Dass man Zwiesprache mit seiner Seele hält, ist keine Frage des Alters. Drängen sich allerdings bei solchen Gesprächen Themen wie Vergänglichkeit, Vergessen, Hinfälligkeit und Tod scheinbar wie von selber in den Vordergrund, dann ist das durchaus ein Zeichen dafür, dass sich die Zeiger der Lebensuhr neigen, und Freund Hein nicht mehr in weiter Ferne, sondern aus nächster Nähe winkt. Von den Tücken des Alters weiß auch der 1929 geborene Günter Kunert ein Lied zu singen, und stattet mit diesen Erfahrungen die zentrale Figur seines neuen Buches "Der alte Mann spricht mit seiner Seele" aus. Dem namenlos bleibenden Alten, der sich der eigenen Seele zuwendet, bleibt keine andere Möglichkeit - er muss mit ihr vorlieb nehmen, und mit ihr reden, da kaum andere Dialogpartner geblieben sind.
" Diesen Titel habe ich entnommen einem hochinteressanten Buch [...] Gott und die Götter - ist vor vierzig Jahren erschienen, von einem Religionswissenschaftler - über Gläubigkeit und Religion von den Pharaonen bis zu uns. Und es beginnt auch mit den Inschriften der Pyramiden und auf einer dieser Inschriften steht: Der alte Mann spricht mit seiner Seele. Und als ich das gelesen habe, habe ich gedacht: Das ist der Titel: Der alte Mann spricht mit seiner Seele. Es passt wunderbar."
In gedichtähnlichen Texten lässt Kunert einen alten Mann zu Wort kommen, der keine andere Wahl hat, als das Älterwerden zu akzeptieren.
" Ich nenne es für mich Pseudogedichte. Es sind keine echten Gedichte - sie sehen so aus. Und jedes dieser Gebilde beginnt mit der Zeile: "Der alte Mann." Die meisten sind ironisch, melancholisch und auch etwas bitter. Es heißt ja, der alte Mann spricht mit seiner Seele und es sind Selbstreflexionen eines alten Mannes, der mit sich eigentlich gar nicht mehr klar kommt und mit der Welt erst recht nicht. "
Angesichts eines beschwerlicher werdenden Lebens wendet der alte Mann häufiger den Blick zurück und findet im Vergangenen jene verlässlichen Koordinaten, die er im Gegenwärtigen zunehmend vermisst. Er beklagt Verluste und bemerkt die Häufung von befremdlich stimmenden Signalen, die vom Alltag und vom eigenen Körper ausgesendet werden. Doch solchen Anzeichen von Vergänglichkeit begegnet Kunerts alter Mann entweder mit einem gewissen Gleichmut oder mit Trotz.
" Der alte Mann, der über sich selber reflektiert, nimmt sich unbewusst selber auf die Schippe. Es sind Selbstbetrachtungen, die eigentlich komisch und zugleich trostlos sind. [ ... ] Dieses sich in der Welt nicht mehr heimisch fühlen, ausgeliefert sein. Einer dieser Texte [ ... ] ist die Verwunderung des alten Mannes, warum seine Zehen- und Fingernägel so schnell wachsen und warum nicht die Haare. Er hat keine Haare mehr, er hätte ja lieber einen großen Haarschopf wie zum Beispiel Beethoven, aber wenn er den hätte, wäre er ja taub - na dann ist es doch besser, die Nägel wachsen, als taub zu sein. Das ist es in etwa, ein bisschen gaghaft und kurz erklärt."
Kunerts alter Mann, oder der alte Mann Kunert verfügt über genügend Humor und reichlich Lebenserfahrung, um bei den Lektionen, die ihm das Älterwerden erteilt, nicht zu verzweifeln. In seinen skurrilen, durchaus philosophisch intendierten Selbstreflexionen steht er in der Tradition des Brechtschen Herrn Keuner. Wie dieser neigt auch Kunerts alter Mann gelegentlich zu einfachen, allerdings paradox anmutenden Lösungen. Doch anders als Herr K. gibt Kunerts alter Mann seltener Rätsel auf. Er spricht vorbehaltlos über sich und wird so zu einem Vertrauten.
" Der alte Mann hat natürlich vergessen, wo er gestern gewesen ist, aber er kann sich genau erinnern, was vor dreißig oder vierzig Jahren war - das bleibt haften und taucht auch in diesen Texten hier und da auf. Und die Vergesslichkeit, die auch in diesen Texten bis an die Grenze der Demenz geht, spielt eine Rolle. Und dieser alte Mann, natürlich - es kann gar nicht anders sein -, spricht mit der Stimme des Dichters, der hier auch gewisse Selbsterfahrungen einbringt. Ich bin ja auch kein Jüngling mehr [ ... ] und mache mit mir eben auch Erfahrungen, die nicht immer besonders erfreulich sind und versuche, die aber auf ironisch Weise - mehr oder minder heiter - und melancholisch zu formulieren."
