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Illustrator Klaus Ensikat
"Ich versuche immer niedlich zu sein, aber es wird nichts"

Sein berühmter Strich habe technische Gründe, sagte der Buchkünstler Klaus Ensikat im Deutschlandfunk. Denn damals habe die Strichreproduktion möglich sein müssen. Er sei dann dabei geblieben. Ensikat hat zahllose Märchen und literarische Klassiker bebildert, unter anderem die Bremer Stadtmusikanten von den Brüdern Grimm oder Goethes Faust.

Klaus Ensikat im Gespräch mit Ute Wegmann |
    Der Illustrator und Grafiker Klaus Ensikat, aufgenommen am 09.01.2017 in Berlin. Der Buchkünstler wurde 1996 für sein Gesamtwerk mit der Hans-Christian-Andersen-Medaille, der höchsten internationalen Ehrung für die Illustration von Kinder- und Jugendbüchern, ausgezeichnet.
    Der Illustrator und Grafiker Klaus Ensikat, aufgenommen am 09.01.2017 in Berlin. Der Buchkünstler wurde 1996 für sein Gesamtwerk mit der Hans-Christian-Andersen-Medaille ausgezeichnet. (dpa / Sören Stache)
    Ute Wegmann: Mit Ute Wegmann und einem Gast, dessen Karriere zu DDR-Zeiten begann und dessen Produktivität und Kreativität ein nimmermüder Quell ist. Ich begrüße sehr herzlich den Künstler und Illustrator Klaus Ensikat.
    Klaus Ensikat, 14 Bücher lagen bei der Vorbereitung auf meinem Tisch. Ein Bruchteil dessen, was Sie im Laufe Ihres Lebens - Sie sind gerade 80 Jahre alt geworden, dazu einen herzlichen Glückwunsch - gestaltet haben. Wissen Sie, wie viele Bücher es sind?
    "Gezählt wird zuletzt"
    Klaus Ensikat: Nein, ich weiß es nicht, ich hab auch nie gezählt. Ein sehr berühmter Kollege hat mal gesagt: Gezählt wird zuletzt. Und ich weiß immer nicht, ob das schon so weit ist.
    Wegmann: Ein paar Worte zu Ihrer Biografie: Geboren 1937 in Berlin. Sie machten eine Ausbildung zum Dekorateur und Gebrauchswerber, danach absolvierten Sie ein Studium an der Fachhochschule für angewandte Kunst. So begann Ihre Karriere. Zu DDR Zeiten arbeiteten Sie für die Zeitschriften Das Magazin und Eulenspiegel. Sie schufen Bilder zu Werken von J.R.R. Tolkien, T.S. Eliot, Hermann Melville, Denis Diderot. Später zu Peter Hacks, Mark Twain, Goethe, den Gebrüdern Grimm. Die Großen der Literatur.
    "Ich bin eigentlich Gebrauchsgrafiker"
    1994 erschien Die Bremer Stadtmusikanten im Altberliner Verlag, da sah ich zum ersten Mal Ihre Bilder. War es für Sie damals einfach, in die Verlagswelt einzusteigen?
    Ensikat: Nein, eigentlich nicht, denn ich hab angefangen, bei Zeitungen zu zeichnen. Ich bin eigentlich Gebrauchsgrafiker, das heißt ich hab in der Agentur gesessen, das war in Ostberlin, hab Zeitungsanzeigen und so was gemacht. Dann hab ich für Zeitungen gezeichnet, damals waren das ja noch so Bleiwüsten. In der DDR war die Kulturzeitschrift "Der Sonntag", die wollten ihre Seiten etwas auflockern. Da hatte man die Möglichkeit, Fotos zu bringen, die damals noch alle gleich aussahen, es sah aus, wie immer das selbe Gerichtsgebäude. Zeichnungen sahen anders aus, und man erkannte meistens, was gemeint war.
    "Warum machen Sie so viele Striche?"
    Wegmann: Man erkennt Ihre Bilder sofort. Ihr Stil ist einzigartig. Es sind oft historische Motive, versetzt mit modernen Elementen. Es sind Federzeichnungen mit starker Schraffierung, wie wir es aus alten Stichen von Albrecht Dürer kennen. Wie entwickelten Sie diesen Stil?
    Ensikat: Das ist kein Stil. Damals musste eine Strichreproduktion möglich sein. Es durften keine Halbtöne verwendet werden, und man konnte die Strichzeichnung etwas abmagern. Man fragte mich: Warum machen Sie so viele Striche? Sehen Sie mal, die Kollegen machen alle weniger. Ich bin trotzdem dabei geblieben und dachte immer, ich würde sie dazu bringen, mir mehr zu bezahlen. Nach Strich. Aber es war eine Katastrophe. Es hat immer nur länger gedauert und wurde nachher noch bemängelt.
