Peter Kapern: Morgen tritt EZB-Chef Mario Draghi vor die Presse. Mal schauen, ob dann klar wird, was er unternehmen wird, um den Euro zu retten – alles Notwendige, was der Rechtsrahmen der EZB hergibt, so hatte er es ja etwas sibyllinisch angekündigt. Unterdessen wird weiter darüber gestritten, ob der Rettungsschirm ESM unbegrenzten Zugang zu den Krediten der EZB erhalten soll, um notfalls ohne jedes Limit Schuldpapiere maroder Euroländer aufkaufen zu können.
Keine Euro-Rettung ohne Kreditlimit, so lautet also die Position der Bundesregierung, die vor einer Hyperinflation im Euroraum warnt. Und unterstützt wird sie dabei von vielen Wirtschaftswissenschaftlern – von vielen, aber nicht von allen: Adalbert Winkler von der Frankfurt School of Finance and Management ist zum Beispiel anderer Meinung. Warum? Das habe ich ihn unmittelbar vor der Sendung gefragt.
Adalbert Winkler: Ich sehe im Moment keine Inflationsgefahren, falls die EZB ein Anleiheprogramm in welcher Form auch immer unterstützen würde, aus drei Gründen: Erstens, in einer Finanzkrise wollen Anleger von einer Anlageform, zum Beispiel spanischen Titeln, in Geld umsteigen, weil sie Sorge haben um die Solvenz der Schuldner. Sie wollen also nicht dieses Geld haben, um einzukaufen, um Güter zu kaufen, sondern sie wollen einfach eine Anlageform durch eine andere ersetzen, das ist nicht inflationär. Zweitens ist davon auszugehen, dass die Europäische Zentralbank gar nicht mehr Geld drucken wird, sondern es wird Anderes, andere Instrumente, mit denen sie bisher Geld bereit gestellt hat, wird sie in ihrer Bedeutung zurückfahren. Das heißt, man nennt das Sterilisieren, sie wird also im Vergleich zu dem Geldangebot, das sie ohne die Anleihekäufe tätigen würde, würde sie sehr wahrscheinlich nicht mehr Geld in den Umlauf bringen. Und drittens sind wir im Moment in einem vergleichsweise schwachen ökonomischen Umfeld in Europa – Gott sei Dank noch nicht so sehr in Deutschland –, was dafür spricht, dass die Inflationsgefahren derzeit gering sind.
Kapern: Gleichwohl, Herr Winkler, gibt es ja so was wie ein Mantra der deutschen Wirtschaftspolitik, aber auch der deutschen Geldpolitik und der deutschen Wirtschaftswissenschaft: Geld drucken führt zur Inflation, immer, zwangsläufig. Das ist wie gesagt so was wie ein Glaubensgrundsatz. Haben die, die das sagen, denn keine Ahnung?
Winkler: Das würde ich so nicht sagen. Ich glaube einfach, man ist sich nicht klar über die Situation, in der man sich befindet. Um mal einen ganz unverdächtigen Kronzeugen für meine Position zu benennen, das ist Milton Friedman, der Begründer des Monetarismus, der hat die Federal Reserve in der großen Depression angegriffen für ihren Nichtkauf von Staatsanleihen. In einer Finanzkrise ist es halt eben so, dass die – wie ich es eben ausführte – die Anleger, die beunruhigt sind, in den sicheren Hafen flüchten möchten, und das ist Geld. Und wenn die Zentralbank dieses Geld wie zum Beispiel von 1929 bis 1933 nicht bereitstellt, dann kommen wir in eine Rezession, eine Deflation. Das kann nicht Ziel einer Zentralbank sein, dafür haben wir sie nicht gegründet. Und deswegen ist das Mantra halt falsch in einer Situation, die Krisenart, die durch eine Krise gekennzeichnet ist.
Kapern: Woher stammt dieses Mantra?
