Stefan Heinlein: 150 Euro, das ist die Strafe künftig für das öffentliche Tragen der Burka in Frankreich. Ein entsprechendes Gesetz zum Verbot des Ganzkörperschleiers wurde jetzt von der Nationalversammlung verabschiedet. Noch fehlt die Zustimmung des Senates und auch der Verfassungsrat hat noch ein Wörtchen mitzureden, doch in der breiten Öffentlichkeit gibt es bereits viel Beifall für das Burkaverbot. Betroffen ist nur eine kleine Minderheit in Frankreich, rund 2000 Frauen verhüllen ihr Gesicht. Doch Kritiker warnen vor einer Vertiefung der Kluft zwischen gläubigen Muslimen und dem Rest der Gesellschaft.
Über das Burkaverbot in Frankreich habe ich vor dieser Sendung mit Lamya Kaddor gesprochen. Sie ist die Vorsitzende des neu gegründeten Liberal-Islamischen Bundes, einer Gruppe reformorientierter Muslime in Deutschland. Ich habe Frau Kaddor zunächst gefragt, ob sie das Burkaverbot für richtig hält.
Lamya Kaddor: Nein. Bis zu einem gewissen Grad nein, denn ich habe immer dann ein Problem mit solchen Ge- oder Verboten, wenn der Staat sich in die Belange von Religion einmischt, was nicht bedeutet, dass ich es nicht auch befremdlich finde, wenn ich eine burkatragende oder eine ganzkörperverschleierte Frau sehe. Das finde ich genauso befremdlich oder merkwürdig. Aber ich würde nie so weit gehen, ein ganzes Verbot auszusprechen.
Heinlein: Können Sie denn die Motive der Frauen verstehen, die ihr Gesicht verhüllen? Wer sind die Frauen, die Burka oder Niqab tragen?
Kaddor: Wir sprechen ja gerade über Frankreich, dort sind es laut Schätzung etwa 2000 Frauen, die diese Art von Verschleierung tragen, und ich kann das natürlich nicht wirklich verstehen, denn ich trage selbst ja auch nicht einmal ein Kopftuch. Schon gar nicht theologisch kann ich es verstehen. Beim Kopftuch könnte ich sagen, gut, ich kann es bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen, wenn man das theologisch für sich begründen kann und möchte, aber es gibt keinerlei theologische Basis für die Ganzkörperverschleierung.
Heinlein: Was soll denn die Verhüllung des Gesichtes ausdrücken, eine besondere Strenggläubigkeit, eine besondere Nähe zu Gott, zu Allah?
Kaddor: Ich glaube, eher die Strenggläubigkeit und vermutlich geht damit einher ein bestimmter Wert. Sehr konservative oder sehr klassisch ausgerichtete Muslime halten den Wert des Friedens, des Aufrechterhaltens des Friedens, des gesellschaftlichen Friedens ja sehr hoch, und das bedeutet, wenn eine Frau beispielsweise ein sehr hübsches Gesicht hat und das dann quasi zeigt, auch wenn sie nur normal verschleiert ist durch das Kopftuch, dass sie eventuell zur Zwietracht – das ist so diese klassische Vorstellung -, zu einer sogenannten Fedna, zu dieser Zwietracht führt und dass das dann quasi, weiß ich nicht, die gesellschaftliche Moral umstürzen würde, und deshalb tragen tatsächlich einige Frauen den Gesichtsschleier, weil sie eben genau dies verhindern wollen.
Heinlein: Sie sagen aber, theologisch, also im Koran, gibt es keine Begründung für eine Gesichtsverhüllung. Kann man also gläubige Muslimin sein, ohne sein Gesicht zu verhüllen oder ein Kopftuch zu tragen?
Kaddor: Ja. Man kann tief gläubige Muslima sein, indem man "nur" sein Haupthaar bedeckt, aber man kann auch gläubige Muslima sein – und dafür stehe ich ja nun mal auch, gerade ich -, indem man eben gar kein Kopftuch trägt. Ich will nichts besser bewerten oder höher bewerten als das andere, aber zumindest beides auf die gleiche Stufe setzen.
