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IG-Bau-Chef Feiger
"Bezahlbares Wohnen ist Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge"

Das Problem des bezahlbaren Wohnens könne der Markt nicht lösen, sagte Robert Feiger von der IG Bauen-Agrar-Umwelt im Deutschlandfunk. Bund, Länder und Kommunen müssten massiv investieren und bezahlbaren Wohnraum schaffen.

Robert Feiger im Gespräch mit Sarah Zerback |
Kleine, einförmige Balkone sind an einem neuen Wohnhaus mit Mietwohnungen in Berlin-Kreuzberg zu sehen.
Mietwohnungen in Berlin-Kreuzberg (Wolfram Steinberg/dpa/picture alliance)
Die Politik habe nicht ausreichend erkannt, dass fehlende Sozialwohnungen nur durch neuen Wohnraum gechaffen werden könnten, sagte Robert Feiger, Bundesvorsitzender der IG Bauen-Agrar-Umwelt, im Deutschlandfunk. Die IG Bau hat gemeinsam mit dem Deutschen Mieterbund, der Caritas und anderen am Donnerstag einen "Akutplan Soziales Wohnen" vorgelegt.
Der Bestand an Sozialwohnungen sei von einst vier Millionen auf knapp 1,4 Millionen gesunken. Dies zeige, dass der Markt das Problem des bezahlbaren Wohnens nicht lösen könne. Bund, Länder und Kommunen seien in der Verantwortung: Für mehr Wohnungen im sozialen Wohnungsbau müsste die öffentliche Hand kostengünstig Wohnraum zur Verfügung stellen, bezahlbares Wohnen sei Teil der öffentlichen Fürsorgepflicht. Dafür müsse Geld in die Hand genommen werden. Spekulation beim Bauland sei nach wie vor der größte Kostentreiber.
Die Dramatik auf dem Wohnungsmarkt sei groß, nicht nur bei Geringverdienern, so Feigel. Es sei auch für Familien nicht mehr finanzierbar, in Großräumen wie München, Berlin oder Frankfurt eine bezahlbare Unterkunft zu finden. Der Staat muss hier Prioritäten setzen. Er ist hier in der Verantwortung.
Feigel sieht den Staat auch bei dem Nachwuchsproblem der Bauwirtschaft in der Pflicht. Unternehmen hätten zu wenig Sicherheit, dass über viele Jahre hinweg investiert wird, in Wohnraum, Straßen und Infrastruktur. Dann würden auch die notwendigen Kapazitäten auch aufgebaut. Die Politik müsse längerfristig denken, über einen Zeitraum von mindestens zehn, 15 Jahren.
Mehr Investitionen in Wohnraum - trotz Schuldenbremse
Feiger sprach sich auch dafür aus, dass die von seinem SPD-Parteikollegen und Bundesfinanzminister Olaf Scholz durchgesetzte Schuldenbremse bei den Investitionen in bezahlbares Wohnen keine Rolle spielen dürfe. Das Problem könne nicht innerhalb einer Schuldenbremse geregelt werden. Bei der Dramatik auf dem sei so hart, dass wir tatsächlich finanzieren müssen. In der gegenwärtigen Wirtschaftslage sei dies möglich. Als Minimalziel, so die Forderung des Bündnisses, müsste der Bestand bis 2030 auf rund zwei Millionen solcher Wohnungen aufgestockt werden.

Das ganze Interview im Wortlaut:
Sarah Zerback: Es ist vielfach belegt. In vielen Städten in Deutschland steigen Mieten und Kaufpreise schneller als die Einkommen. Da kann sich jeder auch ohne große Mathe-Kenntnisse ausrechnen, dass das zu großen Problemen führt. Wenige Tage, nachdem sich der Koalitionsausschuss darauf geeinigt hat, wie bezahlbares Wohnen und mehr Wohnraum erreicht werden können, unter anderem, indem die Mietpreisbremse noch einmal verlängert wurde, da schlägt jetzt das sogenannte "Bündnis soziales Wohnen" Alarm. Fünf soziale Organisationen und Verbände der Bauwirtschaft, darunter der Deutsche Mieterbund, die Caritas und auch die IG Bau, legen heute Vormittag in Berlin einen Akutplan vor, um der Bundesregierung zu signalisieren, dass es noch Luft nach oben gibt, vor allem beim sozialen Wohnungsbau.
Darüber können wir jetzt sprechen mit Robert Feiger, dem Chef der IG Bau, der Industriegewerkschaft für alle, die im Bereich Bauen, Agrar oder Umwelt arbeiten. SPD-Mitglied ist er auch. – Guten Morgen, Herr Feiger!
