Die Grenze zwischen Thüringen und Bayern verläuft durch den Wald. Sie wäre kaum mehr zu erkennen, gäbe es nicht ab und an Grenzsteine !
An der Ziegelhütte in der Nähe des Rennsteiges sind wir mit Martin Weber, einem pensionierten Grenzpolizeichef aus Bayern verabredet. Die Steine sind das Hobby von Martin Weber, seit der etwas untersetzte, agile Mann an die bayrisch-thüringische Grenze geschickt wurde.
"Ich kam aus 'm Bamberger Land hier rauf, als junger Polizeibeamter, wurde hier rauf versetzt und wenn ich ganz ehrlich bin, ich dachte erst, ich bin in der Verbannung, weitab vom Schuss, Bamberg ... Ringsrum war ja die Grenze zur DDR. Da ging auch der Spruch um, der Osten ist überall, der Westen ist im Süden. Wir mussten dreißig Kilometer fahr'n, um links und rechts dann abbiegen zu können und ...und dann treff' ich hier Grenzsteine mit Wappen der Bamberger Bischöfe, der Bamberger Fürstbischöfe aus verschiedensten Jahrhunderten, hier aus dem 16., zu Beginn des 16., aus 'm 17., aus 'm 18. Jahrhundert. "
Hier, mitten im Frankenwald, hat der Rennsteig einen Zusatznamen:
"Ein Teilbereich des Rennsteiges wird Schönwappenweg genannt, hier südöstlich von Ludwigsstadt. Wir befinden uns hier am Schönwappenweg und genau am alten Kurfürstenstein. Ein Grenzstein, ein Wappenstein aus dem Jahr 1513, fast fünfhundert Jahre alt ! Der steht die knappen fünfhundert Jahre schon hier an dieser Grenze, ja, und trennt Thüringen heut' von Bayern, trennte das Hochstift Bamberg vom Kurfürstentum Sachsen, zur Zeit der DDR war 's die innerdeutsche Grenze. Hier drüben die DDR, hier - wo wir jetzt stehen - die Bundesrepublik. Dieser Stein hat schon viel gesehen "
Beinahe wäre von den Steinen nichts mehr übrig geblieben! Eine Kommission markierte in den siebziger Jahren die Grenze mit Granitsteinen neu. Dabei fand man die verwitterten Sandsteine.
Bei der bayrischen Denkmalschutzbehörde wurde beantragt, die alten Steine zu retten. Doch nur eine Seite des Steines war bayerisch, die andere gehörte zur DDR! Das Landratsamt in Bayern stimmte zu - ausdrücklich, ohne die DDR diplomatisch anzuerkennen. Und wider Erwarten erhielten die Denkmalschützer aus Bayern die Erlaubnis DDR-Gebiet betreten zu dürfen:
" Wir durften 1984 für zwei, drei Monate Thüringer Gebiet, DDR-Gebiet, betreten, zwei Meter waren 's zwar nur, aber es war eine Besonderheit, es war nirgends sonst in Deutschland, hier im Landkreis Kronach durfte das Gebiet der DDR betreten werden. "
Martin Weber erinnert sich an das Treffen vom 12. September 1984. Am Grenzpunkt bei Schauberg erschienen von DDR-Seite Herren aus dem Außenministerium, die BRD war ja Ausland. Von bayerischer Seite waren der örtliche Kreisbaumeister, der Vermessungsdirektor aus Kronach und Martin Weber nicht als Grenzpolizeichef, sondern als Vertreter der Heimatpflege gekommen. Als dann 1990 die Grenzen offen waren, kam es zu unverhofften Begegnungen zwischen Ost und West:
" Da bin ich losmarschiert und hab' dann hier den Rennsteig gesucht, bin ‘rüber nach Thüringen und aus dem Unterholz kamen drei Leute - mit denen bin ich heut' noch gut Freund - und was macht ihr da ? Wir suchen den Rennsteig, wie ist der genaue Verlauf ? Und da haben sich dann Rennsteigfreunde gefunden, von beiden Seiten, und haben den Rennsteig erkundet in seinem tatsächlichem Verlauf. ... und wir sind heut' noch gut Freund. "
Dicht am Rennsteig zwischen Lehesten und Ludwigsstadt, bemerken wir kaum, wo Thüringen beginnt und Bayern aufhört. Aber, erinnert Martin Weber: "Wir waren am Ende der Welt”, und heute freut er sich:
"Es ist doch ein kleines Wunder wenn 'mer heute rüber nach Thüringen fahr'n, war jetzt heute Vormittag schnell mal in Erfurt auf'm Blumenmarkt, meine Frau brauchte Blumen für'n Garten, sind mer schnell mal nach Erfurt "gedüst" und haben uns dann auf'm Markt Blumen geholt, wunderbar... "
Wir blicken zurück: 1993, der "Tag der deutschen Einheit".
