Wegmann: Die Kunst des Illustrierens steht heute im Mittelpunkt unserer Sendung. Welchen Einfluss hat das Miteinander verschiedener Kulturen und Religionen auf die Arbeit der Künstler? Gibt es so etwas wie das Typische für einen Kulturkreis, etwas Nationales? Über all das spreche ich mit dem Illustrator Mehrdad Zaeri-Esfahani. Mein Gast im Studio weiß besser als viele andere, wie man mit Bildern Geschichten erzählen kann. Bilderbuchillustrator, Cover-, Postkarten- und Kalendergestalter, Zeichner und Maler.
Geboren 1970 in Isfahan, im Iran, geflohen 1985 mit der Familie – zwei Schwestern, ein Bruder, die Eltern – über die Türkei und Ost-Berlin nach Heidelberg, wo er sein Abitur machte. Und dann, Mehrdad Zaeri, begann das Taxifahren und Zeichnen. Sie haben keine Ausbildung an einer der renommierten Hochschulen gemacht, sondern sind Autodidakt?
Zaeri: Stimmt. Ich habe jahrelang meinen Eltern den Wunsch erfüllen wollen, ein Arzt zu werden. So wie mein Vater, auch meine Mutter war Krankenschwester. Der Grund, warum wir überhaupt den Iran verlassen haben, war der Wunsch meiner Eltern, dass die Kinder Akademiker werden. Im Laufe der Schule habe ich immer mehr verstanden, nee, das ist zwar der Wunsch meiner Eltern, aber ich selbst, ich will mein Leben lang Bilder malen. Und ich konnte es auch kaum abwarten.
Ich dachte, meinen Eltern zuliebe mache ich das Abitur, aber danach male ich dann jeden Tag. Und ich werde auch nicht studieren oder was anderes machen, um noch mehr Jahre zu verlieren, ich lege gleich los. Und der Grund für das Taxifahren, war natürlich das Geld. Das hab ich acht Jahre lang gemacht. Im Taxi hab ich meine Bilder gezeichnet:
Auf Quittungen, auf Abrechnungszetteln, ich hab auf die Rückseiten gemalt, während ich abends im Taxi Deutschlandfunk gehört habe. Und nach und nach wurden es mehr Bilder. Meine erste Ausstellung in Heidelberg war eine Ausstellung mit über 300 kleinen Zeichnungen und Zetteln. Der kleine Caféraum war volltapeziert mit Bildern. Und die Leute konnten zwischen 300 Geschichten spazieren gehen, die Bilder anschauen und kaufen. Das war der Beginn.
Wegmann: Das heißt, Sie hatten schon von Kind an ein großes Talent.
Zaeri: Talent weiß ich nicht. Einen sehr großen Wunsch. Ich hab es mir wahnsinnig gewünscht, immer zu malen. Jedes Kind malt ja gerne, irgendwann verschwindet das bei den meisten, aber bei mir blieb das.
"Zufälle werden oft von Menschen als Unfälle empfunden"
Wegmann: Es gibt zwei Begriffe, die in Verbindung mit Ihrer Arbeit immer wieder auftauchen. Da ist zuerst der Zufall: "Durch den Zufall, mit dem ich zusammenarbeite, bin ich am Ende selber überrascht. .... Der Kopf will den Zufall nicht. Der Zufall will den Kopf nicht."
Wegmann: Wie gut gelingt es, den Kopf auszuschalten?
Zaeri: Das war ein sehr langer Weg. Ich musste erst verstehen, dass es etwas gibt wie den Zufall, mit dem man gemeinsam gute Dinge machen kann. Zufälle werden oft von Menschen als Unfälle empfunden, das heißt, wir versuchen von Anfang an, bevor wir einen Schritt machen, den Schritt vorzuplanen. Hier in den modernen Industriestaaten, in Deutschland, in Europa. Man muss einen kompletten Plan hinlegen können, wenn man eine Idee hat.
Und ich hab im Laufe der Jahre verstanden, dass der Zufall dadurch platt gemacht wird. Wenn man alles von A-Z plant, sind die wunderschönen Möglichkeiten, aus denen kleine Wunder entstehen können, nicht mehr da. Ich fange mit dem Stift an, auf dem Papier eine Linie und einen Kreis zu machen, dann fange ich aus diesen ersten Elementen, Dinge zu entwickeln, die ich selbst vorher noch nicht weiß. Meine Standardvorgehensweise ist wirklich so, dass ich loslege und mir nichts vornehme.