Robert Feiger: Schönen guten Morgen, Frau Zerback.
Zerback: In einem sind sich eigentlich alle einig. Gegen zu wenig Wohnraum und zu hohe Mieten hilft vor allem eins, hören wir da: Bauen, Bauen, Bauen! Warum passiert das nicht?
Feiger: Ja, weil schlicht und einfach von der Politik noch nicht ausreichend erkannt ist, dass ich fehlenden Wohnraum oder fehlende Sozialwohnungen natürlich nur dadurch erstellen kann, indem ich auch neuen Wohnraum schaffe. Da muss man auch ehrlich sein. Da muss man Geld in die Hand nehmen. Und genau dieser Bereich bezahlbarer Wohnraum und fehlende Sozialwohnungen sind ja auch das tatsächliche Problem auf unseren Wohnungsmärkten.
"Natürlich ist da der Staat in der Verpflichtung"
Zerback: Warum sehen Sie jetzt zu allererst den Staat in der Pflicht? Dafür müssten ja auch Auftraggeber erst mal Baufirmen finden. Müssten die nicht dafür sorgen, dass sie genügend Kapazitäten haben?
Feiger: Natürlich ist da der Staat in der Verpflichtung. Wenn Sie mal ein bisschen zurückblicken: Wir hatten in der Spitzenzeit in der alten Bundesrepublik, nur in den westlichen Bundesländern, vier Millionen oder knapp über vier Millionen Sozialwohnungen. Aktuell sind wir bei 1,2 Millionen. Da beweist sich schlicht und einfach, dass die Theorie, das wird alles schon der Markt regeln, schlicht und einfach nicht zutrifft. Ich finde schon, dass Wohnen, bezahlbares Wohnen für Familien Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge ist, und dann ist es natürlich auch notwendig, dass dafür der Staat und die Gesellschaft Geld in die Hand nehmen.
Zerback: Bevor wir da noch mal ins Detail gehen, doch noch mal die Frage: Es ist ja so, dass der Bau der Wirtschaftszweig ist mit den größten Problemen, unter anderem auch Nachwuchs zu finden, die Stellen zu besetzen. Wie erklären Sie sich das denn, wenn es doch so viel Bedarf gibt?
Feiger: Sie müssen natürlich schon sehen, dass die Bauwirtschaft auch Sicherheit braucht - die Unternehmen, aber auch die Beschäftigten. Wann entscheidet sich ein junger Mensch für eine Ausbildung in einem Wirtschaftszweig? – Dann, wenn er berufliche Perspektive sieht, wenn es qualifizierte Ausbildung gibt. Wir organisieren, dass es ein tolles Ausbildungssystem in der Bauwirtschaft gibt, aber die Unternehmen brauchen natürlich schon auch Sicherheit, dass über viele Jahre hinweg investiert wird – in Verkehrsinfrastruktur, in sozialen Wohnungsbau, in bezahlbaren Wohnraum. Dann werden die Kapazitäten auch aufgebaut. Das passiert im Übrigen seit vier oder fünf Jahren. Aber die Politik denkt natürlich immer nur in Wahlzeiträumen, in Legislaturperioden, in Haushaltsperioden. Da muss man schon länger denken als zwei, drei oder vier Jahre, sondern da muss man lang- und mittelfristig über mindestens zehn, 15 Jahre denken.
100 Millionen Euro "ist ein sehr bescheidener Anfang"
Zerback: Gleichzeitig kann man sich auch fragen, ob die Arbeitgeber wirklich alles daran setzen, den Job attraktiver zu machen. Man kann es ja nicht wegreden, dass die Branche durchaus viele Probleme mit Schwarzarbeit hat. Gestern gab es zum Beispiel eine Großrazzia von Zoll und Bundespolizei. Da ging es um den Verdacht von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung im Baugewerbe. Wie groß sehen Sie das Problem?
Feiger: Es ist in der Tat in den Branchen, in denen mobil produziert wird. Bauwerke entstehen dort, wo sie gebraucht werden. Jedes Bauwerk ist faktisch ein Prototyp. Dafür ist natürlich auch dieser Wirtschaftsbereich anfälliger und auch deutlich schwerer zu kontrollieren als beispielsweise eine stationäre Fabrik oder ein stationärer Produktionsort.
