sehe ich vor meinem inneren Auge Hinnerk Schönemann, der mit einer leicht vorgebeugten Haltung immer so ein bisschen stur nach vorne guckend irgendwie über den Deich geht oder am Deich lang geht oder sich in ein Auto steht, Tür zuknallt und los heizt. Aber immer stur nach vorne.

    Schönemann: Ja?

    Tegeler: Stur! Ohne viel Worte.

    Schönemann: Ja. Vielleicht. Ja.

    Tegeler: Oh, ja, hier ist es wärmer. Der Mann ist ordentlich.

    Schönemann: Ja, ja, in der Werkstatt zumindest. Ja, hier ist meine Werkstatt. Hier ist mein Ofen. Ja, man hier von der Garage aus, von meiner Werkbank aus, wo ich dann praktisch jetzt im Winter, wo ich denn die Sägen schärfen muss, kann ich rausgucken über den gesamten Hof und habe alles im Blick.

    Tegeler: Hat Spielberg selber angerufen?

    Schönemann: Nee, die Casting-Frau.

    Tegeler: Wir stehen hier in Mecklenburg-Vorpommern in Plau am See in einem kleinen Dorf. Und da ist es eine irre Vorstellung, dass dieser Mann - Hinnerk Schönemann - auf einmal bei Steven Spielberg in einem Film eine Nebenrolle hat, aber die doch schon ein bisschen Kinozeit eingenommen hat.

    Schönemann: Joh! Und um das noch ein bisschen zu toppen. Wenn man noch zwei Jahre zurückgeht, wo mich dieselbe Casting-Frau anrief, da war ich mitten auf dem See. Und da rief ich die Casting-Frau an und sagte, ja, du sollst bei dem neuen Quentin-Tarantino-Film mitmachen. Ich so, mmh, mitten auf dem See. Na ja, das hat sich ja dann zerschlagen, also, das hat nicht funktioniert ...

    Tegeler: Inglorious Basterds war der Anlass gewesen.

    Schönemann: Genau. Aus mehreren Gründen hat das nicht geklappt. So, jetzt zwei Jahre später habe ich die neue Form bekommen mit Steven Spielberg. Ja, und die habe ich genutzt. Und zwar richtig. So, und jetzt zeige ich Ihnen mal, was ich den ganzen Winter über mache. Weil im Winter hat man eben nicht so viel zu tun draußen. Heu ist nicht zu machen. Und so mache ich Holz.

    Tegeler: Wir stehen hier quasi vor einem offenen Schuppen und habe ungefähr eine Strecke von zwölf Metern, wo wir nur Holz haben. Und das haben Sie alles gesägt.

    Schönemann: Ja, aber das geht noch viel weiter. Das ist ja hier nur der kleine Teil. Das macht so einen Spaß, in den Wald zu gehen. Bäume zu fällen, zu sägen, zu spalten.

    Tegeler: Also, Sie brauchen nicht ins Fitnessstudio, um sich quasi für eine Filmrolle die Kraft drauf zu schaffen?

    Schönemann: Doch, das muss ich zusätzlich noch machen. Damit ich die Energie los werde.

    Tegeler: Wie? "Die Energie los werde ..."?

    Schönemann: Na ja, die Energie los werde. Mein Körper vibriert immer so doll, der muss immer arbeiten. Der hat immer Energie drin. Und die muss er irgendwie los werden. Das habe ich aber schon immer. Alles, was anstrengend ist, das braucht mein Körper, um matt zu werden, damit ich so meine Mitte habe, so.

    Tegeler: Aber das hat Markus Imboden in Ihnen auch gesehen, weil diese Figuren, entweder der Polizist in beispielsweise in "Mörder auf Amrum" oder dann "Tod einer Brieftaube", der Privatdetektiv Finn, der ist auch immer ein bisschen so, als ob er gleich explodieren würde.