Unterhalb des Rennsteiges, im Tannenwald, wo einmal der "Eiserne Vorhang" zwischen Ost und West die Menschen trennte, sang ein Kirchenchor, trafen sich Thüringer und Franken, Junge und Alte, um an diese Grenze zu erinnern. Sie hinterließen:... einen Grenzstein !
An dem stehen wir jetzt.
Den hat Martin Weber selbst entworfen, jedenfalls den wichtigsten Teil:
"Das Wappen hab' ich entworfen, das drauf kam, hab' dann aus 'm Dienstsiegel die fränkische Raute genommen, die Volkskrone drübergesetzt, Freistaat Bayern 1993, und im Thüringer Wald Diskussion ob man auch Freistaat wieder werden will, ne, und da war 's für mich klar, die werden Freistaat und da hab' ich einfach Freistaat Thüringen, hab' den Thüringer Löwen genommen, mit den Sternen, und hab' die bayerische Volkskrone oben 'rüber kopiert und eingereicht und als Beamter weiß man, dass man schreibt, falls keine gegenteilige Weisung ergeht, wird es als genehmigt angenommen.
Is' nie eine gegenteilige Weisung ergangen, und so wurde der Stein so nach den Vorlagen, die ich da gemacht hatte, gemacht, gefertigt. "
Ein kleines Fest im Wald. Vor allem Schulklassen waren eingeladen. Begegnungen und Freundschaften, Nach jahrzehntelanger Trennung sind die
Kontakte zwischen hüben und drüben wieder hergestellt. Sie werden auch in diesem Jahr gemeinsam Advent feiern: evangelische und katholische Christen aus der thüringischen und der fränkischen Rennsteigregion. Sie proben in einem Chor und treten gemeinsam auf.
Unsere nächste Grenzgeschichte.
Vom bayerischen Ludwigsstadt in 's thüringische Lehesten ist es ein Katzensprung. Der Ort ist nicht nur wegen des Schieferbergbaues bekannt. Seit 1994 ragt aus bewaldeter Höhe, nahe des Rennsteiges, ein Turm heraus. Wir fragen uns, wie solch ein steinernes Ungetüm dorthin, auf den Wetzstein kommt?
Der Altvaterturm - so heißt er - stand im Altvatergebirge, in den Ostsudeten, in der heutigen Tschechischen Republik, und wurde gesprengt. Lange hatten die aus den ehemaligen deutschen Gebieten Vertriebenen einen Platz gesucht, wo sie ihrer Heimat gedenken konnten. Die Mitglieder des Altvatertumvereines in Hessen wurden durch eine Städtepartnerschaft mit dem thüringischen Neustadt fündig. Der wiedergegründete Thüringerwaldverein zeigte auch Interesse an einem Turm auf dem Wetzstein. 1998 stimmte das Thüringer Landratsamt seinem Bau zu, sechs Jahre später wurde der Turm eröffnet.
Gerüchte sagen, an schönen Tagen würde man sogar den Rand der Alpen sehen können! Und so hatte sich auf dem Wetzstein im ehemaligen Grenzgebiet eine Abhörstelle der DDR-Volksarmee angesiedelt. Deren Reste, rostende Container und Antennen, stehen noch herum. Mit Kurt Weese sind wir den Altvaterturm hinaufgestiegen. Ein freundlicher Mann, hoch in den 70ern, leicht gebeugt, mit halblangen, grauen Haaren. Als Architekt und Bauleiter hat Weese den Turm hierher gesetzt. Hier, auf den Wetzstein, der höchsten Erhebung des südöstlichen Thüringer Waldes mit dem herrlichen Rundblick:
"Sie können gucken, im Osten das Erzgebirge, vor zwei Jahren hab' ich im Herbst mal das Völkerschlachtdenkmal sehen können, von hier mit bloßem Aug', war ne herrliche Sicht, dann Thüringer Wald, die höchsten Berge vom Thüringer Wald, ....und dann nach Süden Veste Coburg, dann Kloster Banz sieht man gut und den Staffelstein und dann rüber ins Fichtelgebirge"
Kurt Weese besorgte Abrisssteine für den Altvaterturm, klopfte vier Jahre lang Steine, passgerecht für den Bau. Die Erinnerung an den zerstörten Turm im Altvatergebirge gaben im die Kraft durchzuhalten.