Winkler: Das kommt aus der deutschen Hyperinflation von 1923, als die damalige Reichsbank die streikenden Arbeiter im Ruhrgebiet finanziert hat. Das heißt, sie hat ja gerade damals keine Anleihen gekauft, sondern sie hat direkt Menschen aus patriotischen Gründen, die sonst über kein Einkommen verfügt hätten, mit Geld ausgestattet, direkt, und die es natürlich dann auch genutzt haben zum kaufen. Also alle die Gründe, die ich eben genannt habe, warum es derzeit wenig wahrscheinlich ist, dass wir Inflation bekommen, die waren damals gegeben. Und das hat dann natürlich auch zur Hyperinflation geführt. Ich sage ja auch nicht, man sollte jetzt um Gottes Willen sozusagen den Ankauf von Staatsanleihen zum Dauerprogramm machen. Aber man muss immer wissen, dass bestimmte Dinge, die man normalerweise nicht tut, in sehr speziellen Situationen sinnvoll sein kann.
Kapern: Diejenigen, die vor der Inflation, der Hyperinflation warnen, die verweisen also auf die Realität der deutschen Geschichte, Sie argumentieren theoretisch – ganz gerade heraus gefragt, schlägt die Realität nicht die Theorie?
Winkler: Nein, da haben Sie mich missverstanden. Die Realität von 1929 bis 1933 ist eine ganz andere. Da ist ja, die Realität war gewesen, weil die Reichsbank nicht interveniert hat, haben wir eine Deflation bekommen mit der größten Wirtschaftskrise und den politischen Folgen, die wir ja alle kennen. Also dass das eine Theorie ist, und das andere Realität, das kann ich nicht erkennen. Es gibt für beides Beispiele, und die Frage ist, in welcher Situation wir uns derzeit befinden. Und angesichts der Tatsache, dass wir jetzt eine Finanzkrise haben, die in ihrer Dimension durchaus vergleichbar ist mit 1929/30, würde ich sagen, dass, wenn wir schon diesen Vergleich mit Theorie und Realität herstellen, dass dann, glaube ich, der Fall 1929/30 wesentlich relevanter ist als der Fall 1923.
Kapern: Wenn ich jetzt Politiker wäre, Herr Winkler, und sehen würde, dass der eine Teil der Wirtschaftswissenschaften vor diesen Inflationsgefahren warnt, und ein anderer Teil sagt, nein, diese Inflationsgefahren bestehen derzeit gar nicht, dann müsste ich doch zwangsläufig zu dem Grund kommen, dass die Wirtschaftswissenschaften als Ratgeber der Politik eigentlich nicht brauchbar sind.
Winkler: Das weiß ich nicht. Aber ich nehme an, dass in anderen Bereichen das ähnlich ist. Wenn ich mir die Kernenergiedebatte als völliger Laie der letzten 40 Jahre ansehe, da gab es auch immer zwei Positionen: Die einen haben gesagt, das ist alles ungefährlich, und die anderen haben immer davor gewarnt. Also es ist ja jetzt nichts spezifisch Wirtschaftswissenschaftliches, dass man zu einer bestimmten Frage zwei verschiedene Meinungen hat. Es ist ja auch gerade die Aufgabe der Politiker, deswegen sollen es ja auch keine Fachleute sein, sondern das sind Leute, die politische Verantwortung übernehmen müssen, dass sie auf der Basis der ihnen zur Verfügung stehenden Informationen Entscheidungen treffen. Eins vielleicht noch in dem konkreten Fall: Die EZB hat in den letzten zwei Jahren ungefähr für 200 Milliarden Staatsschuld-Titelpapiere gekauft – haben wir jetzt eine große Inflation?
Kapern: Heißt das, Sie als Politiker würden die politische Verantwortung dafür übernehmen, dem ESM eine Banklizenz zu geben, unbegrenzten Zugang zu Krediten der EZB?
Winkler: Wenn es das Ziel ist, die Eurozone zu erhalten, was ich bisher immer verstanden habe als das Ziel, was die Politik hat, dann ja.