Günter Kunert: Der alte Mann spricht mit seiner Seele.
Wallstein Verlag. Göttingen 2006, 105 Seiten mit 13 Zeichnungen des Autors.
" Diesen Titel habe ich entnommen einem hochinteressanten Buch [...] Gott und die Götter - ist vor vierzig Jahren erschienen, von einem Religionswissenschaftler - über Gläubigkeit und Religion von den Pharaonen bis zu uns. Und es beginnt auch mit den Inschriften der Pyramiden und auf einer dieser Inschriften steht: Der alte Mann spricht mit seiner Seele. Und als ich das gelesen habe, habe ich gedacht: Das ist der Titel: Der alte Mann spricht mit seiner Seele. Es passt wunderbar."
In gedichtähnlichen Texten lässt Kunert einen alten Mann zu Wort kommen, der keine andere Wahl hat, als das Älterwerden zu akzeptieren.
" Ich nenne es für mich Pseudogedichte. Es sind keine echten Gedichte - sie sehen so aus. Und jedes dieser Gebilde beginnt mit der Zeile: "Der alte Mann." Die meisten sind ironisch, melancholisch und auch etwas bitter. Es heißt ja, der alte Mann spricht mit seiner Seele und es sind Selbstreflexionen eines alten Mannes, der mit sich eigentlich gar nicht mehr klar kommt und mit der Welt erst recht nicht. "
Angesichts eines beschwerlicher werdenden Lebens wendet der alte Mann häufiger den Blick zurück und findet im Vergangenen jene verlässlichen Koordinaten, die er im Gegenwärtigen zunehmend vermisst. Er beklagt Verluste und bemerkt die Häufung von befremdlich stimmenden Signalen, die vom Alltag und vom eigenen Körper ausgesendet werden. Doch solchen Anzeichen von Vergänglichkeit begegnet Kunerts alter Mann entweder mit einem gewissen Gleichmut oder mit Trotz.
" Der alte Mann, der über sich selber reflektiert, nimmt sich unbewusst selber auf die Schippe. Es sind Selbstbetrachtungen, die eigentlich komisch und zugleich trostlos sind. [ ... ] Dieses sich in der Welt nicht mehr heimisch fühlen, ausgeliefert sein. Einer dieser Texte [ ... ] ist die Verwunderung des alten Mannes, warum seine Zehen- und Fingernägel so schnell wachsen und warum nicht die Haare. Er hat keine Haare mehr, er hätte ja lieber einen großen Haarschopf wie zum Beispiel Beethoven, aber wenn er den hätte, wäre er ja taub - na dann ist es doch besser, die Nägel wachsen, als taub zu sein. Das ist es in etwa, ein bisschen gaghaft und kurz erklärt."
Kunerts alter Mann, oder der alte Mann Kunert verfügt über genügend Humor und reichlich Lebenserfahrung, um bei den Lektionen, die ihm das Älterwerden erteilt, nicht zu verzweifeln. In seinen skurrilen, durchaus philosophisch intendierten Selbstreflexionen steht er in der Tradition des Brechtschen Herrn Keuner. Wie dieser neigt auch Kunerts alter Mann gelegentlich zu einfachen, allerdings paradox anmutenden Lösungen. Doch anders als Herr K. gibt Kunerts alter Mann seltener Rätsel auf. Er spricht vorbehaltlos über sich und wird so zu einem Vertrauten.
" Der alte Mann hat natürlich vergessen, wo er gestern gewesen ist, aber er kann sich genau erinnern, was vor dreißig oder vierzig Jahren war - das bleibt haften und taucht auch in diesen Texten hier und da auf. Und die Vergesslichkeit, die auch in diesen Texten bis an die Grenze der Demenz geht, spielt eine Rolle. Und dieser alte Mann, natürlich - es kann gar nicht anders sein -, spricht mit der Stimme des Dichters, der hier auch gewisse Selbsterfahrungen einbringt. Ich bin ja auch kein Jüngling mehr [ ... ] und mache mit mir eben auch Erfahrungen, die nicht immer besonders erfreulich sind und versuche, die aber auf ironisch Weise - mehr oder minder heiter - und melancholisch zu formulieren."
Günter Kunert: Der alte Mann spricht mit seiner Seele.
Wallstein Verlag. Göttingen 2006, 105 Seiten mit 13 Zeichnungen des Autors.