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"Im Kern eine wirtschaftliche Analyse der Optionen"

Das Energiegutachten liegt auf dem Tisch. Aber entgegengesetzter könnte die Bewertung unterschiedlicher Politiker nicht sein: Rechnen sich die längere Laufzeiten von Atomkraftmeilern nun? Dietmar Lindenberger, einer der Gutachter und Forschungsdirektor am Energiewirtschaftliches Institut an der Universität Köln, differenziert hier ebenfalls.

Dietmar Lindenberger im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Ende des Monats soll es so weit sein. Dann will die Bundesregierung ihre Vorstellung davon auf den Tisch legen, wie die Energieversorgung in den nächsten Jahrzehnten aussehen soll. Sauber soll sie sein, zuverlässig und bezahlbar. Dabei setzt Schwarz-Gelb auch auf Atomkraft, streitet aber zugleich darüber, wie viel länger sie die Meiler am Netz lassen will. Als Entscheidungshilfe auch für diese Frage hat sie ein Gutachten in Auftrag gegeben. Das liegt nun vor, doch der Streit, er geht weiter. Warum? – Darüber wollen wir jetzt mit einem der beteiligten Fachleute sprechen. Am Telefon begrüße ich Dietmar Lindenberger, Forschungsdirektor am Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität Köln. Einen schönen guten Morgen, Herr Lindenberger.

    Dietmar Lindenberger: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Herr Lindenberger, unterschiedlicher hätten die Schlussfolgerungen in der Regierung ja nicht ausfallen können als Reaktion auf Ihr Gutachten. Die Lesart von Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, Laufzeitenverlängerung zwischen zwölf und 20 Jahren, sie bringen den größten volkswirtschaftlichen Nutzen. Auf der anderen Seite Umweltminister Norbert Röttgen, der kein stichhaltiges Argument für längere Laufzeiten erkennen kann. Warum bringt das Gutachten in diesem Punkt gar keine Klarheit?

    Lindenberger: Zunächst einmal darf man, glaube ich, hier sehen, dass es zur Kernenergie natürlich unterschiedliche politische Bewertungen gibt und dass diese unterschiedlichen politischen Bewertungen durch ein Gutachten natürlich nicht verschwinden. In der Sache ist es aber so, dass die Wirtschaftlichkeit auch von längeren Laufzeiten durchaus zusammenhängt auch mit Sicherheitsaspekten, weil ja Nachrüstkosten anfallen, die abhängig sind von Sicherheitsstandards. Und darum ist es so, dass zwar einerseits die wirtschaftlichen Vorteile längerer Laufzeiten, nämlich Kosten- und Preisentlastungen, umso größer sind, je mehr die Laufzeiten verlängert werden, andererseits aber zugleich gewissermaßen diese wirtschaftlichen Vorteile sich umso mehr verringern, je höher die Kosten sind, die für Nachrüstungen aufgebracht werden müssen. Und da das Gutachten nun fallweise unterschiedliche Annahmen zu den Kosten von Nachrüstungen berücksichtigt, lässt sich auf der Grundlage des Gutachtens durchaus auf das eine oder andere Szenario verweisen.

    Barenberg: Mit anderen Worten: Der Umweltminister kalkuliert mit hohen Kosten für die Sicherheit für die Atommeiler in den nächsten Jahren, in den Jahren, die sie länger laufen sollen, und das heißt dann im Umkehrschluss auch, der Strom wird gar nicht so viel billiger, wie sich das die Bundesregierung wünschen würde?

    Lindenberger: So kann man das kurz zusammenfassen.

    Barenberg: Heißt das denn auch, dass es überhaupt keine Aussagen zum gesamtwirtschaftlichen Nutzen gibt in diesem Gutachten?

    Lindenberger: Also, es gibt durchaus quantifizierte Aussagen. Das ist ja gerade das, was das Gutachten leisten soll. Was wir tun, ist ja: Wir berechnen Szenarien, das heißt, wir quantifizieren diese Auswirkungen. Dazu sind natürlich eine Reihe von Annahmen erforderlich und es werden auch Marktmechanismen berücksichtigt, also beispielsweise Strompreisbildung an der Börse oder Investitionsentscheidungen. Oder Stilllegungsentscheidungen aufgrund wirtschaftlicher Kalküle. Oder auch marktgetriebener Stromaustausch in Europa. Und damit sollen eben die Wirkungszusammenhänge verdeutlicht werden und die Informationsgrundlage für politische Entscheidungen verbessert werden.
    Im Kern, was Ihre Frage betrifft, ist es eben in der Tat so, dass die wirtschaftlichen Vorteile insbesondere in den Szenarien, in denen die Ansätze für Nachrüstkosten gemäß Gutachtervorschlag dann zum Zuge kamen, sich in der Tat die wirtschaftlichen Vorteile umso größer darstellen, je mehr die Laufzeiten verlängert werden. Wenn man aber vergleichsweise höhere Nachrüstkosten in Ansatz bringt, dann ist das Bild differenzierter und heterogener und ganz klare Trends lassen sich dann nicht mehr ablesen.