"Ich stamme aus dem Kreis, wo der erste Turm gestanden hat, aus dem Altvatergebirge. ... Mein Vater hat mich mit sechs Jahren das erstemal schon mit an den Turm genommen (lacht) und da hat er noch zwei Cousins mitgenommen, der eine war Acht und der andere Zehn und da haben die zu meinem Vater immer gesagt, nimm' den Kleinen nicht mit, der geht das sowieso nicht und nachher war 'n die früher müd' als ich ! (lacht) "
Der Wille vieler Vertriebener wie Kurt Weese war es, ein Wahrzeichen der alten Heimat wieder zu errichten. Dazu kam der Wunsch der Einwohner des nahen Städtchens Lehesten, dass Wanderer wieder ungehindert zum Wetzstein hinaufpilgern könnten. Diesem Gedanken folgte auch Manfred Wagner. Der 72jährige, mit rundlichem Kopf, grauen Haarstoppeln und Brille, war in dieser Gegend zu Hause. Die Familie wohnte in Lehesten bis zu ihrer Vertreibung durch DDR-Organe am 3. Oktober 1961. Damals mussten die Wagners weg von der Grenze. Ihnen wurde - wie es hieß -
" im Interesse der Sicherheit des Staates und ihrer eigenen Sicherheit "
ein neuer Wohnsitz im Landesinneren, im Kreis Rudolstadt, angewiesen. Warum hat Manfred Wagner den Bau des Turmes unterstützt ?
"Einmal die Bindung immer an Lehesten als sehr bodenständiger und anhänglicher Lehestener Bürger, ehemaliger Lehestener Bürger, über den Thüringerwald-Verein, der sich 1990 wieder gründete, mit der ersten Zielstellung eben unseren Turm zu beleben, den Wetzsteinturm, der der auf der anderen Hälfte des Berges stand und 1979 gesprengt wurde, er war bis dahin hinreichend verfallen schon, aber musste dann eben Platz machen für dieses militärische Objekt zur Luftraumüberwachung, ja und das andere war, dass ich eben auch dem Verein dann beigetreten bin, kurz vor einer Hauptversammlung, um dann Rederecht dort zu bekommen in dem Verein, um die Altvatervereinsmitglieder, die Heimatvertriebenen in Kenntnis zu setzen, dass es solche Vertreibungen hier - vor Ort - gegeben hat, zweimal, ... "
Manfred Wagner - ein DDR-Vertriebener. Wagner erlebte diese Grenze übrigens auch als Religionsgrenze:
"Die Franken, die Hannessen heißt das hier, weil jeder zweite Johann hieß, war'n katholisch, katholisch geprägt, aber es gab in Lehesten eine kleine katholische Gemeinde, die erwachsen war eigentlich aus diesem bayerischen Einfluß aus den vergangenen Jahrhunderten und es gab ja dann natürlich Eheschließungen über die Grenzen hinweg und diese Verbindung war da !"
Im evangelisch geprägten Lehesten hatte Martin Luther gepredigt, als er 1530 während einer Reise in der Berg- und Schieferstadt Station machte. Dank Menschen wie Martin Weber aus Ludwigsstadt in Franken und Manfred Wagner aus Thüringen bringt diese Grenzlinie die Leute wieder zusammen!
Rund 70 Kilometer sind es von Lehesten in südwestlicher Richtung über die Rennsteigstraße, an Kronach und Coburg vorbei, dann folgen wir der Bundesstraße 303. Auf einer schmalen, sich durch ein Tal windenden Straße erreichen wir unser nächstes Ziel: Ummerstadt.
Das Bild von Ummerstadt bestimmt fränkischer Fachwerkstil, im Unterschied zu den schiefergedeckten dunklen Häusern in Lehesten und Ludwigsstadt.
837 urkundlich erwähnt und seit 1394 Stadtrecht besitzend, wird Ummerstadt liebevoll und nicht zu unrecht "Klein-Rothenburg" genannt.
