Der "Dom des Heiligen Johannes" im Süden der Stadt: Ein Vorsänger begleitet den Gottesdienst an diesem Freitagabend – von seiner Stimme werde ich magisch angezogen. Neugierig schaue ich mich in dem Gotteshaus um und entdecke eine riesige Plastikplane. Sie verdeckt ein meterhohes Gerüst und erstreckt sich bis zur gotischen Decke. Ist das eines der größten Gebäude in Torun?
"Ja, St. Maria ist höher, aber die hier ist etwas größer. Und es ist die Kirche des Bischofs und das ist der Grund, warum sie hier viel Geld reinstecken. Und: Es ist die älteste Kirche in Torun."
Szymon Wisniewski hat 15 Jahre lang in englischen Hotels gearbeitet, hier in Torun und in der nahe gelegenen Stadt Bydgoszcz - daher sein American English.
"Wir nutzen in Torun das Wort 'Jo' oder 'Ja' für Ja und das hat auch mit dem Deutschen zu tun. Und das trägt nicht zuletzt zur Tradition bei. Sagen wir: Wir sind ein bisschen mehr Deutsch. Denn Torun liegt an der Grenze zwischen Russland und Deutschland."
Der deutsche Einfluss ist in Torun noch überall präsent, norddeutsche Backsteingotik dominiert das Stadtbild. 1231 gab es die erste Siedlung – und zwar mit Einwanderern aus Westfalen. Der polnische Herzog Konrad von Masowien hatte damals Vertreter des sogenannten Deutschen Ordens nach Torun geholt. Um die Stadt von damals wurde im Mittelalter ein achtzackiger Wall gezogen, Reste davon sind auch heute noch erhalten geblieben. Genauso wie die vielen Kirchen, allein in der Altstadt sind es vier katholische Gotteshäuser und ein evangelisches.
Täglich finden mindestens drei Gottesdienste statt. Am Sonntag wird sogar jede Stunde gebetet. Hinter dem "Dom des Heiligen Johannes" liegt die Straße Kopernika. Sie ist nach dem bedeutenden Naturwissenschaftler Nikolaus Kopernikus benannt. Er hatte im 16. Jahrhundert mit seinen Thesen für eine Revolution gesorgt, als er erstmals feststellte: Die Erde ist ein Planet unter vielen. Und sie dreht sich um die Sonne – nicht umgekehrt. Kopernikus wurde 1473 in Torun geboren. In der Straße Kopernika steht sein Geburtshaus, in dem heute ein Museum untergebracht ist.
Auf zwei Stockwerken wird man in die Zeit des 15. / 16. Jahrhunderts zurückversetzt. Es gibt eine nachgebaute Küche, ein Arbeits- und ein Schlafzimmer; einen Stammbaum und Portraitbilder von Kopernikus; Werkzeuge und Zeichnungen. Im Keller findet der Besucher eine weitere Besonderheit von Torun: Lebkuchen. Schulklassen kommen regelmäßig hierher, um selber Lebkuchen zu backen. In den Regalen getrocknete Gewürze und Zutaten. Denn: Torun hat im Mittelalter mit Nürnberg um den Titel der Lebkuchenhauptstadt gerungen. Auch heute wird der Gewürzkuchen hier gebacken und in der Altstadt verkauft, vor allem Touristen decken sich gerne mit der schlichten Köstlichkeit ein.
Jedes Jahr kommen rund 1,5 Millionen Touristen nach Torun. Die meisten stammen aus Polen, nicht wenige auch aus Deutschland und Japan. Damit das in Zukunft noch mehr werden, hat sich die Stadt für den Titel "Europäische Kulturhauptstadt 2016" beworben. Gemeinsam mit zehn anderen polnischen Städten. Die 28-jährige Agnieska Marecka hat an der Bewerbung wesentlich mitgearbeitet.
"Sagen wir mal, die Veränderung der Wahrnehmung der Stadt, das ist auch etwas, das man schwer messen kann, oder? Aber: Touristen, die kommen und Geld, das mit den Touristen fließt, das ist etwas sehr Greifbares. Und zum Beispiel im Falle von Liverpool: Liverpool war Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2008, das war auch ein riesengroßer Erfolg. Und die Stadt hat 800 Millionen Euro verdient dabei."
