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Ilija Trojanov
Macht und Widerstand

Seit sein Roman "Der Weltensammler" 2006 mit dem Leipziger Buchpreis ausgezeichnet und in mehr als 20 Sprachen übersetzt wurde, ist der in Wien lebende Autor Ilija Trojanow international bekannt. In seinem aktuellen Buch mit dem programmatischen Titel "Macht und Widerstand" wendet sich Trojanow seinem Herkunftsland Bulgarien zu.

Von Eva Schobel |
    Ein Porträt von Ilija Trojanow
    Ilija Trojanow auf der Buchmesse in Leipzig. (picture-allianc / dpa / Jens Kalaene)
    Ilija Trojanow zählt zu jener Spezies von Schriftstellern, die oft mehr als ein Jahrzehnt für ihre Bücher recherchieren und das politische Engagement auf hohem ästhetischen Niveau mit Literatur verbinden. In seinem jüngsten Roman "Macht und Widerstand" behandelt er an Hand einer Täter- und einer Opferbiografie den Transformationsprozess Bulgariens von einer staatskapitalistischen Diktatur in eine privatkapitalistische Demokratie.
    "Die große Frage, wie schreibt man über eine sehr komplexe und dramatische Zeit, die man nicht erlebt hat, gekoppelt natürlich mit der Frage, kann man überhaupt als Nachgeborener darüber schreiben, die beantwortet sich für mich immer über die Recherche. Ich glaube, dass man bei einer intensiven Recherche, vor allem, wenn man noch Zugang hat zu Zeitzeugen, zu Überlebenden, zu Akteuren, sei es Tätern, Opfern oder Leuten, die beides zugleich waren, kann man als Schriftsteller nicht nur ein Gefühl für die Zeit kriegen, ein Eintauchen in die vielfältigen Facetten und Optionen, der jeweiligen Situationen, sondern man kann natürlich solchen Menschen erlauben, durch einen hindurch zu erzählen. Das heißt, man kann ihnen teilweise eine Stimme geben. Das war mir ein ganz, ganz großes Anliegen, dass ich nicht in einer völlig egomanen Art und Weise drauf los fantasiere, sondern, dass meine fiktionale Bearbeitung sehr genau an dem entlang schreibt, was mir diese Menschen erzählt haben, das heißt, dass ich ihre Zeugenschaft ernst nehme, würdige und respektiere."
    Zwei exemplarischen Lebensgeschichten
    Für seine Filmdokumentation "Vorwärts und nie vergessen. Ballade über bulgarische Helden" aus dem Jahr 2007, hat Trojanow ehemalige bulgarische Regimegegner, aber auch regimetreue Täter interviewt. Dieses und weiteres Material verdichtet er in seinem Roman "Macht und Widerstand" in zwei exemplarischen Lebensgeschichten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Konstantin Scheitanov, der Widerständler, hat in seiner Jugend ein Stalindenkmal in die Luft gesprengt, wurde ins Gefängnis gesteckt und gefoltert. Als alter, physisch beschädigter, aber psychisch ungebrochener Mann in einem Bulgarien nach der Wende, das im demokratischen Gewand nach wie vor von der postkommunistischen Nomenklatura beherrscht wird, kämpft er sowohl um seine persönliche wie die kollektive Erinnerung. Aber das Archiv, in das er täglich pilgert, rückt die Akten nur zögerlich heraus.
    Konstantins Antipode, Metodi Popow, Offizier der Staatssicherheit und hochrangiger Funktionär a. D., blickt reuelos auf seine Laufbahn als "Michelangelo der Verhöre" zurück. Er hat auch seinen ehemaligen Schulkollegen Konstantin malträtiert. Und doch war er kein leidenschaftlicher Sadist, nicht einmal ein überzeugter Kommunist, sondern ein Pragmatiker der Macht, ein ganz normaler Karrierist. Dass er eine Sekretärin des Langzeitdiktators Schiwkow geheiratet hat, war nicht zu seinem Schaden. Dass die Ehe kinderlos geblieben ist, bedauert er. Dass er seiner Frau nicht treu war, versteht sich von selbst. Dass in seinen selbstgefälligen Ruhestand eine junge Frau hineinplatzt, die behauptet, seine uneheliche Tochter zu sein, stürzt ihn in Turbulenzen.