Kapern: Professor Adalbert Winkler, Wirtschaftswissenschaftler an der Frankfurt School of Finance and Management, der nicht in den Chor der Sirenen einstimmen will, die vor einer Hyperinflation warnen. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Keine Euro-Rettung ohne Kreditlimit, so lautet also die Position der Bundesregierung, die vor einer Hyperinflation im Euroraum warnt. Und unterstützt wird sie dabei von vielen Wirtschaftswissenschaftlern – von vielen, aber nicht von allen: Adalbert Winkler von der Frankfurt School of Finance and Management ist zum Beispiel anderer Meinung. Warum? Das habe ich ihn unmittelbar vor der Sendung gefragt.
Adalbert Winkler: Ich sehe im Moment keine Inflationsgefahren, falls die EZB ein Anleiheprogramm in welcher Form auch immer unterstützen würde, aus drei Gründen: Erstens, in einer Finanzkrise wollen Anleger von einer Anlageform, zum Beispiel spanischen Titeln, in Geld umsteigen, weil sie Sorge haben um die Solvenz der Schuldner. Sie wollen also nicht dieses Geld haben, um einzukaufen, um Güter zu kaufen, sondern sie wollen einfach eine Anlageform durch eine andere ersetzen, das ist nicht inflationär. Zweitens ist davon auszugehen, dass die Europäische Zentralbank gar nicht mehr Geld drucken wird, sondern es wird Anderes, andere Instrumente, mit denen sie bisher Geld bereit gestellt hat, wird sie in ihrer Bedeutung zurückfahren. Das heißt, man nennt das Sterilisieren, sie wird also im Vergleich zu dem Geldangebot, das sie ohne die Anleihekäufe tätigen würde, würde sie sehr wahrscheinlich nicht mehr Geld in den Umlauf bringen. Und drittens sind wir im Moment in einem vergleichsweise schwachen ökonomischen Umfeld in Europa – Gott sei Dank noch nicht so sehr in Deutschland –, was dafür spricht, dass die Inflationsgefahren derzeit gering sind.
Kapern: Gleichwohl, Herr Winkler, gibt es ja so was wie ein Mantra der deutschen Wirtschaftspolitik, aber auch der deutschen Geldpolitik und der deutschen Wirtschaftswissenschaft: Geld drucken führt zur Inflation, immer, zwangsläufig. Das ist wie gesagt so was wie ein Glaubensgrundsatz. Haben die, die das sagen, denn keine Ahnung?
Winkler: Das würde ich so nicht sagen. Ich glaube einfach, man ist sich nicht klar über die Situation, in der man sich befindet. Um mal einen ganz unverdächtigen Kronzeugen für meine Position zu benennen, das ist Milton Friedman, der Begründer des Monetarismus, der hat die Federal Reserve in der großen Depression angegriffen für ihren Nichtkauf von Staatsanleihen. In einer Finanzkrise ist es halt eben so, dass die – wie ich es eben ausführte – die Anleger, die beunruhigt sind, in den sicheren Hafen flüchten möchten, und das ist Geld. Und wenn die Zentralbank dieses Geld wie zum Beispiel von 1929 bis 1933 nicht bereitstellt, dann kommen wir in eine Rezession, eine Deflation. Das kann nicht Ziel einer Zentralbank sein, dafür haben wir sie nicht gegründet. Und deswegen ist das Mantra halt falsch in einer Situation, die Krisenart, die durch eine Krise gekennzeichnet ist.
Kapern: Woher stammt dieses Mantra?