Dadurch entstehen sehr viele Dinge, die auf den ersten Blick aussehen, als wären sie schief gegangen und das zu ertragen, den Fehler stehen zu lassen und zu schauen, dass man daraus etwas Schönes macht, das ist das, was ich als eine Stärke meiner Arbeit zur Zeit betrachte. Da muss man dem Hirn sagen: Bleib du mal ein paar Minuten draußen, ich möchte gerne eine Affäre mit meinen Händen eingehen und mit denen was Schönes machen. Und wenn die Hände fertig sind, lass ich dich wieder rein, mein liebes Hirn. Und es funktioniert tatsächlich: Die Hände arbeiten und das ist wie in Trance und so entstehen ganz schöne Sachen.
"Die meisten Illustratoren verstehen sich als Dienstleister"
Wegmann: Nun gibt es manchmal vorgegebene Themen, die man bearbeiten muss. Aber Sie haben mir auch erzählt, dass Sie auf der Bühne stehen, spontan zeichnen, zusammen mit einem Musiker und einem Geschichtenerzähler.
Zaeri: Der Umgang mit den vorgegebenen Dingen, das ist eine Sache für sich. Die meisten Illustratoren verstehen sich als Dienstleister. Ich versuche aber immer, meine eigenen Parallelgeschichten zu erzählen. Stellen Sie sich vor, ein Buch mit dem Titel Krieg. Was kann man auf das Cover zeichnen? Natürlich kann man Soldaten, Panzer oder Flugzeuge, die Bomben abwerfen, zeichnen.
Noch feiner wäre aber, einen Kinderwagen zu zeichnen. Und wenn der Leser dann diesen Kinderwagen sieht und den Titel liest, dann hat er gleich seine eigene Geschichte im Kopf. Das ist auch das, was ich bei den Live-Veranstaltungen erreichen möchte: Den Menschen in ihren Kopf eine Geschichte zu erzählen.
Wegmann: Der zweite Begriff lautet "Melancholie". Viele Ihrer Figuren oder die Atmosphäre in Ihren Bildern wirken melancholisch, verwundbar, und es verwundert nicht, dass dieser Begriff für Sie wichtig ist. Sie aber präzisieren und sprechen von "warmer Melancholie", "die der Boden ist, auf dem alles steht", - so Ihre Worte, was Sie gestalten.
Wann wurden Sie Melancholiker? Oder waren Sie es schon immer?
Zaeri: Ich glaube, das ist ein Stück meiner iranischen Geschichte. Die Menschen im Iran lieben die Melancholie. Ich kann mich erinnern, als Kind hab ich manchmal Feste erlebt, bei denen sich mein Vater und andere Väter getroffen haben, und dann haben sie melancholische Musik gehört und geweint. Und am Ende des Abends sagten sie:
Das war ein toller Abend, das müssen wir wiederholen. Ich glaube, in Deutschland würde man es absolut nicht nachvollziehen können, wie so etwas geht. Aber diese Melancholie, das warme Blaue, das man in seiner Seele spürt, das tut manchmal unglaublich gut. Es ist manchmal so traurig, wenn Menschen versuchen, diese Wärme beiseite zu schieben und nur das Lustige zu erleben.
Ich kann mich erinnern, als wir in Deutschland angekommen sind, da war ich ganz überrascht, fast irritiert, weil die Schüler in meiner Klasse und in der Schule immer so viel lachten. Oder abends, wenn man zusammen ausging, die Jugendlichen saßen in der Kneipe und redeten und ich merkte, dass 80% des Inhalts, über den man sprach, lustige Dinge waren. Und ich verstummte erst recht, also ich beherrschte die Sprache ohnehin nicht gut, aber inhaltlich vermisste ich, ohne es zu wissen, das weiß ich heute, vermisste ich die Melancholie. Die Dinge, die still sind, die die Farbe Blau haben und nicht unbedingt Rot, Orange, Grün. Sondern die stillen Dinge, die hab ich sehr vermisst.
"Platz für Melancholie im Alltag haben"
Wegmann: Wie äußert sich die Melancholie in Ihrem Werk?
Zaeri: Dieses Innehalten und Zurückblicken auf die Dinge, die im Kern der Geschichte sind. Womit ich sehr gern arbeite, sind Farben oder Nicht-Farben wie Schwarz und Grau. Was ich aber extrem liebe, ist die Mischung zwischen Grau und Rosa. Das heißt, dass ich nicht generell ein Feind der leichten oder fröhlichen Farben bin, aber ich denke, dass Emotionen und die Farben, die mit Melancholie zu tun haben, durchaus ihren Platz im Alltag haben.
