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"Ich will unbedingt, dass meine Kinder später zu Schule gehen"

In Afghanistan ist Frauen Bildung oft verwehrt. Doch einigen gelingt es über Umwege doch, mehr von der Welt zu sehen. Die 15-jährige Firooza kam vor einem Jahr schwer herzkrank nach Hamburg und lebte dort in einer Gastfamilie. Nun ist sie zurück in Kabul.

Von Anja Rosenow-Sottorf |
    Firooza kommt spät. Der Verkehr in Kabul hat das Taxi, das sie mit ihrem Vater genommen hat, aufgehalten. Jetzt stehen sie im Flur der geräumigen Hochhauswohnung, die der Verwandtschaft von Malalay Achtary gehört. Die ehemalige Gastmutter und ihr Gastkind fallen sich in die Arme. Sie drücken sich. Eine Minute, vielleicht zwei. "Dass ich Dich noch einmal wiedersehe!", flüstert Firooza Malalay ins Ohr, "das habe ich mir so gewünscht."

    Firoozas Vater, ein hagerer Mann mit weißem Bart, buschigen dunklen Augenbrauen und Turban auf dem Kopf, mustert Malalay eindringlich. Er sieht sie zum ersten Mal. Als die Frauen sich schließlich aus der Umarmung lösen, schlüpft Firooza rasch aus den weißen Fellstiefeln. Ihre karierte Winterjacke behält sie an. Die trug sie schon, als sie zur Operation nach Deutschland kam.

    "Sie war anfangs ein ganz ganz ruhiges Mädchen so ein 13-, 14-jähriges afghanisches Mädchen, die in Afghanistan groß geworden ist. Immer so leise und schüchtern."

    Aus dem schüchternen Mädchen ist in Deutschland eine selbstbewusste junge Frau geworden, die auch schon mal keck sein konnte, erzählt Malalay Achtary. Mittlerweile sitzen sie im Wohnzimmer auf einem der lilafarbenen Ledersofas. Firooza macht einen guten Eindruck, doch sie wirkt zurückhaltend. Ihre schlanke Gestalt versteckt sich unter mehreren Lagen Kleidung: eine dünne Stoffhose, darüber eine bunte knielange Bluse, schließlich ein langes schwarzes Kleid und ihre mittlerweile aufgeknöpfte Winterjacke. Firooza erinnert sich gerne an Deutschland.

    "Alles an Deutschland hat mir gefallen. Besonders die Frauen, die ohne Tschador herumlaufen, haben mir gut gefallen. Ich mag diese Freiheit in Deutschland, aber bei uns in Afghanistan ist es eben anders. Ich kann beides verstehen."

    Ein Stück Freiheit bewahrt sich Firooza auch in Afghanistan. Sie trägt lediglich ein schwarzes Kopftuch mit Bommelborte und Glitzerfäden, das ihr Gesicht locker umhüllt. Eine Burka, diese Ganzkörperverhüllung, will sie nie tragen. Das könne sie einfach nicht, sagt die 15-Jährige entschlossen. Vielleicht weiß Firooza mittlerweile auch zu viel darüber. Bei ihrer Gastmutter in Deutschland hat sie in ihrer Landessprache lesen und schreiben gelernt und den Koran studiert. Sie kennt viele Suren und deren Bedeutungen. Sie hat erkannt, dass nirgendwo in der Heiligen Schrift etwas über eine vollständige Verhüllung des Körpers steht. In Afghanistan ist Firooza nur zwei Jahre in die Schule gegangen, immerhin als Einzige von insgesamt sieben Schwestern.

    "Ich wollte weiter zur Schule zu gehen. Aber als ich in die dritte Klasse kam, haben sich die Verwandten und Nachbarn in unser Leben eingemischt. Sie haben zu meinem Vater gesagt, warum lässt Du Deine Tochter in der Schule, sie ist zu weit weg und unterwegs kann zu viel passieren. Mein Vater hat schließlich nachgegeben und gesagt, wenn Du noch mal in die Schule gehst, dann brauchst Du nicht mehr nach Hause zu kommen. Ich bin nicht mehr hingegangen."

