Man könne hier nicht mehr von einem Kavaliersdelikt oder leichtfertigen jugendlichen Handlungen sprechen, sondern müsse deutlich machen, dass es sich hier um eine kriminelle Handlung handle. "Ein Urteil, das in solchen Fällen mit Bewährung endet, ist ein Hohn, ein Schlag ins Gesicht. Und die Bevölkerung, das sehen wir an den Reaktionen, an den Leserbriefen, an den Anrufen, ist damit nicht einverstanden", sagte Fritz Schramma vom Verein Kölner Opferhilfe im DLF. Bewährung könne hier nicht die Antwort sein, deshalb begrüße er auch die Initiative der NRW-Landesregierung, dieses Delikt als kriminelles Vergehen einzustufen.
Der ehemalige Kölner Oberbürgermeister fordert seit Jahren härtere Strafen. Sein Sohn wurde 2001 als Unbeteiligter bei einem durch zwei Raser verursachten Unfall in der Kölner Innenstadt tödlich verletzt. Er selbst habe auf die Strafe für die beiden jungen Raser mit "Wut" und "Enttäuschung" reagiert. Die Männer wurden in erster Instanz zu drei Jahren Gefängnis, in zweiter Instanz zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.
"Unsere Raser sind aus dem Saal gegangen und haben gegrinst, das war noch einmal ein Affront gegen uns. Was soll sich da ändern?", erinnert sich Schramma. Er betonte, die Zeit heile keine Wunden. Das sei die Erfahrung, die er nach dem Unfalltod seines Sohnes gemacht habe. "Als Opfer leidet man lebenslänglich darunter, ein solches Urteil, dass auf Bewährung ausgestellt ist, ist nochmals eine zweite Strafe", sagte Schramma. Im Sinne der Betroffenen gehe es auch um ein Stück Genugtuung, auch wenn der verlorene Mensch nicht mehr zurückkommt.
Das Interview in voller Länge:
Christoph Heinemann: Ein Urteil steht fest. Die Angehörigen leiden lebenslänglich, wenn Raser Menschen töten.
Eine Anklage lässt aufhorchen. Zwei Männer, 24 und 27 Jahre alt, die bei einem illegalen Autorennen den Tod eines Unbeteiligten verursacht haben sollen, stehen in Berlin wegen Mordes vor Gericht, eben nicht wie sonst häufig wegen fahrlässiger Tötung. In der Nacht zum 1. Februar waren sie mit ihren Sportwagen mit mehr als 160 Kilometern pro Stunde den Kurfürstendamm entlanggerast. Kurz vor dem Luxuskaufhaus KDW rammte einer der Angeklagten den Geländewagen eines Rentners. Der 69 Jahre alte Fahrer des Geländewagens starb. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass sich die Angeklagten zu einem illegalen Rennen verabredet hatten und damit tödliche Folgen billigend in Kauf genommen hätten.
Seit Jahren fordert Fritz Schramma härtere Strafen, der frühere Oberbürgermeister von Köln. 2001 wurde sein Sohn Stephan in der Kölner Innenstadt als unbeteiligter Fußgänger getötet, als sich zwei junge Männer ein illegales Autorennen lieferten. Der CDU-Politiker ist jetzt am Telefon. Guten Morgen.
Fritz Schramma: Einen schönen guten Morgen. Ich grüße Sie.
Heinemann: Herr Schramma, sind Raser mutmaßliche Mörder?
Schramma: Ja. Ich denke mir, bei einem solchen Fall, wie Sie ihn gerade geschildert haben, ohne Zweifel. Und im Prinzip ist es in den meisten Fällen, die ja auch in den letzten Jahren sich wieder leider gehäuft haben, der Fall, dass es verabredete leichtsinnige, wahnsinnige Rennen waren, die in der Tat es bedürfen, dass man von Seiten der Justiz einen anderen Blick darauf wirft, nämlich dass man nicht mehr von einem Kavaliersdelikt, von einer jugendlichen leichtfertigen Handlung spricht, sondern dass es sich hier in der Tat um ein kriminelles Vergehen handelt. Von daher gesehen ist hier die Anklage auf Mord eine durchaus berechtigte nach meiner Ansicht.
Heinemann: Wird in Deutschland zu milde geurteilt?