    "Zum Kinderbuch bin ich erst spät gekommen"
    Wegmann: 1996 erhielten Sie die höchste Auszeichnung, den sogenannten Nobelpreis im Kinder- und Jugendbuchsegment: Die Hans-Christian-Andersen-Medaille. Wie kamen Sie zum Kinderbuch?
    Ensikat: Ich kam zuerst von Zeitungszeichnungen zu Verlagen. Da hab ich angefangen mit Buchtiteln. Zum Kinderbuch bin ich erst spät gekommen. Wenn man freischaffend arbeiten möchte, dann geht man zu den Verlagen und ist mit der Mappe unterwegs. Ich war auch mit Mappe unterwegs. Mit dem Kinderbuch hab ich beim Altberliner Verlag angefangen. Es ging auch wieder darum, den Druck möglich und möglichst billiger zu machen.
    "Was soll man denen noch beibringen?"
    Wegmann: Mir sind Sie ja zum ersten Mal 1994 begegnet mit den Bremer Stadtmusikanten, die ich ganz großartig fand. Von 1995 bis 2002 lehrten Sie an der Hochschule für Gestaltung in Hamburg. Welche Bedeutung hatte die Lehrtätigkeit für Sie?
    Ensikat: Das ist eine Fachhochschule. Ich hatte immer den Eindruck, der Einzige, der was lernt, bin ich. Manche Studenten kriegt man, die können bereits alles, da weiß man gar nicht, was soll man denen noch beibringen. Sich mit ihnen unterhalten über die unangenehmen Berufsaussichten? Und andere, ich will nicht ausschließen, dass es doch Leute gibt, denen man etwas nützt, aber die meisten .... wenn es schon von Anfang an aussieht, als ob es nichts wird, dann wird es meistens auch nichts. Ich weiß nicht, wie viel Talent überhaupt nutzt. Es gibt auch Leute, da wird es was, weil sie einfach fleißig sind. Und der Berufszweig des Gestalters, der ist so vielschichtig. Man muss heute nicht mehr zeichnen können, um das zu machen. Ich hab erlebt, dass Leute in den Zeichenkursen absolut nichts brachten, aber ausgezeichnete Entwerfer geworden sind. Die haben eben mit anderen Mitteln gearbeitet.
    Wegmann: Mit der Niederlegung der Professur begann eine sehr intensive produktive Phase:
    2001 Erwin Strittmatter Der Weihnachtsmann in der Lumpenkiste (Aufbau)
    2002 Goethe: Faust (Kindermann)
    2004 Schiller: Wilhelm Tell (Kindermann)
    2007 Wilhelm Busch: Poesie für Kinder (Kindermann)
    2010 Schiller. Die Räuber (Kindermann)/Wolf-Dietrich Schnurre: Die Leihgabe (Aufbau)
    2012 Goethe: Der Osterspaziergang (Kindermann)/Peter Ensikat: Das A steht vorn im Alphabet (leiv)
    2013 Peter Ensikat Erben: Mit der Eins fängt alles an (leiv)
    2015 Gunter Preuß: Wer lesen kann, der hat gut lachen (leiv)
    Meike Roth-Beck: Von Martin Luthers Wittenberger Thesen (Kindermann)
    Es sind einzelne Bildtafeln. Ich sprach vorhin schon von den Bremer Stadtmusikanten. Sie vermischen Tier- und Menschwelt. Sie vollziehen mit den vier Figuren eine starke Anthropomorphisierung. Die Räuber sind eine skurrile Mischung aus kriminell wirkenden und bürgerlich gut situierten Männern. Ihre Bilder sind immer auch ein Gesellschaftsbild?
    "Die Badekappe ist ein mittelalterliches Kleidungsstück"
    Ensikat: Das Märchen ist ein Rentnermärchen. Märchen haben ja einen Sinn gehabt. Man hat mit Märchen Sachen sagen müssen, die keiner hören wollte. Dann waren es dann eben so niedliche Tiere, die es sagten.
    Wegmann: Na, niedlich sind die bei Ihnen nicht. Die sind starke, sehr tolle Persönlichkeiten, die vier.
    Ensikat: Ich versuche immer niedlich zu sein, aber es wird nichts.
