Sandra Schulz: Der Streit, der uns in den kommenden Minuten beschäftigt, ist ein politischer, aber ausnahmsweise keiner, der die Regierung umtreibt: In Hamburg ist sich Schwarz-Grün einig – in der Bürgerschaft sind es sogar alle Fraktionen –, dass mit der geplanten Primarschule, angelegt auf sechs Jahre, durch ein längeres, gemeinsames Lernen mehr Gerechtigkeit in das Schulsystem der Hansestadt einziehen soll. Anders sehen das viele Hamburger: Die Initiative "Wir wollen lernen" führt die Gegner an, im Zuge eines Volksbegehrens hat sie mehr als 180.000 Stimmen und Unterschriften gesammelt, deutlich mehr als nötig. Morgen haben die Hamburger jetzt das Wort bei einem Volksentscheid. Frage an einen der Unterstützer der geplanten Reformen, den früheren Bürgermeister von Hamburg und einstigen Bundesbildungsminister Klaus von Dohnanyi, SPD: Was hat die Primarschule, was die Grundschule nicht hat?
Klaus von Dohnanyi: Ja, zunächst mal hat sie sechs Jahre gemeinsames Lernen und damit die Chance für Kinder, die sich schwerer tun mit der Sprache, entweder, weil sie von zu Hause aus ohnehin etwas benachteiligt sind, die Eltern sich weniger um ihre Bildungsentwicklung kümmern können oder auch kümmern wollen, das gibt es leider auch, oder sie kommen aus Migrationshintergrund und sind von daher gesehen in einem Elternhaus aufgewachsen, was die deutsche Sprache so nicht beherrscht. Und wir wissen einfach, dass zu viele Kinder heute noch nach dem vierten Schuljahr in Hamburg und in den anderen Großstädten auch aufgrund solcher persönlicher Hintergründe in der Familie es eben schwerer haben, den Weg in das Gymnasium zu finden, und das wollen wir verbessern.
Schulz: Und das soll auf Kosten der Leistungsstärkeren gehen?
von Dohnanyi: Natürlich nicht. Also, sechs Jahre gemeinsame Grundschule oder hier bei uns Primarschule gibt es inzwischen in der ganzen Welt, wir sind in Deutschland die restliche Ausnahme. In anderen Ländern gehen die Kinder nicht sechs, sondern acht oder zehn Jahre gemeinsam in eine Schule, und wir können ja nicht behaupten, dass nun in Deutschland die Frage der Leistungsstarken sich besonders hervorheben lässt.
Schulz: Aber es hat ja gerade wieder einen Leistungsvergleich gegeben zwischen den Bundesländern. Zugegebenermaßen: In Berlin, wo die Grundschule jetzt schon sechs Jahre dauert, war unter den schlechtesten. Warum sollte es in Hamburg denn anders laufen?
von Dohnanyi: Na ja, Sie müssen ja davon ausgehen, dass Berlin natürlich eine völlig andere Ausgangslage hat. Ich kann das nicht mit Bayern vergleichen. Berlin hat als Großstadt ... man sagt manchmal, es ist ja die drittgrößte türkische Stadt und hat natürlich erhebliche Probleme mit Zuwanderern und übrigens auch natürlich mit einem Teil einer deutschen Bevölkerung, die inzwischen sich sehr weit vom Bildungswesen abgewandt hat. Das ist anders, wenn Sie in die kleineren Städte kommen, und das ist deswegen anders in einem Flächenstaat, als das in den Stadtstaaten ist.
Schulz: Aber wenn man die Chancen der Schüler verbessern will, wenn man die Schulen stärken will – wozu braucht man dann diese Strukturreform, die für sich genommen ja auch wieder Geld kostet? Wieso legt man das Geld nicht besser an, indem man einfach mehr Lehrer einstellt, Lehrmaterialien anschafft?
von Dohnanyi: Wir wollen ja in Hamburg, wir wollen ja alles das machen. Wir verbessern die Zahl der Lehrer, wir verbessern die Art des Unterrichts, also, der wird mehr auf die Leistungsfähigkeit und die Lernfähigkeit der Kinder zugeschnitten. Wir verbessern die Klassengrößen, die werden also kleiner. In anderen Worten: Das ist eine große, umfassende Reform oder Verbesserung, besser gesagt, des Hamburger Schulwesens, und dazu gehört dann auch, dass diejenigen, die sich etwas schwerer tun, nicht letztlich nach drei Jahren oder dreieinhalb Jahren von den Lehrern entschieden wird, wer kann es und wer kann es nicht, sondern dass man den Kindern etwas mehr Zeit gibt und sich dabei eben an den internationalen Erfahrungen misst. Also, ich kann gar nicht verstehen, warum man in Deutschland nicht lernt von der Welt, anstatt immer so zu tun, als ob wir nun gerade alles besser wissen müssen.