Ummerstadt gehörte im Mittelalter zum Bistum Würzburg, gehört heute zum Land Thüringen. Ein paar mal abgebrannt, aber einige Häuser stehen seit 1540 oder 1558, andere wurden mit viel Holz und kleinen Fenstern wieder errichtet.
Heute gibt es zum denkmalgerechten Erhalt der Fachwerkbauten Fördermittel.
Auch zu DDR-Zeiten, als das Baumaterial knapp war, ließen die Ummerstädter ihre Häuser nicht verkommen, sie werkelten mit Nachbarn und Verwandten, halfen sich gegenseitig. 1987 war 1150-Jahrfeier, da wurde der Ort aufgemöbelt.
Alle seien interessiert ihr Eigentum in Ordnung zu halten, erzählt Immanuel Scheffel, den hier alle "Nelly" nennen. Ein drahtiger Rentner aus Westbrandenburg stammend, mit wachen, braunen Augen.
"Fünf Kilometer Sperrgebiet, von Hildburghausen 'runter, ... da oben ... das Gebiet ist die ehemalige Grenze und dort ringsum, sagen wir mal von hier aus, ... 1 1/2 bis 2 Kilometer ist die Grenze ringsum. Ummerstadt war so richtig im Sack drinne, ne. "
Ummerstadt hatte Glück. Nur 1 1/2 Kilometer von Ummerstadt entfernt, wurden Orte dem Erdboden gleich gemacht. Billmuthausen, Leitenhausen und Erlebach gibt es nicht mehr. Mit der Aktion "Ungeziefer", so die Bezeichnung für die dort lebenden Menschen, zwang die DDR-Regierung ab 1952 alle Bewohner zum Verlassen ihrer Dörfer. Die Aussiedlungen zogen sich in Billmuthausen bis 1976 hin, als die letzten Bewohner auf Grund von Schikanen von Partei und Staat ihre Höfe verließen. Dann wurde der Ort ausgelöscht.
"Bis zur Grenze sind's zwei Kilometer ... Nur mit Passierschein und dann auch nicht jeder. Ich weiß, von mir 'ne Tochter, die war denn in Leipzig, hat studiert, da war irgendwie der Passierschein abgelaufen, die ist Weihnachten nicht 'reingekommen. "
Dieses Gebiet gehörte lange zu Franken, der Dialekt klingt wie im angrenzenden Franken. Später haben die Herrscher gewechselt, schließlich kamen die Ummerstädter zu Thüringen. Ihr fränkischer Dialekt ist bis heute geblieben.
"Wir sind nur nach Coburg gegangen, bestätigen mir die Leute hier, einkaufen, alles wurde nur in Coburg gemacht. Die Bauern haben ihr Holz dahin verkauft, haben auch mal ihr Bier da getrunken, ... nur wenn se ins Amt mussten, sind sie nach Hildburghausen. "
Im 16. Jahrhundert gehörte Ummerstadt zu Coburg und ab dem 17. Jahrhundert zu Sachsen. So gesehen sind 40 Jahre DDR eine kurze Zeit um nun wieder an alte Traditionen anzuknüpfen. Die Leute aus Ummerstadt sind nun nicht mehr "im Sack drin" sondern fahren wieder nach Coburg, Rodach und Kronach.
Der Fachwerkbau und das Handwerk haben Ummerstadt geprägt. Die Menschen waren früher in der Tuchmacherei, Wollspinnerei, Gerberei und Töpferei tätig. Als wir durch den Ort gehen, hören wir das Kreischen der Sägemaschinen und Bohrer.
Ohne Maschinen und Antrieb, nur durch natürliches Gefälle funktionieren die Brunnen in Ummerstadt, mit reinem, klaren Wasser, das für ein spezielles Gewerbe die Grundlage bildet.
"Guten Tag, Chilian, Ur-Ummerstädter, da oben, in der Stub'n bin ich gebor'n, schon 70 Jahre, kräftig, fleißige Leut' hab'n wir in Ummerstadt ...
So, das ist das Brauhaus. Wird im Frühjahr, und Herbst wird hier gebraut, hier zum Eigenbedarf ... "
Franz Chilian, Braumeister in der dritten Generation, ist an den Bottichen tonangebend. Der rotwangige, kräftige Ummerstädter braut seit 33 Jahren im Frühjahr und Herbst das feine Ummerstädter Bier. Gemeinschaftlich rühren sie nach alter Tradition per Hand die Maische.
