Ein kurzer Frühgottesdienst in der renovierungsbedürftigen Kathedrale von Tondo, dem wohl ärmsten Stadtteil Manilas. Weihbischof Broderick Pabillo feiert ihn mit einigen Frauen, die fast jeden Morgen kommen; dann geht es, mit wehender weißer Soutane, hinunter zu einem Estero, einem der vielen Kanäle Manilas.
An der Böschung klebt, über blau-grün schillerndem Wasser, eine Plattform aus Brettern, gestützt von einigen Bäumen, Beton- und Holzpfosten; darauf zwei Dutzend kleine Häuser aus Backstein, Holz und Wellblech; in Tontöpfen blühen Kräuter und Blumen. Das sei Maria Obineta, deutet Pabillo auf eine junge Frau. Der Bischof bringt die Frau dazu, ihre Gießkanne beiseite zu stellen und von ihrer Situation zu erzählen:
"Ich bin hier geboren - vor 36 Jahren. Heute habe ich vier Kinder und einen fleißigen Mann. Er repariert Reifen, Abwasserrohre und sogar Mopeds für die gesamte Nachbarschaft. Und ich spare Geld dafür, dass wir irgendwann in ein ordentliches Haus ziehen können. Denn das Leben hier ist schon eine Plage. Da richtest du jahrelang deine Wohnung gemütlich ein und binnen einer Stunde macht Dir ein Taifun alles zunichte."
In der Provinz fehlen Arbeit, Schule und Stromanschluss
Maria Obineta und ihre Familie zählen zu den - geschätzt - drei Millionen nicht-legalen Siedlern Manilas. Bischof Broderick Pabillo nennt sie informelle Siedler. Weil es auf dem Land kaum Arbeit gebe, siedelten immer mehr Arme, ohne Erlaubnis, in der Stadt: an Steilhängen und Müllkippen - oder in den Sümpfen, Esteros genannt. Informelle Siedler seien die ersten Opfer des Klimawandels, den die Philippinen besonders stark spürten - in Form von Taifunen, Starkregen und einem ansteigenden Meeresspiegel. Bischof Broderick Pabillo sagt:
"Die Ärmsten der Stadt sind besonders stark betroffen von Überschwemmungen. Ihre Hütten werden immer öfter überflutet; Kinder ertrinken. Hinzu kommt, dass die Verwaltung informelle Siedler aus ihren Hütten verjagt. Die Begründung: Sie seien dort in Gefahr und behinderten die Sanierung der Esteros. Draußen in der Provinz jedoch, wo die Menschen neu angesiedelt werden, haben sie oft keinen Strom- und Wasseranschluss; es gibt keine Schulen und keine Arbeit."
Trotzdem wurden in den vergangenen Jahren zehntausende informelle Siedler zwangsweise umgesiedelt - in oft abgelegene Regionen. Der Weihbischof erinnert sich an eine Zwangsräumung vor zwei Jahren:
"Im Morgengrauen kam ein Trupp Polizisten. Sie haben den Menschen befohlen, ihre Hütten abzubauen. Sonst würden das Feuerwehrleute tun - mit Vorschlaghämmern. Die meisten haben dann tatsächlich ihre Hütten abgerissen, um zumindest einen Teil ihres Hab und Guts zu retten. Einige allerdings weigerten sich; und es kam beinahe zu gewalttätigen Zusammenstößen mit der Polizei."
Trügerische Idylle für Vertriebene
Den Vertriebenen bot die Regierung neue Häuser in der Stadt Montalban an, 30 Kilometer östlich von Manila. Auf den ersten Blick wirkt Montalbans Stadtteil Southville, wo mehrere tausend Familien angesiedelt wurden, wie eine Idylle. Die solide gebauten Häuschen entlang einer frisch geteerten Straße sind in frischen Farben gestrichen. Vor den Fassaden und unter Fenstern wachsen auch hier Kräuter, Gemüse und Blumen; in der Vorschule tummeln sich rot-weiß uniformierte Kleinkinder. Das Problem sei, dass es in Montalban kaum Jobs gebe, sagt Carmelita Arlos, eine Mutter von drei Kindern:
"Mein Mann arbeitet in einem Hotel in der Stadt. Er macht immer die Nachtschicht. Um sieben Uhr fährt er weg, damit er von elf bis sieben Uhr morgens arbeiten kann. Gegen Mittag kommt er dann heim, schläft ein paar Stunden und fährt wieder zur Arbeit, sechs Tage die Woche."
Viele Familien zerbrächen in einer solchen Situation, berichtet Weihbischof Pabillo. Irgendwann komme der Mann nicht mehr heim; er bleibe in Manila und gründe dort eine neue Familie - eine Familie neuer informeller Siedler. Zwangsumsiedlungen in die Provinz funktionierten nicht, sagt Pabillo energisch. Nein, die Regierung müsse beides tun: Sie müsse die Wasserläufe Manilas anpassen an den Klimawandel; und sie müsse jenen, die vom Klimawandel am meisten betroffen sind, ein sicheres und menschenwürdiges Zuhause geben:
"Ich meine, wir verfügen über genügend technische Mittel, unseren Lebensraum zu entwickeln, ohne Menschen dafür zu opfern. Der Schutz der Umwelt und der Schutz obdachloser Menschen dürfen einander nicht ausschließen. Genau deshalb hat auch Papst Franziskus gesagt: 'Hört gleichermaßen die Schreie der Menschen und die Schreie der Schöpfung.'"
Tatsächlich hat der philippinische Präsident Rodrigo Duterte ein Moratorium verhängt: Erst einmal soll niemand mehr aus Manila in die Provinz umgesiedelt werden. Und die Regierung fördert neuerdings den Bau preisgünstiger Mietshäuser in unmittelbarer Nähe von Elendssiedlungen. Maria Obineta hat davon gehört. Sie sei aber zufrieden mit dem, was sie habe, sagt sie, und stellt frischen Mangosaft auf den Tisch ihres Wohnzimmers. Überall stehen beleuchtete Heiligenschreine. Besonders stolz jedoch ist Maria auf ein Dutzend Medaillen, die sie auf einer Kommode ausgebreitet hat - sorgsam eingehüllt in durchsichtige Folie.
"Meine vierzehnjährige Tochter Cathleen zählt zu den besten Sprinterinnen der Philippinen. Sie sehen ja die vielen Pokale und Medaillen, die sie schon gewonnen hat. Cathleen und die drei anderen gehen auf die besten Schulen hier; sie haben gute Noten; und wenn ich, nach einem Tag Schufterei, unter dem Balete-Baum dort drüben sitze, sage ich mir: 'Eigentlich bist du eine glückliche Frau - trotz all der Mühsal hier.'"