Winkler: Das kommt aus der deutschen Hyperinflation von 1923, als die damalige Reichsbank die streikenden Arbeiter im Ruhrgebiet finanziert hat. Das heißt, sie hat ja gerade damals keine Anleihen gekauft, sondern sie hat direkt Menschen aus patriotischen Gründen, die sonst über kein Einkommen verfügt hätten, mit Geld ausgestattet, direkt, und die es natürlich dann auch genutzt haben zum kaufen. Also alle die Gründe, die ich eben genannt habe, warum es derzeit wenig wahrscheinlich ist, dass wir Inflation bekommen, die waren damals gegeben. Und das hat dann natürlich auch zur Hyperinflation geführt. Ich sage ja auch nicht, man sollte jetzt um Gottes Willen sozusagen den Ankauf von Staatsanleihen zum Dauerprogramm machen. Aber man muss immer wissen, dass bestimmte Dinge, die man normalerweise nicht tut, in sehr speziellen Situationen sinnvoll sein kann.
Kapern: Diejenigen, die vor der Inflation, der Hyperinflation warnen, die verweisen also auf die Realität der deutschen Geschichte, Sie argumentieren theoretisch – ganz gerade heraus gefragt, schlägt die Realität nicht die Theorie?
Winkler: Nein, da haben Sie mich missverstanden. Die Realität von 1929 bis 1933 ist eine ganz andere. Da ist ja, die Realität war gewesen, weil die Reichsbank nicht interveniert hat, haben wir eine Deflation bekommen mit der größten Wirtschaftskrise und den politischen Folgen, die wir ja alle kennen. Also dass das eine Theorie ist, und das andere Realität, das kann ich nicht erkennen. Es gibt für beides Beispiele, und die Frage ist, in welcher Situation wir uns derzeit befinden. Und angesichts der Tatsache, dass wir jetzt eine Finanzkrise haben, die in ihrer Dimension durchaus vergleichbar ist mit 1929/30, würde ich sagen, dass, wenn wir schon diesen Vergleich mit Theorie und Realität herstellen, dass dann, glaube ich, der Fall 1929/30 wesentlich relevanter ist als der Fall 1923.
Kapern: Wenn ich jetzt Politiker wäre, Herr Winkler, und sehen würde, dass der eine Teil der Wirtschaftswissenschaften vor diesen Inflationsgefahren warnt, und ein anderer Teil sagt, nein, diese Inflationsgefahren bestehen derzeit gar nicht, dann müsste ich doch zwangsläufig zu dem Grund kommen, dass die Wirtschaftswissenschaften als Ratgeber der Politik eigentlich nicht brauchbar sind.
Winkler: Das weiß ich nicht. Aber ich nehme an, dass in anderen Bereichen das ähnlich ist. Wenn ich mir die Kernenergiedebatte als völliger Laie der letzten 40 Jahre ansehe, da gab es auch immer zwei Positionen: Die einen haben gesagt, das ist alles ungefährlich, und die anderen haben immer davor gewarnt. Also es ist ja jetzt nichts spezifisch Wirtschaftswissenschaftliches, dass man zu einer bestimmten Frage zwei verschiedene Meinungen hat. Es ist ja auch gerade die Aufgabe der Politiker, deswegen sollen es ja auch keine Fachleute sein, sondern das sind Leute, die politische Verantwortung übernehmen müssen, dass sie auf der Basis der ihnen zur Verfügung stehenden Informationen Entscheidungen treffen. Eins vielleicht noch in dem konkreten Fall: Die EZB hat in den letzten zwei Jahren ungefähr für 200 Milliarden Staatsschuld-Titelpapiere gekauft – haben wir jetzt eine große Inflation?
Kapern: Heißt das, Sie als Politiker würden die politische Verantwortung dafür übernehmen, dem ESM eine Banklizenz zu geben, unbegrenzten Zugang zu Krediten der EZB?
Winkler: Wenn es das Ziel ist, die Eurozone zu erhalten, was ich bisher immer verstanden habe als das Ziel, was die Politik hat, dann ja.
Kapern: Professor Adalbert Winkler, Wirtschaftswissenschaftler an der Frankfurt School of Finance and Management, der nicht in den Chor der Sirenen einstimmen will, die vor einer Hyperinflation warnen. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.