    Trojanow erzählt die Geschichte der beiden Gegenspieler jeweils aus der Ich-Perspektive, was ein hohes Maß an Empathie erfordert.
    "Es ist interessanterweise leichter sich in den Täter zu versetzen, denn der Täter operiert ja vor allem mit Selbstrechtfertigung während der Widerstandskämpfer ist natürlich aus heutiger Sicht, aus Sicht apolitischer Apathie, Konformismus, Mangel an wirklich radikaler, persönlicher, mutiger Skepsis, ist eine wirklich schwierige Figur. Das ist eine Figur, die es so selten nicht gibt, nämlich ein Mensch der bereit ist, für seine Ideale alles herzugeben, auch zu sterben, obwohl er weiß, dass es nichts bringen wird. Das heißt, in Zeiten, in denen wir immer nach der Effizienz fragen, ist dieses Vertrauen auf die Bedeutung eines Selbstopfers für das Ideal völlig unabhängig davon, was es für Früchte und Folgen tragen könnte, schon völlig anachronistisch. Ich denke, dass viele Menschen sagen würden, wenn sie so einen kennen würden, das ist ein Verrückter. Er erschien mir aber nicht als verrückt, sondern im Gegenteil. Ich glaube, dass man da in den Kern dessen kommt, was es bedeutet, wirklich ein Ideal zu haben. Und insofern war so ein Mensch mit seiner manchmal auch unglaublich enervierenden Dickköpfigkeit, der absolut fehlenden Bereitschaft, die Notwendigkeit des Kompromisses und des Nachgebens auch nur ein einziges mal einzusehen, so ein Mensch war einerseits total faszinierend, aber anderseits auch schwer zum Leben zu erwecken."
    70 Jahre bulgarische Nachkriegsgeschichte
    Trojanows Projekt könnte ehrgeiziger nicht sein. 70 Jahre bulgarische Nachkriegsgeschichte hat er am Exempel seiner beiden Kontrahenten in den Roman verpackt. Kontrahenten, die er nicht eindimensional, sondern vielschichtig zeichnet. Metodi ist weder ein gänzlich unsympathischer Kotzbrocken noch ein genial verführerischer Mephisto, im Sinne Hanna Arendts verkörpert er die Banalität des Bösen. Zu seinem Gewissen könnte die angebliche oder tatsächliche Tochter werden, die ihn penibel nach seinen Taten befragt. Aber es gelingt ihm, sie mit einem ehemaligen Kameraden zu verkuppeln, einem Vertreter der korrupten, mafiösen Elite. So wird sie zu seiner soziologischen Nachfolgerin und er vergibt die Chance auf Selbsterkenntnis.
    Auf der anderen Seite erfahren wir, dass Konstantin, ein Vertreter des fast unerträglich Guten, im Gefängnis einen Moment der Schwäche hatte. Seine ehemaligen Mitstreiter nervt er trotzdem mit seiner Rigorosität, zumal er im Archiv auch unter ihnen Verräter findet. Verräter – die anders als er – der Isolationshaft und der Folter nicht gewachsen waren.
    "Kaum einer ist ungeschoren davon gekommen, in einem ethischen Sinne, und deshalb war es mir sehr wichtig, dass Konstantin auch diesen Moment hat in dem er dann eine völlig verständliche Schwäche zeigt und nicht diese Unbeugsamkeit an den Tag legt und dass bei jemanden, der sehr sehr hart geblieben ist, bei den meisten anderen sind die Archive eine Mischung, aus sie unendlich erzürnenden Falsifikationen der Staatssicherheit und eine noch schlimmere, eine noch schmerzhaftere Erinnerung an eigene Schwäche, an ein eigenes Versagen, an ein den eigenen Idealen nicht genügendes Verhalten, an eine Scham. Das heißt, sie sind sowohl Schande als auch Scham."
    Das Archiv war immer nur ein kleines Zeitfenster lang offen. Derzeit ist es zwar wieder zugänglich, steht aber unter staatlicher Kontrolle.