Der Schlüssel für Torun liege ihrer Meinung nach in der Kultur.
"Also wir werden nie eine Industriestadt, wir werden nie ein Geschäftszentrum von Europa. Und wir wissen, dass die Kultur die Stadt verändern kann und verändern wird und deshalb kämpfen wir halt so um den Titel."
So nimmt das Toruner Museum für zeitgenössische Kunst einen wichtigen Teil der Kulturhauptstadtbewerbung ein. Es ist das erste Museum für moderne Kunst, das in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg neu errichtet wurde. Kostenpunkt: 15 Millionen Euro. Als ich es mir ansehen möchte, komme ich an einem Park mit Springbrunnen vorbei. Kinder spielen mit Wasserfontänen. Eltern sitzen auf Holzbänken und beobachten ihren Nachwuchs. Das Wasser glitzert in der Abendsonne. Vorbei am Park geht es über eine breite Straße zum Museum. Die Fassade: braun und opulent.
Der Eingangsbereich hingegen ist weiß gehalten, auf der linken Seite ein Café und ein gläserner Aufzug. Im ersten Stock sind Videos von vier polnischen Künstlern zu sehen. Die Kamera zeigt sie beim Diskutieren und beim heftigen Gestikulieren. Es geht um die ideale Skulptur. Und: Wie muss sie aussehen, die ideale Skulptur? Teuer soll sie sein, schön natürlich und ein erotisches Element haben. In einem anderen Raum zeigt ein Video, wie eine Wand zertrümmert wird. Ein Hammer schlägt kontinuierlich auf den verputzten Beton ein. Nach einigen Minuten offenbart sich der poröse, vielschichtige Untergrund. Das Werk stammt von der Italienerin Monica Bonvicini.
Die Arbeiten sind teilweise verstörend, teilweise bezaubernd und nicht selten auch überraschend. Umso überraschender, dass sie in der kleinen polnischen Stadt Torun zu sehen sind. Und: dass ich die einzige Besucherin bin. Zeitgenössische Kunst hat es in Polen extrem schwer. Aufgrund der kommunistischen Vergangenheit gibt es dafür keinen Nährboden. Und: Die Polen sind in der Regel extrem konservativ - für Experimente also eher nicht zu haben. Sobald die Sonne am Firmament verschwunden ist, zeigt Torun sein anderes Gesicht: 30.000 Studenten sind hier an der Uni eingeschrieben, also gut ein Sechstel der Einwohner. Es gibt viele Kneipen und Bars, die versuchen, mit günstigem Bier und traditionellem polnischen Essen Besucher anzulocken.
"Ich weiß auch nicht, meine Eltern wohnen hier gleich in der Nähe und das ist die einzige Stadt, an die ich beim Studieren gedacht habe."
Die 22-jährige Janette studiert in Torun Polnisch. Die vielen Events machen für sie hier den Reiz aus. So fand zum Beispiel Ende August das Lichtfestival "Skywalk" statt und im Sommer steigt jedes Jahr das internationale Filmfestival "Tofifest".
"Ich denke, wir haben hier eine andere Atmosphäre als in Warschau. Es ist keine richtige Stadt, es ist einfach ein kleines Städtchen. Ich glaube, das macht den Unterschied aus. Wir sind nicht so in Eile wie in großen Städten – wir haben mehr Zeit", sagt Szymon Wisniewski.
Und diese Zeit kann man unter anderem an der Weichsel verbringen, die hier durchfließt. Begibt man sich ans Ufer, ist es, als ob die Zeit für einen kurzen Moment stehen bleibt. Die Vögel zwitschern, die Schiffe gleiten durchs Wasser und ab und zu paddeln Kanuten vorbei. Torun ist also beides: traditionell und modern. Alte Backsteinfassaden aus dem 16. Jahrhundert stehen postmoderner Architektur gegenüber und Studenten leben hier Tür an Tür mit jungen Familien.
