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"Ich wollte Mick Jagger nicht als coolen Typen darstellen"

Der New Yorker Journalist Marc Spitz hat die Punkszene von Los Angeles dokumentiert und eine Biografie über David Bowie verfasst. Sein neustes Buch heißt "Mick Jagger: Rebell und Rockstar". Die Biografie ist pünktlich zum 50. Bühnenjubiläum der Rolling Stones in diesem Jahr erschienen.

Marc Spitz im Gespräch mit Ruben Jonas Schnell |
    Marc Spitz: Hi, this is Marc Spitz. I am a New York City based journalist, author, blogger and playwright. My most recent book is called "Jagger – Rebel, Rockstar, Rambler, Roque.

    Ruben Jonas Schnell: Der Prolog Ihres Buches über Mick Jagger trägt den Titel Brenda. Wer ist Brenda?

    Spitz: Brenda ist Mick – nehme ich an. Wenn man Keith Richards fragt, wer Brenda ist, wäre das jedenfalls seine Antwort. Ich habe keins ihrer Bücher gelesen, aber Brenda Jagger war eine ziemlich erfolgreiche Autorin von Geschichtsromanen. In den 80er-Jahren versuchte sich Mick an einer Solokarriere und hing mit – Keith würde sagen – plüschigen Bands wie Duran Duran herum. Aus dieser Zeit stammt der Spitzname. Für Keith Richards war der Blues schon als Teenager eine beinahe religiöse Angelegenheit. Der Blues als rein männliche Kunstform. Seinem Partner einen weiblichen Spitznamen zu geben, das war verletzend. Natürlich ist der Blues nicht wirklich ein rein männliches Phänomen. Aber im England der 60er-Jahre gab es kaum Frauen, die als Bluessängerinnen in Erscheinung traten und Leute wie Eric Burdon, die frühen Who und auch die frühen Rolling Stones - mit Songs wie "I'm a King Bee" oder "Little Red Rooster" -, wollten klingen wie ruppige afroamerikanische Kerle. Ich glaube, auch Ron Wood nennt Mick hinter seinem Rücken "Brenda".

    Das "Brenda-Problem" habe ich gleich am Anfang meines Buches eingeführt, um die beiden Lager deutlich zu machen: Mick und der Rest der Band. In letzter Zeit scheinen sie ihre Schwierigkeiten miteinander wieder in den Griff bekommen zu haben. Angeblich proben sie sogar für irgendwelche Aktionen zum 50. Bandjubiläum. Aber es gab eine Zeit, in der die Beziehung zwischen den Musikern ziemlich abgekühlt war. Mick stand auf der einen, der Rest der Band auf der anderen Seite. Nur Stones-Schlagzeuger Charlie Watts hielt diese Zickereien wohl immer für ein bisschen albern. Er ist ohnehin der coolste Rolling Stone. Womit sich die Frage erübrigt hat, ob Mick oder Keith das coolste Bandmitglied ist.

    Schnell: Wann haben Sie angefangen, sich für Mick Jagger zu interessieren?

    Spitz: Meine Mutter war dabei und hat gekreischt, als die Stones zum ersten Mal nach New York gekommen sind. Ende 1964 machten die Rolling Stones es den Beatles nach und landeten in New York auf dem Flughafen John F. Kennedy. Es gab damals eine Stones-Mania, genau wie vorher die Beatles-Mania. Meine Mutter sah Konzerte der Stones und hatte alle Platten. Ich bin nicht sicher, ob sie auch vor dem Hotel der Musiker übernachtet hat. Wahrscheinlich würde sie nicht wollen, dass ich das weiß. Jedenfalls waren die Stones in unserer Familie, bevor ich 1969 zur Welt kam. Als ich anfing, mich für Musik zu interessieren, gab meine Mutter mir einen Stapel Stones-Platten und ich glaube, ich habe die Gesichter auf den Covern gesehen, bevor ich die Songs hörte. Das "Black and Blue"-Album hat mich besonders fasziniert: Die Nahaufnahmen der Gesichter sahen anders aus als Leute, die ich kannte: sonderbar und großartig, irgendwie wie Außerirdische und ziemlich verdrogt und kaputt. Wasted. So wie ich vielleicht auch irgendwann mal sein wollte.

    Ich klinge wie ein alter Sack, wenn ich das sage, aber meine erste Begegnung mit den Rolling Stones hatte ich zu einer Zeit, als man noch ein Plattencover in der Hand hatte, wenn man Musik hörte. Heute bekommt man beim Musikhören allenfalls ein briefmarkengroßes digitales Bild zu sehen. Meine erste Begegnung mit den Stones hatte ich, bevor ich anfing, eigene musikalische Entscheidungen zu treffen und mich für The Clash und Adam Ant zu interessieren. 1976, 77 gab es für mich nur die Stones, die Beatles und Star Wars. (lacht)

    Schnell: Was ist besonders interessant an Mick Jagger

    Spitz: Als Fan bin ich von denselben Eigenschaften begeistert wie alle anderen seiner Bewunderer: Er hat eine tolle Stimme, schreibt gute Texte und er sieht über die Jahre immer wieder interessant aus: von den Mod-Bildern von David Bailey aus den 60er-Jahren über die eleganten Drogen-/Jetset-Fotos aus den 70er-Jahren mit seiner Frau Bianca im Arm oder die Bilder in Fußballhosen aus den 80er-Jahren. Mick Jagger war immer wieder eine faszinierende modische Projektionsfläche. Als Biograf würde ich die Frage aber anders beantworten. Besonders interessiert mich an Mick Jagger, dass sich seine Persönlichkeit kaum festnageln lässt. Es würde keinen Spaß machen, eine Biografie über jemanden zu schreiben, dessen Charakter man ohne Weiteres auf den Punkt bringen kann, ohne immer wieder Neues zu entdecken. Dass ich selbst nicht so recht wusste, wer dieser Typ eigentlich ist, über den ich da schrieb, gefiel mir.

