Archiv


Im freien Fall

Am 1. Juli wird Kroatien Mitglied der EU. Die Regierung hofft auf positive Impulse für die brachliegende Wirtschaft. Doch viele Kroaten fürchten, dass ihr Land noch nicht wettbewerbsfähig ist.

Von Tim Gerrit Köhler |
    Ein Land im Dauertief – wer nach guten Nachrichten aus der kroatischen Wirtschaft sucht, der muss weit in die Vergangenheit schauen. Schon seit fünf Jahren steckt das Land in der Krise. Wirklich wundern kann das keinen, denn die Krise ist hausgemacht: Wichtige strukturelle Reformen wurden nur zögerlich angegangen. Da ist zum einen der öffentliche Sektor – trotz erwiesener Ineffizienz wurde er in den vergangenen Jahren noch ausgebaut. Die Privatisierung einstiger Staatsbetriebe kam hingegen nur langsam voran. Die Europäische Union hat in diesem Bereich Druck gemacht – so müssen die maroden Werften verkauft werden, damit das Land am 1. Juli der EU beitreten kann. Der Staat hat bislang kräftig Geld in den Schiffsbau gepumpt – in den vergangenen 20 Jahren knapp vier Milliarden Euro. Doch Innovationen gibt es kaum, Wettbewerbsfähigkeit sieht anders aus. Das gilt auch für andere Bereiche der kroatischen Wirtschaft, vor allem im Energie-, Gesundheits- und Transportsektor. Schwerfällige Staatsbetriebe bestimmen das Bild. Die privaten Unternehmer haben dagegen die volle Wucht der Krise zu spüren bekommen – Massenentlassungen waren die Folge. Die Arbeitslosenquote liegt knapp unter der 20-Prozent-Marke. Hilfe des IWF will Ministerpräsident Zoran Milanovic trotz der schwierigen Lage nicht beantragen – der Sozialdemokrat setzt auf eigene Kräfte:

    "Wir haben Vertrauen in unser Land. Wir sind zwar ein kleines Land mit viereinhalb Millionen Einwohnern, aber trotzdem können wir Wunder vollbringen."

    Hoffnungen setzt die Regierung vor allem auf den EU-Beitritt. Das Land braucht dringend mehr Direktinvestitionen. In den ersten neun Monaten 2012 flossen aus dem Ausland gerade einmal 450 Millionen Euro nach Kroatien – 2008 war es noch fast zehn Mal so viel. Und auch die Tourismusbranche verspricht sich viel von der Zeit nach dem 1. Juli: Als EU-Mitglied, so die Überlegung, werde das Land als Reiseziel noch präsenter sein im Bewusstsein der Europäer. Dennoch: Gerade die Zukunft als Teil der EU sehen viele Kroaten zunehmend skeptisch:

    "Ich glaube nicht, dass wir dazu wirklich bereit sind."
    "Ich bin gegen die EU. Ich bin Krankenschwester. Und jetzt soll ich mich plötzlich irgendwelchen neuen EU-Regeln anpassen und eine zusätzliche Ausbildung machen, in der ich überhaupt keinen Sinn sehe."

    Ob in Zagreb, Split, Dubrovnik oder auf dem Land – viele Menschen erleben derzeit im Alltag, was es heißt, EU-Mitglied zu werden. Verordnungen und Richtlinien aus Brüssel wollen erfüllt sein, und das trifft jeden in irgendeiner Form: ob Krankenschwester, Büroangestellter oder Verkäufer auf dem Wochenmarkt. Hinzu kommt die berechtigte Sorge, dass die einheimischen Betriebe nach der Öffnung der Märkte nicht konkurrenzfähig genug sein werden. Immerhin eine große Hoffnung verbinden alle mit dem Beitritt, sagt die Reiseunternehmerin Tatjana Kotrolla:

    "Unsere politischen Eliten haben für sich und ihre Gruppen gearbeitet, nicht für das Volk. Wir denken, dass mit der EU diese Probleme der Korruption leichter gelöst werden."