Regelmäßiger Anziehungspunkt für diese Familien ist das Toruner Kindertheater. Von außen sieht es aus wie ein zu groß geratenes Schmuckkästchen. Eine mahagonifarbene Holzfassade umschließt den Eingang, ausladend und einladend: Es könnte ein Sinnbild sein – für das kleine, aber feine Städtchen Torun im Herzen von Polen.
"Ja, St. Maria ist höher, aber die hier ist etwas größer. Und es ist die Kirche des Bischofs und das ist der Grund, warum sie hier viel Geld reinstecken. Und: Es ist die älteste Kirche in Torun."
Szymon Wisniewski hat 15 Jahre lang in englischen Hotels gearbeitet, hier in Torun und in der nahe gelegenen Stadt Bydgoszcz - daher sein American English.
"Wir nutzen in Torun das Wort 'Jo' oder 'Ja' für Ja und das hat auch mit dem Deutschen zu tun. Und das trägt nicht zuletzt zur Tradition bei. Sagen wir: Wir sind ein bisschen mehr Deutsch. Denn Torun liegt an der Grenze zwischen Russland und Deutschland."
Der deutsche Einfluss ist in Torun noch überall präsent, norddeutsche Backsteingotik dominiert das Stadtbild. 1231 gab es die erste Siedlung – und zwar mit Einwanderern aus Westfalen. Der polnische Herzog Konrad von Masowien hatte damals Vertreter des sogenannten Deutschen Ordens nach Torun geholt. Um die Stadt von damals wurde im Mittelalter ein achtzackiger Wall gezogen, Reste davon sind auch heute noch erhalten geblieben. Genauso wie die vielen Kirchen, allein in der Altstadt sind es vier katholische Gotteshäuser und ein evangelisches.
Täglich finden mindestens drei Gottesdienste statt. Am Sonntag wird sogar jede Stunde gebetet. Hinter dem "Dom des Heiligen Johannes" liegt die Straße Kopernika. Sie ist nach dem bedeutenden Naturwissenschaftler Nikolaus Kopernikus benannt. Er hatte im 16. Jahrhundert mit seinen Thesen für eine Revolution gesorgt, als er erstmals feststellte: Die Erde ist ein Planet unter vielen. Und sie dreht sich um die Sonne – nicht umgekehrt. Kopernikus wurde 1473 in Torun geboren. In der Straße Kopernika steht sein Geburtshaus, in dem heute ein Museum untergebracht ist.
Auf zwei Stockwerken wird man in die Zeit des 15. / 16. Jahrhunderts zurückversetzt. Es gibt eine nachgebaute Küche, ein Arbeits- und ein Schlafzimmer; einen Stammbaum und Portraitbilder von Kopernikus; Werkzeuge und Zeichnungen. Im Keller findet der Besucher eine weitere Besonderheit von Torun: Lebkuchen. Schulklassen kommen regelmäßig hierher, um selber Lebkuchen zu backen. In den Regalen getrocknete Gewürze und Zutaten. Denn: Torun hat im Mittelalter mit Nürnberg um den Titel der Lebkuchenhauptstadt gerungen. Auch heute wird der Gewürzkuchen hier gebacken und in der Altstadt verkauft, vor allem Touristen decken sich gerne mit der schlichten Köstlichkeit ein.
Jedes Jahr kommen rund 1,5 Millionen Touristen nach Torun. Die meisten stammen aus Polen, nicht wenige auch aus Deutschland und Japan. Damit das in Zukunft noch mehr werden, hat sich die Stadt für den Titel "Europäische Kulturhauptstadt 2016" beworben. Gemeinsam mit zehn anderen polnischen Städten. Die 28-jährige Agnieska Marecka hat an der Bewerbung wesentlich mitgearbeitet.
"Sagen wir mal, die Veränderung der Wahrnehmung der Stadt, das ist auch etwas, das man schwer messen kann, oder? Aber: Touristen, die kommen und Geld, das mit den Touristen fließt, das ist etwas sehr Greifbares. Und zum Beispiel im Falle von Liverpool: Liverpool war Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2008, das war auch ein riesengroßer Erfolg. Und die Stadt hat 800 Millionen Euro verdient dabei."
Der Schlüssel für Torun liege ihrer Meinung nach in der Kultur.