Wegmann: Sie waren 15 Jahre alt, als Sie mit Ihrer Familie Isfahan verlassen haben. Die Situation im Iran und die Flucht kann man auf beeindruckende Weise in dem Buch Ihrer Schwester Mehrnousch Zaeri-Esfahani nachlesen - der Titel "33 Bogen und ein Teehaus" – benannt nach einer Brücke in ihrer Heimatstadt. Zum Hintergrund:
Sie waren damals Michael Jackson Fan, wollten tanzen wie er, trugen enge Jeans, wollten in den Westen. Dann erließ Khomeini das Ausreiseverbot für junge Männer, es herrschte Krieg mit dem Irak. Es drohte die Gefahr, dass Sie selber in Krieg ziehen mussten. Im Buch heißt es: "Nebel legte sich auf unseren Alltag. Unser großer Bruder wurde immer dicker und stiller." Und dann: "Die einzige Möglichkeit, wie mein Bruder die Diktatur und den Krieg überleben könnte, war die Flucht." (S.53 + S.57).
Ihre Schwester hat Isfahan schweren Herzens verlassen, sie war zehn Jahre alt, sie musste die Katzen, den Garten, das schöne Haus zurücklassen.
"Ich würde in dem Land verrotten"
Waren Sie jemals verzweifelt oder hoffnungslos? Oder glaubten Sie an Michael Jackson und die Kraft des Westens und die Kraft der Freiheit?
Zaeri: Ich weiß nicht, ob ich daran glaubte. Bis kurz vor unserer Flucht ahnten wir nicht, dass wir das Land verlassen würden. Für mich war ganz klar, ich würde in dem Land verrotten. So empfand ich das.
Ich würde sagen, mein Leben hatte drei Phasen. Mein Umgang mit dem Iran, mit meiner Heimat, mit dem Land, wo meine Wurzeln sind, auch heute noch. Die erste Phase war: Ich verachtete den Iran, ich verachtete meinen Ursprung. Ich verachtete alles, was mit den Traditionen dieses Landes zu tun hatte. Ich war wie sehr viele andere Menschen in der Welt geblendet von den amerikanischen und europäischen Elementen. Ich kann mich erinnern, als die Revolution kam und siegte und Khomeini gerade an der Macht war, saß ich vor dem Fernseher und wartete auf Superman und danach Batman.
Plötzlich kam die Ansagerin und sagte: Liebe Kinder, ich muss euch etwas sagen. Am Anfang wird es euch etwas wehtun, aber es hat seinen Sinn, warum wir das so tun: Wir werden ab heute keine amerikanischen, europäischen oder westlichen Filme mehr zeigen. Und ich dachte: Mal gucken, was das ist - amerikanische Filme. Superman war für mich nicht amerikanisch, Superman war ein Teil von mir.
Plötzlich heiß es, wir werden nie wieder Superman sehen, nie wieder Batman, nie wieder dies und jenes, und die Liste wurde immer länger ... und ich fand es grausam. Und so war mein Leben. Ich fühlte mich immer abgeschnitten, isoliert, verlassen. Und je mehr diese dunkle Phase der Nach-Revolutions-Ära voranschritt, desto mehr fühlte ich mich einsam. Und so ging es vielen Jugendlichen im Iran. Ich wollte nur noch weg. Ich hasste alles, was mit meinem Leben zu tun hatte.
"Ich wollte unbedingt Europäer sein"
Diese Phase endete, als wir in Deutschland angekommen waren und als ich nach vielen Jahren feststellte, dass wir jetzt hier bleiben und keiner uns mehr wegschicken kann. Ich fühlte mich dann wie ein Deutscher. Das war der Beginn der Verdrängungsphase, dass ich unbedingt ein Europäer sein wollte.
Wegmann: Zu diesem klugen, berührenden Buch, das einen weiten Bogen schlägt von einer persönlichen Fluchtsituation über die Atomreaktorkatastrophe 1986 in Tschernobyl, das Jahr Ihrer Ankunft in Deutschland. Das Jahr, in dem viele Menschen ihre Heimat verlassen mussten. Eben auch in der Ukraine damals.
Sie haben dazu einseitige Kapitelzeichnungen gemalt. Schwarz-weiß. Das erste Kapitel "Iran" zeigt eine vornübergebeugte, weinende Frau. Ihre Tränen bilden ein Wasser – Fluss oder Meer, das sie von der Stadt weit im Hintergrund, gekennzeichnet durch Minarette und typische Kuppelbauten, trennt.
