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Ifo-Ökonom Fuest zu EU-Kommission
"Eine dauerhafte Hängepartie wäre schlecht"

Clemens Fuest, Chef des Wirtschaftsforschungsinstitut ifo, drängt auf eine rasche Besetzung der EU-Führungsposten. Die neue Kommission müsse vor allem den Zusammenhalt innerhalb der EU wahren. "Die Kräfte, die die EU derzeit auseinandertreiben, sind sehr groß", sagte Fuest im Dlf.

Clemens Fuest im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 16.07.2019
Ursula von der Leyen sitzt im Europaparlament nach ihrer Bewerbungsrede für den Posten als neue EU-Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyen nach ihrer Bewerbungsrede im Europaparlament - ifo-Chef Fuest drängt auf eine rasche Besetzung der EU-Spitzenposten (dpa / Michael Kappeler)
Jörg Münchenberg: Wenn alles gut geht, dann werden künftig zwei Frauen maßgeblich die europäische Wirtschafts- und Geldpolitik bestimmen: Ursula von der Leyen an der Kommissionsspitze, Hüterin der Verträge und zuständig für neue Gesetzesinitiativen, etwa beim Klimaschutz, beim globalen Handel oder auch in der Bankenregulierung, während wiederum die Französin Christine Lagarde an der Spitze der Europäischen Zentralbank künftig die Geldpolitik maßgeblich prägen soll - vorausgesetzt, das EU-Parlament zieht mit. Darübe habe ich mit dem Chef des Münchner ifo-Instituts, Clemens Fuest, gesprochen. Herr Fuest, einen schönen guten Morgen!
Clemens Fuest: Schönen guten Morgen, Herr Münchenberg!
Münchenberg: Herr Fuest, Europa befindet sich derzeit in einer ja doch eher schwierigen Lage, da ist der Handelsstreit mit den USA, da ist der drohende harte Brexit oder auch die sich abkühlende Konjunktur. Kann es sich die EU da überhaupt leisten, jetzt längere Zeit führungslos dazustehen, falls von der Leyen heute durchfallen sollte?
Fuest: Das wäre schon ein Problem, wenn es länger dauert. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass das eben die demokratischen Regeln sind und es ist schon sehr wichtig, dass der neue Kommissionspräsident eben regelgerecht gewählt wird und auch das Parlament hinter sich hat. Ich glaube, wenn es jetzt ein paar Wochen dauert, vielleicht auch ein oder zwei Monate, geht es. Schlecht wäre es, wenn es dauerhaft eine Hängepartie gäbe. Aber so weit sind wir ja noch nicht.
Münchenberg: Wäre die Europäische Union nicht trotzdem politisch oder vielleicht auch wirtschaftspolitisch erheblich geschwächt, wenn sie sich jetzt angesichts des eben nicht ganz leichten internationalen Umfeldes so zerstritten zeigt? In Washington, in Peking und in Moskau wird man ja sicherlich genau auch heute nach Straßburg schauen.
Fuest: Ja, keine Frage, es wäre schon gut, wenn Rat und Parlament so lange reden würden, bis man dann wirklich einen Kandidaten hat, auf den man sich einigt. Jetzt ist es so, dass man diese Wahl sehr schnell durchziehen will. Es wäre vielleicht gesünder gewesen, zunächst noch mal ein paar Wochen zu warten, um sich dann wirklich auf Frau von der Leyen zu einigen. Da geht es ja auch um inhaltliche Fragen. Wenn sie jetzt vom Parlament nicht gewählt wird, wird man ja wirklich einen neuen Kandidaten suchen müssen, und das wäre schon ein bisschen unglücklich.
Sorge um innere Zusammenhalt der Union
Münchenberg: Wo sind denn aus Ihrer Sicht oder wo liegen die wichtigsten Herausforderungen für die neue EU-Kommission? Zum Beispiel hat ja der französische Präsident Emmanuel Macron diverse Vorschläge gemacht, was die Währungsunion angeht. Also wo ist aus Ihrer Sicht der dringendste Handlungsbedarf?