"Mein Vater hat 54 Jahre gebraut und hab's von mein' Vater übernomme' . Ich brau' auch schon wieder 35 Jahr' -
Scheffel: Da musst' aber noch 'ne Weile brauen !
Chilian: Na ja, aber ich bin ja 70! "
Immanuel "Nelly" Scheffel diente von 1952 bis 1955 als DDR-Grenzsoldat an der thüringisch-bayrischen Grenze. Alles sei friedlich gewesen zu seiner Zeit, meint Schaffel. Mehr "aus Versehen" sei einmal ein Grenzsoldat erschossen worden. Mit dem Fernglas konnte er sehen wie im Nachbardorf, das schon zur Bayern gehörte, die Leute am Küchentisch ihre Mahlzeiten einnahmen. Später, nach dem Fall der Grenze, ist er dieser Familie persönlich begegnet.
"Komm trink mal einen Schnaps undsoweiter. Ich bin gar kein Schnapstrinker. Ich sag', da muss ich mit 'n Fahrrad komm' und da sitzen wir in der Küche bei dem, da sag ich, guck mal Heini heißt der, der ist jetzt, glaub ich 83, gucke mal da rüber, da drüben am Hang, da haben wir gesessen mir Ferngläsern und haben euch beobachtet. Ich hab' nie gedacht, dass ich mal hier zu dir in die Küche komme! Du bist verrückt, hat der gesagt, ja siehste, nun sitzen wir zusammen am Tisch und trinken Schnaps, ne ? So ist das manchmal im Leben, ne. "
Wir rollen durch den Frankenwald in Richtung Vogtland, fahren nach Nordosten auf der B 173, über Coburg, Kronach, Selbitz, kreuzen die Autobahn 9 und biegen kurz vor Hof nach Norden ab. Hier, zwischen Töpen und Gefell, zwischen Bayern und Thüringen liegt: Mödlareuth !
Kurz hinter dem Ortseingang steht ...ein Panzer! Hier sind wir richtig. auf einer kleinen Anhöhe weithin sichtbar eine weiße Mauer, oder das, was von 700 Meter Betonmauer durch den kleinen Ort noch übrig ist. Die wenigen Segmente wirken im Verhältnis zu den flachen Häusern des Dorfes wie ein Fremdkörper.
Hier treffen wir Arndt Schaffner. Der große, kräftige Mann beschäftigt sich seit seiner Gymnasialzeit mit der Mauer. Seine Familie komme aus Sachsen, erzählt er. Und wie schon bei Ludwigsstadt begegnen wir wieder alten Grenzsteinen:
"Ja also hier steht noch einer der alten Grenzsteine aus Granit, auf der einen Seite können Sie die Initialen KB für Königreich Bayern lesen, auf der gegenüberliegenden Seite FR, das war das thüringische Fürstentum Reuß, das heißt, die Grenzlinie ging hier seit 1810 quer durch das Dorf, entlang des Tambaches, der hier fließt. Also eine Seite war bayerisch eine war thüringisch, verwaltungsmäßig geteilt, aber diese Teilung hatte zu der Zeit also keine Einwirkungen auf die Bevölkerung..."
Bis zum Kriegsende 1945, als die Alliierten die alten Grenzen zur Grundlage einer Teilung zwischen Ost und West machten. Doch zunächst gab es Irritationen.
"..Man war froh, dass die Amerikaner hier als Besatzungstruppen waren ... und war entsetzt, wie uns Zeitzeugen erzählen, als dann Mitte Juli 1945 die Rote Armee hier einmarschierte und jetzt nicht an der Demarkationslinie Stopp machte, sondern das ganze Dorf Mödlareuth besetzte, also auch den eigentlich amerikanischen Teil.