    Trojanow zitiert in seinem Roman aus originalen Stasi-Akten, die er von Zeitzeugen erhalten hat. Die sperrig-bürokratische Sprache konnte und wollte er nicht ändern. In ausführlichen Dialogen mutet der Autor dem Leser Diskurse zum Thema Staats- und Privatkapitalismus zu. Konstantin hat seinen Marx und seinen Engels gelesen. Die echten Kommunisten waren ja die ersten, die von der Partei ins Gefängnis geschickt wurden. Und dort bekamen sie zur Lektüre nichts anderes, als die kommunistischen Klassiker.
    Gut, dass es solche Bücher noch gibt
    "Macht und Widerstand" ist keine angenehme Strand- oder Gute Nacht Lektüre, sondern ein komplexer Roman, der hohe Konzentration erfordert. Gut, dass es solche Bücher, jenseits ökonomischer Spekulationen noch gibt.
    Am Grab von Metodi gelingt es Konstantin zu sagen, was er zu sagen hat. Pathos ist erlaubt. Wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Hochverrat an seinem Volk verurteilt er ihn zur Verachtung durch die Nachfahren, für alle Zeit.
    "Ich glaube, dass Konstantin völlig davon überzeugt ist, dass wenn man nicht, zumindest in Publikationen, zumindest in der Sprache, der ehemaligen Macht, die aber trotz aller Transformationen noch immer an der Macht ist, etwas entgegenstellt. Wenn man sie nicht in die Schranken weist, wenn man sie nicht analysiert, kritisiert, und in irgendeiner Weise dann auch tatsächlich diskreditiert, dass sie dann in einer fatalen Weise gewonnen hat. Nämlich nicht nur wie oft gesagt wird, als Sieger der Geschichte dann bestehen bleibt, sondern viel schlimmer, dass die Deformation, die sie in der Gesellschaft angerichtet hat für die nächste und übernächste Generation bestehen bleiben, das heißt, es geht um die ganz große Frage, wie kann sich eine Gesellschaft überhaupt befreien und ich glaube, dass der Roman sehr viel darüber reflektiert, dass so Oberflächlichkeiten wie die Regimewechsel oder Systemwechsel mit denen dann die Massenmedien irgendwelche Veränderungen verknüpfen, dass das, wenn man genauer hinschaut keineswegs selbstverständlich zur Veränderung führt, sondern, es ist ein sehr langwieriger, sehr schwieriger Prozess und in diesem Prozess ist natürlich der Kampf um die Erinnerung ein ganz, ganz zentraler."
    Versteht sich von selbst, dass es in diesem Roman nicht nur um Bulgarien geht. Dieses Buch ist ein Versuch, unsere nach 1989 aus dem Fugen geratene Welt zu begreifen.
    Um den gewaltigen Stoff zu bändigen, brauchte der Autor ein Konzept, um ihn erzählerisch darzustellen viel schöpferische Energie.
    "Ich glaube, die ganz große Herausforderung bei Autoren wie mir, die sehr intensiv recherchieren, ist es ja, das Material dann zu verwalten, das heißt, die fiktionale Energie nicht zu erdrücken, zu erdrosseln, durch die Schwere des Materials, die Kompetenz, die man sich dann aneignet, in dem man sich jahrelang damit beschäftigt, die dann beim Schreiben ein Stück weit zu vergessen, das heißt, schon mit einer unschuldigen Lust auf den fiktionalen Prozess zu schreiben und nicht mit einer professoralen Abgeklärtheit – ich habe jetzt die Welt verstanden und jetzt such ich nach Möglichkeiten – dieses Verständnis in einer literarischen Form sichtbar zu machen. Das ist ein sehr komplexer Prozess, der sehr einem sehr viel Kraft und Energie abverlangt, das ist ein bisschen so, als würde man jemanden, der auf dem Seil balanciert, einen unheimlich schweren Rucksack mitgeben und er soll aber trotzdem tänzerisch den Balanceakt durchführen."
    Ilija Trojanow: "Macht und Widerstand"
    S. Fischer, 477 Seiten. 24,99 Euro