Schramma: Wir haben häufig die Erfahrung gemacht, und wenn ich sage wir, dann ist das auch mein Verein, der Verein Kölner Opferhilfe, die wir ja seit Jahren auch dafür eintreten, ich in persona natürlich aus persönlicher Betroffenheit, aber auch grundsätzlich; wir haben auch viele andere Fälle, die wir mit vertreten. Ich denke, dass ein Urteil, das in einem solchen Fall dann mit Bewährung endet, ein Hohn ist, ein Schlag ins Gesicht, und die Bevölkerung - das sehen wir an den Reaktionen, an den Leserbriefen, an den Anrufen - ist damit überhaupt nicht einverstanden, sodass Bewährung hier nicht die richtige Antwort sein kann. Deswegen begrüße ich auch die Initiative der Landesregierung NRW, dass man dieses Delikt als ein kriminelles Vergehen einstuft.
"Die Gerichte legen zu wenig den Blick auf die Opfersituation"
Heinemann: Wie haben Sie reagiert auf die Strafe in dem Fall, als es um Ihren Sohn ging?
Schramma: Ich kann das eigentlich nur mit Begriffen wie Wut, Enttäuschung und Ärger bezeichnen. Und Sie haben es in Ihrem Anspann ja auch schon gesagt: Das Problem ist ja, dass die Gerichte zu wenig Blick auf die Opfersituation legen, denn in der Tat ist man als Opfer wirklich lebenslänglich mit dieser Tatsache betraut und leidet darunter und ist letztendlich bestraft. Und ein solches Urteil, das sehr leicht aussieht und wirkt und auf Bewährung ausgestellt ist, ist noch mal eine zweite Bestrafung der Opfer.
"Die Opfer brauchen eine Form der Anerkennung und der Genugtuung"
Heinemann: Herr Schramma, welchen Zweck sollten Strafen erfüllen?
Schramma: Ich denke, dass das Thema Abschreckung eines ist. Aber es ist auch - und da kommen ja immer wieder die Gegner dieser Argumentation auch zu Wort, die sagen, aber in anderen Ländern haben wir das ja und dann hat es auch nicht so gewirkt. Ich glaube nicht ganz daran. Es ist schon so, wenn man das grundsätzlich jetzt einige Male durchführt in der strengeren Version, dass das auch eine abschreckende Wirkung haben kann.
Darüber hinaus sage ich aber auch im Sinne der Opfer, der Betroffenen, dass es auch um ein Stück Genugtuung geht, wenn auch gleich der verlorene Mensch, das Opfer selbst ja nicht zurückkommen kann und die Situation sich dadurch nicht wesentlich verbessert. Es brauchen aber die Opfer irgendwo eine Form der Anerkennung und der Genugtuung, und deswegen ist auch eine härtere Bestrafung vonnöten.
"Eine endgültige Lösung kann es da nicht geben"
Heinemann: Kann überhaupt irgendein Urteil diese Genugtuung herstellen?
Schramma: Letztendlich nicht. Es ist ein Stückchen der Bewältigung vielleicht geleistet dadurch. Eine endgültige Lösung kann es da nicht geben, da haben Sie recht.
Heinemann: Kann man sich vorstellen, dass Strafen vielleicht auch Täter bessern können?
Schramma: Die Hoffnung habe ich. Das ist im Fall der Bewährung nicht der Fall meines Erachtens, denn wir haben es ja selbst erlebt. Unsere beiden Raser sind aus dem Saal gegangen, grinsten sich gegenseitig an, und das war noch mal so ein zusätzlicher Affront gegen uns auch, und man fragt sich, was soll sich bei denen ändern. Da gibt es ja keine Bewusstseinsänderung, da ist auch keine Einsicht vorhanden, und ich denke, dass es schon so ist, dass eine solche Bestrafung wie zum Beispiel auch Entzug vom Führerschein oder Entzug vom Auto, was auch immer noch dazu kommen kann, durchaus eine Lehre sein sollte und eine Verhaltensänderung, denn das ist ja der Sinn von Strafen.
Heinemann: Und die kann, glauben Sie, dadurch erreicht werden?
Schramma: Ich habe die Hoffnung, ja.
Heinemann: Sollte eine Anklage wegen Mordes in solchen Fällen die Regel werden?
