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Im ersten bundesdeutschen Prozess gegen Neonazis werden die Urteile gesprochen

Im Namen des Volkes. In der Strafsache gegen Michael Kühnen hat der 3. Strafsenat des OLG Celle für Recht erkannt....

Von Oliver Tolmein |
    Der so genannte Werwolf-Prozess war das erste bundesdeutsche Strafverfahren gegen militante Neonazis, denen neben Raub, Körperverletzung und Volksverhetzung die Bildung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wurde. Am 13. September 1979 sprachen die Richter nach mehr als vierzig Verhandlungstagen in Bückeburg das Urteil.

    Der Angeklagte Kühnen ist schuldig der Volksverhetzung, des Vorrätighaltens von Propagandamitteln einer verfassungswidrigen Organisation, des Verbreitens von Propagandamitteln, der gemeinschaftlichen Aufstachelung zum Rassenhass ....

    Den wichtigsten Vorwurf, den die Bundesanwaltschaft dem ehemaligen Bundeswehrleutnant Michael Kühnen gemacht hatte, übernahm der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Celle aber nicht: Die fünf Berufsrichter sahen nicht als erwiesen an, dass der damals 24jährige Kühnen Rädelsführer oder auch nur Mitglied einer rechtsterroristischen Vereinigung war. So kam es zu dem paradox anmutenden Ergebnis, dass Kühnen, die beherrschende Figur der norddeutschen Neonaziszene, mit vier Jahren Haft davon kam, während seine fünf Gefolgsleute bis zu elf Jahren ins Gefängnis mussten – vor allem wegen der von ihnen begangenen Gewalttaten gegen deutsche und niederländische Soldaten, denen sie Waffen geraubt hatten. Vier der fünf Angeklagten wurden aber auch schuldig gesprochen, Mitglied in einer terroristischen Vereinigung gewesen zu sein. Es war aber nicht nur dieser befremdliche Ausgang des Prozesses, der beispielsweise die Tageszeitung "Die Welt" zu dem Resümee motiviert:

    Überhaupt hat das Gericht in diesem ersten Prozess gegen mutmaßliche Rechtsterroristen nach 1945 keine überzeugende Figur gemacht.

    Zwar waren die Rahmenbedingungen des Verfahrens, das aus Sicherheitsgründen in der Justizvollzugsanstalt Bückeburg stattfand, martialisch genug, dass Beobachter vom "Stammheim der Rechten" sprachen. Im Gerichtssaal war der Umgangston aber freundlich, bisweilen sogar locker. Vor allem gab das das Gericht den Verteidigern, von denen mehrere Funktionäre der rechtsextremen NPD waren, weitgehend freie Hand. Sie nutzten das Verfahren so zur Selbstdarstellung der Neonaziszene. Ihr größter Triumph war, dass Gary Lauck, der Vorsitzende der NSDAP/AO aus den USA als Entlastungszeuge für Kühnen eingeflogen wurde und dafür von der Bundesanwaltschaft freies Geleit bekam. Über Laucks effektvollen Auftritt berichtet ein Prozessbeobachter im Rundfunk:

    Lauck ist heute um 8.40 Uhr in der JVA Bückeburg eingetroffen. Er wurde gestern von Frankfurt nach Bückeburg geflogen, er wurde in einem geheim gehaltenen Hotel untergebracht und heute morgen war es dann soweit, er kam in einer blauen Limousine an und der Führer der NSDAP/AO traf ein in einem blauen Blazer und grauer Hose und wirkte auf mich mehr wie ein Oberlehrer, als wie der Führer einen nationalen Organisation.

    Die Wochenzeitung "Deutsches Allgemeines Sonntagblatt" fasste zusammen:

    Bückeburg war Wallfahrtsort von Neonazis und alten Kämpfern, als Gary Lauck seinen Auftritt hatte. Der, so Kühnen, legitime Führer der neuen NSDAP, erschien als Wolf im Schafspelz. Was unterging, wohl hätte herausgearbeitet werden müssen, war die Einbindung der Werwölfe in die rechtsextreme bundesdeutsche Szene. Der Prozess von Bückeburg hat nur die äußersten Stacheln des Dornbuschs gekappt, an die Wurzeln rührt er nicht.

    Wenige Tage nach der Verkündung des Urteils übernahm der Hamburger Neonazi Christian Worch Kühnens Organisation ANS. Straftaten begingen sie weiter. Und in einem ausführlichen Rundfunk-Gespräch schilderte der 23jährige Rechtsanwaltsgehilfe Worch, der mehrere Wochen in Untersuchungshaft gesessen hatte, mit selbstmitleidigem Pathos und ohne jede Einsicht die Auswirkungen der als Zwischenfall verniedlichten Haftzeit auf sich und seine Gesinnungsgenossen:

    Es gibt bestimmt Leute, die das ganz kalt betrachten, dazu gehöre ich leider nicht, denn wenn man unschuldig im Gefängnis sitzt, verspürt man eine wahnsinnige Wut gegen diese Leute, die einen rein gebracht haben. Aber dieser Zwischenfall hat mich nicht bewogen, meine Arbeit einzustellen. Inhaftiert zu werden ist ein Risiko, das wir eingehen und bewusst tragen müssen.