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"Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten"

Neben Hollywood-Produktionen wie die Fernsehserie "Holocaust" oder Spielbergs Film "Schindlers Liste" dürfte den Deutschen die dumpfe Brutalität der Naziherrschaft wohl nichts so deutlich geschildert haben wie die Tagebücher des Dresdner Romanisten Victor Klemperer. Klemperer starb am 11.Februar 1960 in Dresden.

Von Claus Menzel |
    Vielleicht sollte, wer etwas über Victor Klemperer wissen möchte, ein Bild aus dem Jahre 1956 betrachten: Da verbeugt sich dieser deutsche Herr Professor, einer der wichtigsten Romanisten seiner Zeit, vor Wilhelm Pieck, damals Präsident der Deutschen Demokratischen Republik, der ihm den Vaterländischen Verdienstorden in Silber überreicht. Ein überzeugter Anhänger des SED-Regimes ist der Geehrte dabei nie gewesen und ein entschiedener Kommunist erst recht nicht. Allerdings dürfte Victor Klemperer durchaus für jene kleine Fraktion des deutschen Bildungsbürgertums stehen, die nach den bitteren Erfahrungen der Hitler-Jahre allein die Kommunisten für willens und imstande hielt, eine Renaissance des Nazismus zu verhindern.

    Geboren wurde der Rabbinersohn, der im Alter von 31 Jahren zum Protestantismus konvertierte, 1881 in Landsberg an der Warthe. Er studierte Philosophie und Romanistik, lebte eine Weile als freier Publizist in Berlin, stand als Kriegsfreiwilliger zwei Jahre lang an der Westfront und wurde 1920 Professor an der Technischen Hochschule in Dresden. Natürlich setzten die Nazis, als sie 1933 die Macht übernommen hatten, auch ihn bald vor die Tür und dass er das Dritte Reich überlebte, verdankte er nur seiner Ehe mit einer nicht-jüdischen Musikerin. An jeder wissenschaftlichen Tätigkeit gehindert, widmete sich Klemperer fortan jenem Werk, das ihn berühmt, ja beinahe zur Legende machte: seinen Tagebüchern, die unter dem Titel "Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten" 1995 in Berlin erschienen und später für eine Funkproduktion von Udo Samel vorgelesen wurden.

    "Es kommt nicht auf die großen Sachen an, sondern auf den Alltag der Tyrannei, der vergessen wird."

    Penibel schrieb er alles auf: Die immer neuen Versuche, ihn, den einst stramm deutschnationalen, ja zuweilen erzreaktionären Patrioten als Juden auszugrenzen. Im August 1935 notiert er :

    "Die Judenhetze ist maßlos geworden, weit schlimmer als beim ersten Boykott. Pogromanfänge gibt es da und dort, und wir rechnen damit, hier nächstens totgeschlagen zu werden. Nicht durch Nachbarn, aber durch Nettoyeurs, die man da und dort als Volksseele einsetzt. An den Straßenbahnschildern der Prager Straße: Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter."

    Man nimmt ihm alles: das Amt, das Haus, das kleine Auto. Gewiss, hier ist es ein Polizist, der ihn demonstrativ höflich behandelt, dort eine Gemüsehändlerin, die ihm Kartoffeln zusteckt. Ansonsten erlebt Klemperer, was Hannah Arendt die Banalität des Bösen nannte: den alltäglichen Nazismus, der sich seiner Gemeinheit kaum noch bewusst ist.

    "Meine Prinzipien über das Deutschtum und die verschiedenen Nationalitäten sind ins Wackeln geraten wie die Zähne eines alten Mannes."

    Als US- und Royal Air Force Dresden im Februar 1945 in einem Flammenmeer untergehen lassen, gelingt dem Ehepaar Klemperer die Flucht. Doch die Hoffnung auf einen Neuanfang trügt :

    "Alles stockt, ist unentschieden, chaotisch. Im Haus, im Beruf, in jeder Hinsicht. Die Antragsformulare zur Aufnahme in die KPD liegen auf dem Schreibtisch. Bin ich feige, wenn ich nicht eintrete, bin ich feige, wenn ich eintrete? Genosse Klemperer! Wessen Genosse?"

    Die Angst vor den Braunen treibt ihn zu den Roten. Er wird auf Lehrstühle gerufen, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, bekommt den DDR-Nationalpreis und darf, seit 1950 Mitglied der DDR-Volkskammer, auch hin und wieder die Regierung loben.

    "Deshalb begrüße ich es oder begrüßt es der Kulturbund aus den Regierungsvorschlägen als etwas besonders Schönes diesen Vorschlag eines Gremiums, in dem nun einmal Wissenschaftler und Schriftsteller von drüben und hüben, Leute die wirklich im humanistischen Sinne arbeiten, zusammen arbeiten wollen und die gute deutsche Literatur vom Westen und vom Osten her einander zugänglich machen wollen und den verfluchten Schund, mit dem uns die Adenauer-Regierung vergiftet, man kann es nicht stubenreiner sagen, endlich einmal ein Ende machen wollen."

    Stalin verglich er mit Napoleon, sowjetische Panzer mit Friedenstauben. Jetzt gehörte er dazu, durfte er sich sicher wähnen. Augen zu und durch. Am 11. Februar 1960 ist Victor Klemperer in Dresden gestorben.