Schulz: Aber verstehen Sie denn dann, warum diese Pläne, die ja in der Bürgerschaft einhellig sind, warum die bei den Bürgern auf so große Vorbehalte treffen?
von Dohnanyi: Das weiß ich nicht, ob sie auf den Bürgern auf soo große Vorbehalte treffen, sie treffen auf eine sehr entschlossene, kampfbereite, kleine Gruppe, die sich nicht zufällig in den wohlhabenden Vororten ursprünglich angesiedelt hatte und die, sage ich mal, doch versucht, die Interessen derjenigen, die heute schon ihre Kinder auf dem Gymnasium haben, hier deutlich zu wahren. Also, ich hatte vor wenigen Tagen eine Diskussion mit einer solchen Vertreterin am Bahnhof, die dort also die Leute versuchte, zu überzeugen. Dann habe ich sie gefragt: Haben Sie Kinder? Ja, drei. Wo sind die? Alle auf dem Gymnasium. Ich sage, das finde ich sehr schön, aber warum dann nicht die anderen? Ja, sagt sie, andere Kinder müssen doch auch auf die Stadtteil-Schule gehen, damit die nicht völlig austrocknet. Also, diese Art von Interessenvertretung von Eltern, die ihre Kinder schon auf der Schule haben und dann verhindern wollen, dass anderer Leute Kinder vielleicht da auch hinkommen, das finde ich einfach nicht gut.
Schulz: Aber das Volksbegehren hat ja mehr als 180.000 Unterzeichner gefunden. Würden Sie über die alle sagen, das sind die Besserverdienenden?
von Dohnanyi: Na ja, Besserverdienenden und solche, die ... In Hamburg gehen 50 Prozent der Kinder ja schon aufs Gymnasium, also, da sind natürlich diejenigen dabei, die unter anderem ... entweder Leute auch zum Teil, die die Dinge nicht wirklich durchdenken konnten und noch nicht richtig verstanden haben, das ist ja bei solchen komplizierten Fragen einer Schulreform auch immer ein wichtiger Punkt, oder solche, die eben auch ihre Interessen vertreten oder ihre eigenen Interessen vertreten und die also den Gesamtzusammenhang nicht sehen. Ich kann, wie gesagt, überhaupt nicht verstehen, warum man nicht erkennt, dass in Frankreich, in den Niederlanden, in der Schweiz, in Italien, in Dänemark, in Schweden, in Norwegen, in den USA, in Japan die Kinder alle mindestens sechs, die meisten acht oder zehn Jahre gemeinsam zur Schule gehen und ausgerechnet wir sagen: Bei uns darf es nicht sein.
Schulz: Es geht jetzt ja um ein ganz zentrales Vorhaben der schwarz-grünen Regierung. Sie haben jetzt natürlich keinen Zweifel daran gelassen, dass Sie auch für die Reform sind, aber machtpolitisch reiben sich die Sozialdemokraten in Berlin schon die Hände, oder?
von Dohnanyi: Ach, das weiß ich nicht. In Hamburg sind eben die Sozialdemokraten dabei und Olaf Scholz, der hier der Parteivorsitzende ist, hat ja sich auch sehr massiv eingesetzt für diese Reform. Also, ich weiß nicht, warum man sich die Hände reiben soll, aber es kann schon sein, dass Leute, die also die Welt nur aus der Parteiperspektive sehen und nicht aus der Interessenlage der Bürger und aus ... den politischen Auftrag, dass die sich die Hände reiben, wenn eine Regierung mit richtigen Dingen in die Schwierigkeiten gerät. Also, ich habe dafür nicht viel übrig.
Schulz: Jetzt wird nach fast neun Jahren im Amt Ole von Beust Amtsmüdigkeit nachgesagt, es wird über seinen Rücktritt spekuliert. Sie sind SPD-Politiker, haben aber natürlich die andere Volkspartei im Blick. Was hieße der Schritt für die CDU?
von Dohnanyi: Das kann ich schwer beurteilen. Ich schätze den Bürgermeister von Beust sehr, halte ihn für einen sehr tüchtigen und auch sehr guten Bürgermeister, habe das auch immer gesagt, und überbrücke in dieser Beziehung sozusagen meine eigene parteipolitische Bindung, weil ich eben, wie ich schon eben unterstrichen habe, nicht der Meinung bin, dass Partei ganz im Vordergrund stehen muss. Wir müssen schauen, ob wir die richtigen Dinge zustande bringen und ich finde es beachtlich, wenn ein Bürgermeister aus der CDU gemeinsam mit den Grünen zu einem solchen fortschrittlichen Schulprojekt kommt, das dann am Ende in der Bürgerschaft die Zustimmung auch von Sozialdemokraten und auch von den anderen Parteien bekommt. Also, da ist eine einhellige Meinung in der Bürgerschaft. Das ist eine große Leistung vonseiten des Bürgermeisters und eine große Leistung vonseiten des Oppositionsführers Olaf Scholz.
