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'Ich sehe keine Möglichkeit bzw. Notwendigkeit für eine neue Steuer' - Zur Forderung nach Einführung einer Vermögenssteuer und zur Diskussion über das Sparpaket

Gerner: In Bonn hat die politische Sommerpause begonnen. In Berlin werden die Kisten ausgepackt. Im Willy-Brandt-Haus der neuen Berliner Parteizentrale der SPD sind sie es größtenteils schon. Dort arbeiten jetzt 160 Mitarbeiter, ein Drittel weniger als zuletzt im Erich-Ollenhauer-Haus. Selbstverordnete Schlankheitskur für die Regierungspartei, die nicht nur im eigenen Haus sparen will, alle zusammen sollen wir eisern sparen, acht Jahre lang, bis der Staat mit der Neuverschuldung auf Null ist. So hat es Finanzminister Hans Eichel angekündigt. Daß das nicht einhellig begrüßt wird, ist klar. Am Wochenende hat es erneut nicht gefehlt an einem Konzert kritischer Stimmen. Und darüber möchte ich jetzt reden mit Henning Scherf, dem Bürgermeister von Bremen. Guten Morgen Herr Scherf!

    Scherf: Guten Morgen!

    Gerner: Herr Scherf, zunächst zu Gerhard Schröder. Er hat gestern in einem Interview gesagt, das Erscheinungsbild der Bundesregierung gebe ihm Anlaß zu Sorgen. Er sei unzufrieden. Sind Sie es auch?

    Scherf: Ich habe mich immer zurückgehalten mit Kritik an der Bundesregierung, weil wir Länderministerpräsidenten haben Grund genug, uns um uns selber zu kümmern.

    Gerner: Trägt denn Gerhard Schröder eine Mitverantwortung für das Erscheinungsbild der Regierung? Er ist ja nicht nur Regierungschef, Kanzler, sondern auch SPD-Chef.

    Scherf: Wenn man in so einer Sache an exponierter Stelle arbeitet, ist man natürlich in dem Boot und nicht außerhalb des Bootes. Das ist schon klar. Das weiß er aber auch selber. Ich glaube, das ist einfach ein Versuch, den Laden mit Courage und mit Anstrengung nach vorne zu bringen, und das ist gut so.

    Gerner: Gerhard Schröder hat einen Brief an alle SPD-Mitglieder geschrieben. Dieser Brief beginnt mit dem Wort "ich". Wir haben alle einmal gelernt, offizielle Briefe soll man tunlichst nicht so beginnen. Könnte Ihre Partei weniger Ich- und mehr Wir-Gefühl vertragen?

    Scherf: Klar! Das ist eine alte Erfahrung, daß wir das zusammen machen müssen. Andererseits braucht es auch eine klare Vorgabe. Das ist auch eine Hilfe für das Zusammengehen. Kritik an Gerhard Schröder ist im Augenblick in. Ich beteilige mich nicht daran. Da haben Sie dann den falschen ausgesucht, wenn Sie das von mir abfragen wollen.

    Gerner: Ich werde mal einen Versuch machen. Wie ist denn Ihr Eindruck von der bisherigen Regierungsarbeit?

    Scherf: Wir haben unendlich schwierige Probleme zu lösen und zu lösen gehabt. Zum erstenmal in der Nachkriegszeit hat eine Bundesregierung, und dann auch noch eine rot/grüne Bundesregierung, einen Krieg mitführen müssen. Das ist eigentlich das schwierigste und anstrengendste und ich sage auch schlimmste, was man überhaupt erleben kann. Das haben die auf eine ungewöhnliche Weise erfolgreich gemacht. Sie haben unter dem Vorsitz von Gerhard Schröder auch gut die Präsidentschaft in der EU organisiert. Ich finde, beide Gipfel, die sie organisiert haben, sind gut gelaufen. Alle Kritiker, die vorher gesagt haben, das klappt nicht und das wird sowieso schief gehen, sind verstummt. Das waren die Hauptbelastungen. Nun stehen sie in einem riesen, riesen innenpolitischen Großkampf, die Sanierung durchzusetzen, die die davor 16 Jahre an der Macht gewesene CDU/CSU mit der FDP nicht hingekriegt haben. Diese Sanierung ist notwendig. Wir müssen unsere öffentlichen Haushalte sanieren. Wir in Bremen machen das übrigens auch mit großer Anstrengung.

