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Im Dienste der Partei

Dass Gregor Gysi sich ausdrücken kann, steht außer Frage. Mit "Wie weiter?" erscheint ein neues Buch des Fraktionschefs Der Linken. Der Inhalt: Trost für Ostalgiker, Distanzierung von Rot-Grün und Kapitalismuskritik. Damit kämpft Gysi kurz vor der Bundestagswahl um Stimmen für seine Partei.

Von Peter Carstens | 08.07.2013
    Gregor Gysi ist auf dem besten Weg zur deutschen Legende zu werden. Seit bald 25 Jahren führt oder begleitet er die politischen Überbleibsel der Sozialistischen Einheitspartei durch immer neue Zustände hin zu einem, sagen wir ‚pragmatischen Sozialismus‘. Gysis Linke will nicht werden wie SPD oder Grüne, das versichert er in seinem Buch "Wie weiter?" immer wieder. Sie will den Kapitalismus abschaffen, Großkonzerne und -Banken zerschlagen und aus der Nato austreten. Gysi beschreibt die Ziele seiner Partei in vierundzwanzig kurzen Kapiteln, denen er ein Motto des roten Revolutionärs Che Guevara voranstellt: "Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche."

    Um aber überhaupt etwas zu erreichen, beispielsweise die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden, muss Gysi vor allem die altersgraue Stammbesatzung seines Raumschiffs Utopia mobilisieren. Und das sind ehemalige DDR-Bürger, denen die Deutsche Einheit à la BRD noch immer eine innere Qual bedeutet. Deshalb schwärmt Gysi gleich zu Anfang seines Buches von der angeblichen "Frischenzellenkur", die das Land durch die SED-PDS erfahren habe, und er wird nicht müde zu behaupten, es habe in der DDR einen "Erfahrungsvorsprung" gegeben und fabelhafte, vorbildliche Einrichtungen, an denen man sich auch im Jahre 2013 orientieren könnte. Die Linke, das merkt man rasch, braucht die alte DDR noch immer. Hat seine Partei solche Reminiszenzen an einen vor 25 Jahren versunkenen Staat nötig? Oder bedient Gysi damit bloß pragmatisch die greise Mitgliedschaft seiner Partei?

    "Weder noch. Das, was mich in Wirklichkeit ärgert, ist, dass wir keine Vereinigung hatten und dass die Menschen in den alten Bundesländern keine Vorteile nachvollziehbar erhalten haben. Man hätte doch sagen können, über 90 Prozent aus der DDR muss weg, völlig klar, der Staat ist gescheitert, wie ich es ja auch gesagt habe, der Staatssozialismus ist gescheitert, auch zu Recht. Aber schauen wir uns mal an, die Hortbetreuung, die Kindertagesstätten, die konzentrierten Ärztinnen- und Ärztehäuser in Form von Polykliniken, die Berufsausbildung mit Abitur, also so ein paar Sachen. Und wenn man die eingeführt hätte am 3. Oktober 1990, dann hätten die Menschen in Passau, in Kiel, die Erfahrung gemacht, durch die Einheit hat sich ihre Lebensqualität in bestimmten Punkten erhöht. Warum haben wir das ihnen nicht gegönnt?"

    Was Gregor Gysi und seine Partei den heutigen Gesamtdeutschen alles "gönnen" möchten, steht auch in seinem Buch. Nach seiner Überzeugung hat das alte ökonomische Modell des Kapitalismus in der Bankenkrise versagt. Und die kapitalistisch geprägte Demokratie sei gescheitert bei allen Versuchen, Kriege und Bürgerkriege zu verhindern. Davon ist Gysi noch immer überzeugt, der Ende der neunziger Jahre glaubte, durch privat-politische Diplomatie den serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic vom Massenmord an den Kosovo-Albanern abhalten zu können. Gysi scheiterte, erst die NATO gebot dem Serben später Einhalt.

    In mehreren Kapiteln seines Buches begründet und differenziert er heute die pazifistische Grundausrichtung der Linken und beschreibt seine Vorstellung von einer Republik ohne Rüstung, NATO und Drohnen. Natürlich weiß der gewiefte Gysi, dass genau diese Positionen seine Partei noch immer von der Koalitions- und Regierungsfähigkeit mit Sozialdemokraten oder Grünen trennt. Gysi, dessen Buch eine Art individuell erläutertes Wahlprogramm darstellt, sieht dennoch mehr Perspektiven denn je:

    "Die gesellschaftliche Stimmung ist vielleicht noch nicht da, die SPD will das ja eigentlich auch nicht, aber wenn sie immer wieder an der Seite der Union landet, macht sie sich auch überflüssig. Vielleicht ändert sich die Situation noch für 2013, man kann heute die Stimmung vom September 2013 noch gar nicht einschätzen, und wenn nicht, dann spätestens 2017. Ich will ja bloß allen sagen: Seid offen, seht die Unterschiede, sprecht miteinander und versucht doch, Schritt für Schritt eine Alternative für Deutschland aufzuzeigen. Ich glaube, nach der Bundestagswahl wird es intensivere Gespräche von führenden Leuten der Linken mit führenden Leuten von SPD und Grünen geben."

    Davon will die SPD natürlich derzeit noch nichts wissen. Aber Gregor Gysis Buch, das den Untertitel "Nachdenken über Deutschland" trägt, kann in seinem Sinne auch als Vermittlungsangebot wirken. Es tröstet die DDR-Nostalgiker in den eigenen Reihen mit einigen "Es war nicht alles schlecht"-Kapiteln und zeigt andererseits einen politischen Anführer, der die Demokratie ernst nimmt und für sich reklamieren kann, einen bedeutenden Beitrag zur Integration der DDR-Kader in die Bundesrepublik geleistet zu haben. Gysis "Wie weiter?" ist eine Wahlkampfschrift, aber doch interessanter als ein Programmtext des soundsovielten Parteitages. Andererseits stellt Gysi sich damit noch einmal brav in den Dienst seines Parteikollektivs.

    "Also ich war immer ein Individualist und werde das auch bleiben. Ich halte das auch aus, wenn ich mal im Widerspruch zu meiner Partei oder auch zu meiner Fraktion stehe. Aber letztlich bin ich ja auch Mitglied, weil ich die meisten großen Ziele der Partei teile, sonst wäre ich ja wohl anders organisiert. Also das ist insofern schon echt und das wird es auch bleiben. Es ist natürlich auch ein Buch, das hier direkt für den Wahlkampf geschrieben worden ist, in kurzer Zeit. Vielleicht komme ich ja später noch mal dazu, ein noch individuelleres Buch zu schreiben."

    Es ist wahr: Einige schöne oder böse Geschichten aus seinem politischen Leben, auch aus Zeiten der Stasi-DDR, hätten den Text sicher bereichert. Aber dafür ist es vielleicht noch zu früh. Jetzt wird erst einmal für Linke-Stimmen gekämpft, wozu Gysis Büchlein vielleicht nicht der schlechteste Beitrag ist.
    Gregor Gysi: Wie weiter? Nachdenken über Deutschland.
    Verlag das neue Berlin, 192 Seiten, 9,99 Euro
    ISBN: 978-3-360-02164-9