Heinlein: Wie repräsentativ sind Sie denn mit Ihrer liberalen Meinung zum Kopftuch, zur Burka in der islamischen Gemeinde in Deutschland und Europa?
Kaddor: Nun, das ist ganz schwierig. Es gibt natürlich keine Zahlen. Klar ist jedenfalls, dass in Deutschland die Mehrheit der Musliminnen kein Kopftuch trägt. Ich weiß nicht, inwiefern das so der normale Bürger weiß. Die meisten Musliminnen tragen in Deutschland kein Kopftuch. Die, die eines tragen, können natürlich trotzdem liberal sein. Das eine schließt das andere explizit nicht aus. Das heißt ja nicht, nur weil ich ein Kopftuch trage, habe ich gleich weiß Gott was für konservative Vorstellungen.
Häufig erlebe ich es, dass gerade in der jüngeren Generation, also auch in meinem Alter, Frauen ein Kopftuch tragen und sehr, sehr, sehr selbstbewusst, sehr gebildet sind, sehr selbstbewusst und sehr selbstbestimmt auch ihr Leben leben. Das Klischee, was man so gemeinhin im Kopf hat, stimmt nicht.
Darüber hinaus hat übrigens gestern das Pew-Forum in Amerika eine Umfrage veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass die meisten Europäer diesem Verbot zustimmen, aber die meisten Amerikaner interessanterweise eben nicht, und man muss sich fragen: Woran liegt das. Leider wird die Begründung nicht aufgeführt, da werden also nur die Zahlen, die Statistiken benannt. Ich glaube, das hat sicherlich auch damit was zu tun, dass dem Begriff der Freiheit, der persönlichen Freiheit in Amerika einfach eine viel größere Bedeutung zugemessen wird, als man das hier in Europa tut – leider.
Heinlein: Nun sagen die Kritiker eines Burkaverbotes, dies würde die Kluft zwischen streng gläubigen Muslimen und dem Rest der westlichen Gesellschaft weiter vertiefen. Stimmt das?
Kaddor: Nein, das sehe ich so nicht, denn egal wie streng gläubig man ist, man darf das nicht, man darf sich da nicht vertun. Eine Ganzkörperverschleierung zu tragen, ist theologisch nicht ableitbar. Das heißt, nirgendwo im Koran, oder in der Sunnah des Propheten, also das, was der Prophet so gemeinhin gesagt hat, nirgendwo findet man diese Aufforderung, sein Gesicht zu verschleiern. Das heißt, im Grunde genommen stützen sich diese Personen oder diese Frauen nicht auf ein islamisches Gutachten sozusagen. Noch letztes Jahr hat der mittlerweile verstorbene Al-Asad Theologe eine seiner Studentinnen vor der Universität aufgefordert, diesen Gesichtsschleier abzulegen, weil das absolut unislamisch sei und eher eine Art vorislamischer Tradition ist.
Heinlein: Aber bleibt nicht bei vielen Muslimen jetzt vielleicht gerade in Frankreich das Gefühl, sie lehnen uns ab, unsere Religion und die Art und Weise, wie wir sie ausüben?
Kaddor: Ja, natürlich! Wenn ich es richtig verstanden habe, man hat natürlich jetzt daraus kein Burkaverbot gemacht, sondern ein sogenanntes Vermummungsverbot, um diesen diskriminierenden Touch wegzukriegen. Aber nichtsdestotrotz bleibt unterm Strich natürlich das übrig, dass sich sämtliche Muslime in Europa wieder einmal – wie soll ich das sagen? – stigmatisiert fühlen.
Heinlein: Also das Grundgefühl der allgemeinen Islam-Feindlichkeit in Europa?
Kaddor: Ja! Sage ich es mal so: ich weiß gar nicht, ob man im Prinzip sagen kann, dass es überall diese Islam-Feindlichkeit gibt. Es gibt sie, das ist schon mal klar, und sie wird nicht besser, indem wir solche Gesetze erlassen – ganz im Gegenteil. Bei vielen Leuten schürt das noch mehr, zum Teil auch eine bestimmte Ablehnung gegen die Mehrheitsgesellschaft, in der man eigentlich selbst geboren wurde und groß geworden ist.
