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"Im Augenblick ist ein ganz großes Problem aber Pakistan"

Zahlreiche Regierungschefs hatten sich in Washington getroffen, um darüber zu beraten, wie Nuklearmaterial am besten von Terroristen fernzuhalten ist. Joachim Krause, Politikwissenschaftler der Uni Kiel und Sicherheitsexperte in Atomfragen, ist besonders von Pakistan besorgt. Das Land produziere stets mehr Kernwaffenmaterialien gegen Indien.

Joachim Krause im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Es war die größte Konferenz, die Washington seit Jahrzehnten gesehen hatte. Fast 50 Staats- und Regierungschefs hatten sich zwei Tage lang in der US-Hauptstadt zusammengesetzt, um zu beraten, wie man verhindern kann, dass Nuklearmaterial in die Hände von Terroristen gerät. Diese Initiative von Barack Obama zur nuklearen Sicherheit ist also weltweit begrüßt worden. Doch für den früheren Umweltminister Jürgen Trittin reichen die Washingtoner Beschlüsse bei weitem nicht aus. Der Fraktionschef der Grünen sagte heute Früh im Deutschlandfunk:

    O-Ton Jürgen Trittin: Man hat viele gute Absichtserklärungen gehört, aber das Problem nicht an der Wurzel gepackt. Wenn man die Gefahr des illegalen Umgangs mit spaltbarem Material mindern will, dann muss man aufhören, zusätzliches Spaltmaterial zu produzieren. Da gibt es Deutschland, die Laufzeiten verlängern wollen. Und da muss man vor allen Dingen aufhören, diese Technologie weltweit zu verbreiten, allen schönen Absichtserklärungen in Washington zum Trotz.

    Engels: Jürgen Trittin, der Fraktionschef der Grünen des Bundestages, heute Früh im Deutschlandfunk. Mitgehört hat Professor Joachim Krause. Er ist Politikwissenschaftler an der Universität Kiel und seit Jahrzehnten Sicherheitsexperte, kennt sich aus rund um die Gefahren der Weitergabe von spaltbarem Material. Guten Tag, Herr Professor Krause.

    Joachim Krause: Guten Tag, Frau Engels.

    Engels: Hat Jürgen Trittin Recht? Ist das Problem nicht an der Wurzel angepackt?

    Krause: Philosophisch gesehen hat er Recht. Wenn es keine Nuklearenergie gäbe, dann gäbe es diese Probleme nicht. Nur am deutschen Wesen genest nicht mehr die Welt und insofern können wir das vergessen. Die Welt ist komplexer und sie ist umfassender geworden und es gibt nun mal viele Staaten, die Nuklearenergie betreiben, und das mit zunehmendem Interesse daran, und da gibt es Probleme und die Probleme kann man auch lösen. Man kann sich nicht einfach hinstellen und sagen, dann gibt es überhaupt keine Nuklearenergie mehr, dann haben wir diese Probleme nicht mehr. Das ist philosophisch richtig, politisch ist das völlig unrealistisch.

    Engels: Wo sehen Sie denn die Erfolge von Washington? Hat dieser Gipfel etwas gebracht?

    Krause: Ja, er hat schon etwas gebracht. Das Thema ist ja nun schon seit 20 Jahren auf der Agenda und da gibt es auch sehr viel fruchtbare und gute Kooperation. Die ganze Welt guckt immer so auf, ich sage mal, die Nuklearschmuggler und auf das, was aus der ehemaligen Sowjetunion noch an Problemen ist. Aber es gibt eben sehr viele Gründe, auch besorgt zu sein über Nukleareinrichtungen in, ich sage mal, ganz normalen Ländern, sei es in Deutschland, in den USA, in Mexiko und sonst wo, die möglicherweise die Quelle von terroristischen Aktivitäten sein können. Ich glaube, darauf zielt eigentlich diese Initiative von Obama ab zu sagen, wenn man die terroristische Gefahr eindämmen will, kann man nicht nur auf die ehemalige Sowjetunion schauen und nicht nur auf Pakistan und andere Länder und Nordkorea, sondern man muss auch in die eigenen Reihen schauen. Da hat es unter Obama schon einige Initiativen gegeben, die Sicherheit amerikanischer Einrichtungen zu verbessern. In Europa gibt es vieles zu verbessern, Umgang mit hoch angereichertem Uran in zivilen Stellen zu reduzieren, oder ganz zu verbieten. Also es sind eine Vielzahl von kleineren Initiativen und die Verstärkung bereits bestehender Initiativen, und ich denke mal, ein solcher Gipfel kann einen Push geben, einen Stoß voran, der die internationale Kooperation doch weiter fördert.

    Engels: Herr Professor Krause, haben Sie denn Beispiele für Länder, wo möglicherweise die Nukleareinrichtungen nicht gut geschützt sind, nach wie vor nicht, wenn man mal von den altbekannten Fällen Russland absieht?

