Michael Köhler: Der Kinderbuchillustrator Axel Scheffler zählt zusammen mit seiner Autorin Julia Donaldson zu den erfolgreichsten Bilderbuchzeichnern und -autoren der Gegenwart. Sein "Grüffelo", die Geschichte eines Ungeheuers, das sich vor einer Maus fürchtet, hat es ins Kino geschafft. Seine Geschichten von "Pip und Posy" über Freundschaft und Trost sind auch etwas für die ganz Kleinen. Die Bücher über "Räuber Ratte" und "Tommi Tatze" sind für die etwas Größeren. Der vielfach ausgezeichnete Künstler und gebürtige Hamburger Axel Scheffler lebt seit 35 Jahren in England. Ihn habe ich heute, einen Tag vor der Wahl, in Großbritannien, gesprochen.
Lassen Sie uns mit einem ihrer Helden anfangen! Der Straßenmusiker Matze spielt auf offener Straße in einer englischen multikulturellen Umgebung. Sieht sehr nach London aus. Vielleicht ist er Immigrant. Er hat eine Katze, die heißt "Tommi Tatze". Er muss seinen angestammten Platz verlassen. Der Kater "Tommi Tatze" sucht sein Herrchen, erhält Unterschlupf in einem typischen englischen Reihenhaus. Lebt integriert. An Matzes Platz stehen jetzt vier osteuropäische Musiker, Blechblas-Musiker. Vielleicht Immigranten.
Nicht vorbei mit Multikulti in London
Axel Scheffler, ist jetzt Schluss mit Multikulti?
Axel Scheffler: Das wird man sehen. Ich glaube nicht, dass es für London vorbei sein wird. Ich hatte bei dem Buch den Auftrag, dass es nicht aussehen sollte wie London, aber es sieht natürlich schon aus wie eine englische Stadt, und ich habe mir da gar nicht so viele Gedanken drüber gemacht. Aber ich hoffe, dass es für London nicht Schluss sein wird und für Großbritannien insgesamt. Wir werden es sehen. Im Moment steht ja alles in den Sternen und wir wissen nach dieser unsäglichen Wahlkampagne eigentlich genauso viel über den Brexit wie zuvor, und in zehn Tagen gehen die Verhandlungen los und irgendwie hat keiner darüber wirklich gesprochen oder irgendwas enthüllt, was uns da erwartet.
Köhler; Gestern, Herr Scheffler, gedachte Großbritannien mit einer Schweigeminute der sieben Toten und 48 Verletzten des Anschlags. Sicherheitsbehörden und auch die Premierministerin May müssen sich harsche Kritik gefallen lassen, weil einer der Attentäter als Extremisten schon lange bekannt war. Kann und wird das vielleicht den Vorsprung verringern? Wird das die Premierministerin die Wahl kosten? Was meinen Sie?
Scheffler: Ich glaube, es ist einfach absolut nicht einzuschätzen. Das sagen auch alle Kommentatoren hier, dass man das nicht weiß. Man vermutet immer noch, dass die Tories, die Konservativen, die Wahl gewinnen werden, aber wahrscheinlich nicht mit dem Vorsprung, den sie hatten. Wie die Frage der Sicherheit sich auswirkt auf die Entscheidung der Wähler, ist völlig ungewiss, denn einerseits kann man argumentieren, dass Theresa May natürlich verantwortlich war für vieles von dem, was passiert ist. Sie hat die Polizistenstellen gestrichen.
"Keiner sagt was zu Saudi-Arabien"
Köhler: In ihrer Zeit als Innenministerin.
Scheffler: Ja. Man könnte noch weitergehen und sagen, das freundliche Verhältnis zu Saudi-Arabien, da sagt keiner was dazu. Die verkaufen wie verrückt wie alle westlichen Staaten Waffen nach Saudi-Arabien, aber Saudi-Arabien unterstützt anscheinend den extremen Islamismus in vielen Staaten, und das ist überhaupt kein Thema. Andererseits spielt sie sich natürlich jetzt sehr auf wie viele Konservative als diejenige, die irgendwie als Law and Order Kandidatin plötzlich dann auch Menschenrechte einschränken will. Wie sich das auswirkt, ob die Wähler darauf reinfallen, oder wie sie darauf reagieren, das werden wir morgen wissen. Ich glaube, es ist wirklich unmöglich, es abzuschätzen.
Köhler: Herr Scheffler, diskutieren Sie so was im privaten Kreis oder an der Theke oder beim Malen oder sonst wo? Fühlen Sie sich eingeschüchtert, verängstigt?
Scheffler: Eigentlich nicht. Aber ich bewege mich eigentlich auch nur in Kreisen dieser sogenannten Blase, wo alle einer Meinung sind und alle gegen den Brexit sind und alle unsere liberalen Werte eigentlich verteidigen wollen und gegen den Nationalismus sind. Natürlich spricht man schon darüber, aber es gibt eigentlich in meinem Umkreis keinerlei kontroverse Diskussion, sowohl was die Deutschen, die hier leben, betrifft als auch die Engländer.