Heinlein: Nun sagen umgekehrt andere, die Burka, der Ganzkörperschleier sei ein Ausdruck von Radikalität, von Fundamentalismus, von Islamismus. Ist denn diese Gleichung richtig, Burka gleich fanatisch?
Kaddor: Jein. Auch da muss man natürlich schauen: die afghanische Burka, wenn Sie sie auf Afghanistan beziehen, dann ist sie definitiv ein Instrument des Fundamentalismus und des Patriarchalismus, ganz klar! Wenn sie – ich habe Verwandtschaft in Syrien – dort eine niqabtragende Frau (das ist nämlich das richtige Wort) sehen, ich kenne einige Frauen, die das tragen und die das wirklich nicht machen, weil ihre Männer es gerne hätten, sondern weil die allen Ernstes davon überzeugt sind, dass es moralisch besser wäre, sowohl die Hände, das Gesicht, die Füße, also im Grunde genommen alles zu bedecken, und das hat wirklich nichts mit Fanatismus im Kopf zu tun. Objektiv betrachtet mag das vielleicht so sein, aber eigentlich hat ihre eigene Einstellung nichts mit Fanatismus zu tun.
Heinlein: Stimmt das denn? Haben tatsächlich muslimische Frauen auch gerade in Europa überhaupt die Wahl, ob sie einen Schleier tragen oder nicht?
Kaddor: Ich sage mal ganz klar, die meisten haben natürlich die Wahl. Aber ich gebe ganz klar zu, dass es da eine Ziffer gibt – ich kann Ihnen keine Ziffer nennen, aber ich weiß, das es eine Gruppe gibt natürlich von Frauen, die das nicht ganz so freiwillig tragen. Es gibt auch eine sehr große Gruppe übrigens von Frauen, die tragen es, aber fühlen sich zunehmend unwohler in ihrer Haut, es zu tragen, weil ihnen nämlich die Mehrheitsgesellschaft suggeriert, dass sie damit eigentlich nicht willkommen sind und dass sie nicht dazugehören zu diesem Wir-Gefühl.
Ich will es nicht leugnen: Natürlich gibt es eine Gruppe von Musliminnen, denen aber nicht nur das Kopftuch aufgezwängt wird. Ich glaube ohnehin, abgesehen von dieser ganzen Debatte, wir werden das Problem der Unterdrückung muslimischer Frauen, die nicht von der Hand zu weisen ist, nicht lösen, indem wir ein Burkaverbot aussprechen.
Heinlein: Aber genau so argumentiert die französische Regierung, die sagt, es gehe bei diesem Gesetz um Würde, Gleichheit und Transparenz, also die Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Müssen nicht tatsächlich diese Werte verteidigt werden vor religiösen Fanatikern, oder vor Männern, die ihre Frauen zwingen, einen Schleier zu tragen?
Kaddor: Im Allgemeinen gebe ich Ihnen Recht. Natürlich müssen diese Werte verteidigt werden und sie müssen auch hochgehalten werden und im Notfall sozusagen muss auch eben die religiöse Freiheit eingeschränkt werden, ganz klar. Gerade in Frankreich kann ich das bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen. Aber man muss sich ja auch mal die Frage stellen, wie verhältnismäßig ist das eigentlich, für 2000 Frauen solch ein Gesetz zu verabschieden, dann aber sämtliche Ausnahmen natürlich zu schaffen, weil der Polizist darf seine Maske tragen, die Karnevalisten dürfen die Masken tragen, der Motorradfahrer darf natürlich auch noch seinen Helm tragen. Eigentlich sind es dann doch wieder nur die Musliminnen, die ihr Gesicht vermummen.