"Also wir werden nie eine Industriestadt, wir werden nie ein Geschäftszentrum von Europa. Und wir wissen, dass die Kultur die Stadt verändern kann und verändern wird und deshalb kämpfen wir halt so um den Titel."
So nimmt das Toruner Museum für zeitgenössische Kunst einen wichtigen Teil der Kulturhauptstadtbewerbung ein. Es ist das erste Museum für moderne Kunst, das in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg neu errichtet wurde. Kostenpunkt: 15 Millionen Euro. Als ich es mir ansehen möchte, komme ich an einem Park mit Springbrunnen vorbei. Kinder spielen mit Wasserfontänen. Eltern sitzen auf Holzbänken und beobachten ihren Nachwuchs. Das Wasser glitzert in der Abendsonne. Vorbei am Park geht es über eine breite Straße zum Museum. Die Fassade: braun und opulent.
Der Eingangsbereich hingegen ist weiß gehalten, auf der linken Seite ein Café und ein gläserner Aufzug. Im ersten Stock sind Videos von vier polnischen Künstlern zu sehen. Die Kamera zeigt sie beim Diskutieren und beim heftigen Gestikulieren. Es geht um die ideale Skulptur. Und: Wie muss sie aussehen, die ideale Skulptur? Teuer soll sie sein, schön natürlich und ein erotisches Element haben. In einem anderen Raum zeigt ein Video, wie eine Wand zertrümmert wird. Ein Hammer schlägt kontinuierlich auf den verputzten Beton ein. Nach einigen Minuten offenbart sich der poröse, vielschichtige Untergrund. Das Werk stammt von der Italienerin Monica Bonvicini.
Die Arbeiten sind teilweise verstörend, teilweise bezaubernd und nicht selten auch überraschend. Umso überraschender, dass sie in der kleinen polnischen Stadt Torun zu sehen sind. Und: dass ich die einzige Besucherin bin. Zeitgenössische Kunst hat es in Polen extrem schwer. Aufgrund der kommunistischen Vergangenheit gibt es dafür keinen Nährboden. Und: Die Polen sind in der Regel extrem konservativ - für Experimente also eher nicht zu haben. Sobald die Sonne am Firmament verschwunden ist, zeigt Torun sein anderes Gesicht: 30.000 Studenten sind hier an der Uni eingeschrieben, also gut ein Sechstel der Einwohner. Es gibt viele Kneipen und Bars, die versuchen, mit günstigem Bier und traditionellem polnischen Essen Besucher anzulocken.
"Ich weiß auch nicht, meine Eltern wohnen hier gleich in der Nähe und das ist die einzige Stadt, an die ich beim Studieren gedacht habe."
Die 22-jährige Janette studiert in Torun Polnisch. Die vielen Events machen für sie hier den Reiz aus. So fand zum Beispiel Ende August das Lichtfestival "Skywalk" statt und im Sommer steigt jedes Jahr das internationale Filmfestival "Tofifest".
"Ich denke, wir haben hier eine andere Atmosphäre als in Warschau. Es ist keine richtige Stadt, es ist einfach ein kleines Städtchen. Ich glaube, das macht den Unterschied aus. Wir sind nicht so in Eile wie in großen Städten – wir haben mehr Zeit", sagt Szymon Wisniewski.
Und diese Zeit kann man unter anderem an der Weichsel verbringen, die hier durchfließt. Begibt man sich ans Ufer, ist es, als ob die Zeit für einen kurzen Moment stehen bleibt. Die Vögel zwitschern, die Schiffe gleiten durchs Wasser und ab und zu paddeln Kanuten vorbei. Torun ist also beides: traditionell und modern. Alte Backsteinfassaden aus dem 16. Jahrhundert stehen postmoderner Architektur gegenüber und Studenten leben hier Tür an Tür mit jungen Familien.
Regelmäßiger Anziehungspunkt für diese Familien ist das Toruner Kindertheater. Von außen sieht es aus wie ein zu groß geratenes Schmuckkästchen. Eine mahagonifarbene Holzfassade umschließt den Eingang, ausladend und einladend: Es könnte ein Sinnbild sein – für das kleine, aber feine Städtchen Torun im Herzen von Polen.