Insofern halte ich diese konzertierte Kontrollaktion schon für ein wichtiges und gutes Signal in der Öffentlichkeit. Es gibt ein ausdrückliches Lob auch an das Finanzministerium, das für den Zoll zuständig ist. Die Kollegen beim Zoll machen einen hervorragenden Job. Allerdings sage ich auch, das müsste auch flächendeckend organisiert werden, weil Sie müssen das natürlich schon auch so sehen, dass über diese illegalen Beschäftigungsmaßnahmen Lohn-Dumping, Menschenhandel auch die Firmen und die dort Beschäftigten massiv unter Druck kommen. Die stehen natürlich in Konkurrenz.
Zerback: Diejenigen, die sich nichts zu Schulden kommen lassen?
Feiger: Genau. Diejenigen, die sauber, fair beschäftigen, die ordentlich Steuern zahlen, Sozialversicherungsbeiträge abführen, die haben hier auch schon Schutz verdient, und deswegen ist es ausdrücklich zu begrüßen, was gestern stattgefunden hat.
Berlin. In einem Mehrfamilienhaus im Bezirk Steglitz-Zehlendorf sind in der Abenddämmerung bereits einige Fenster erleuchtet. 
Teure Mieten, wenig Wohnraum, viel Redebedarf - Wohnen in Deutschland
Wohnungsnot und steigende Mieten: Die Debatte um die allgemeine Wohnsituation in Deutschland hat sich in den letzten Wochen und Monaten verschärft. Die Politik versucht mit Gesetzesmaßnahmen dagegenzuhalten, in der Hauptstadt Berlin fordern die Menschen Enteignungen. Eine Übersicht.
Zerback: Dann will ich noch mal aufgreifen, Herr Feiger, was Sie gerade gesagt haben mit Blick auf den Bund und die Frage, wie können wir es erreichen, dass mehr gebaut wird. Da geht es ja vor allem auch um die Frage, wie Bauland mobilisiert werden kann. Da gibt es einfach viel zu wenig. Die Preise schießen in die Höhe. Was kann denn der Bund da leisten und was Länder und Kommunen?
Feiger: Im Grunde genommen – Sie sagen das richtig – geht es um die öffentliche Hand, sowohl Bund, Länder, als auch Gemeinden. Wenn ich im Bereich vom sozialen Wohnungsbau und bezahlbarem Wohnraum mehr Wohneinheiten erstellen möchte, muss ich natürlich auch als Stadt, als Land, als Bund kostengünstig Grundstücke zur Verfügung stellen. Wir sagen in dieser Studie maximal 300 Euro. Ansonsten wird auch die Förderung zu hoch. Und in der Tat ist momentan das Bauland, aber auch Stichwort Spekulation beim Bauland der größte Preistreiber oder Kostensteigerer bei den Baumaßnahmen. Insofern muss der Bund hier wirklich mit gutem Beispiel vorangehen, und er hat auch jedes Recht, das zu tun. Im Übrigen hat er auch jedes Recht, dort nur Firmen als Auftraggeber zu beschäftigen, die ordentlich, sauber und fair arbeiten.
Zerback: Es gibt ja auch einen Plan. 100 Millionen Euro sollen zum Beispiel zusätzlich für einen Innovationspakt investiert werden zur Reaktivierung von Brachflächen, die dann als Bauland umgewidmet werden. Das ist doch mal ein Anfang, oder?
Feiger: Ja! Aber es ist natürlich ein sehr bescheidener Anfang, weil das Problem mit mehr als einer Million fehlenden Wohnungen im bezahlbaren Bereich ist dadurch auch nicht nur ansatzweise zu lösen.
Ich sage auch klar, wir werden da einen langen Zeitraum brauchen. Aber ich sehe da natürlich Politik schon in der Verantwortung, dass sich das auch langfristig organisieren lässt.
Planungssicherheit für Baufirmen schaffen
Es gibt ein gutes Beispiel. Es gibt eine sogenannte Leistungs- und Finanzierungszusage des Bundes gegenüber der Bahn. Hier wird Sicherheit geschaffen, wir investieren als Bund über zehn Jahre hinweg 100 Milliarden, zehn Jahre jeweils zehn Milliarden, und dadurch bekommen natürlich auch die Firmen Planungssicherheit und werden auch Kapazitäten aufbauen. Dann kann das auch ordentlich laufen. Im Grunde genommen brauchen wir das genauso für den Wohnungsbau.
Zerback: Gleichzeitig kann man es vielleicht auch den Kommunen nicht vorwerfen, dass sie Probleme haben, neues Bauland auszuweisen, denn das zieht immer erhebliche Bürgerproteste nach sich. Können Sie das nicht verstehen?