Wie war das für Sie, Bilder zu finden? Sind Sie dann abgetaucht in die Bilder der alten Heimat?
Zaeri: Absolut. In die Bilder meiner Kindheit, Vergangenheit, der Reise quer durch die ganze Welt. .... Ich hab einfach losgezeichnet. Das Mädchen, das in einen Fluss weint, das war gar nicht so geplant. Plötzlich kamen die Tränen des Mädchens. Die Tränen landeten in einem Fluss. .... Und diese vignettenartigen Zeichnungen zu Beginn jedes Kapitels waren alle wie ein Spaziergang durch das Unterbewusste. Ich versuche, mich nicht verrückt zu machen: Passt das oder passt das nicht. Was wird das Publikum sagen? Werden Sie das verstehen?
Ich bin mir sicher, wenn man es schafft, das herauszulassen, was an Bildern in einem entsteht, dann wird es jeder Mensch verstehen und nachempfinden. Das ist das, was ich der Kunst manchmal übel nehme: Dass die Kunst von den Menschen erwartet, verstanden zu werden. Es reicht, wenn man sie empfindet, wenn man sie in sich fühlt. Es muss nicht verstanden werden. Es reicht absolut.
Wegmann: Irgendwann folgte das erste Buch: "Prinzessin Sharifa und der mutige Walter". Es werden hier zwei Geschichten aus zwei Kulturen in zwei Sprachen erzählt. Geschichten zweier mutiger junger Menschen: Einmal geht es um die furchtlose Prinzessin, die das Land kennenlernen will, in dem der König alle Frauen verjagt hat, indem sie sich als Mann verkleidet. Die zweite Geschichte ist die Apfelschussgeschichte nach der Legende zu Wilhelm Tell.
Hier geht es um Freiheit, dort um Gerechtigkeit und Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen. Ihre Bilder sind das verbindende Element zwischen der in dem Fall ägyptischen und der Schweizer Kultur. Es sind Collagen, die Orte, Städte, Dörfer im Hintergrund in zarten Farben gemalt, die Menschen im Vordergrund gezeichnet. Gerne halten Sie die Hauptfiguren, die Agierenden, in Schwarz oder setzen sie wie Scherenschnitte in den Vordergrund. Wie schwer war es die beiden Geschichten zu verbinden?
Zaeri: Das war wunderschön, von Mann zu Frau zu fließen, von Orient zu Okzident usw. Das war im Grunde sogar eine Hilfe für mich, um herumzuspinnen.
Wegmann: Es folgten Bilder zu einem weiteren Buch Ihrer Schwester, in dem sie die Flucht als Parabel oder Märchen thematisiert, "Das Mondmädchen", neu aufgelegt bei Knesebeck. Hier gibt es eine Fee, eine sprechende Katze und Schwäne, die das Mädchen, das die Flucht als große Belastung empfindet, immer wieder im richtigen Moment abholen. Der Schwan als Symbol der Reinheit, Schönheit und Anmut oder auch als Engel der Lüfte tröstet und hilft immer wieder.
Hat der Schwan eine besondere Bedeutung im Iran?
Zaeri: Schwäne sind ein Symbol für die Schönheit. Ich glaube, dass meine Schwester in ihrer Kindheit die Schwäne wirklich als eine Rettung sah. In meinem Leben spielen Vögel eine ganz große Rolle. Es wurde immer wichtiger.
Als Jugendlicher interessierten sie mich überhaupt nicht. Aber irgendwie sind die Beobachtungen (RED: der Vögel) immer mehr in meine Bücher hineingeflossen.
Wegmann: Sie haben hier in diesem Buch, in "Das Mondmädchen" überwiegend schwarz-weiß graue Bilder gezeichnet.
"Das Leben hat immer eine Überraschung in der Tasche", das sagen Sie heiter und optimistisch und neugierig. Aber auch der Illustrator Mehrdad Zaeri hält immer eine Überraschung bereit, wenn man die Vielfalt seiner Ausdrucksmöglichkeiten betrachtet.
"Nusret und die Kuh", eine Geschichte von Anja Tuckermann, mit gemalten, gezeichneten und collagierten Bilder von Ihnen und der Illustratorin Uli Krappen. Entgegen der feingliedrigen Zeichnungen oder plakativen Hintergrundmalereien, die man aus anderen Bilderbüchern kennt, findet man hier plötzlich viel Farbe, vor allem GRÜN und man findet viel Malerei.
