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Ikonen - Was wir Menschen anbeten
Gott trifft van Gogh

Die Bremer Kunsthalle zeigt in einer Ikonen-Ausstellung die Entwicklung vom Andachtsbild zum religiös verehrten Kunstwerk. Mitmachen können auch Nicht-Künstlerinnen und -Künstler. Sie präsentieren, was sie in ihrem privaten Hausaltar anbeten, von der Beethovenbüste bis zum Selfie.

Von Margit Hillmann |
Ein Mann im Rijksmuseum in Amsterdam macht mit seinem Handy ein Foto von van Goghs Selbstporträt.
Ikonen und Ikonisches zelebrieren und hochhalten sei ein alltägliches, menschliches Bedürfnis, sagt Christoph Grunenberg, Museumsdirektor der Bremer Kunsthalle (Unsplash / Ståle Grut)
Kunsthallen-Direktor Christoph Grunenberg steht mit verschränkten Armen in einem weiß gestrichenen Raum der ersten Etage. Still, fast andächtig, schaut er auf das einzige Bild, das hier hängt: Kasimir Malewitsch' berühmtes "Schwarzes Quadrat". Die Ikone der Abstraktion, nennt sie Grunenberg. Der russische Avantgardist habe 1915 schon genau gewusst, was er da gemalt hatte.
"Malewitsch hat das schwarze Quadrat als eine Ikone geschaffen. Er hat gesagt: 'Eine ungerahmte, nackte Ikone meiner Zeit habe ich geschaffen.'"
Malewitsch' Bild ist eines von 62 teils hochkarätigen Werken: vom traditionellen Marienbild aus dem frühen 13. Jahrhundert bis zum hochglanzpolierten roten Ballonhund eines Jeff Koons oder der schwarzweiß fotografierten Greta Thunberg. Jedes Werk oder kleine Werkgruppe ist in einem eigenen Raum oder Saal ausgestellt.
Die Macht der Bilder
"Platz für Kontemplation schaffen" nennt das der Kunsthallendirektor. Ikonen und Ikonisches sollen so volle Wirkung entfalten, die Ausstellungsbesucher sich auf jedes einzelne Werk konzentrieren, sinnlich und spirituell eintauchen können.
"Wir wollen eine Verbindung herstellen zwischen der traditionellen Ikone und insbesondere der Kunst des 19., 20. und 21. Jahrhunderts. Was uns an der traditionellen Ikone interessiert, ist diese Präsenz des Göttlichen, ist die Aura, die Macht der Bilder zu bewegen – emotional, intellektuell und affektiv. Und das ist die These dieser Ausstellung, dass es immer noch was von dieser religiösen Kraft, von dieser Aura der traditionellen Ikone gibt. Ein langes Nachwirken dieses christlichen Andachtsbild in der Kunstgeschichte. Und dass wir noch immer eine Sehnsucht nach emotionalen und bewegenden Bildern haben. "
Mann zeigt auf russische Christus-Ikone
Die Ausstellung "Was wir anbeten" verbindet traditionelle Ikonenbilder mit moderner und zeitgenössischer Kunst (imago images / ITAR-TASS)
Nur ein paar Schritte vom Malewitsch schwarzem Quadrat entfernt, in einem weinroten, großen Raum, ist eine russische Christus-Ikone aus dem 16. Jahrhundert ausgestellt: Ein naiv gemaltes, schmales Männergesicht mit vagem Blick, spitzem Bart und Heiligenschein, in matten Gold-, Ocker- und Brauntönen.
Ein sogenanntes Mandylion: Dem Mythos nach ist das Christusbild eine "nicht von Menschenhand" geschaffene, wundertätige Replik des Turiner Grabtuchs. Ein Ausstellungsbesucher hat seine Brille abgenommen, schaut ganz aus der Nähe.
Einkehr und Zweifel
Plötzlich dringt der Gesang einer Klanginstallation aus dem Nachbarsaal herüber, setzt die Christus-Ikone akustisch in Szene.
"Es ist schon beeindruckend und bewegt einen dazu, neu in sich einzukehren. Aber wenn man jetzt von dem Wort ausgeht 'Du sollst dir kein Bildnis machen', dann fange ich an zu zweifeln, frage mich: Ist das nicht auch ein bisschen zu weit weg von der Wahrheit? Dann muss man die Bilder eigentlich vom Podest herunternehmen, sie nicht sosehr verehren und anbeten. Nicht die Bilder, sondern den Schöpfer."