Im Laufe des Jahres '45 wurden neue Ausweise ausgegeben, russisch-deutsch, auch auf bayerischer Seite, also wenig Hoffnung, dass sich an der Situation was ändern würde und erst ein Jahr später erkannte man diesen "Besatzungsirrtum", nenn' ich's mal, seitens der Alliierten und von der Zeit ab, war also eine Seite amerikanisch, eine Hälfte sowjetische besetzt. Für die Bevölkerung bedeutete das, wenn man von einer Seite des Baches, des Grenzbaches, auf die andere wollte, brauchte man einen Passierschein. Wir hatten sogar zwei Brüder hier im Dorf, den Max (Goller) aus bayerischer Seite und den Kurt (Goller) auf Thüringer, wenn die sich also besuchen wollten, um zu umgehen, dass man mit diesem Passierschein nun großes Theater machte, da ging der Max einfach durch 'ne Scheune, die stand an der Grenze, von bayerischer Seite durch 's Scheunentor in die Scheune und ging durch die Fenster auf Thüringer Seite wieder 'raus! "
1952, nach der Gründung der beiden deutschen Staaten wurde auch an den Grenzen ein anderes Regime eingeführt, Kontakte zwischen den Menschen von heut' auf morgen abgebrochen. Sperrgebiet, Besuche nur mit Passierschein, mit 60 Kilometer Umweg. Abgerissen, wie anderswo ganze Dörfer, wurden hier "nur" vereinzelt Gebäude, unliebsame Bewohner zu "Ungeziefer" erklärt und ins Inland weggesiedelt.
"Wenn wir hier auf der Höhe steh'n, da ist 'n Haus, da wohnte der schon erwähnte Max Goller im Westen, der konnte tatsächlich vom Küchenfenster aus sein' Bruder im Hof stehen sehen, mit bloßem Auge, über die Mauer weg, der brauchte nicht mal aufsteh'n, hatte aber zusätzlich 'n Fernglas am Fenster stehen, mit dem er dann zu seinem Bruder schaute.. teilweise ist er auch vor 's Haus gegangen, hat 'n Busch da hat er sich dahinter versteckt, dem Max Goller hat es zwar im Westen niemand verboten rüber zu schauen, aber die Grenzposten auf DDR-Seite, wenn die den vor 'm Haus sahen, wußten die natürlich, sie wußten ja um die verwandtschaftlichen Beziehungen, dann haben die aber ganz schnell nachkontrolliert, ob der Kurt auf DDR-Seite auch irgendwo mit'm Fernglas steht und der Kurt Goller hat mir nach der Wende erzählt, es ist ihm einmal passiert, dass er also mit'm Fernglas erwischt wurde, vom Grenzposten und es wurde ihm angedroht, wenn das noch mal vorkommt, kommt er weg! "
Immer wieder versuchten in dieser Region Menschen aus der DDR zu fliehen, die Mauer zu überwinden. Arndt Schaffner schätzt, rund 1.000 Flüchtlinge sind dabei umgekommen (Quelle: Schmochlitzer Forum, 03.04.2006). An eine geglückte Flucht in Mödlareuth erinnert sich Schaffner genau: Da war ein Barkas B 1.000, ein Transporter ähnlich einem VW-Bus. Der Fahrer hatte einen Passierschein für das Grenzgebiet. In einer Nacht, Ende Mai 1973, wagte er es:
" ... , er wusste es standen große Bäume zwischen Straße und Turm, als er dann hinter den Bäumen war, hat er die Fahrzeugbeleuchtung ausgeschaltet, ist genau hier an diese Stelle gefahren, hat mittels einer Eisenleiter, die er genau für diesen Zweck gebaut hat, die Mauer überwinden können ... "
Im Dezember 1989 öffnete sich auch in Mödlareuth die Mauer. Zunächst nur ein Loch, ein offizieller Grenzübergang für Fußgänger und Radfahrer. Der DDR-Bürgermeister schlug vor, eine Tür anzubringen, für Treffen zwischen Ost und West bei "gewissen Anlässen". Ein paar Monate später, am 17. Juni 1990, dem vormaligen Tag der Deutschen Einheit, beschlossen beide Bürgermeister vermutlich in Bierlaune, ein Stück Mauer einzureißen...:
"... und plötzlich tauchte der Bagger auf und fing an Mauer einzureißen, zum Entsetzen der beiden Grenzer an dem Grenzübergang, der beiden DDR-Grenzer. Die sprachen also von Zerstörung von Volkseigentum der DDR, was letztlich ja wohl auch stimmte, aber auf Grund des Jubels der Bevölkerung und des Applauses hat der Baggerfahrer dann weiter gemacht und vielleicht 'ne Strecke von 200 Metern der Mauer plattgelegt. "
Arndt Schaffner aber, fing an zu sammeln. Erinnerungen an diese Grenze, für das Deutsch-Deutsche Museum in Mödlareuth, das er mit gründete und viele Jahre leitete.