Wann entscheiden Sie sich für das Material?
Zaeri: Bei diesem Buch lag die Entscheidung ganz klar bei meiner Kollegin, besten Freundin, Kunstpartnerin Uli Krappen, dass wir uns entschieden haben, mit ihrer Technik zu malen. Irgendwann vor zwölf Jahren haben wir entschieden, dass wir jedes Jahr zusammen zehn Tage wegfahren und malen. Das haben wir jedes Jahr realisiert, dass wir ein Haus mieten, wir hören Musik, kochen und malen und reden und es entstehen unglaublich gute Sachen, und wir sind jedes mal überrascht, wie sehr sich unsere Stile von dem unterscheiden, was wir sonst machen.
Wir haben lange gebraucht, bis wir diese Technik herausgefunden hatten. Wir sitzen am langen Tisch, Uli sitzt mir gegenüber, wir haben eine Küchenuhr und die klingelt immer nach zwei Minuten, d. h. Uli darf zwei Minuten malen, dann ich, und wir dürfen auch alles übermalen, und nach so vielen Jahren ist genug Vertrauen da, dass wir wissen, dass auch alles gut wird und dass der andere es nicht böse meint. Und so entstanden die Illustrationen für dieses Buch.
Zaeri: Bilder aus Kinderbüchern bleiben einem ein Leben lang
Wegmann: Zur Geschichte Nusret, eine Ich-Erzählung, der Ort ein Dorf im Kosovo nach dem Krieg. Dort lebt der Junge mit Oma und Opa. Ein friedliches, arbeitsreiches Leben. Eltern sind in Deutschland, schreiben Briefe, kündigen an, dass Nusret wie seine Geschwister bald zur Schule gehen muss, weg von den Wiesen und Hügeln, vom Trecker, von den Hühnern und der Kuh.
In seiner Fantasie nimmt er die geliebte Kuh mit, reitet auf ihr durch den Großstadtverkehr, bis die Kuh unglücklich wird. Da haben Sie diese Straße gebaut aus kleinen Autos, also hier haben wir die Collage.
Und dann: Starke Doppelseiten zeigen die Vertrautheit und Verbundenheit zwischen Nusret und dem Tier. Man sieht nur die Köpfe ganz groß. Sehr malerisch und stark - in warmen, intensiven Farben gehalten.
Eine sehr ungewöhnliche Art sicherlich, ein Buch gemeinsam zu gestalten.
Betrachtet man Ihre Einzelbilder für die Kalender oder die Postkarten so fällt schon auf, dass es viele Muster oder Strukturen gibt. In den Stoffen der Kleider, in den Gegenständen. Auf welche Weise erfahren und leben Sie die Vermischung der beiden Kulturen in Ihrer Arbeit?
Zaeri: Ich vermute, dass es mit meiner Kindheit im Iran zu tun hat. Meine Eltern hatten eine ganze Bibliothek an Kinderbüchern für mich zurückgestellt. Im Iran hat die Illustration durch Holzschnitt und Nadelradierung eine große Tradition. Und ich erinnere mich, ich hatte dieses dicke Buch mit den vielen ganzseitigen Illustrationen, die Holzschnitte waren, die Geschichten vom Alten Testament.
Und ich schaute mir fast täglich die Bilder an und ging darin verloren. Die Bilder waren schwarz-weiß, und da waren solche Muster und Striche und Strukturen, weil es eben Holzschnitte waren. Ich vermute, dass die Bilder in mir ein Leben lang bleiben werden. Das ist eben auch ein Zeichen und ein Beweis dafür, wie wichtig Kinderbücher für einen Menschen sind.
Wegmann: Mit "Aschenputtel" – illustriert Mehrdad Zaeri ein deutsches Märchen. Den Text hat Ihre Frau, die Fotografin Christina Laube, auf wenige Zeilen pro Seite zusammengefasst. Aus dem schwarzen Cover ist ein orangerotes Mädchen vor einem orangroten Baum gestanzt. Es folgen sandfarben-beige Doppelseiten, die sich mit schwarzen abwechseln. Auf dem beige-farbenen Untergrund gibt es schwarze Bleistiftzeichnungen, auf dem Schwarz beige Elemente und Figuren.