    Krause: Ja. Das fängt mit den USA an. Die USA sind ein Land mit Sicherheitsstandards, die nicht ganz so gut sind wie bei uns, und die USA haben den vollen Nuklearkreislauf. Eine der Leistungen von Obama ist, dass er sich bemüht, dort in den USA selber die Standards zu verbessern, weil er sagt, wenn es einen terroristischen Anschlag gibt, oder einen Anschlag mit einer schmutzigen Bombe, die Gegner werden möglicherweise gar nicht versuchen, das Material in die USA zu bringen, sondern in den USA selber zu finden und damit zu arbeiten. Bisher war der Blick also immer auf die ehemalige Sowjetunion, auf dem Bereich gelegen und auf Pakistan und so weiter. Das ist ja auch weiterhin wichtig. Nur man muss eben auch auf die ganz normalen Länder schauen, und da gibt es Defizite, oder es gibt auch in Westeuropa Reaktoren, die arbeiten mit hoch angereichertem Uran, zivile Reaktoren, und dieses Uran ist theoretisch waffenfähig. Da wäre es sinnvoll, wenn man diese Reaktoren auslaufen lässt und zum Beispiel durch andere ersetzt.

    Engels: Nun werden auch immer wieder Meldungen verbreitet, die ja wohl auch stimmen, dass Jahr für Jahr spaltbares Material einfach verschwindet, auch aus zivilen Nutzungen. Muss man auch das Kontrollsystem verbessern? Das eine ist die Kontrolle und die Überwachung der Anlagen. Aber was kann man tun, wenn das Material verschwunden ist?

    Krause: Es gibt unterschiedliche Formen von Verschwinden. Es gibt solche, wo es physisch weggebracht wird – das ist natürlich eher die Ausnahme, wenn es gestohlen wird. Das dürfte in Ländern wie bei uns kaum noch der Fall sein, oder nur sehr wenig. Es gibt aber auch rechnerische Verluste. Die Amerikaner haben seit dem Zweiten Weltkrieg über 100 Tonnen Plutonium hergestellt. Rechnerisch gesehen haben sie aber 2,7 Tonnen, wo sie nicht wissen, wo die geblieben sind. Aber keiner kann sagen, die sind jetzt dort oder hier, sondern das hat auch damit zu tun, dass es sich um radioaktives Material handelt, welches zerfällt, welches sich umsetzt in andere Materialien, und die Bilanzierung ist sehr schwierig bei diesen Stoffen, so dass immer eine gewisse Unsicherheit mit dabei ist.

    Engels: Dann schauen wir noch einmal auf die Gipfelbeschlüsse von Washington jetzt. Kritiker sagen ja, diese wenigen Beschlüsse tun niemandem weh. Diese konkreten Beschlüsse, auch Staaten, die sich jetzt verpflichtet haben, das spaltbare Material besser zu sichern oder zu vernichten, das ist Material, das einen so geringen Umfang hat, dass damit die Welt nicht sicherer wird.

    Krause: Ja. Viele kritisieren auch, dass die Beschlüsse unverbindlich sind, aber das kann man auch gar nicht anders erwarten, denn ein solcher Gipfel kann nicht irgendeine Konvention beschließen, die dann umgesetzt wird und Gesetzeskraft bekommt, sondern da sind verschiedene Initiativen zusammengebündelt worden, verschiedene Einzelmaßnahmen vorgestellt worden und es wird vor allen Dingen versucht, einen politischen Prozess zu initiieren, dass dieses Problem ernsthafter genommen wird, auch gerade bei uns oder auch in den USA innenpolitisch ernsthafter genommen wird, und vor allen Dingen, dass auch einige neue Probleme – das ist Pakistan, das ist Nordkorea – schärfer in den Blick genommen werden, oder die Produktion von hoch angereichertem Uran im Iran.

    Engels: Sie haben es angesprochen. Neben der Gefahr, dass nukleares Material herausgeschmuggelt wird, gibt es eben einfach auch noch Staaten, die Interesse haben an Atomwaffenprogrammen. Das ist der Iran, auf der anderen Seite Pakistan, das dadurch bekannt geworden ist, dass es schon Atommaterial weitergegeben hat. Wie wurden diese Gefahren bewertet? Ist man da nach wie vor dabei, das Thema zu unterschätzen?

    Krause: Ich denke mir nicht, dass es dort unterschätzt worden ist, sondern die Dramatik ist allen bekannt. Das ist einmal das Anreicherungsprogramm im Iran. Es gibt darüber hinaus noch andere Programme im Iran, die genauso besorgniserregend sind, weil die Iraner eben auch in der Plutoniumherstellung offensichtlich Fortschritte machen. Im Augenblick ist ein ganz großes Problem aber Pakistan. Pakistan produziert mehr und mehr Kernwaffenmaterialien gegen Indien und die Inder tun das gleiche. Da entwickelt sich so eine Wettlaufdynamik, die große Sorge macht, weil wir nicht wissen, ob dieses Material in Pakistan dauerhaft gesichert ist. Nordkorea ist ein großes Problem. Nordkorea ist nicht im geringsten bereit, sich irgendwelchen internationalen Restriktionen zu beugen, und könnte ein Staat sein, der Terroristen kernwaffenfähiges Material verkauft. Das können wir nicht ausschließen.

    Engels: Professor Joachim Krause, Politikwissenschaftler an der Universität Kiel und Sicherheitsexperte beim Thema Proliferation seit Jahren und Jahrzehnten. Danke für das Gespräch.

    Krause: Gerne geschehen. Tschüss!