Fuest: Ja, aus meiner Sicht geht es zunächst mal darum, die EU zusammenzuhalten. Wir sehen ja, dass die Konflikte mit gerade Staaten in Mittel- und Osteuropa zunehmen, Ungarn, Polen sind sehr skeptisch, es geht ja auch um die Frage, werden da rechtsstaatliche Bedingungen erhalten, und da muss der neue Kommissionspräsident die richtige Linie finden, einerseits europäische Standards durchzusetzen, auf der anderen Seite aber, nicht diese Länder so zu vergraulen, dass sie die EU blockieren. Die EU zusammenzuhalten ist meines Erachtens ebenso wichtig wie die Aufgaben nach außen, die Sie beschrieben haben, also natürlich den freien Handel aufrechterhalten, die Auseinandersetzung mit Russland so zu gestalten, dass es da friedlich bleibt. Aber es gibt eben auch nach innen große Probleme. Klar, die Währungsunion gehört auch dazu. Aber ich denke, vor allem den Zusammenhalt zu wahren ist wichtig.
Münchenberg: Das klingt aber eher nach Stagnation, also jedenfalls nicht nach einem großen Wurf oder großem Gestaltungsspielraum, den die neue Kommissionspräsidentin oder der -präsident dann hat.
Fuest: Ich denke, die neue Kommission muss sich auf einige wenige Dinge konzentrieren. Die ganz großen Visionen wird man nicht umsetzen können. Da fehlt es an Einigkeit, wenn wir die Währungsunion sehen. Zum Beispiel müssen wir berücksichtigen, dass derzeit in Italien eine Regierung ist, die sich ja gegen die Regeln ausgesprochen hat, die die Fiskalregeln nicht akzeptiert. Insofern ist der Fortschritt, den man bei der Währungsunion machen kann, begrenzt. Man muss trotzdem weiter daran arbeiten und versuchen, auch die italienische Regierung an Bord zu kriegen. Aber die Kräfte, die die EU derzeit auseinandertreiben, sind doch so groß, dass man schon, denke ich, zufrieden sein muss, wenn man die eindämmt und den Laden irgendwie zusammenhält.
Chance für Erholung der Konjunktur
Münchenberg: In Deutschland, Herr Fuest, bauen jetzt mehrere Unternehmen, Deutsche Bank zum Beispiel, BSF, massiv Stellen ab. Der Handelskonflikt zwischen China und USA belastet auch zunehmend den globalen Handel. Rutscht Europa insgesamt jetzt in eine Rezession?
Fuest: Ich denke, wir haben eine Abschwächung, aber keine Rezession. Eine Rezession würde dann drohen, wenn der Handelskrieg sich verschärft und wenn es zum Beispiel zu einem harten Brexit käme. Insofern ist es wichtig, dass die neue Kommission sich auf diese Felder konzentriert und zusieht, dass sie mit der britischen Regierung eine Einigkeit erzielt, und ebenfalls zusieht, dass sie einen Handelskrieg vermeidet, denn das wäre dann gerade für die deutsche Wirtschaft sehr schlecht. Wir sind ja sehr stark exportorientiert. Also wenn das gelingt, sehe ich aber noch keine Rezession, sondern eher eine Erholung nächstes Jahr.
Der Ökonom Clemens Fuest, Präsident des Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München ifo 
Wirtschaftsforscher Fuest: "Handelskrieg schlecht für die exportorientierte deutsche Wirtschaft" (imago images / Metodi Popow)
Münchenberg: Schauen wir noch mal auf eine andere wichtige Personalie, Christine Lagarde soll ja Präsidentin der Europäischen Zentralbank werden als eine ausgewiesene Politikerin, soll eine Institution führen, die auf politische Unabhängigkeit sehr viel Wert legt. Kann das gut gehen?
Fuest: Das kann meines Erachtens gut gehen, wenn Christine Lagarde wirklich entschlossen ist, sich für diese Unabhängigkeit einzusetzen, und das würde ich ihr schon zutrauen. Das muss man erwarten. Der Vorteil ist ja: Sie hat erhebliches politisches Gewicht und kennt die politischen Prozesse. Sie wird sich also nicht so leicht aufs Glatteis führen lassen. Und sie hat auch sicher ein Gefühl dafür, wenn die Politik anfängt, auf die Bank überzugreifen. Auf der anderen Seite muss man sehen, sie war Finanzministerin, sie steht der Politik in Europa natürlich sehr nah. Ich denke, es hängt von ihr ab, es ist ihre Entscheidung, ob sie ihre Kraft einsetzt, um die Unabhängigkeit der Notenbank zu verteidigen. Aber ich denke, man sollte ihr zumindest die Chance geben, zu zeigen, dass sie das wirklich will.
Lagarde - und die Frage der Unabhängigkeit
Münchenberg: Auf der anderen Seite, wenn man in die USA schaut, da setzt Donald Trump ja den Notenbankchef massiv unter Druck, jetzt soll eine französische Spitzenpolitikerin die EZB führen. Also nimmt es vielleicht auch die Politik mit der Unabhängigkeit nicht mehr so genau?