Feiger: Ja, natürlich kann ich verstehen, dass die Bürger sich natürlich um ihr Umfeld kümmern und auch wollen, dass das Umfeld immer so erhalten bleibt, wie es aktuell ist. Nichtsdestotrotz gibt es immer noch Möglichkeiten, Bauland zu akquirieren, auch im Umfeld der Städte. Das muss man aber natürlich schon im Gesamtpaket sehen. Da brauchen wir vernünftigen öffentlichen Nahverkehr, da brauchen wir vernünftige Anbindung. Nur eine Maßnahme löst nicht das ganze Problem, das ist vollkommen klar. Allerdings: Wir sollten es jetzt schon mal miteinander qualifiziert anpacken, weil es ist ein großes soziales Problem - nicht nur ganz aktuell, sondern auch über die nächsten Jahre hinweg.
Zerback: Sie haben da ja ambitionierte Vorschläge durchaus vorgelegt. Ein Teil – Sie haben es gerade schon angesprochen – sind die Sozialwohnungen. Das ist Ihnen ja ganz wichtig auch als Bündnis. Sie fordern da zwei Millionen bis 2030. Aktuell gibt es 1,18 Millionen. Da haben Sie auch mal ausgerechnet, was das kosten würde, und da wären ja Anreize von 9,3 Milliarden Euro fällig. Woher soll das Geld denn bitte kommen?
Feiger: Es ist natürlich schon eine Frage, welche Prioritäten die Bundesregierung setzt, und wir sagen schlicht und einfach, das Drama auf dem Wohnungsmarkt (und das jetzt nicht nur bei Geringverdienern, sondern auch bis hin in die ganz normalen mittleren Einkommensschichten) ist es, faktisch nicht mehr finanzierbar in einen Großraum wie München, wie Berlin oder wie Frankfurt für die Familie eine vernünftige Unterkunft zu finanzieren. Da muss der Staat Prioritäten setzen.
Er tut das beispielsweise bei der Bahn, ausdrücklich begrüßt von meiner Seite. Aber natürlich hat er Verantwortung, das auch für den Bereich Wohnen zu tun, weil wenn die Menschen kein Dach mehr überm Kopf haben, sind sie zum Schluss wohnungslos, und das ist, glaube ich, eine Situation, die wir alle mal intensiv miteinander bedenken sollten.
"Nicht innerhalb einer Schuldenbremse" zu regeln
Zerback: Vielleicht wäre es da auch eine Idee, wenn Sie mal gemeinsam mit dem SPD-Mann und Finanzminister Olaf Scholz darüber nachdenken. Der hat die Schuldenbremse im Grundgesetz vereinbart. Vielleicht müsste man dann sagen, lieber Olaf Scholz, nimm mehr Geld in die Hand und schaff die Schuldenbremse ab für dieses wichtige Anliegen.
Feiger: Natürlich reden wir mit Olaf Scholz und natürlich sagen wir sehr deutlich als IG Bau, wir brauchen hier Investitionen des Staates, damit wir einen vernünftigen Wohnungsmarkt organisieren können. Da gibt es auch ganz klipp und klar, auch wenn das meine eigene Partei ist, den Hinweis, das Problem kann auch nicht innerhalb einer Schuldenbremse geregelt werden. Da muss man schon mal über seinen eigenen Schatten springen und sagen, die Dramatik auf dem Wohnungsmarkt ist so hart zwischenzeitlich, dass wir da tatsächlich auch mal finanzieren müssen, was im Übrigen bei der jetzigen Finanzlage für den Staat nicht unbedingt teuer wird.
Zerback: Aber dafür braucht man natürlich auch Partner in der Politik, und das ist traditionell ja für die Gewerkschaften und auch für Sie die SPD, Ihre Partei – ausgerechnet eine, die in den Umfragen gerade schwer zu kämpfen hat. Wie schwierig ist es denn da für Sie, Ihre Anliegen durchzubringen ohne diesen Verbündeten ganz stark an Ihrer Seite?
Feiger: Wir sind als Industriegewerkschaft Bau politisch vollkommen unabhängig. Das heißt, wir reden nicht nur mit der SPD, wir reden genauso mit CDU, mit den Grünen, mit den Linken. Wichtig ist für uns, dass wir dieses große Problem endlich auf Dauer anpacken und dass unsere Gesellschaft merkt, die Verantwortlichen haben es erkannt und werden sich auch darum kümmern. Das ist jetzt für mich parteipolitisch vollkommen unbedeutend. Mir ist wichtig, dass das Problem angepackt wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.