Diese Verhältnismäßigkeit, für 2000 Frauen dieses Gesetz zu verabschieden, die sehe ich, die ist nicht gegeben, und ich glaube, dass es gerade in einer Demokratie, die wirklich hart erkämpft worden ist und für die auch ich einstehe, möglich sein muss, gerade für diese 2000 Frauen andere Regelungen zu finden. Wir müssen das aushalten! Ich glaube, dafür ist unsere Demokratie stark genug und dafür sind auch wir stark genug, dass wir solche Werte aufrecht erhalten. Das heißt ja nicht, nur weil 2000 Frauen das tatsächlich machen, dass wir gleich sämtliche Werte in Form von Einheit, Gleichheit vor dem Gesetz über Bord werfen. Das sehe ich eben überhaupt nicht.
Heinlein: In Frankreich nun ein Burkaverbot. Halten Sie Ähnliches in Deutschland für möglich, oder zumindest die Diskussion in den kommenden Wochen und Monaten über dieses Thema?
Kaddor: Ich glaube insgesamt – so bewerte ich diese ganzen Verbote -, das Burkaverbot ist ja nun mal ein weiteres Mosaikstückchen, will ich mal so sagen. Wir hatten vorher das Minarett-Verbot, zumindest die Diskussion darüber. Davor gab es irgendwann mal das Verbot rund ums Schächten; auch das wird übrigens gerade wieder aufgerollt. Ich glaube, das sind alles Diskussionen, die eher Scheindebatten sind. Ich glaube nicht wirklich, dass damit irgendein Problem "gelöst" wird. Die sogenannte Angst vor der Islamisierung, die überwindet man doch ganz ehrlich nicht dadurch, indem man Verbote gezielt gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen ausspricht. Sie glauben doch nicht, wenn ich das Burkaverbot tatsächlich einführe, dass ich dann endlich etwas gegen die Unterdrückung der muslimischen Frauen getan habe, oder dass ich, wenn ich Minarette verbiete, der Islamisierung Europas etwas entgegensetzt habe. Das ist ein Bekämpfen von Phänomenen, die im Grunde genommen aber nicht wirklich in die Tiefe dringen, sondern da schaut man nur, was ist oberflächlich, äußerlich zu sehen, das Äußerliche muss irgendwie abgeschafft werden, eben Burka und Minarett, das ist das, was sichtbar ist, und nach weiteren Dingen fragt man nicht.
Heinlein: Das Burkaverbot in Frankreich. Dazu heute Morgen im Deutschlandfunk Lamya Kaddor, Vorsitzende des neu gegründeten Liberal-Islamischen Bundes, einer Gruppe reformorientierter Muslime in Deutschland. Wir haben das Gespräch mit Frau Kaddor vor dieser Sendung aufgezeichnet.
Über das Burkaverbot in Frankreich habe ich vor dieser Sendung mit Lamya Kaddor gesprochen. Sie ist die Vorsitzende des neu gegründeten Liberal-Islamischen Bundes, einer Gruppe reformorientierter Muslime in Deutschland. Ich habe Frau Kaddor zunächst gefragt, ob sie das Burkaverbot für richtig hält.
Lamya Kaddor: Nein. Bis zu einem gewissen Grad nein, denn ich habe immer dann ein Problem mit solchen Ge- oder Verboten, wenn der Staat sich in die Belange von Religion einmischt, was nicht bedeutet, dass ich es nicht auch befremdlich finde, wenn ich eine burkatragende oder eine ganzkörperverschleierte Frau sehe. Das finde ich genauso befremdlich oder merkwürdig. Aber ich würde nie so weit gehen, ein ganzes Verbot auszusprechen.
Heinlein: Können Sie denn die Motive der Frauen verstehen, die ihr Gesicht verhüllen? Wer sind die Frauen, die Burka oder Niqab tragen?
Kaddor: Wir sprechen ja gerade über Frankreich, dort sind es laut Schätzung etwa 2000 Frauen, die diese Art von Verschleierung tragen, und ich kann das natürlich nicht wirklich verstehen, denn ich trage selbst ja auch nicht einmal ein Kopftuch. Schon gar nicht theologisch kann ich es verstehen. Beim Kopftuch könnte ich sagen, gut, ich kann es bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen, wenn man das theologisch für sich begründen kann und möchte, aber es gibt keinerlei theologische Basis für die Ganzkörperverschleierung.