    Gerner: Gerhard Schröder sagt, beim Sparpaket darf es keine Änderung geben, da darf nicht gewackelt werden. Glauben Sie, daß er gerade jetzt in der Sommerpause, wo sich die Interessensgruppen und die Lobby in Berlin stark machen wird, das durchhält?

    Scherf: Es ist das ehrgeizigste, umfangreichste Sparpaket, was in der Geschichte der Bundesrepublik angepackt worden ist. Das bitte ich auch mal zu bedenken. So etwas hat es noch nicht gegeben, und die Vorgängerregierungen unter Kanzler Kohl haben so etwas nicht im Ansatz begonnen, sondern haben immer versucht, die Probleme auszusitzen. Das geht nicht mehr! Wir müssen, wenn wir in Europa nicht auf einen hinteren Platz rutschen sollen, wenn wir nicht zum Problem werden wollen in Europa, wir müssen unsere öffentlichen Finanzen in Ordnung bringen. Das ist im Augenblick Nummer eins in der Innenpolitik, und da müssen wir zusammenstehen und nicht davon abrücken.

    Gerner: Aber acht Jahre eisern sparen, wie Hans Eichel es fordert, kann man damit Wahlen gewinnen?

    Scherf: Wir sind in Bremen gerade mitten drin in so einer Spar- und Sanierungspolitik, und ich habe die Wahlen gewonnen. Ich habe eine große Zustimmung dafür bekommen, weil die Leute merken, daß die öffentlichen Hände nur dann konstruktiven Anteil am gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsprozeß haben, wenn sie wirklich knapp gefahren werden und wenn sie nicht fröhlich auf Verschulden machen. Das ist hier in Bremen unsere Alltagserfahrung. Die letzten Wahlen, die ein paar Wochen her sind, sind ungewöhnlich gut gelaufen. Wir haben eine riesen Zustimmung dafür gekriegt. Das geht. Das müssen Sie auch in der Öffentlichkeit ruhig ein Stück verbreiten, daß das möglich ist.

    Gerner: Herr Scherf, der deutsche Städtetag sagt, mit dem Sparpaket drohten auch die Schließungen von Theatern, Büchereien, Bädern, höhere Beiträge für Kindergärten. Ich denke, der deutsche Städtetag hat damit unter anderem auch Bremen gemeint. Sind das nicht alles Alarmzeichen?

    Scherf: Das sind doch alles nur Lobby-Stimmen. Die haben natürlich auch ihre Begründungen. Lobby ist nichts Unkorrektes. Das muß man machen. Aber Lobby ist eine Sache, und die Gesamtverantwortung tragen ist eine andere Sache. Wir brauchen hier in der Bundesrepublik gesamtverantwortliche Handelnde, und da kann man sich nicht einfach vom Boot schummeln und sagen, ich will aber selber Sanierungsgelder haben, aber an der Sanierung mich beteiligen das will ich nicht. Das geht nicht, und das merken die Leute. Die Leute sind intelligenter als viele Politiker und Journalisten wissen.

    Gerner: Ihr Kollege im Saarland, Reinhard Klimt, attestiert diesem Sparpaket eher eine soziale Schieflage. Er hat die Einführung der Vermögenssteuer wieder ins Spiel gebracht. Sehen Sie eine Chance dafür?

    Scherf: Der gute Reinhard ist im Wahlkampf, und im Wahlkampf ist das besonders kompliziert, so eine sparpolitische Bundeslinie durchzuhalten. Insoweit verstehe ich das als ein Stück saarländischen Wahlkampfes. Ich sehe aber nach all dem, was in Bonn verabredet worden ist in der Koalition und was die Oppositionen dazu beitragen, überhaupt keine Chance, zum gegenwärtigen Zeitpunkt wieder eine neue Steuer einzuführen.

    Gerner: Na immerhin. Der Bundesgeschäftsführer der SPD, Ottmar Schreiner, sagt heute in einer Äußerung bei AFP, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer würde zumindest geprüft. Immerhin hat das ja auch im Wahlkampfprogramm der SPD gestanden. Muß man dieses Versprechen jetzt nicht auch erfüllen?

