Die Große Koalition hat sich am Abend des 3. Juni 202 auf ein 130 Milliarden Euro schweres Konjunkturpaket geeinigt, mit dem die Wirtschaft nach dem Corona-Lockdown wieder angeschoben werden soll. Der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann kritisiert im Deutschlandfunk, dass das Hilfspaket nicht ausreichend Impulse gebe, um die Nachfrage so zu stärken, dass die Autoindustrie sich aus "diesem Strudel nach unten" befreien könne.
Klemens Kindermann: Herr Hofmann, Sie sitzen auch im Aufsichtsrat von Volkswagen und Bosch. Die Frage: Reicht denn dieses Paket aus, um die deutsche Automobil- und Zulieferindustrie wieder nach vorne zu bringen?
Jörg Hofmann: Wir haben immer gesagt, wir brauchen ein Konjunkturpaket, das insgesamt die Industrie und die Wirtschaft nach vorne bringt, und eingebettet dahingehend natürlich auch Maßnahmen für den Sektor und für die Branche, die als Leitbranche doch wesentlich dazu beitragen könnte und kann, den Weg in die immer tiefere Rezession, den wir gerade verfolgen müssen, aufzuhalten und den Turnarround zu schaffen.
"Überrascht" vom Ausbleiben der Kaufprämie
Wenn ich nach den Kriterien das bewerte, was uns gestern vorgelegt wurde, dann ist auf der einen Seite viel Positives, was allgemeine konjunkturstützende Maßnahmen angeht, was auch den Schutz von Unternehmen vor Insolvenz angeht, was die Stärkung der kommunalen Haushalte als wichtiger öffentlicher Investor angeht, aber es hat uns auch ein Vorschlag überrascht, den keiner so richtig auf dem Radar hatte, nämlich mit einer massiven Reduzierung der Mehrwertsteuer temporär, anstatt einer von uns präferierten Kaufprämie für Fahrzeuge.
Kindermann: Die soll es ja jetzt nur für Elektroautos geben. Macht das überhaupt Sinn?
Hofmann: Das macht nur bedingt Sinn, weil wir haben einen extremen Lieferengpass, insbesondere was das Thema Batteriezellen angeht, der im Moment hindert, größere Skaleneffekte nach vorne im Bereich der Elektromobilität kurzfristig zu erzielen. Was die Automobilindustrie jetzt machen wird – und das hat sie heute Morgen ja schon angekündigt –, dass sie die Möglichkeiten der Spielräume der Mehrwertsteuer-Senkung nutzt für Kaufanreize, für Kaufprämien für klassische Verbrennertechnologie..
Kindermann: Herr Hofmann! Reicht das denn Ihrer Einschätzung nach, nur praktisch Kaufanreize durch etwas weniger Mehrwertsteuer?
Hofmann: Das wird knapp werden. Ich würde mal so sagen: Wir müssen schauen, was die Automobilindustrie selber noch oben drauflegt. Allein das, was dort an Spielraum geschaffen wird, wird nicht ausreichen. Es wird insbesondere auch damit nicht ausreichend, weitergehende Themen, die wir auf dem Fokus hatten, zu verfolgen. Etwa wird das Thema Förderung gerade kleiner und mittlerer Fahrzeuge mit diesem Mehrwertsteuer-Modell eher behindert.
Und wer gar meinte, man könnte auch Anforderungen an das Thema Klimaschutz und Emissionsarmut stellen, ist auch mit dieser Lösung leider nicht bedient. Es ist ein bisschen ein Pyrrhussieg all derer, die sich gewehrt haben, mit einer Umweltprämie eine konstruktive Lösung für die Automobilbranche zu besprechen, zu behandeln. Mit dieser Mehrwertsteuer-Lösung, habe ich die Befürchtung, ist die Reichweite deutlich begrenzt und vor allem die Zielgenauigkeit sehr unscharf.
Kaufprämie für E-Autos "eine Art 'Tesla-Prämie'"
Kindermann: Eine Autokaufprämie nur für Elektroautos – werden da die ausländischen Autohersteller profitieren? Ist das vielleicht sogar eine Tesla-Prämie?
Hofmann: Das mag eine Tesla-Prämie in gewissem Umfang sein, aber ich glaube, für uns ist viel entscheidender jetzt, dass wir schauen, welche Wirksamkeit hat das denn auf die deutsche Automobilindustrie und ihre Absatzmöglichkeiten, aber auch durchaus auch für die europäische Automobilindustrie, und dort gilt für alle Hersteller, dass wir diese Begrenztheit im Bereich der Batteriezelle im Moment für alle Hersteller gleich haben und deswegen eine deutliche Ausweitung der Verkäufe begrenzt ist. Wir haben jetzt schon Lieferzeiten von sechs bis acht Monaten. Eine unmittelbare Konjunkturwirksamkeit ist damit nur bedingt gegeben.
Kindermann: Die Beschäftigten in der Automobil- und Zulieferindustrie – was bringt das Konjunkturpaket denen speziell?
Hofmann: Es bringt zunächst mal eine weiter bestehende Unsicherheit. Reicht das? Wir stellen fest, dass wir zwischenzeitlich wieder dort, wo erstes Anlaufen versucht wurde, an Restriktionen kommen, dass die Märkte nicht entsprechend abfordern. Jetzt müssen wir die nächsten Wochen verfolgen.
Wenn jetzt das Thema Prämie sich aufgelöst hat und Klarheit darüber besteht, verändert sich da das Käuferverhalten? Reicht das aus, was jetzt an zusätzlicher Rabattierung durch die Hersteller erfolgt aufgrund auch der größeren Freiräume über die Mehrwertsteuer-Senkung? Reicht das aus, was an zusätzlichen Bonuszahlungen im Bereich der Elektromobilität in die Schaufenster gestellt wird? Ich befürchte, dass wir an der Stelle noch nicht das ausreichende Maß an Impuls gesetzt haben, dass Nachfrage so gestärkt wird, dass wir im Bereich Fahrzeugbau, aber insgesamt auch in der Industrie aus diesem Strudel nach unten uns befreien können.
"Kurzarbeitergeld verlängern"
Kindermann: Zum Kurzarbeitergeld – da heißt es jetzt hier in diesen Beschlüssen von gestern Abend nur, man wolle im September eine Regelung für die Zeit nach dem 1. Januar 2021 vorlegen. Reicht Ihnen das?
Hofmann: Wir brauchen eine Regelung, die darüber hinausgeht. Das ist absehbar. Wir sind in einem konjunkturellen Tal, das auch bei einer positiven Wirkung der beschlossenen Maßnahmen uns nicht innerhalb von Wochen aus der tiefen Rezession rausführt, die ja nicht nur eine deutsche, sondern eine europäische und weltmarktinduzierte Rezession ist.
Da bleibt und ist Kurzarbeit das probate Mittel, wollen wir Massenarbeitslosigkeit verhindern, und eine Verlängerung der Kurzarbeitsregelung, auch eine Verlängerung der Bezugsdauer und auch der Bedingungen und Bestimmungen für Kurzarbeit, die es Unternehmen möglich machen, dieses Instrument anzuwenden, ist dringend geboten, wollen wir nicht die Arbeitslosenzahl in diesem Lande nach oben treiben.
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