Ganz der Meinung von Ian McEwan
Köhler: Die "Neue Zürcher Zeitung" druckt heute eine Rede des britischen Schriftstellers Ian McEwan, und die heißt im Titel: "Ein zweites Referendum. Warum wir den Brexit nicht akzeptieren dürfen". Er akzeptiert das nicht. Er sagt, wir müssen uns auf ein zweites Referendum fokussieren, wir dürfen uns nicht auf einen schlechten Deal einlassen. Das ist ein Gedanke, den Sie auch teilen?
Scheffler: Den teile ich total. Ich habe den Artikel auch am letzten Samstag mit großer Begeisterung im "Guardian" gelesen. Dort wurde er schon vorher abgedruckt. Ich bin völlig seiner Meinung.
Köhler: Aber ist denn das realistisch, Herr Scheffler?
Scheffler: Ich glaube, heutzutage ist das ja wie alles nicht abzuschätzen. Die Premierministerin hat ja jetzt schon irgendwie drei bis vier große U-turns hingelegt, völlig ihre Meinung darüber geändert, über den Brexit, über die Wahlen, über die Sozialfürsorge für Alte.
Köhler: Kehrtwendungen.
Scheffler: Sie dreht das ja irgendwie immer hin und her. Ich denke immer noch, dass die Aufgabe zu groß sein wird, dass die das mit ihrem Personal oder mit ihren Vorstellungen überhaupt nicht hinkriegen. Es wird jetzt immer mehr davon gesprochen, Timothy Garton-Ash war heute im "Guardian" und sagt, …
"Das wird so katastrophal sein für dieses Land"
Köhler: Der Oxforder Historiker.
Scheffler: Der Historiker, ja. Der sagt, die meisten europäischen Staatsführer, mit denen er in letzter Zeit gesprochen hat, denken eigentlich, dass es gar nicht hinhauen kann mit einem Deal mit Großbritannien, und dann wird man sehen. Ich glaube, dass Frau May sich das auch noch mal überlegen wird, ihren ständigen Spruch "No Deal is better than a bad Deal". So sagt sie es ja: Keine Einigung mit der Europäischen Union wäre besser als ein schlechter Deal. Und das kann ich auch nicht sehen, weil das wird so katastrophal sein für dieses Land, wenn sie wirklich ohne eine Abmachung sich verabschieden von der EU. Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen.
Köhler: Sie sind in guter Gesellschaft. Ich habe gerade den erfolgreichen, sehr klugen Schriftsteller Ian McEwan genannt. Der Streetart-Künstler Banksy hat sich gemeldet: Er hat Tory-Gegnern einen limitierten Druck aus seiner Hand in Aussicht gestellt. Es soll kein Wahlgeschenk sein, er nennt das ein Souvenir, um sich da rauszudrücken. In der Kunstszene ist man sich mehr oder weniger einig?
Scheffler: Ja. Ich bin total erschrocken, wie sehr die immerhin 48 Prozent, die ja für den Verbleib in der Europäischen Union gestimmt haben, aus der öffentlichen Debatte verschwunden sind. Es gibt dann immer mal Stimmen, auch von Tony Blair zum Beispiel, aber insgesamt ist dieses Land jetzt so auf diesen Brexit eingeschwenkt und selbst viele, viele Leute, die dagegen gestimmt haben, gegen den Brexit, sagen jetzt, jetzt müssen wir irgendwie das Beste daraus machen, wir müssen raus. Ich kann mir das einfach nicht vorstellen. Ich denke, es muss eigentlich noch mal wieder umschwenken, weil es einfach katastrophal für dieses Land sein wird und auch für die EU.
Gedanken, das Land zu verlassen
Köhler: Herr Scheffler, Sie leben seit über 35 Jahren im Land. Wir haben vor einem Jahr mit Ihnen gesprochen, da haben Sie harte Worte gefunden und haben gesagt, ich überlege mir nach mehr als drei Jahrzehnten, ob ich hier noch bleiben kann oder gehen muss.
Scheffler: Ja.
Köhler: Denken Sie da immer noch drüber nach?
Scheffler: Eigentlich vermehrt, ja. Im Moment ist das ja alles so ungewiss, dass man irgendwie gar nicht genau weiß, was uns erwartet. Aber ich denke eigentlich mehr und mehr daran. Das Klima, wenn ich es auch nicht persönlich erfahre, wird immer unangenehmer hier mit der Dominanz der Brexit-Befürworter.
Köhler: Axel Scheffler, Sie sind einer der erfolgreichsten Bilderbuchillustratoren, die man sich gegenwärtig denken kann. Nehmen diese Ereignisse Einfluss auf Ihre Arbeit?
Scheffler: Direkte Einflüsse gibt es eigentlich nicht. Ich denke, es wäre vielleicht schön, es irgendwie noch mal zu verarbeiten, aber mir fehlen da auch die Ideen. Ich hoffe aber, dass die Bilderbücher insgesamt Kinder zu Solidarität und Offenheit führen und viele der Werte, die wir eigentlich aufrecht erhalten wollen, dann auch transportieren und Kinder in der Richtung beeinflussen.
Köhler: Dann machen Sie doch mal eine Fortsetzung von "Räuber Ratte", die vielleicht an den Kreidefelsen von Sussex spielt, wo sich zwei unterhalten über ihr Land und die Zukunft.
Scheffler: Das wäre eine sehr schöne Idee. Ich werde Julia Donaldson das vorschlagen.
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