Heinlein: Was soll denn die Verhüllung des Gesichtes ausdrücken, eine besondere Strenggläubigkeit, eine besondere Nähe zu Gott, zu Allah?
Kaddor: Ich glaube, eher die Strenggläubigkeit und vermutlich geht damit einher ein bestimmter Wert. Sehr konservative oder sehr klassisch ausgerichtete Muslime halten den Wert des Friedens, des Aufrechterhaltens des Friedens, des gesellschaftlichen Friedens ja sehr hoch, und das bedeutet, wenn eine Frau beispielsweise ein sehr hübsches Gesicht hat und das dann quasi zeigt, auch wenn sie nur normal verschleiert ist durch das Kopftuch, dass sie eventuell zur Zwietracht – das ist so diese klassische Vorstellung -, zu einer sogenannten Fedna, zu dieser Zwietracht führt und dass das dann quasi, weiß ich nicht, die gesellschaftliche Moral umstürzen würde, und deshalb tragen tatsächlich einige Frauen den Gesichtsschleier, weil sie eben genau dies verhindern wollen.
Heinlein: Sie sagen aber, theologisch, also im Koran, gibt es keine Begründung für eine Gesichtsverhüllung. Kann man also gläubige Muslimin sein, ohne sein Gesicht zu verhüllen oder ein Kopftuch zu tragen?
Kaddor: Ja. Man kann tief gläubige Muslima sein, indem man "nur" sein Haupthaar bedeckt, aber man kann auch gläubige Muslima sein – und dafür stehe ich ja nun mal auch, gerade ich -, indem man eben gar kein Kopftuch trägt. Ich will nichts besser bewerten oder höher bewerten als das andere, aber zumindest beides auf die gleiche Stufe setzen.
Heinlein: Wie repräsentativ sind Sie denn mit Ihrer liberalen Meinung zum Kopftuch, zur Burka in der islamischen Gemeinde in Deutschland und Europa?
Kaddor: Nun, das ist ganz schwierig. Es gibt natürlich keine Zahlen. Klar ist jedenfalls, dass in Deutschland die Mehrheit der Musliminnen kein Kopftuch trägt. Ich weiß nicht, inwiefern das so der normale Bürger weiß. Die meisten Musliminnen tragen in Deutschland kein Kopftuch. Die, die eines tragen, können natürlich trotzdem liberal sein. Das eine schließt das andere explizit nicht aus. Das heißt ja nicht, nur weil ich ein Kopftuch trage, habe ich gleich weiß Gott was für konservative Vorstellungen.
Häufig erlebe ich es, dass gerade in der jüngeren Generation, also auch in meinem Alter, Frauen ein Kopftuch tragen und sehr, sehr, sehr selbstbewusst, sehr gebildet sind, sehr selbstbewusst und sehr selbstbestimmt auch ihr Leben leben. Das Klischee, was man so gemeinhin im Kopf hat, stimmt nicht.
Darüber hinaus hat übrigens gestern das Pew-Forum in Amerika eine Umfrage veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass die meisten Europäer diesem Verbot zustimmen, aber die meisten Amerikaner interessanterweise eben nicht, und man muss sich fragen: Woran liegt das. Leider wird die Begründung nicht aufgeführt, da werden also nur die Zahlen, die Statistiken benannt. Ich glaube, das hat sicherlich auch damit was zu tun, dass dem Begriff der Freiheit, der persönlichen Freiheit in Amerika einfach eine viel größere Bedeutung zugemessen wird, als man das hier in Europa tut – leider.
Heinlein: Nun sagen die Kritiker eines Burkaverbotes, dies würde die Kluft zwischen streng gläubigen Muslimen und dem Rest der westlichen Gesellschaft weiter vertiefen. Stimmt das?