    Scherf: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt soll durch Sparen und durch Steuerentlastung die Konjunktur angeschoben werden und soll ein Arbeitsplatz-Programm aufgelegt werden. Wir brauchen ja einen großen Durchbruch in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Der ist bisher ausgeblieben. Die Leute wollen Arbeit, Arbeit, Arbeit haben. Wenn man sich das als wichtigstes Thema vorgenommen hat, dann paßt nicht, in einem solchen Zusammenhang neue Steuern einzuführen. Das muß man aushalten, obwohl aus Gerechtigkeitsgründen - das will ich gerne sagen - ich auch über die ganzen Jahre, in denen wir das beraten haben, die Vermögenssteuer für eine hoch plausible Sache halte, und wir haben zurecht dagegen opponiert, als die CDU/CSU und die FDP sie abgeschafft haben. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt, aus konkunkturellen Gründen und aus den Gründen, daß wir Arbeitsplätze brauchen, paßt das nicht in die Landschaft.

    Gerner: Herr Scherf, Sie waren zu Zeiten des Gesetzes über den Lauschangriff einmal die Hoffnung der Linken in Ihrer Partei. Inzwischen argumentieren Sie ja in etwa auf der Linie des Blair/Schröder-Papiers. So hört sich das jedenfalls an. Schröder hat sich jetzt für ein neues Wahlprogramm ausgesprochen. Braucht die SPD ein neues Programm?

    Scherf: Es gibt viele, die dieses fordern. Nicht nur Gerhard Schröder hat davon angefangen. Ich weiß das von Wolfgang Thierse, der davon angefangen hat. Ich weiß das von vielen Linken, die davon reden, weil unser altes Programm noch vor der deutschen Einigung geschrieben worden ist. Das ist natürlich eine historische Wende gewesen, und wir müssen Antworten haben auf die deutsche Einheit. Das ist eine Sache, die aber nicht kurzfristig geht. Dazu brauchen wir Zeit. Kurzfristig müssen wir beweisen, daß wir in der Bundesregierung handlungsfähig sind, und müssen beweisen, daß wir die Sanierung der öffentlichen Finanzen hinbekommen. Man kann diesem Thema nicht ausweichen dadurch, daß wir eine über mehrere Jahre hin laufende Programmdiskussion ankündigen und beginnen. Die muß man unabhängig davon führen.

    Gerner: Die Zeichen sind doch etwas komisch. Werner Müller, Wirtschaftsminister, sagt, Leistung muß sich wieder lohnen, ein Spruch der FDP aus früheren Zeiten. Die FDP bietet sich über Herrn Westerwelle schon wieder als Partner auf Bundesebene an, und die CDU überholt sie links. Macht die SPD nicht etwas falsch?

    Scherf: Wir müssen Erfolg haben. Der Erfolg ist das beste, was man in der Regierung vorweisen kann. Erfolg heißt, daß wir mehr Leute in Arbeit bringen müssen. Daran wird Gerhard Schröder gemessen. Nach vier Jahren Bundeskanzler-Zeit werden die Leute fragen, ist das wirklich endlich gelungen, diese millionen und abermillionen Arbeitslosen, Zahlen, die in den ganzen Jahren immer größer geworden sind, wie wenn ed kein Mittel dagegen gibt, ist es Gerhard Schröder gelungen, die Arbeitslosigkeit herunterzubringen. Daran wird er gemessen. Das ist ein linkes Programm; das ist kein rechtes Programm. Arbeitslosigkeit als Schicksal hinzunehmen ist etwas Resignatives, Konservatives. Ich finde, das ist etwas zu bekämpfendes. Daran müssen wir uns konzentrieren. Man kann sich nicht tausend Ziele zugleich vornehmen. Man muß klar Prioritäten setzen. Unsere Priorität ist, wir wollen die Leute in Arbeit bringen, wir wollen sie herausholen aus dieser trostlosen Lage, daß sie daneben sitzen und denken, das Leben ist an ihnen vorbeigegangen. Das soll mit uns nicht einfach als Schicksal gerechtfertigt werden, sondern das soll bekämpft werden. Bitte sehr!

    Gerner: Ein optimistischer Henning Scherf war das zum Abschluß dieses Interviews. Danke an den Bürgermeister von Bremen.