Der Grafikdesigner aus dem Bremer Umland lobt Vielfalt und Qualität der Exponate. Werke von Kandinsky, William Turner, Francis Bacon oder Niki de Saint Phalle und Joseph Beuys - die allein hätten schon den Ausstellungsbesuch gelohnt. Den Untertitel "Was wir Menschen anbeten" findet er allerdings ein bisschen irreführend. Er hat eine ernsthaftere Auseinandersetzung mit dem Religiösen oder Spirituellen in der Kunst erwartet.
"Ich bin christlich orientiert, man kann sagen, gläubig. Von daher spricht mich das Thema natürlich an. Aber vom eigentlichen Glauben, möchte ich sagen, ist es doch ein bisschen weit entfernt."
"Genial und inspirierend"
Eine Ausstellungsbesucherin bewundert eine Arbeit des Amerikaners Kehinde Wiley. Sie stammt aus seiner Serie "Iconic", das farbenfrohe Portrait eines jungen schwarzen Hip-Hop-Tänzers. In dem üppig verzierten, golden Rahmen sieht es auf dem ersten Blick aus wie ein katholisches Andachtsbild. Genial, kommentiert die Münchnerin.
"Diesen jungen afroamerikanischen Tänzer in dem Gold und einer Darstellung, die eigentlich für Marien-Darstellungen üblich sind. Und dann da einen jungen Tänzer zu sehen, der homosexuell ist – wie eine Madonna."
Überhaupt findet sie die Ikonenausstellung sehr gelungen und inspirierend.
"Dass es über das Religiöse und die religiöse Ikone weit hinausgeht, dass andere Arten von Spiritualität eröffnet werden. Und dann finde ich das hier toll gemacht, weil so viele Assoziationsräume hergestellt werden, Nachdenken über das Ikonische und Ikonographische.
Jimi Hendrix spielt eine Fender Stratocaster-E-Gitarre.
Eine Ikone der Popkultur: der US-amerikanische Gitarrist, Komponist und Sänger Jimi Hendrix (imago stock&people)
Und über was denkt sie nach?
"Ich habe an mein eigenes Wohnzimmer gedacht, wo die Bücher noch immer sind, nix digitalisiert ist. Die Bücher sind auch meine Ikonen. In der Musik ist Jimi Hendrix mein Gott, David Bowie und Prince. Diese schillernden Gestalten. Da war ich wahnsinnig traurig, als die gestorben sind. Und die sind vielleicht durch ihren Tod mir noch mehr zu Ikonen geworden."
Private Ikonen auf dem "Hausaltar"
Die Bremer Kunsthalle hat ihr Publikum aufgerufen, Fotos von Ikonen zu schicken, die sie in ihren eigenen vier Wänden verehren. Unter der Überschrift "Hausaltäre" sind einige in der Ausstellung zu sehen, die meisten stecken aber noch im Computer der Presseabteilung. Sie haben sehr viele Bilder bekommen, sagt eine Mitarbeiterin, klickt uns durch die Fotos.
In Regalen oder Zimmerecken sind sie aufgebaut: Hausaltäre mit grünweißen Werder-Bremen-Wimpeln und polierten Minipokalen oder einen Dutzend gerahmter Porträt-Fotos mit dem Konterfei von Karl Lagerfeld. Karajan und Beethoven werden genauso heiß und innig verehrt wie Korea-Popbands, protzige Luxusarmbanduhren oder an Stränden und im Wald eingesammelte Natur kombiniert mit kleinen Buddhafiguren. Jemand hat auch ein Foto von einem Marienbild in einem plüschigen Wohnzimmer geschickt, vor dem zwei weiße Altarkerzen stehen.
Ikonen und Ikonisches zelebrieren und hochhalten – sei ein alltägliches, menschliches Bedürfnis, glaubt denn auch Museumsdirektor Grunenberg.
"Das haben wir ja doch irgendwie alle zuhause: Diese Ecke, wo wir Objekte, wo wir Bilder sammeln, wo wir Fundstücke haben, Souvenirs. Und das ist ja nun wirklich so, dass wir da etwas anbeten, etwas verehren. Und das geht bis zum Ikonisieren des Ichs durch die sozialen Medien."
Selfies als Auto-Ikonisierung?
