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Ikone des klassischen Balletts

Trauer um Konstanze Vernon: Die Gründerin des Bayerischen Staatsballetts starb am Montag im Alter von 74 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit. "Der Tanz hat unheimlich von dieser Frau profitiert", würdigte die Ballettkritikerin der "FAZ", Wiebke Hüster, die Verstorbene.

Wiebke Hüster im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 22.01.2013
    Stefan Koldehoff: Die Meldung kam vor einigen Minuten: Die Gründerin des Bayerischen Staatsballetts, Konstanze Vernon, ist tot. Im Alter von 74 Jahren starb sie gestern nach kurzer, schwerer Krankheit in einer Münchner Klinik. Das hat das Staatsballett heute bekannt gegeben. Vernon war von 1963 bis 1981 Primaballerina der Bayerischen Staatsoper und galt – so heißt es in einer Agentur - als eine Ikone des Tanzes. Sie hatte erst am 2. Januar ihren 74. Geburtstag gefeiert. - Am Telefon ist jetzt die Ballettkritikerin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Wiebke Hüster. Frau Hüster: "Eine Ikone des Tanzes" - was heißt das?

    Wiebke Hüster: Das bedeutet, Konstanze Vernon, die im Alter von sechs Jahren in Berlin, wo sie geboren wurde, anfing, bei Tatjana Gsovsky zu studieren, der berühmten Ballettdirektorin nach dem Zweiten Weltkrieg an der Deutschen Oper in Berlin, war eine große Ballerina geworden, weil sie einfach schon von Kindesbeinen an in diese Welt hineinwuchs. Sie war mit 14 Jahren die jüngste Ballerina des Berliner Balletts von Tatjana Gsovsky. Sie galt später als ganz große Primaballerina Deutschlands. Sie war in ihrer Paraderolle, der Giselle, wirklich unglaublich berührend und sie war auch eine ganz, ganz großartige Tatjana in John Crankos "Onegin".

    Koldehoff: Als Kind schon quasi in diese Rolle hineingewachsen – das kann Zwang, das kann auch große Lust bedeuten. Was war es bei ihr?

    Hüster: Oh, das war Berufung. Sie hat ja nie aufgehört, in ihrem ganzen Leben nicht, sich auf verschiedenste Weise mit dem Tanz zu beschäftigen. Nachdem sie ihre aktive Karriere beendet hatte, als Primaballerina 1981, wie Sie sagten, widmete sie sich dem Unterricht. Und sie hat wirklich in München mit der Heinz-Bosl-Stiftung, benannt nach ihrem berühmtesten Partner, mit dem zusammen sie als das Münchner Traumpaar galt – Heinz Bosl, nach ihm hat sie diese Stiftung benannt – angefangen, Studenten auszubilden, und damit geschah wirklich auch so eine Art Ballettausbildungswunder in Deutschland. Konstanze Vernon hat es geschafft, dass erstmals bei internationalen und auch osteuropäischen vor allem Ballettwettbewerben westdeutsche Studenten Medaillen und Preise gewannen. Das war wirklich sensationell. Das ist auch immer honoriert worden vom bayerischen Staat, von der Regierung dort. Sie hat Großes geleistet. Es ist ihr gelungen, als Ballettdirektorin des Münchner Balletts ein eigenes Haus, das Balletthaus, zu erhalten. Ihre Arbeit wurde wirklich vielfältig gelobt und belohnt. Der Tanz hat unglaublich von dieser Frau profitiert. - Fantastisch auch ihre Zeit als Direktorin des Bayerischen Staatsballetts. Sie hat das Ballett dort in die Unabhängigkeit geführt. Seitdem ist der Ballettdirektor in München ein Intendant.

    Koldehoff: Da will ich mal nachhorchen. So heißt es tatsächlich auch in einem ersten Nachruf: Sie habe die Emanzipation des Balletts von der Bayerischen Staatsoper erst möglich gemacht. Das war 1988 tatsächlich noch nötig.

    Hüster: Das ist ja bis heute nicht durchgesetzt. Natürlich, an einigen Kompanien gibt es das. John Neumeier ist auch sein eigener Intendant beim Hamburg Ballett. Aber normal ist das nicht, und es ist entscheidend wichtig für die Emanzipation dieser Kunstform, dass sie nicht mehr begriffen wird als ein Anhängsel der großen Opernhäuser, als untergeordnet dem Musiktheater. Das große Vorbild für diese Entwicklung ist natürlich die Pariser Oper, bei der Sie sehen können, dass es fast genauso viele Ballettaufführungen während der Saison gibt wie Musiktheateraufführungen. Und für diese Emanzipation und für dieses ernst nehmen einer ganzen Kunstform hat Konstanze Vernon wirklich Unglaubliches geleistet.

    Koldehoff: Frau Hüster, Sie sind selbst gerade – man hört's im Hintergrund – in einer Ballettschule.

    Hüster: Ja.

    Koldehoff: Dort ist eine ganz junge Generation von Tänzerinnen und Tänzern. Was nimmt die von Konstanze Vernon noch mit?

    Hüster: Das kann man ja immer sehen, wenn man diese großen Ballerinen bei der Arbeit mit Kindern beobachtet, dass es das Vorbild ist. Es sind natürlich viel, viel, unendlich viel mehr als die technischen Hinweise, so wertvoll diese sind. So viel Konstanze Vernon über Balletttechnik, über dieses Akademische dieser Kunst wusste, es ist das Vorbild, es ist die Haltung, es ist eine bestimmte Form von auch innerer Anmut und seelischem Reichtum und Intelligenz bei der Rollenerarbeitung, die solche Frauen, die solche bedeutenden Künstlerinnen waren und dann sich in so gute Pädagoginnen verwandeln konnten, die das weitergeben, und das ist das wichtige.

    Koldehoff: Wiebke Hüster war das – vielen Dank - zum Tod der Gründerin des Bayerischen Staatsballetts, Konstanze Vernon.