    Wegmann: Ich sprach schon von der Mischung der zeitadäquaten und modernen Elemente. Besonders aufgefallen ist es mir bei Goethes Faust. Da sehen wir Mephisto mit einer Art lilafarbenen lächerlich wirkenden Badekappe, Gott mit Strohhut, die Engel tragen sehr moderne Jugendfrisuren. Oder der Irokese in Auerbachs Keller.
    Die Bilder – hier Bildtafeln, die mit frei gestellten Elementen wechseln – zeichnen sich aus durch absolute Detailfreude. Da stimmt jede Falte im Mantel des Mephisto oder im Gesicht eines Dr. Faustus. Jede Bodenfliese, jeder Ziegelstein im Gemäuer birgt etwas Besonderes. Großartiges Handwerk ist das. Sitzt da auf Anhieb jeder Strich?
    Ensikat: Nie, nie, aber die Badekappe ist ein mittelalterliches Kleidungsstück. Gelehrte wurden damit dargestellt. Kalt war es draußen und Haare hatten sie keine...
    Wegmann: Aber nicht in lila, oder?
    Ensikat: Farben haben immer eine Rolle gespielt, aber das ist alles verloren gegangen, das weiß man nicht mehr.
    Wegmann: Aber Mephisto in der lilafarbenen Badekappe oder Kopfbedeckung, der fällt schon stark auf. Aber noch mal zurück zu meiner Frage. Was ist denn, wenn der Strich nicht sitzt?
    "Ich weiß nicht, wo man den Computer einschaltet"
    Ensikat: Dann wird er noch mal gemacht. Dann wird mit Deckweiß drüber geschmiert, und dann wird es noch mal versucht. Es wird auch im Alter immer schwieriger. Was man in der Jugend noch eben so hingezeichnet hat, das kann man dann nicht mehr. Irgendwas stimmt immer nicht.
    Wegmann: Haben Sie sich manchmal dann in solchen Situationen gewünscht, doch mit dem Computer zu arbeiten?
    Ensikat: Wenn ich wüsste, wo man den einschaltet. Ich kann die Tasten nicht unterscheiden. Ich geh auch zuhause nicht daran, der ist dauernd kaputt. Sobald ich daran gehe, wäre klar weshalb.
    Wegmann: Also Sie bleiben beim Handwerk?
    Ensikat: Ich muss beim Handwerk bleiben.
    "Lange Zeit gab es fürs Kostüm wenig Informationen"
    Wegmann: Ob Faust oder Wilhelm Tell, ob Die Räuber oder Die Leihgabe – wer sich mit Klassikern der Weltliteratur beschäftigt, geht zurück in der Zeit. Und muss eine immense Freude an der Recherche und an der Spurensuche haben. Sonst kann man gar keinen Klassiker illustrieren. Wie viel Recherche liegt einem Wilhelm Tell zugrunde?
    Ensikat: Das kommt drauf an. Beim Tell war es gar nicht so viel. Es ist ohnehin eine Zeit, die soweit zurückliegt.
    Wegmann: Die Geschichte spielt 1307.
    Ensikat: Da tauchen zwar schon Bilder auf, aber es gibt für lange Zeiten zum Beispiel fürs Kostüm wenig Informationen. Selbst wenn man diese Informationen hat, viele Sachen vorstellen kann man sich immer noch nicht. Wenn man sich damit beschäftigt, ist es ein sehr kurzweiliges Thema.
    Wegmann: Wir sprachen über:
    Brüder Grimm/Klaus Ensikat: Die Bremer Stadtmusikanten (Altberliner Verlag)
    Goethe/Barbara Kindermann/Klaus Ensikat: Faust (Kindermann Verlag)
    Friedrich Schiller/Barbara Kindermann/Klaus Ensikat: Die Räuber (Kindermann Verlag)
    Friedrich Schiller/Barbara Kindermann/Klaus Ensikat: Wilhelm Tell (Kindermann Verlag)
    Wolfdietrich Schnurre/Klaus Ensikat: Die Leihgabe (Aufbau Verlag)
    Wilhelm Busch/Klaus Ensikat: Es sitzt ein Vogel auf dem Leim. Poesie für Kinder (Kindermann Verlag)
    Peter & Klaus Ensikat: Das A steht vorn im Alphabet (leiv Verlag)
    Peter & Klaus Ensikat: Mit der Eins fängt alles an (leiv Verlag)
    Gunter Preuss/Klaus Ensikat: Wer lesen kann, der hat gut lachen (leiv Verlag)
    Meike Roth-Beck/Klaus Ensikat: Von Martin Luthers Wittenberger Thesen (Kindermann Verlag)
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