Im Haus am Cherwell-Fluß erfährt Jaime, dass der befreundete Professor früher auch der Gruppe angehörte und der greise Wheeler schon im Ersten und Zweiten Weltkrieg und während des Spanischen Bürgerkriegs in den Diensten der Spionageabwehr stand. Sein "beobachtender, analytischer, vorausschauender, deutender Geist, der ständig urteilt", hat in Deza einen Gleichgesinnten erkannt und ihm den Posten bei Tupra vermittelt.
Der jetzt transparente historische Zusammenhang ruft bei Jacques seine mit dem Bürgerkrieg eng verknüpfte persönliche Familiengeschichte in Erinnerung. Wie viele andere in dieser Zeit wurde der Onkel damals Opfer der täglichen willkürlichen Tötungen in Madrid. Auch Dezas kommunistisch engagierter Vater war betroffen: Er wurde vom besten Freund und politisch Gleichgesinnten an die Franquisten ausgeliefert und entging nur durch einen glücklichen Zufall der sicheren Haftstrafe. Jacobo konnte nie verstehen, warum der Vater nicht seine Gabe besaß, schon heute des Freundes "Gesicht morgen" und damit seinen Verrat vorauszusehen. Der Vater hatte sich dagegen, obwohl er früh den "Fluch des Sprechens" und das Verräterische der Erzählung selbst erfahren musste, bis ins Alter seine Naivität bewahrt.
All das geht Jacobo durch den Kopf, während er mit Wheeler lange Unterhaltungen führt, in seiner Bibliothek nächtliche Recherchen treibt oder er sich alleine im Londoner Großstadtappartement aufhält. Dort beobachtet er gleichzeitig aus seinem Fenster Passanten, den Verkehr und einen gegenüber wohnenden Freizeittänzer mit wechselnden Frauen. Und er wartet auf Luisas Anruf und das ersehnte Telefonat mit seinen Kindern. Bis eines Abends eine unbekannte Frau an seiner Wohnungstür klingelt ... So endet der erste Teil der Romanzyklus "Dein Gesicht morgen" mit dem Beginn der nächsten Geschichte, einer, so Marías, neuen "Erzählung (...), die (...) im Grunde nichtig ist und doch fast das einzige, das zählt".
Wie sein Protagonist Deza ist Autor Javier Marías professioneller Beobachter und Zuhörer sowie exzellenter Deuter von Menschen und Erzähler ihrer Geschichten. Marías vermittelt dem Leser in seiner charakteristischen, in Passagen auf Thomas-Bernhardsche Weise eindringlichen Sprache die Lust und den Schmerz des Erzählens. Und überzeugt damit, Menschen in den Mittelpunkt seiner Wahrnehmung und deren Darstellung ins Zentrum seiner Geschichten zu stellen.
Javier Marías
Dein Gesicht morgen. 1 Fieber und Lanze
Klett Cotta, 488 S., EUR 24,50