    Firooza spricht schnell, irgendwie monoton. Und doch wühlt sie das Thema auf. Immer dichter rückt sie an Malalay Achtary heran. Die junge Frau blickt meist hinunter auf ihre Hände, die an den Fransen von Malalays Halstuch nesteln oder mit deren Armreifen klimpern. Firoozas zu Hause ist ein Dorf, etwa 80 Kilometer nördlich von Kabul. Dort lebt sie mit ihrer Stiefmutter, dem 70-jährigen Vater, einer Schwester und deren kleinem Sohn. Sie wohnen in einem einfachen Steinhaus mit drei Räumen, ohne Fenster. 15 solcher Häuser gehören zu ihrem Dorf. Als sie vor einem Jahr aus Deutschland dorthin zurückkehrte, überzeugte sie ihren Vater. Firooza gründete eine kleine Schule im Haus eines Mädchens aus der Nachbarschaft. Dieses Mädchen ging lange in Pakistan zur Schule und wurde nicht nur Firoozas Lehrerin, sondern ist mittlerweile auch ihre engste Freundin.

    "Am Anfang war es sehr schön. Wir waren so sechs bis sieben Frauen und mehrere Kinder. Wir haben miteinander viel gelernt. Es hat sehr viel Spaß gemacht. Aber auf einmal hat der Bruder verboten, dass wir weiter kommen und deshalb sind die Frauen dann weggeblieben. Wir haben sehr viel geweint. Besonders dieses Mädchen. Sie hat gesagt, ich habe diesen Frauen und Kindern so viel beigebracht. Jetzt dürfen sie nicht mehr kommen, das ist nicht fair. Der Bruder hat dann gesagt, nur ich könne weiter kommen, aber die anderen nicht."

    Die Hoffnung, sogar eine Schule bauen zu können, hat sich ebenfalls zerschlagen. Die Motivation der Frauen sei auch immer mehr gesunken, erzählt Firooza. Entweder sie hätten heiraten müssen oder ihre neuen Kenntnisse gar nicht anwenden können. Firooza macht weiter. Für sie bedeutet Lernen Flucht aus einem Alltag, der schon immer aus harter Arbeit im Haus und auf dem Feld bestanden hat. Am liebsten würde Firooza auf eine richtige Mädchenschule gehen, aber das sagt sie nicht laut. Alle würden dann sagen, dass ich das aus Deutschland mitgebracht habe, meint sie. Firooza ist ehrgeizig, aber für eine 15-Jährige auch sehr realistisch. Sie weiß, dass sie ihrer Welt nicht entfliehen kann.

    "Seit ich aus Deutschland zurückgekehrt bin, sind ein paar gekommen und wollten mich heiraten. Zum Beispiel ein Mann wollte mich zur Zweitfrau, er hatte mich ausgesucht, aber mein Vater hat abgelehnt. Und noch ein lediger Mann kam, der mich heiraten wollte. Da habe ich mit meinem Vater geredet und ihm gesagt, dass ich nicht will und mein Vater hat das akzeptiert."

    Noch kann Firooza eine kleine Weile darauf hoffen, dass ihr Vater ihren Willen respektiert. Er braucht sie, denn als jüngste Tochter ist sie die Einzige, die ihm auf dem Feld hilft. Doch Firooza hat Angst vor der Zukunft:

    "Ich hoffe, dass ich einen Mann finde, der mich liebt und mich nicht schlägt. Meine Schwestern sind alle zwangsverheiratet worden. Das gibt es noch bei uns. Zum Glück nicht mehr so früh, mit sieben, acht oder elf Jahren, sondern erst ab 16. Aber ich habe große Angst vor der Ungerechtigkeit der Männer."

    An einem hält Firooza unerschütterlich fest, und man sieht es ihrem Blick an, dass sie dafür kämpfen wird.

    "Ich will unbedingt, dass meine Kinder später zu Schule gehen. Sie sollen nicht dasselbe Schicksal haben, wie ich. Auf keinen Fall."