    Schnell: Meinten Sie das, als sie in der Biografie schrieben, Mick Jagger sei einer der am meisten missverstandenen Künstler im Rock?

    Spitz: Ja genau! Ich fand interessant, dass er zunächst als Rebellenführer verehrt wurde und ein paar Jahre später, als sich der Zeitgeist verändert hatte, repräsentierte er plötzlich das Establishment und wurde dafür abgelehnt. Alle Punks hassten Mick Jagger, obwohl er letztlich die Rockrebellion überhaupt erfunden hat. Oder zumindest daran beteiligt war, diese Rebellion zu popularisieren. Mich hat fasziniert, wie sich der Wert einer Person am kulturellen Aktienindex so dramatisch verändern kann.

    Schnell: Beurteilen Sie Mick Jagger im Laufe der Jahre nicht auch unterschiedlich? Schon rein künstlerisch? Wenn ich die Stones in den 60er- und 70er-Jahren mit der Band in den 90er-Jahren vergleiche, hat die Gruppe für mich völlig an Relevanz verloren. Irgendwann repräsentierte Mick Jagger wirklich das Establishment. Ich fand das furchtbar.

    Spitz: Ich habe diese Entwicklung beobachtet, aber sie hat mich nicht sonderlich betrübt. Betrübt haben mich damals andere Dinge. Als ich das Buch über Mick Jagger schrieb, war mir seine Entwicklung natürlich bewusst. Ich wollte Mick Jagger nicht als coolen Typen darstellen, sondern verschiedene Sichtweisen auf seine Person anbieten. Wenn er sich benommen hat wie ein Arschloch, habe ich das entsprechend dargestellt. Das Buch soll keine Werbung für Mick Jagger sein. Ich bin nicht sein Pressesprecher. Aber die wenigsten Leute, die darüber meckern, wie konservativ Mick Jagger geworden ist, kennen zum Beispiel den Text des Songs Sweet Neo Con. Ich wollte zeigen, dass es verschiedene Blickwinkel gibt. Das ist gesund. Im Rock 'n' Roll soll es um Freiheit gehen. Leider gibt es eine Menge ziemlich verkrusteter Vorstellungen im Rock. So etwas rühre ich gern auf und versuche, konventionelle Gedanken infrage zu stellen.

    Schnell: Das Stück Sweet Neo Con war vor ein paar Jahren eine ziemlich direkte Kritik an der Bush-Regierung. Viele hätten Mick Jagger so etwas nicht mehr zugetraut. Wie würden Sie die musikalische Relevanz der Rolling Stones in den letzten 20 Jahren beurteilen? Viele werfen der Band vor, dass sie nicht aufhören kann, obwohl sie musikalisch eigentlich nichts mehr zu sagen hat.

    Spitz: Gegen so einen Gedanken bin ich nicht immun. Im Rock 'n' Roll läuft man Gefahr, an Bedeutung zu verlieren, wenn man älter wird. Aber was soll man machen? Wir werden alle älter. Die Motivation macht wahrscheinlich den Unterschied. Die Frage ist, ob man nur wegen des Geldes weiter macht, um den Ruhm vergangener Tage wieder zu beleben oder weil man es wirklich liebt.

    Schnell: Aber wer ewig weiter macht, läuft Gefahr genau das zu tun, was man mit 25 verabscheut hat.

    Spitz: Sollen die Leute sterben wie Joe Strummer oder Brian Jones? Es gibt keine Alternative zum Weitermachen. Außer man verschwindet einfach. Wie David Bowie.

    Schnell: Das können sich die wenigsten Leute leisten...

    Spitz: Das stimmt. Bono könnte verschwinden. Macht er aber nicht, weil er wichtig und relevant bleiben möchte. Das ist bewundernswert, finde ich. Aber das sind wirklich schwierige Fragen, die sich auch auf meiner Seite des Business' stellen. Wird es irgendwann unpassend, als Musikjournalist auf jedes Konzert jeder neuen Band zu rennen? Oder muss man auf der Höhe der Zeit bleiben und jedes neue Hip-Hop-Mixtape kennen? Wo hört es auf?

    Schnell: Genau das wollte ich Sie ohnehin fragen. Ich bin Musikjournalist wie sie. Ich bin 43, Sie sind 42. Wir machen den Job beide seit über 20 Jahren. Was ist Ihre Antwort auf diese Fragen? Muss man jede neue heiße Band kennen?

    Spitz: Die Musik steht einem ohnehin zur Verfügung. Man sollte sich nicht davor verschließen. Aber man muss nicht der Erste sein, der über das neue Video von Azealia Banks berichtet. So was habe ich ohnehin nie gemacht. Es ging mir immer mehr um die Ideen hinter der Musik als darum, der Erste zu sein. Wie überall ist die richtige Balance wichtig. Ich bin froh, dass es immer noch Alben von jungen Bands gibt, die mich interessieren. Und dass ich immer noch einen Song hören und dabei etwas empfinden kann. Cat Power hat vor ein paar Tagen ein neues Stück veröffentlicht. Und ich war wirklich gespannt, es zu hören. So ein Gefühl ist für jemanden in unserem Alter vermutlich leider eher selten.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Mehr zum Thema:
    Blog des New Yorker Musikjournalisten Marc Spitz