Vor allem öffnen Fenster aus Mustern von Blumen oder Vögeln neue Perspektiven. Diese gemusterten Fenster, die Aus- und Einblicke ermöglichen, sind etwas Besonderes: Mal setzen sie ein tanzendes Paar hinter Blumen, blättert man um, verschwinden hinter dem gleichen Muster die eifersüchtigen Frauen und Schwestern. Mal bildet sich ein schwarzer, mal ein beiger Rahmen. Das wirkt wie Scherenschnitte, ist aber eine Stanzung.
Wie erarbeitet man so etwas?
Zaeri: Auch da habe ich zweieinhalb Jahre gebraucht. Als der Knesebeck Verlag mich gefragt hat, ob ich Lust hätte, so eine Scherenschnitt-Laserschnitttechnik mit einem Märchen zu kombinieren, hab ich sofort ja gesagt, ich war total begeistert.
Aber ich wusste nicht, wie komplex, wie raffiniert die Technik sein kann. Die Möglichkeiten und die Einschränkungen waren mir nicht klar. Man fängt an, ein kompliziertes Bild zu zeichnen, und dann muss man schon denken: Da wird was geschnitten, da wird was geschnitten, in der Mitte bleibt was frei. Das war das Komplizierte. Aber bei dem Buch hatte ich auch die Möglichkeit, meiner Frau zu sagen: Du, ich will an dieser Stelle ein Wunder mit ganz vielen Vögel. Und dann konnte ich mich darauf einlassen, das war das große Glück.
Wegmann: Die Kalender heißen "Schönheit und andere Zwischenfälle", "Kuriose Gedenktag", "Nachtgedanken". Folgt man den Kalendermotiven und den Postkartenmotiven so sind einige Elemente wiederkehrend: Fenster, Blumen, Katzen, Vögel, überhaupt das Fliegen oder Schweben, das leicht sein - Motive, die immer wieder auftauchen. Aber auch die SCHATTEN. Gemalte Schatten, aber auch Figuren, die schwarz in den Vordergrund gesetzt sind, die etwas Schattenhaftes, Geheimnisvolles haben. Sind das Motive, die Sie am meisten beschäftigen?
Zaeri: Das sind Phasen. Ich hatte Phasen, da sind ganz viele Kannen zu sehen. Oder Frauen sind ganz oft Thema. Und manchmal wundere ich mich selber. Es ist die Vorgehensweise eines Kindes. Ich denke. Ich will jetzt ein Riesenrad malen. Und dann die Freiheit zu haben, ein Riesenrad zu malen, das ist das, was für mich diesen Beruf zum schönsten Beruf der Welt macht. Und die Erklärung dafür ist nicht so leicht zu finden. Es sind ganz viele unterbewusste Dinge, die man mit sich herumschleppt, und die dann dazuführen, dass man plötzlich ganz viele Kannen malt.
Wegmann: Der Künstler Mehrdad Zaeri-Esfahani war heute Gast im Büchermarkt. Herzlichen Dank! Ihnen zuhause und unterwegs ein schönes Wochenende wünscht Ute Wegmann.
Zaeri: Ich habe zu danken. Danke und Tschüss!
Wegmann: Wir sprachen über:
Prinzessin Sharifa und der mutige Walter. Zwei alte Geschichten neu erzählt, Baobab, 32 Seiten
Das Mondmächen von Mehrnousch Zaeri-Esfahani, Knesebeck Verlag, 144 Seiten
33 Bogen und ein Teehaus von Mehrnousch Zaeri-Esfahani, Peter Hammer Verlag, 148 Seiten
Ein großer Freund von Babak Saberi, Baobab, 32 Seiten
Nusret und die Kuh von Anja Tuckermann, Bilder von Mehrdad Zaeri und Uli Krappen, Tulipan Verlag, 48 Seiten
Aschenputtel von Grimm und Christina Laube, Knesebeck Verlag, 32 Seiten
Diverse Kalender bei Dumont und bei der Büchergilde
Das Mondmächen von Mehrnousch Zaeri-Esfahani, Knesebeck Verlag, 144 Seiten
33 Bogen und ein Teehaus von Mehrnousch Zaeri-Esfahani, Peter Hammer Verlag, 148 Seiten
Ein großer Freund von Babak Saberi, Baobab, 32 Seiten
Nusret und die Kuh von Anja Tuckermann, Bilder von Mehrdad Zaeri und Uli Krappen, Tulipan Verlag, 48 Seiten
Aschenputtel von Grimm und Christina Laube, Knesebeck Verlag, 32 Seiten
Diverse Kalender bei Dumont und bei der Büchergilde