Schramma: Ich bin kein Jurist und kann das auch nicht jetzt generalita so sagen. Das muss man von Fall zu Fall sehen. Aber wenn die Voraussetzungen so sind wie in diesem Fall offenkundig, wie Sie sie auch geschildert haben, dann muss sicherlich überprüft werden, haben die Raser in diesem Fall wirklich eine Tötung auch leichtsinnig mit in Kauf genommen, von vornherein mit einkalkuliert. Dann wird ein Auto in der Situation zu einer Waffe. Das ist so, wie wenn man mit einem geladenen Revolver durch einen Supermarkt geht und hier und da mal versucht, damit zu spielen. Das geht nicht, das können wir nicht zulassen, und ich denke, insofern ist der Weg schon der richtige.
Heinemann: In der Schweiz gilt: Wer rast, auch ohne jemanden zu töten, kommt hinter Gittern. Das heißt, extreme Tempoüberschreitungen gelten dort als Straftat, nicht als Ordnungswidrigkeit. Sollte sich Deutschland daran ein Beispiel nehmen?
Schramma: Ja. Aus der Schweiz habe ich allerdings auch die Erfahrung gemacht und mit vielen Leuten auch gesprochen, dass sich das Verkehrsverhalten sowohl der Einheimischen als auch der Touristen, die dort das Land kreuzen oder besuchen, ganz erheblich geändert hat. Das heißt, man fährt einfach vorsichtiger und langsamer, weil man um diese harten Strafen weiß. Insofern hat die Schweiz, glaube ich, hier richtig gehandelt. Das könnte ein Beispiel für uns sein, ja.
Heinemann: Herr Schramma, Sie haben gesagt, die Fahrer, die Ihren Sohn getötet haben, haben sich bei Ihrer Frau und Ihnen nicht entschuldigt. Sie haben keine Reue erkennen lassen. Hätte Ihnen das geholfen?
Schramma: Ja. Mit Sicherheit wäre das, ich sage mal, bis zum heutigen Tage noch eine Form der Bewältigung, die das etwas erleichtern würde. Ich hätte auch, muss ich ganz ehrlich sagen, von den Eltern dieser beiden jungen Männer - die waren ja auch knapp über 20 - eine Reaktion erwartet, denn ich habe immer wieder versucht, mich auch in deren Rolle reinzudenken, wie wäre es, wenn einem von unseren Kindern so etwas passiert wäre, oder wenn die das gemacht hätten. Da hätte ich mich als Elternteil eigentlich schon als mitschuldig betrachtet.
Auch von daher kam überhaupt keine Reaktion, bis zum heutigen Tage, und das ist jetzt schon über 15 Jahre her.
"Es gibt da keinen Königsweg"
Heinemann: Was raten Sie Menschen, die Angehörige, die Freunde auf diese schreckliche Weise verloren haben?
Schramma: Es ist dann gut, wenn man eine Familie hat, die das aufarbeitet. Manchmal hilft auch der Glaube, eine Religion, Freunde. Alles das ist, glaube ich, hilfreich, wenn man dort im Gespräch, in der Gemeinsamkeit eine Form der Trauerbewältigung erlebt.
Ansonsten gibt es da keinen Königsweg. Da muss man auch ganz viel mit sich selbst ausmachen. Jeder einzelne empfindet ja auch so einen Verlust individuell anders.
Heinemann: Wie hilft Ihr Verein?
Schramma: Wir bieten eine Psychotherapie an, gerade in Fällen von traumatisierten Menschen und die auch sehr schnell. Das heißt, unmittelbar nach einem Unglück oder nach einem schlimmen Geschehen ist ja derjenige, das Opfer, der- oder diejenige schwer traumatisiert, und da hilft es, wenn man sehr schnell einen Therapieplatz bekommt. Da haben wir gute Verbindungen zum Deutschen Institut für Psychotraumatologie und können da sehr schnell vermitteln.
Heinemann: Heilt die Zeit Wunden?
Schramma: Nein! - Kann ich nur so antworten. Das ist eine Redewendung, die aber irgendwie falsch ist, und die kann man nur dann widerlegen, wenn man selbst so eine Erfahrung gemacht hat.
Heinemann: Fritz Schramma (CDU), der ehemalige Oberbürgermeister der Stadt Köln. Herr Schramma, vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Schramma: Ich bedanke mich auch. Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.