Selfies schießen und posten als eine Form der Auto-Ikonisierung? Eine Ausstellungsbesucherin, die oft Selfies postet, überrascht die These.
"Ich würde das nicht unbedingt als Ikonenbilder bezeichnen. Selfies posten ist häufig nur ein Zeichen: Ich war hier! Guck, was ich mache, was ich heute gegessen habe."
Einem jungen Kolumbianer fällt dazu Instagram-Ikone Kim Kardashian ein und ihre – wie er findet - hohlen Selfies, die sie zur Berühmtheit gemacht haben.
In Zeiten von Facebook und Instagram könne doch jeder Ikone werden. Ob es auch verdient ist, sei eine ganz andere Frage.
Er bewundere lieber die Selfie-Ikone Vincent van Goghs, die vor ihm an der Museumswand hängt: Selbstbildnis mit grauem Filzhut. In dem Bild hat der ehemalige Theologiestudent van Gogh übrigens auch Maltechniken der traditionellen Ikonenmalerei benutzt. "Cool", sagt der Ausstellungsbesucher.
"Van Gogh hat sich gesagt: Ich bin keine Ikone, aber ich male mich wie eine Ikone. Und heute, nachdem er gestorben ist, ist er eine Ikone."
"Schöpfer, Heilige und Schamanen" haben die Ausstellungsmacher diese Etappe der Schau genannt. Hier ist auch Joseph Beuys mit seiner Installation "Konzertflügeljom" ausgestellt: Ein beinloser, abgeschrappter Konzertflügel, auf dem der legendäre Beuys-Hut liegt und fast wie ein Heiligenrelikt wirkt. Auf die Frage eines Reporters an Beuys, ob er unsterblich werden wolle, soll er geantwortet haben: Das bin ich schon.
Ikone zu Lebzeiten
Tatsächlich war Beuys als erster deutscher Künstler bereits zu Lebzeiten eine internationale Ikone, ein Guru und Messias der Aktionskunst. Kunsthallen-Direktor Grunenberg:
"Das ist so - beziehungsweise auch die Frage: Was ist der Künstler heute, warum erheben wir manche Künstler zu Ikonen, verehren sie? Wir wollen natürlich auch von Ihnen, dass sie uns gewisse Heilsbotschaften bringen, dass sie uns die Welt erklären, dass sie Lösungen finden. Und gerade im 20. Jahrhundert, spätestens seit van Gogh, sind Künstler Propheten, sind sie Priester, sind sie Heilige, oder – im Falle von Beuys – Schamanen."
Die säkulare moderne Kunst sei weniger rational und logisch, als es den Anschein habe. Und nicht nur, weil gefeierte Künstler wie Jeff Koons – dessen roter, hochglanzpolierter Ballon-Hund ebenfalls in der Bremer Schau ausgestellt ist – ihre Werke für zweistellige Millionen-Beträge verkaufen. Christoph Grunenberg:
"Die Kunst der Moderne und des 20. Jahrhunderts ist auch als Glaubenssystem beschrieben worden, das eine unbequeme Gottlosigkeit mit religiöser Erinnerung verbindet. Dass wir auch gerade in der abstrakten Kunst, Minimal- und Konzeptkunst an die Kunst glauben müssen. Wenn wir irgendeinen metallenen Kubus sehen, ist das ja erst mal nur ein metallener Kubus. Wir müssen ja erst mal etwas in diesem Material, dieser Form sehen, und das mit Glauben füllen."
Ob in der Kunst, der Werbung, Mode oder Politik – längst ist der Begriff Ikone zum überstrapazierten Superlativ mutiert. Die Bremer Ausstellung bietet eine anschauliche Gelegenheit, dem Phänomen und der Frage "Was wir anbeten" nachzugehen – kunsthistorisch und gesellschaftlich. Eine Art museales Brainstorming, bei dem auch Platz für ein bisschen Selbstironie ist. Wenn zum Beispiel Besucher der Schau eingeladen sind, sich vor einer Aufnahme der Superikone Mona Lisa im Louvre zu fotografieren. In pinkfarbenem oder hellblauen Blazer – genauso wie Popikonen Beyoncé und Jay-Z es in ihrem ikonischen Musikclip "Apeshit" getan haben. Ikone total.
Ikonen - Was wir Menschen anbeten
Ausstellung in der Kunsthalle Bremen
Noch bis zum 1. März 2020
www.kunsthalle-bremen.de