Die Entführung und die Folter liegen 13 Jahre zurück. Im Februar 2006 wurde der geschundene Körper von Ilan Halimi hier an den Straßenrand geworfen. Ein französischer Jude, seine Familie stammte aus Marokko.
Eine Gruppe Jugendlicher hatte den 23-jährigen Jungen aus einem Pariser Stadtteil gelockt. Die Entführer nannten sich "die Barbaren", die meisten stammten aus Einwandererfamilien, waren Muslime und arbeitslos. Sie waren der Meinung, bei einer jüdischen Familie sei Geld zu holen. Ein Irrtum, ein antisemitisches Vorurteil.
Fußgänger haben es schwer an dieser Stelle. Das Auto kann man nur schräg auf den Bordstein stellen. Der Verkehr rast hier vorbei. Der Ort ist damals von den Tätern nicht zufällig gewählt worden. Unterhalb des Bahndamms und direkt am Ortsausgangsschild wurde der malträtierte Körper von Ilan Halimi am 13. Februar 2006 gefunden. Er starb noch auf dem Weg ins Krankenhaus. 24 Tage lang war er gequält worden.
Gedenkstätte am Todestag geschändet
2019, an seinem Todestag, wurde die Gedenkstätte geschändet. Die Bäume wurden herausgerissen, die in Erinnerung an den ermordeten jüdischen Jungen gepflanzt worden waren. Der Rabbiner, Michel Serfaty, ist – wie viele Menschen in Sainte-Geneviève-des Bois – erschüttert.
"Das ist schrecklich. Eine unsinnige Tat. Wie kann man sich an einem Baum vergreifen? Dem Symbol für das Leben? Diesen Ort zu schänden zeigt die Verachtung alles Menschlichen."
Die Gemeinde sorgte rasch dafür, dass neue Pflanzen die Lücken füllen, die Farben der Trikolore schmücken Blumengebinde, am Zaun hängt eine Zeichnung mit dem trotzigen Satz, der den Tätern entgegengehalten wird "Ilan, wenn es sein muss, pflanzen wir einen ganzen Wald"!
Der Fall lässt die Gemeinde nicht los.
Essen der Brüderlichkeit
Zahidi Abdelaziz, der Besitzer des Restaurants, hat zu einem "Diner der Brüderlichkeit" eingeladen. Michel Serfaty ist für die jüdische Gemeinde gekommen, der Rektor der Moschee von Évry, Khalil Merroun, ebenfalls, und der Bischof, Michel Pansard:
"Alle Zeichen, die helfen Freundschaft, Brüderlichkeit zu zeigen, sind wichtig, um denen etwas entgegenzusetzen, die Öl ins Feuer gießen wollen."
Angst und Hass, die zunehmenden Konflikte zwischen den religiösen Gruppierungen Frankreichs, sollen an diesem Abend einer gemeinsamen Mahlzeit weichen. Mehr als hundert Menschen jeden Alters strömen in das Restaurant. Über die Tische sind kleine Fahnen gespannt "Frankreich, das ich liebe" steht dort geschrieben. Der marokkanische Besitzer, Zahidi Abdelaziz und sein Team, haben über den Spruch religiöse Motive, jüdisch, christlich, muslimisch, drucken lassen.
"Das ist einen Premiere, ja!", sagt der Restaurantbesitzer.
"Das Ziel des Abends ist es, die religiösen Gruppierungen Frankreichs und unseres Déartements Essonne zusammenzubringen. Einen Tee zu trinken, essen, sich unterhalten, diskutieren um "Stopp!" zu sagen. Stopp Vorurteil, Stopp Rassismus, Stopp Hass. In diesem Ort wurde die Gräueltat gegen Ilan Halimi begangen und hier sind die Bäume an der Erinnerungsstätte rausgerissen worden, und wir wollen heute Abend auch deshalb seiner gedenken."
Zahidis Familie hat 1981 das erste marokkanische Restaurant im Département Essonne eröffnet. Eine Tafel an der Wand erzählt voller stolz davon.
Hautfarbe und Herkunft spielen keine Rolle
"Das ist sehr wichtig für mich. Ich liebe Frankreich, ich liebe eine Gesellschaft, die zusammenhält, in Frieden, wo keiner mit dem Finger auf den anderen zeigt: Du bist Moslem, ich bin Jude oder Christ. Wir sind alle Menschen, wir sind alle gleich, es gibt keine Etiketten."
Imame sitzen neben katholischen Gemeindemitgliedern, jüdische Tischnachbarn erklären die Trennung der Speisen auf ihrem Teller, es wird munter geplaudert, französische Geselligkeit aus ernstem Anlass. Vor dem Essen gibt es eine Schweigeminute für die Opfer der Anschläge auf die Moscheen von Christchurch, alle erheben sich von ihren Plätzen.
Er habe sich als Moslem für diese Einladung entschieden, sagt der Restaurantbesitzer, weil der Antisemitismus um sich greife. Er habe überlegt, was er tun könne, um ein Zeichen gegen Rassismus und Hass zu setzen. Mit diesem Abendessen wolle er zeigen, dass Hautfarbe, Religion, Herkunft keine Rolle spiele.
"Gestern waren es die Juden, die man in Konzentrationslager brachte. Wer sagt uns, dass es nicht morgen die Muslime, die Atheisten oder Christen sind?
Er als Franko-Marokkaner leide unter all den Anfeindungen. Der Rabbiner, der Bischof, der Bürgermeister, alle greifen nacheinander zum Mikrofon. Ein Abgeordneter der Regierungspartei "La République en marche" trifft auch noch ein, der Regionalrat ist vertreten, marokkanische Künstler setzten den kulturellen Rahmen - aber die eigentliche Musik spielt an den Tischen.
Menschen, die sich zuvor nicht kannten, tauschen sich aus, lachen und essen zusammen, es wirkt wie ein großer Club Gleichgesinnter. Die jüdischen Gäste bekommen Tabletts mit koscheren Speisen gereicht, die übrigen essen halal, die Christen arrangieren sich. Und in der Sache sind sich alle einig, man muss etwas tun.