Kaddor: Nein, das sehe ich so nicht, denn egal wie streng gläubig man ist, man darf das nicht, man darf sich da nicht vertun. Eine Ganzkörperverschleierung zu tragen, ist theologisch nicht ableitbar. Das heißt, nirgendwo im Koran, oder in der Sunnah des Propheten, also das, was der Prophet so gemeinhin gesagt hat, nirgendwo findet man diese Aufforderung, sein Gesicht zu verschleiern. Das heißt, im Grunde genommen stützen sich diese Personen oder diese Frauen nicht auf ein islamisches Gutachten sozusagen. Noch letztes Jahr hat der mittlerweile verstorbene Al-Asad Theologe eine seiner Studentinnen vor der Universität aufgefordert, diesen Gesichtsschleier abzulegen, weil das absolut unislamisch sei und eher eine Art vorislamischer Tradition ist.
Heinlein: Aber bleibt nicht bei vielen Muslimen jetzt vielleicht gerade in Frankreich das Gefühl, sie lehnen uns ab, unsere Religion und die Art und Weise, wie wir sie ausüben?
Kaddor: Ja, natürlich! Wenn ich es richtig verstanden habe, man hat natürlich jetzt daraus kein Burkaverbot gemacht, sondern ein sogenanntes Vermummungsverbot, um diesen diskriminierenden Touch wegzukriegen. Aber nichtsdestotrotz bleibt unterm Strich natürlich das übrig, dass sich sämtliche Muslime in Europa wieder einmal – wie soll ich das sagen? – stigmatisiert fühlen.
Heinlein: Also das Grundgefühl der allgemeinen Islam-Feindlichkeit in Europa?
Kaddor: Ja! Sage ich es mal so: ich weiß gar nicht, ob man im Prinzip sagen kann, dass es überall diese Islam-Feindlichkeit gibt. Es gibt sie, das ist schon mal klar, und sie wird nicht besser, indem wir solche Gesetze erlassen – ganz im Gegenteil. Bei vielen Leuten schürt das noch mehr, zum Teil auch eine bestimmte Ablehnung gegen die Mehrheitsgesellschaft, in der man eigentlich selbst geboren wurde und groß geworden ist.
Heinlein: Nun sagen umgekehrt andere, die Burka, der Ganzkörperschleier sei ein Ausdruck von Radikalität, von Fundamentalismus, von Islamismus. Ist denn diese Gleichung richtig, Burka gleich fanatisch?
Kaddor: Jein. Auch da muss man natürlich schauen: die afghanische Burka, wenn Sie sie auf Afghanistan beziehen, dann ist sie definitiv ein Instrument des Fundamentalismus und des Patriarchalismus, ganz klar! Wenn sie – ich habe Verwandtschaft in Syrien – dort eine niqabtragende Frau (das ist nämlich das richtige Wort) sehen, ich kenne einige Frauen, die das tragen und die das wirklich nicht machen, weil ihre Männer es gerne hätten, sondern weil die allen Ernstes davon überzeugt sind, dass es moralisch besser wäre, sowohl die Hände, das Gesicht, die Füße, also im Grunde genommen alles zu bedecken, und das hat wirklich nichts mit Fanatismus im Kopf zu tun. Objektiv betrachtet mag das vielleicht so sein, aber eigentlich hat ihre eigene Einstellung nichts mit Fanatismus zu tun.
Heinlein: Stimmt das denn? Haben tatsächlich muslimische Frauen auch gerade in Europa überhaupt die Wahl, ob sie einen Schleier tragen oder nicht?
Kaddor: Ich sage mal ganz klar, die meisten haben natürlich die Wahl. Aber ich gebe ganz klar zu, dass es da eine Ziffer gibt – ich kann Ihnen keine Ziffer nennen, aber ich weiß, das es eine Gruppe gibt natürlich von Frauen, die das nicht ganz so freiwillig tragen. Es gibt auch eine sehr große Gruppe übrigens von Frauen, die tragen es, aber fühlen sich zunehmend unwohler in ihrer Haut, es zu tragen, weil ihnen nämlich die Mehrheitsgesellschaft suggeriert, dass sie damit eigentlich nicht willkommen sind und dass sie nicht dazugehören zu diesem Wir-Gefühl.
Ich will es nicht leugnen: Natürlich gibt es eine Gruppe von Musliminnen, denen aber nicht nur das Kopftuch aufgezwängt wird. Ich glaube ohnehin, abgesehen von dieser ganzen Debatte, wir werden das Problem der Unterdrückung muslimischer Frauen, die nicht von der Hand zu weisen ist, nicht lösen, indem wir ein Burkaverbot aussprechen.