    Barenberg: Wenn das so ist, Herr Lindenberger, und wenn es so verschiedene, Grund verschiedene, gegensätzliche Interpretationsmöglichkeiten gibt: Inwiefern kann dieses Gutachten denn dann eine Entscheidungshilfe überhaupt sein?

    Lindenberger: Also, es lässt beispielsweise Rückschlüsse darüber zu, wie viel Nachrüstungsinvestitionen marktgetrieben ergriffen werden, wenn Sicherheitsstandards so gesetzt werden, dass damit gewisse Kosten verbunden sind. Das Gutachten ist im Kern eine wirtschaftliche Analyse der Optionen und des Teils der Optionen, die marktgetrieben ergriffen werden, abhängig davon, welche Optionen und Rahmenbedingungen die Politik vorgibt.

    Barenberg: Und wenn die Rahmenbedingung ist, wir müssen viel investieren und hohe Anforderungen an die Sicherheit stellen, sollten die Laufzeiten verlängert werden, dann hat das jedenfalls nur geringe Auswirkungen, sagen wir, auf einen geringen Strompreis?

    Lindenberger: Es kann in der Tat passieren, dass die Sicherheitsstandards so hoch gesetzt sind, dass die Kosten prohibitiv sind und trotz der Option erheblicher Laufzeitverlängerungen entsprechende Verlängerungen dann nicht ergriffen werden.

    Barenberg: Ich interpretiere das Mal als ein Ja und würde gerne noch eine Frage zum Klimaschutz los werden. Das ist ja das eigentliche Ziel auch des energiepolitischen Konzepts der Bundesregierung. Klimaschutz ohne Atomkraft erreichbar, lassen sich darüber Aussagen treffen ja oder nein?

    Lindenberger: Also, wir haben hier ja untersucht, über welche Wege sich die Klimaziele des Koalitionsvertrages bis 2050 realisieren lassen könnten. Und hierbei ist der wesentliche Eckpunkt, bis 2050 eine im Wesentlichen CO2-freie Energieversorgung zu erreichen. Bis 2050 wäre auch in dem Falle der äußersten Kernkraftwerksverlängerung um 28 Jahre dann die Kernenergie weitgehend aus dem Energiemix ausgeschieden, sodass im Endzeitpunkt die verschiedenen Szenarien, die wir betrachtet haben, sich gar nicht so sehr unterscheiden. Auf dem Weg dorthin gibt es aber durchaus merkliche und wichtige Unterschiede.

    Barenberg: Zum Beispiel?

    Lindenberger: Zum Beispiel, was eben kosten- und preisentlastende Effekte betrifft, durch längere Laufzeiten, wenn sie mit Nachrüstkosten verbunden sind, wie sie von den Gutachtern vorgeschlagen wurden und wie sie beispielsweise auch im Rahmen der Untersuchungen für den Energiegipfel 2007 in Abstimmung zwischen beiden Ministerien und dem Bundeskanzleramt unterstellt wurden.

    Barenberg: Geht es auch ohne Atomstrom? Noch mal die Frage: Gibt es da überhaupt eine Grundlagenaussage in diesem Gutachten?

    Lindenberger: Ja! Also wie gesagt, im Jahr 2050 ist die Kernenergie aus dem Mix in allen Szenarien verschwunden, was belegt, dass das langfristig möglich ist.

    Barenberg: Herr Lindenberger, auf einen Vorwurf müssen wir zu sprechen kommen. Die AKW-Betreiber RWE und E.ON fördern Ihr Institut über fünf Jahre lang mit je vier Millionen Euro. Der Vorwurf eines Gefälligkeitsgutachtens steht im Raum. Wie antworten Sie darauf?

    Lindenberger: Also was die Anwendungsforschung betrifft, die ich verantworte, hat sich im Grunde genommen durch dieses Geld überhaupt nichts geändert. Das Geld geht im Wesentlichen in zusätzliche Professuren für die Grundlagenforschung.

    Barenberg: Insofern gibt es keine Neigung - und anders als die Grünen es sagen - gibt es sozusagen keine Neigung, in Richtung Atomkraft dieses Gutachten zu interpretieren?

    Lindenberger: Definitiv nicht! Das Gutachten zeigt unterschiedliche Optionen. Es ist auch, um auf Ihre Frage noch mal zurückzukommen, so, dass die Gelder definitiv nicht zweckgebunden gegeben werden, sondern eben eine Grundfinanzierung unterstützen, weil hier auch im universitären Bereich insgesamt ein Defizit gesehen wird, was energiewirtschaftliche Grundlagenforschung betrifft. Da gibt es aber keinerlei thematischen Zusammenhang mit unserer inhaltlichen Anwendungsforschung.

    Barenberg: Dietmar Lindenberger, der Forschungsdirektor am Energiewirtschaftlichen Institut der Universität Köln. Danke für das Gespräch, Herr Lindenberger.

    Lindenberger: Danke auch!