Schulz: Der frühere Bürgermeister von Hamburg Klaus von Dohnanyi, SPD, in den "Informationen am Morgen". Das Interview haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
Klaus von Dohnanyi: Ja, zunächst mal hat sie sechs Jahre gemeinsames Lernen und damit die Chance für Kinder, die sich schwerer tun mit der Sprache, entweder, weil sie von zu Hause aus ohnehin etwas benachteiligt sind, die Eltern sich weniger um ihre Bildungsentwicklung kümmern können oder auch kümmern wollen, das gibt es leider auch, oder sie kommen aus Migrationshintergrund und sind von daher gesehen in einem Elternhaus aufgewachsen, was die deutsche Sprache so nicht beherrscht. Und wir wissen einfach, dass zu viele Kinder heute noch nach dem vierten Schuljahr in Hamburg und in den anderen Großstädten auch aufgrund solcher persönlicher Hintergründe in der Familie es eben schwerer haben, den Weg in das Gymnasium zu finden, und das wollen wir verbessern.
Schulz: Und das soll auf Kosten der Leistungsstärkeren gehen?
von Dohnanyi: Natürlich nicht. Also, sechs Jahre gemeinsame Grundschule oder hier bei uns Primarschule gibt es inzwischen in der ganzen Welt, wir sind in Deutschland die restliche Ausnahme. In anderen Ländern gehen die Kinder nicht sechs, sondern acht oder zehn Jahre gemeinsam in eine Schule, und wir können ja nicht behaupten, dass nun in Deutschland die Frage der Leistungsstarken sich besonders hervorheben lässt.
Schulz: Aber es hat ja gerade wieder einen Leistungsvergleich gegeben zwischen den Bundesländern. Zugegebenermaßen: In Berlin, wo die Grundschule jetzt schon sechs Jahre dauert, war unter den schlechtesten. Warum sollte es in Hamburg denn anders laufen?
von Dohnanyi: Na ja, Sie müssen ja davon ausgehen, dass Berlin natürlich eine völlig andere Ausgangslage hat. Ich kann das nicht mit Bayern vergleichen. Berlin hat als Großstadt ... man sagt manchmal, es ist ja die drittgrößte türkische Stadt und hat natürlich erhebliche Probleme mit Zuwanderern und übrigens auch natürlich mit einem Teil einer deutschen Bevölkerung, die inzwischen sich sehr weit vom Bildungswesen abgewandt hat. Das ist anders, wenn Sie in die kleineren Städte kommen, und das ist deswegen anders in einem Flächenstaat, als das in den Stadtstaaten ist.
Schulz: Aber wenn man die Chancen der Schüler verbessern will, wenn man die Schulen stärken will – wozu braucht man dann diese Strukturreform, die für sich genommen ja auch wieder Geld kostet? Wieso legt man das Geld nicht besser an, indem man einfach mehr Lehrer einstellt, Lehrmaterialien anschafft?
von Dohnanyi: Wir wollen ja in Hamburg, wir wollen ja alles das machen. Wir verbessern die Zahl der Lehrer, wir verbessern die Art des Unterrichts, also, der wird mehr auf die Leistungsfähigkeit und die Lernfähigkeit der Kinder zugeschnitten. Wir verbessern die Klassengrößen, die werden also kleiner. In anderen Worten: Das ist eine große, umfassende Reform oder Verbesserung, besser gesagt, des Hamburger Schulwesens, und dazu gehört dann auch, dass diejenigen, die sich etwas schwerer tun, nicht letztlich nach drei Jahren oder dreieinhalb Jahren von den Lehrern entschieden wird, wer kann es und wer kann es nicht, sondern dass man den Kindern etwas mehr Zeit gibt und sich dabei eben an den internationalen Erfahrungen misst. Also, ich kann gar nicht verstehen, warum man in Deutschland nicht lernt von der Welt, anstatt immer so zu tun, als ob wir nun gerade alles besser wissen müssen.