Heinlein: Aber genau so argumentiert die französische Regierung, die sagt, es gehe bei diesem Gesetz um Würde, Gleichheit und Transparenz, also die Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Müssen nicht tatsächlich diese Werte verteidigt werden vor religiösen Fanatikern, oder vor Männern, die ihre Frauen zwingen, einen Schleier zu tragen?
Kaddor: Im Allgemeinen gebe ich Ihnen Recht. Natürlich müssen diese Werte verteidigt werden und sie müssen auch hochgehalten werden und im Notfall sozusagen muss auch eben die religiöse Freiheit eingeschränkt werden, ganz klar. Gerade in Frankreich kann ich das bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen. Aber man muss sich ja auch mal die Frage stellen, wie verhältnismäßig ist das eigentlich, für 2000 Frauen solch ein Gesetz zu verabschieden, dann aber sämtliche Ausnahmen natürlich zu schaffen, weil der Polizist darf seine Maske tragen, die Karnevalisten dürfen die Masken tragen, der Motorradfahrer darf natürlich auch noch seinen Helm tragen. Eigentlich sind es dann doch wieder nur die Musliminnen, die ihr Gesicht vermummen.
Diese Verhältnismäßigkeit, für 2000 Frauen dieses Gesetz zu verabschieden, die sehe ich, die ist nicht gegeben, und ich glaube, dass es gerade in einer Demokratie, die wirklich hart erkämpft worden ist und für die auch ich einstehe, möglich sein muss, gerade für diese 2000 Frauen andere Regelungen zu finden. Wir müssen das aushalten! Ich glaube, dafür ist unsere Demokratie stark genug und dafür sind auch wir stark genug, dass wir solche Werte aufrecht erhalten. Das heißt ja nicht, nur weil 2000 Frauen das tatsächlich machen, dass wir gleich sämtliche Werte in Form von Einheit, Gleichheit vor dem Gesetz über Bord werfen. Das sehe ich eben überhaupt nicht.
Heinlein: In Frankreich nun ein Burkaverbot. Halten Sie Ähnliches in Deutschland für möglich, oder zumindest die Diskussion in den kommenden Wochen und Monaten über dieses Thema?
Kaddor: Ich glaube insgesamt – so bewerte ich diese ganzen Verbote -, das Burkaverbot ist ja nun mal ein weiteres Mosaikstückchen, will ich mal so sagen. Wir hatten vorher das Minarett-Verbot, zumindest die Diskussion darüber. Davor gab es irgendwann mal das Verbot rund ums Schächten; auch das wird übrigens gerade wieder aufgerollt. Ich glaube, das sind alles Diskussionen, die eher Scheindebatten sind. Ich glaube nicht wirklich, dass damit irgendein Problem "gelöst" wird. Die sogenannte Angst vor der Islamisierung, die überwindet man doch ganz ehrlich nicht dadurch, indem man Verbote gezielt gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen ausspricht. Sie glauben doch nicht, wenn ich das Burkaverbot tatsächlich einführe, dass ich dann endlich etwas gegen die Unterdrückung der muslimischen Frauen getan habe, oder dass ich, wenn ich Minarette verbiete, der Islamisierung Europas etwas entgegensetzt habe. Das ist ein Bekämpfen von Phänomenen, die im Grunde genommen aber nicht wirklich in die Tiefe dringen, sondern da schaut man nur, was ist oberflächlich, äußerlich zu sehen, das Äußerliche muss irgendwie abgeschafft werden, eben Burka und Minarett, das ist das, was sichtbar ist, und nach weiteren Dingen fragt man nicht.
Heinlein: Das Burkaverbot in Frankreich. Dazu heute Morgen im Deutschlandfunk Lamya Kaddor, Vorsitzende des neu gegründeten Liberal-Islamischen Bundes, einer Gruppe reformorientierter Muslime in Deutschland. Wir haben das Gespräch mit Frau Kaddor vor dieser Sendung aufgezeichnet.