"Ich glaube, er war ein engagierter, ein leidenschaftlicher, ein ehrgeiziger, skrupulöser Mann. Ein Mensch, der Leben in vollen Zügen genossen hat. Auch ein Draufgänger – mindestens die ersten 20 Jahre. Und dann ein Mann, der nach und nach an seine tieferen Schichten kam. Der von einer gewissen Oberflächlichkeit in die Tiefe kam."
Für die Münchner Theologin Gabriela Grunden ist Ignatius ein faszinierender Mensch. Zeitgenossen beschreiben ihn als höflich und liebenswürdig. Er habe Durchhaltevermögen besessen und einen starken Willen. Aber kein Licht ohne Schatten.
"Seine Schwächen waren sicherlich ein zum Teil überzogener Ehrgeiz. Sowohl im Spirituellen später wie auch zu Anfang. Sehr kopflastig in manchen Dingen. Und ich glaube, er hat erst nach und nach gelernt, in die anderen Dimensionen seiner ganzen Menschlichkeit abzusteigen."
Voller innerer Zweifel
Ignatius von Loyola ist der Gründer des Jesuitenordens, oder richtiger: der Gesellschaft Jesu. Ein überzeugter Christ, ein Heiliger. Doch was heißt das? Der baskische Adlige, nicht einmal einen Meter sechzig groß, erfüllt nicht das Klischee vom erhabenen, heiligmäßigen Leben. Er ist im Gegenteil ein Mensch voller innerer Zweifel, gezeichnet durch Verletzung und Krankheit, sagt Gabriela Grunden.
"Sicherlich hatte er eine suizidale Einstellung. Auch depressive Seiten. Etwas sehr Selbstzerstörerisches und in tiefster Verzweiflung: Jetzt ist alles zu Ende. Es ist so rundum gescheitert, da gibt es keinen Lichtstrahl mehr, keinen Punkt wo ich den Eindruck habe, da hab ich Halt."
Es geschieht im Mai 1521 in Pamplona: Der stolze Soldat wird von einer Sekunde auf die andere zum Krüppel. Als der 30-Jährige mit seinen Truppen versucht, die Festung gegen die Franzosen zu verteidigen, zertrümmert eine Kanonenkugel sein Bein.
"Die tollen Pläne, die man sich macht, die Karrierepläne. Und dann auch noch an vorderster Front: Er meinte also, obwohl die Situation militärisch, soweit ich das verstehe, absolut unsinnig war, hat er sich in Pamplona nochmal an die vorderste Seite gestellt. Das zeugte nicht von seiner Weitsicht in diesen Bezügen. Er ist real gescheitert. In dem Moment war alles das – seine Karriere, seine Schönheit, seine Ideen, die er hatte von seinem Leben – buchstäblich zerschossen."
Bericht des Pilgers
Pamplona ist ein Wendepunkt im Leben des Ignatius. Es folgen Monate im Krankenbett. Anstatt wie sonst Ritterromane zu lesen, vertieft sich der Verletzte in ein Werk über Heilige. Besonders Franz von Assisi und Dominikus, so die Überlieferung, sollen es ihm angetan haben. Allerdings: Der gescheiterte Soldat hat keine Erweckungserfahrung über Nacht, kein Damaskus-Erlebnis, die Erkenntnis trifft ihn nicht wie ein Blitz. Der Jesuit Andreas Batlogg, Chefredakteur der Zeitschrift "Stimmen der Zeit", spricht von einem langen Prozess.
"Die Rekonvaleszenz fast ein Jahr. Und dann durch Lektüre am Krankenbett die Sehnsucht: Ich will dorthin, wo Jesus gelebt hat, ins Heilige Land. Da steigen Sie heute in einen Flieger und sind in vier Stunden in Tel Aviv. Das war damals ein Unternehmen, wo Sie nicht wussten, komme ich überhaupt in Venedig an? Wenn ich dort einschiffe, komme ich übers Mittelmeer? Und komme ich dann wieder zurück?"
Der Pilgerfahrt nach Jerusalem will sich Ignatius voll und ganz verschreiben – sein Leben radikal ändern. Im Kloster auf dem Montserrat nahe Barcelona legt er seine Waffen ab und kleidet sich als Pilger.
"Das hat natürlich auch mit Sehnsucht zu tun. Im Wort Sehnsucht steckt ja auch das Wort Sucht. Ich muss auf Teufel komm raus was erfahren haben. Bekehrung ist kein punktuelles Ereignis, das ist ein Prozess."
Die Gemeinschaft der Jesuiten
Das merkt alsbald auch Ignatius, sagt Andreas Batlogg. Um den Glauben zu durchdringen, studiert er Philosophie und Theologie in Spanien und Frankreich.
"Das waren lange Jahre des Studiums. Und erst 1537 dann die Priesterweihe mit 45 Jahren."
Der Wunsch, einen Orden zu gründen, entsteht während des Studiums an der Pariser Sorbonne. Dort lernt Ignatius Gleichgesinnte kennen. Es dauert bis ins Jahr 1540 – dann bestätigt Papst Paul der Dritte mit der Bulle 'Regimini militantis Ecclesiae' die Gründung der Gesellschaft Jesu.
Die Gemeinschaft unterscheidet sich massiv von allen anderen Orden jener Zeit. Davon ist Stefan Kiechle überzeugt. Wie sich die Gesellschaft Jesu unterscheidet, das beschreibt der Leiter der Deutschen Provinz der Jesuiten so.
