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Ikonenmalerei
Glauben in Gold

Die Hamburgerin Kirsten Voß hat ihr Handwerk auf Kreta gelernt. Sie malt Christusfiguren, Maria und Heilige nach dem Vorbild der byzantisch-kretischen Schule. Ihre Auftraggeber sind Christen aller Konfessionen, nicht nur orthodoxe Kunstliebhaber. Sogar Martin Luther hat sie schon byzantinisiert. Ein Werkstattbesuch.

Von Mechthild Klein |
    Ikonenmalerin Kirsten Voß bei der Arbeit.
    Ikonenmalerin Kirsten Voß bei der Arbeit. (Mechthild Klein )
    "Ich grüße Sie. Kommen Sie rein, schauen Sie sich um", sagt Kirsten Voss. Die Hamburgerin ist seit mehr als 20 Jahren Ikonenmalerin. Sie hat sich auf den byzantinisch-kretischen Stil spezialisiert, gelernt in den Werkstätten kretischer Meister. Der Aufstieg in ihr Atelier ist wie ein Weg in eine andere Welt. In jeder verfügbaren Wandecke hängen die goldfarbenen Ikonen. Apostel in wallenden Gewändern, Heilige wie St. Georg oder Nikolaus und immer wieder großformatige Christus-Bilder. Fast wie in einer orthodoxen Kirche.
    "Ja, hier gleich links ist mein Arbeitszimmer - hier entstehen die Ikonen und andere Ikonen hängen an den Wänden, die noch trocknen müssen, bevor ich sie firnissen kann und an ihre Auftraggeber versende."
    Im Atelier hängen an der Wand an die 40 Ikonen. Ihr Gold reflektiert das Licht. Schließlich fällt der Blick auf die Staffelei in der Mitte. "Das ist mein Arbeitsplatz. Da sitze ich viele Stunden am Tag und reproduziere alte Ikonen", sagt Kirsten Voß. Die Ikone des Propheten Elias - eine Auftragsarbeit - ist noch nicht fertig. Nach der Legende der Ostkirche brachte ein Rabe dem Propheten die Speise in der Wüste.
    Fenster zur Ewigkeit
    Auch hier erstrahlt ein goldener Grund anstatt eines Himmels. Kirsten Voß erklärt: "Gold ist das Göttliche. Das, was wir nicht erfassen können, wo wir uns nur schrittweise dran annähern können. Es ist ein Hinweis, dass es sich um die jenseitige Welt handelt. Ikonen geben immer einen Hinweis zur jenseitigen Welt. Es steht in manchen Büchern, dass Ikonen 'Fenster zur Ewigkeit' sind."
    In orthodoxen Kirchen hängt der Altarraum oft voller Ikonen - sowohl in griechisch-orthodoxen, als auch in russisch-orthodoxen Kapellen. In Griechenland, wo es keine so einschneidende Säkularisierung gegeben hat wie in der Sowjetunion, blieben die Ikonen oft in Familienbesitz und wurden von Generation zu Generation weitergegeben. Ikonen, griechisch Eikon, sind Abbilder des götllichen Urbildes. Sie werden nicht angebetet, sie werden verehrt.
    Zunächst gibt Kirsten Voß eine Einführung in die komplexe Produktionsweise der Ikonen, der Anfänge bis ins 6. Jahrhundert zurückreichen: "Ich habe jetzt hier die heilige Esther - die geht in Produktion, die wird hergestellt." Die Heilige Ester trägt eine mit Edelsteinen verzierte Goldkrone und eine üppiges Gewand. Die eine Hand ist zum Gruß erhoben, die andere unter dem Gewand verborgen. Sie ist eingerahmt von zwei Marmorsäulen unter einem Bogen. Kirsten Voß hat den Grund der Holzikone schon vorbereitet. Dutzende Kreideschichten sind aufgetragen über eine dünne Stoffbahn auf dem Holz. Die Umrisse der Figur sind in die Ikone eingeritzt. Ein okkergelber Himmel bildet die Grundlage für die spätere Vergoldung. Die Farbe ist mit Eiweiß angemischt, damit sie gut auf dem Grund haftet. Nach dem Trocknen wird sie mit einem Tuch poliert. "Das mach ich mal, sie sehen es wird ein bisschen glänzender", sagt sie. "Und der nächste Arbeitsschritt ist mit einem Achat. Das ist hier ein geschliffener Achat mit einem Holzgriff. Dass man jetzt rangeht und dieses poliert."
    Durch die Politur mit dem glattgeschliffenen Achatstein fängt die gelbe Farbe langsam an zu glänzen. Auf diese Schicht wird dann das Blattgold gelegt - das noch einmal mit dem Achat festgerieben wird - bis es wie massives Gold glänzt.
    Reduziert auf das Wesentliche
    Für das Mischen der Farben streut Kirsten Voß lichtechte Farbpigmente in einen Mörser. Langsam arbeitet sich die Malerin an den gewünschten Farbton heran, bevor das Pulver mit Eigelb verrührt wird, dem Bindemittel für die Pigmente. Für jede Figur sind die Farben der Gewänder festgelegt - bis hin zu den Frisuren. Kirsten Voß erklärt: "Wenn wir jetzt eine Christusfigur haben: Der hat einen blauen Umhang und ein rotes Untergewand. Dann beginnen wir mit den dunkelsten Tönen und setzen darauf die Lichter."
    Zwei Wochen braucht sie für die Zeichnungen einer Ikone. Das Bild wirkt durch die starke Stilisierung zentrierend. "Meiner Meinung nach auch sehr modern. Weil es sehr reduziert ist auf das Wesentliche. Ikonen bilden nicht die Wirklichkeit ab, sondern die geistige Welt, die Transzendenz - die Vollkommenheit. Und da es nicht so viele Vollkommenheitengibt, ist es auf Ikonen so, dass nicht viel Wert darauf gelegt wird, dass die einzelnen Personen sich individuell voneinander unterscheiden."
    Zu den Aufträgen für Christus- und Heiligen-Ikonen kommen manchmal auch ganz ungewöhnliche Wünsche. Zuletzt gabe es Bestellungen für die Kirchenlehrerin Hildegard von Bingen, die ja eigentlich keine Heilige der Ostkirche ist. Der Clou war aber eine Ikonen-Anfertigung von Martin Luther, dem evangelischen Reformator, den man mit viel gutem Willen als eine Art evangelischen Heiligen sehen kann.
    Der Reformator mit Nimbus
    Kirsten Voß sagt: "Die Vorlage sollte nach dem Stich von Lucas Cranach angefertigt werden und dann habe ich im byzantinischen Sinne, sozusagen den Luther zurückbyzantinisiert und habe eine Skizze angefertigt. Und dann war die Diskussion um den Heiligenschein. Man wünschte einen Heiligenschein. Und da dachte ich, ich möchte als Ikonenmalerin jetzt keine theologischen Fehler zementieren. Und da Cranach Luther auch mit so einem Strahlenkranz abgebildet hatte, war man sich einig, dass das geht."
    So gibt es jetzt auch Ikonen im byzantinischen Stil von Martin Luther - natürlich vor vergoldetem Hintergrund und mit Nimbus. Die Luther-Ikone lieferte sie bereits an Kunden in den USA und auch nach Deutschland. Wer die Auftraggeber sind? Liebhaber aus allen christlichen Konfessionen, sagt Kirsten Voß vieldeutig, auch evangelische Pastoren. Die Hamburgerin pflegt einen sehr lebendigen Umgang mit der alten Kunst der Ikonenmalerei.