Schulz: Aber verstehen Sie denn dann, warum diese Pläne, die ja in der Bürgerschaft einhellig sind, warum die bei den Bürgern auf so große Vorbehalte treffen?
von Dohnanyi: Das weiß ich nicht, ob sie auf den Bürgern auf soo große Vorbehalte treffen, sie treffen auf eine sehr entschlossene, kampfbereite, kleine Gruppe, die sich nicht zufällig in den wohlhabenden Vororten ursprünglich angesiedelt hatte und die, sage ich mal, doch versucht, die Interessen derjenigen, die heute schon ihre Kinder auf dem Gymnasium haben, hier deutlich zu wahren. Also, ich hatte vor wenigen Tagen eine Diskussion mit einer solchen Vertreterin am Bahnhof, die dort also die Leute versuchte, zu überzeugen. Dann habe ich sie gefragt: Haben Sie Kinder? Ja, drei. Wo sind die? Alle auf dem Gymnasium. Ich sage, das finde ich sehr schön, aber warum dann nicht die anderen? Ja, sagt sie, andere Kinder müssen doch auch auf die Stadtteil-Schule gehen, damit die nicht völlig austrocknet. Also, diese Art von Interessenvertretung von Eltern, die ihre Kinder schon auf der Schule haben und dann verhindern wollen, dass anderer Leute Kinder vielleicht da auch hinkommen, das finde ich einfach nicht gut.
Schulz: Aber das Volksbegehren hat ja mehr als 180.000 Unterzeichner gefunden. Würden Sie über die alle sagen, das sind die Besserverdienenden?
von Dohnanyi: Na ja, Besserverdienenden und solche, die ... In Hamburg gehen 50 Prozent der Kinder ja schon aufs Gymnasium, also, da sind natürlich diejenigen dabei, die unter anderem ... entweder Leute auch zum Teil, die die Dinge nicht wirklich durchdenken konnten und noch nicht richtig verstanden haben, das ist ja bei solchen komplizierten Fragen einer Schulreform auch immer ein wichtiger Punkt, oder solche, die eben auch ihre Interessen vertreten oder ihre eigenen Interessen vertreten und die also den Gesamtzusammenhang nicht sehen. Ich kann, wie gesagt, überhaupt nicht verstehen, warum man nicht erkennt, dass in Frankreich, in den Niederlanden, in der Schweiz, in Italien, in Dänemark, in Schweden, in Norwegen, in den USA, in Japan die Kinder alle mindestens sechs, die meisten acht oder zehn Jahre gemeinsam zur Schule gehen und ausgerechnet wir sagen: Bei uns darf es nicht sein.
Schulz: Es geht jetzt ja um ein ganz zentrales Vorhaben der schwarz-grünen Regierung. Sie haben jetzt natürlich keinen Zweifel daran gelassen, dass Sie auch für die Reform sind, aber machtpolitisch reiben sich die Sozialdemokraten in Berlin schon die Hände, oder?
von Dohnanyi: Ach, das weiß ich nicht. In Hamburg sind eben die Sozialdemokraten dabei und Olaf Scholz, der hier der Parteivorsitzende ist, hat ja sich auch sehr massiv eingesetzt für diese Reform. Also, ich weiß nicht, warum man sich die Hände reiben soll, aber es kann schon sein, dass Leute, die also die Welt nur aus der Parteiperspektive sehen und nicht aus der Interessenlage der Bürger und aus ... den politischen Auftrag, dass die sich die Hände reiben, wenn eine Regierung mit richtigen Dingen in die Schwierigkeiten gerät. Also, ich habe dafür nicht viel übrig.
Schulz: Jetzt wird nach fast neun Jahren im Amt Ole von Beust Amtsmüdigkeit nachgesagt, es wird über seinen Rücktritt spekuliert. Sie sind SPD-Politiker, haben aber natürlich die andere Volkspartei im Blick. Was hieße der Schritt für die CDU?
von Dohnanyi: Das kann ich schwer beurteilen. Ich schätze den Bürgermeister von Beust sehr, halte ihn für einen sehr tüchtigen und auch sehr guten Bürgermeister, habe das auch immer gesagt, und überbrücke in dieser Beziehung sozusagen meine eigene parteipolitische Bindung, weil ich eben, wie ich schon eben unterstrichen habe, nicht der Meinung bin, dass Partei ganz im Vordergrund stehen muss. Wir müssen schauen, ob wir die richtigen Dinge zustande bringen und ich finde es beachtlich, wenn ein Bürgermeister aus der CDU gemeinsam mit den Grünen zu einem solchen fortschrittlichen Schulprojekt kommt, das dann am Ende in der Bürgerschaft die Zustimmung auch von Sozialdemokraten und auch von den anderen Parteien bekommt. Also, da ist eine einhellige Meinung in der Bürgerschaft. Das ist eine große Leistung vonseiten des Bürgermeisters und eine große Leistung vonseiten des Oppositionsführers Olaf Scholz.
Schulz: Der frühere Bürgermeister von Hamburg Klaus von Dohnanyi, SPD, in den "Informationen am Morgen". Das Interview haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.