"Sie ist, wie in der Biografie von Ignatius grundgelegt, ganz auf Seelsorge ausgerichtet. Seelsorge im weitesten Sinne – dazu gehört sehr stark auch ein Bildungsauftrag. Und das Besondere an der Gemeinschaft ist, dass sie keine klösterlichen Merkmale hat: feste Klöster, in denen man wohnt, ein gemeinsames, tägliches Stundengebet, ein Mönchsgewand. Alle diese klösterlichen, mönchischen Formen fallen weg. Die Jesuiten leben mehr wie in Wohngemeinschaften zusammen und sind sehr nach außen orientiert, eben auf die Arbeit für die Menschen hin."
Heute sind die Jesuiten mit knapp 17.000 Mitgliedern weltweit aktiv. In Asien und Mittelamerika treten am meisten Männer ein. In Europa und den USA hingegen geht die Zahl der Mitglieder am stärksten zurück. Zur Deutschen Provinz – mit Dänemark und Schweden – gehören rund 350 Jesuiten, sie sind im Schnitt 65 Jahre alt.
Das Engagement des Ordens ist vielfältig: in der Flüchtlingshilfe, im interreligiösen Dialog, in der geistlichen Begleitung. Ein Schwerpunkt sind Universitäten, Schulen, Jugend- und Erwachsenenbildung.
In den so genannten Konstitutionen, den Ordensregeln, scheint die militärische Vergangenheit des Ignatius durch. So kommt der Ordensgründer immer wieder auf den Gehorsam zu sprechen, den die Mitglieder ihrem jeweiligen Leiter schulden, erklärt Provinzial Stefan Kiechle.
"Eine strenge Hierarchie gibt’s bis heute. Wir werden zentral geleitet, und genau da ist der bekannte strenge jesuitische Gehorsam anzusiedeln. Es ist ein Sendungsgehorsam: Der Obere sendet einen Jesuiten in eine bestimmte Aufgabe."
Die Jesuiten und der Papst
Neben den drei Gelübden Armut, Keuschheit und Gehorsam kennen die Jesuiten noch ein viertes Versprechen: das gegenüber dem Papst.
"Dieser Gedanke von Anfang ist bis heute ein zentrales Moment unseres Selbstverständnisses."
Natürlich entscheidet der Papst nicht über jeden einzelnen Jesuiten. Aber bestimmte Schlüsselpositionen in der römischen Kurie oder an der Päpstlichen Universität Gregoriana sind mit Mitgliedern des Ordens besetzt. Weltweit gibt es rund 80 Jesuiten-Bischöfe, außerdem einige Kardinäle. Und mit Jorge Mario Bergoglio wurde im Jahr 2013 zum ersten Mal ein Jesuit zum Papst gewählt. Kiechle:
"Er ist ein Mensch, der den Dienst für die Armen in den Mittelpunkt stellt. Das ist sehr jesuitisch seit Jahrhunderten. Es ist ein Mensch, der die Kirche erneuern will von Erstarrungen, von Klerikalismus, von Machtdenken. Und da ist er sicher vom Orden geprägt und bringt das ein in die Kirche."
Hier wird es widersprüchlich. Auf der einen Seite betont Ignatius den Gehorsam, im Orden herrscht eine strenge Hierarchie. Auf der anderen Seite versucht ein Jesuiten-Papst kirchliche Hierarchien aufzubrechen, etwa den römischen Zentralismus, die Machtfülle der Kurie. Innerhalb der katholischen Kirche gelten die Jesuiten oft als links, als besonders kirchenkritisch. Provinzial Stefan Kiechle erklärt die Zuschreibung:
"Die kommt sicher daher, weil wir auch einen kritischen Blick haben. Weil wir uns selber kritisch reflektieren und auch andere und weil wir versuchen, dunkle Seiten anzusprechen und zu verbessern. Deshalb gelten wir vielleicht als kritisch und als links, weil wir mit dem Bestehenden oft noch nicht zufrieden sind und voran machen wollen – hin zu mehr Offenheit und auf ein kirchliches Leben in der modernen Welt."
Jesuiten studieren in der Regel lang und umfassend: Theologie und Philosophie, häufig noch weitere Fächer wie Wirtschaft, Medizin oder Astronomie. Sie gelten als Gelehrten-Orden, manchmal als elitär. Ordensvertreter suchten und suchen exklusive Zugänge: Zu Wirtschaftsführern, einflussreichen Wissenschaftlern und Herrschern.
Eine zentrale Methode, die Ignatius hinterlassen hat, sind die Exerzitien. Ein Ziel der Exerzitien ist es, Kontrolle über die vielen inneren Stimmen zu gewinnen. Mit den Exerzitien hat Ignatius seiner Nachwelt etwas hinterlassen, das die Jahrhunderte überdauerte. Ein großer Theologe war der kleine Mann hingegen eher nicht. Ignatius führte ein Leben mit Brüchen, erst als Soldat, später als Pilger. 1556 starb er im Alter von 65 Jahren. Viele Jesuiten sind froh, dass sie keinen glatten, allzu frommen und populären Ordensgründer haben. Er wurde dennoch 1622 von Papst Gregor XV. heiliggesprochen.
"Ignatius ist kein volkstümlicher Heiliger, aber für Nüchterne, Intellektuelle und für diejenigen, die an der ignatianischen Spiritualität Gefallen gefunden haben, ist er eine Leitfigur."
"Er ist für mich vor allem ein wahrhaftiger Heiliger, den ich nicht einfach verehre und auf einen Sockel stelle, sondern der ein leidenschaftlicher Gottsucher war. Und auch wie er sich hat wandeln können. Also der hat ja eine enorme Entwicklung hinter sich. Das sind für mich Vorbilder."