Fuest: Ja, das ist richtig. Also gerade Donald Trump gefällt das natürlich überhaupt nicht, wenn irgendjemand unabhängig ist, irgendeine Institution in seinem Land. Nun ist es in Europa so, dass die EZB eben vielen kleinen Regierungen, was heißt klein, aber eben vielen Regierungen sich gegenübersieht und sie ist selbst eine europäische Institution. Es ist also nicht so leicht für einzelne Regierungen, die EZB unter Druck zu setzen. Es wird immer Regierungen geben, die die Unabhängigkeit verteidigen, wenn andere Regierungen sie angreifen. Also ich glaube, Christine Lagarde ist hier in einer etwas besseren Position, was das angeht.
Münchenberg: Herr Fuest, wenn man mal auf die Inhalte schaut: Die Börsen haben ja schon klar signalisiert, dass sie weiter mit einer lockeren Geldpolitik rechnen, die Kurse sind nach ihrer Nominierung nach oben geschossen. Steht denn Lagarde für eine weiterhin lockere Geldpolitik?
Fuest: Ja, ich denke schon, sie steht für eine lockere Geldpolitik. Man muss allerdings sehen: Die Bedingungen, die Verlangsamung des Wachstums, die schwache Investitionstätigkeit, die Bedingungen sind einfach so, dass sie die Zinsen unten halten. Ich glaube, die Zentralbank, auch Christine Lagarde würde schon ganz gerne die Zinsen etwas erhöhen, wenn das denn möglich wäre. Nur ist die Inflationsentwicklung so schwach, dass man die Sorge hat, dass man dadurch die Wirtschaft abwürgen würde. Diese lockere Geldpolitik ist also, denke ich, eher eine Folge einer wirtschaftlichen Entwicklung, die eben ein bisschen mau ist.
Fuest zur Geldpolitik: "Pulver verschossen"
Münchenberg: Die Frage ist aber trotzdem: Wie viel Spielraum hat überhaupt noch die Geldpolitik, weil eben die Zinsen ja schon auf Nullniveau sind?
Fuest: Ja, die Spielräume sind begrenzt. Die EZB kann natürlich wieder anfangen, Staatsanleihen zu kaufen, man kann auch Aktien oder andere Assets kaufen, um Geld in die Wirtschaft zu pumpen, aber es ist natürlich die Frage, wie effektiv diese Politiken sind. Man hat einen Großteil in der Tat seines Pulvers verschossen. Daraus jetzt aber zu schließen, man müsste die Zinsen erhöhen, obwohl die Wirtschaftslage eigentlich nicht dafür spricht, obwohl die Inflation niedrig ist, das ist auch nicht der richtige Weg. Es ist ein grundsätzliches Problem, dass sowohl die Fiskalpolitik angesichts der hohen Schulden in Europa als auch die Geldpolitik wenig zuzulegen hat, wenn die nächste Krise kommt. Deshalb ist der nächste Abschwung auch durchaus gefährlich.
Münchenberg: Noch eine letzte Frage zu einer anderen Personalie: Jeroen Dijsselbloem, der frühere Chef der Eurogruppe, wird gehandelt als potenzieller Chef des Internationalen Währungsfonds, zumindest die Niederlande machen sich dafür stark. Wäre er ein guter Mann an der Spitze des IWF?
Fuest: Ja, auch bei ihm stellt sich natürlich, ähnlich wie bei Frau Lagarde, die Frage: Will man vielleicht einen Fachmann stattdessen berufen oder einen Spezialisten, der vielleicht etwas tiefer in der Materie steckt? Bei Dijsselbloem würde man, ähnlich wie bei Lagarde, eher darauf setzen, dass jemand kommt mit großer politischer Erfahrung. Ich würde den Herrn Dijsselbloem das schon zutrauen, dass er diese Aufgabe erfüllen kann. Er hat ja durch seine Tätigkeit in der Eurozone doch erheblich Erfahrung auch mit Ländern, die Probleme haben. Er war nicht immer so der ganz große Diplomat, aber ist letztlich doch auch auf allen Seiten geschätzt und akzeptiert. Also er ist sicher keine schlechte Wahl. Es geht ja auch darum, dass die Europäer diese Positionen verteidigen, also ein Europäer den IWF weiterhin führt. Und wenn man sich da auf Dijsselbloem einigen kann, warum nicht?
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.