    Schönemann: Ja, das kann schon sein, das hat eher was mit der Rolle zu tun, weniger mit der Energie an sich. Vielleicht auch. Also, ich sag mal so, ich kann morgens kommen zum Set und bin abends noch genauso fit. Das ist irgendwie eine Gabe, die mir die Natur mitgegeben hat. Einfach fast immer grenzenlos Energie.

    Tegeler: Jetzt gucken wir wieder über die Weite, da hinten ist der Wald, aber vorher kommt ein Zaun. Also, da kam dann Steven Spielberg für den Film "Gefährten". Spielberg und der kleine Bauernhof in Plau am See. Heftiger kann man sich einen Cultural Clash kaum vorstellen? Oder?

    Schönemann: Ja, das ist wirklich irre, wenn man losfliegt und denkt, wo kommt man jetzt eigentlich her. Gerade ist man zwei Stunden bis zum Flughafen gefahren.

    Tegeler: In London wurde das gedreht?

    Schönemann: Ja, fliegt rüber nach London zum Beispiel und ist dann da. Und das ist natürlich eine ganz andere Welt auf einmal, wo man in einem Hollywoodfilm mal mitspielt. Und dann fährt man wieder zurück in das kleine Dorf und so. Das ist schon, also, man geht da schon sehr dankbar mit um. Also, das ist schon, man merkt schon selber, wie absurd das ist. Aber man freut sich natürlich.

    Tegeler: Absurd?

    Schönemann: Ja, ist schon absurd. Ja, wer kann schon mal in einem Steven-Spielberg-Film mitmachen. Das ist doch absurd.

    Tegeler: Wo sind wir hier jetzt?

    Schönemann: Wir sind im Pferdestall. Also, man muss dazu sagen, wir stehen gerade in der Garage, die bei "Mörder auf Amrum" eine Szene hatte. Da war eine kleine Szene drin. Und das ist diese Original-Garage. Das war früher mal meine Werkstatt. Jetzt ist es der Pferdestall.

    Tegeler: Sie haben mal gesagt, Sie würden gerne einen Film hier in dieser Region in ihrem quasi, natürlich nicht in ihrem Wohnzimmer drehen. Aber in dieser Region.

    Schönemann: Ja, ich meine, ich wohne jetzt hier, näh, und ich würde auch gerne den Leuten, mit denen ich hier zusammenwohne, auch gerne zeigen, dass ich auch gerne bei euch arbeiten möchte. Nicht immer nur Köln, Berlin oder Hamburg oder so was. Aber vielleicht stehen wir ja kurz davor, das zu verwirklichen. [Baby kräht.] Was ist los, Digger, willst du auch was sagen? Komm, dann mach einen ganzen Satz, nicht einfach nur rumflennen hier.

    Tegeler: Hinnerk Schönemann, jetzt sitzen wir im Warmen. Hier haben wir also das Haus, wie Sie vorläufig untergekommen sind mit Ihrer Familie, neben dem Haus, was dann das große Haus werden wird. Heimat, Land: Sind Sie hier angekommen? Kann man irgendwann ankommen?

    Schönemann: Doch, doch, ganz klar gesagt, das ist meine Heimat. Noch weiter aus dem Fenster gelehnt sage ich, hier möchte ich sterben. Hier bin ich angekommen.

    Tegeler: Wenn man hier das Leben zu Hause nimmt und dann das Schauspielen nimmt, gibt es ja immer einen Wechsel zwischen zu Hause und weit, weit in der Welt. Ein interessanter Rhythmus für das Leben? Oder?

    Schönemann: Absolut, ganz toll. Ich glaube, so oder so würde ich das hier schätzen, aber dadurch, dass man ab und zu auch mal woanders arbeitet und so weiter und andere Sachen sieht, freut man sich dermaßen immer so, wieder nach Hause zu kommen und weiß, hier ist man zu Hause, hier kommt man an, hier hat man seine Ruhe. Das ist toll!