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Im Inneren der Stretchlimousine

Die Dokumentation des Philosophen Bernard-Henry Lévy zur Rebellion in Libyen gerät zu einer schwererträglichen Selbstbespiegelung und David Cronenbergs Beitrag "Cosmopolis" enttäuscht. Dagegen erntet "Holy Motors" von Leos Carax tosenden Beifall.

Von Josef Schnelle | 27.05.2012
    "Sie müssen diese Delegation der libyschen Opposition empfangen." - "Beim Treffen mit der libyschen Delegation spricht Nicholas Sarkozy über Bombardements, die die libysche Opposition unterstütze könnten."

    Ein historisches Telefonat und seine Folgen. Der französische Philosoph Bernard-Henry Lévy führte es mit dem damaligen Präsidenten Frankreichs und es war der entscheidende Schritt zur Unterstützung der Rebellion in Libyen durch Frankreich mit der "Opération Harmattan". Stolz stellt Lévy diese Szene in das Zentrum seines Films. Der ist angeblich eher zufällig entstanden. Ein Fotograf, der Lévy nach Libyen begleitete, hatte eine 5-D-Kamera dabei, mit der man auch kurze Filmsequenzen drehen kann. So konnte er die Aktivitäten der philosophischen Ein-Mann-Armee dokumentieren und Lévys Verhandlungen mit Oppositionsführern und seine mitfühlende Beinahe-Teilnahme an Scharmützeln und Gefechten. Der Film endet pathetisch mit der Erinnerung an den "Schwur von Tobruck", den französische Soldaten leisteten, als sie sich in der libyschen Wüste im Zweiten Weltkrieg zum ersten Mal erfolgreich gegen das Deutsche Afrikacorps zur Wehr setzten. Ein Besuch auf dem Heldenfriedhof und ein Dokument der Rebellion in der Entstehung. Leider ist dieser Film doch eher ein jämmerliches Dokument der Selbstbespiegelung als eine kluge und spannende politische Dokumentation. Fortwährend schreit der Film: Ich, Ich, Ich. Der eigentliche Skandal ist jedoch, dass das Festival in Cannes dem Film einen herausragenden Ehrenplatz im Hauptprogramm zugestanden hatte und Lévy die Gelegenheit gab, seine Eitelkeit durch seinen Auftritt auf dem roten Teppich noch einmal zu verdoppeln. Irgendwie erinnert Bernard-Henry Lévy in seinem gnadenlosen Selbstbezug an die Figur des Eric Parker in David Cronenbergs Wettbewerbsfilm "Cosmopolis" nach Don de Lillos Roman über einen Wall Street Banker, der mit einer weißen Stretchlimousine durch New York irrt.

    "Ich will einen Haarschnitt." – "Der Präsident ist in der Stadt." – "Das ist uns egal. Wir brauchen einen Haarschnitt. Auch wenn wir dafür durch die ganze Stadt müssen" – "Überall ist Stau. Wir kommen nur milimeterweise voran." - Über welchen Präsidenten reden wir überhaupt?" – " Den der Vereinigten Staaten" - Welches ist mein Auto?"

    Cronenbergs Film hatte viel Vorschusslorbeeren bekommen ebenso wie Hauptdarsteller Robert Pattinson. Doch der Film, der fast ausschließlich im Inneren der Limousine spielt, war eine der besonders großen Enttäuschungen in Cannes. Man könnte diesen Versuch über den Abgesang des Kapitalismus am ehesten beschreiben als leicht szenisch aufgepepptes bebildertes Hörbuch, das ganz auf den Text der Vorlage setzt. Eine weiße Stretchlimousine steht auch im Mittelpunkt des bisher besten oder doch zumindest stilistisch gewagtesten Films, der einen ganzen verkorksten Wettbewerb retten könnte. "Holy Motors" von Leos Carax beschreibt einen Tag im Leben von Monsieur Oscar. In der Limousine findet er Dossiers vor, die jeweils eines der Rollenspiele beschreiben, die er irgendwo in Paris durchführen wird. Mal ist er Monsieur Merde, ein hässliches Monstrum, das auf einem Pariser Friedhof ein Supermodel entführt, dann wieder ermordet er einen Banker auf offener Straße, schließlich ist er ein Sterbender in einem luxuriösen Hotelzimmer mit trauernder Tochter oder schlitzt seinem Doppelgänger den Hals auf.

    "Alles ok. Monsieur Oscar?" – "Céline - an manchen Tagen ist ein Mord nicht genug." – "Was treibt dich eigentlich an, weiter zu machen, Oscar?" Ich mache weiter aus demselben Grund, aus dem ich angefangen habe. Für die Schönheit der Gebärde." - "Die Schönheit." – "Man sagt, sie liegt in den Augen . In den Augen des Betrachters."

    "Holy Motors" ist ein Essay über den Wechsel der Identitäten. Es wäre doch schön, wenn man sich nicht nur mit einer einzigen Identität begnügen müsste. Natürlich erzählt dieser Film mit seiner sich steigernden Nummerndramaturgie auch vom Reiz des Kinos. Auch dort kann man mehrere Identitäten leben und erleben, und stets folgen sie wie in "Holy Motors" einem vorgegeben Skript. Am Ende tuscheln die Limousinen miteinander. Es gibt Gerüchte, das sie bald abgeschafft werden sollen und stattdessen die ganze Welt zur Simulation wird. Tosender Beifall für Frankreichs Regie-Enfant-Terrible Leos Carax, dem morgen Abend eine goldene Palme winken könnte.

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