Durch Mödlareut fließt immer noch der Tambach. Er ist wieder die natürliche Grenze zwischen Bayern und Thüringen. Die Menschen trennt er nicht mehr, sie haben zueinander gefunden.
Ossis und Wessis gibt es nicht mehr, dafür wieder Thüringer und Bayern. Sie haben Freundschaften geschlossen und helfen einander in der Landwirtschaft.
Alltag in Deutschland !
An der Ziegelhütte in der Nähe des Rennsteiges sind wir mit Martin Weber, einem pensionierten Grenzpolizeichef aus Bayern verabredet. Die Steine sind das Hobby von Martin Weber, seit der etwas untersetzte, agile Mann an die bayrisch-thüringische Grenze geschickt wurde.
"Ich kam aus 'm Bamberger Land hier rauf, als junger Polizeibeamter, wurde hier rauf versetzt und wenn ich ganz ehrlich bin, ich dachte erst, ich bin in der Verbannung, weitab vom Schuss, Bamberg ... Ringsrum war ja die Grenze zur DDR. Da ging auch der Spruch um, der Osten ist überall, der Westen ist im Süden. Wir mussten dreißig Kilometer fahr'n, um links und rechts dann abbiegen zu können und ...und dann treff' ich hier Grenzsteine mit Wappen der Bamberger Bischöfe, der Bamberger Fürstbischöfe aus verschiedensten Jahrhunderten, hier aus dem 16., zu Beginn des 16., aus 'm 17., aus 'm 18. Jahrhundert. "
Hier, mitten im Frankenwald, hat der Rennsteig einen Zusatznamen:
"Ein Teilbereich des Rennsteiges wird Schönwappenweg genannt, hier südöstlich von Ludwigsstadt. Wir befinden uns hier am Schönwappenweg und genau am alten Kurfürstenstein. Ein Grenzstein, ein Wappenstein aus dem Jahr 1513, fast fünfhundert Jahre alt ! Der steht die knappen fünfhundert Jahre schon hier an dieser Grenze, ja, und trennt Thüringen heut' von Bayern, trennte das Hochstift Bamberg vom Kurfürstentum Sachsen, zur Zeit der DDR war 's die innerdeutsche Grenze. Hier drüben die DDR, hier - wo wir jetzt stehen - die Bundesrepublik. Dieser Stein hat schon viel gesehen "
Beinahe wäre von den Steinen nichts mehr übrig geblieben! Eine Kommission markierte in den siebziger Jahren die Grenze mit Granitsteinen neu. Dabei fand man die verwitterten Sandsteine.
Bei der bayrischen Denkmalschutzbehörde wurde beantragt, die alten Steine zu retten. Doch nur eine Seite des Steines war bayerisch, die andere gehörte zur DDR! Das Landratsamt in Bayern stimmte zu - ausdrücklich, ohne die DDR diplomatisch anzuerkennen. Und wider Erwarten erhielten die Denkmalschützer aus Bayern die Erlaubnis DDR-Gebiet betreten zu dürfen:
" Wir durften 1984 für zwei, drei Monate Thüringer Gebiet, DDR-Gebiet, betreten, zwei Meter waren 's zwar nur, aber es war eine Besonderheit, es war nirgends sonst in Deutschland, hier im Landkreis Kronach durfte das Gebiet der DDR betreten werden. "
Martin Weber erinnert sich an das Treffen vom 12. September 1984. Am Grenzpunkt bei Schauberg erschienen von DDR-Seite Herren aus dem Außenministerium, die BRD war ja Ausland. Von bayerischer Seite waren der örtliche Kreisbaumeister, der Vermessungsdirektor aus Kronach und Martin Weber nicht als Grenzpolizeichef, sondern als Vertreter der Heimatpflege gekommen. Als dann 1990 die Grenzen offen waren, kam es zu unverhofften Begegnungen zwischen Ost und West:
" Da bin ich losmarschiert und hab' dann hier den Rennsteig gesucht, bin ‘rüber nach Thüringen und aus dem Unterholz kamen drei Leute - mit denen bin ich heut' noch gut Freund - und was macht ihr da ? Wir suchen den Rennsteig, wie ist der genaue Verlauf ? Und da haben sich dann Rennsteigfreunde gefunden, von beiden Seiten, und haben den Rennsteig erkundet in seinem tatsächlichem Verlauf. ... und wir sind heut' noch gut Freund. "
Dicht am Rennsteig zwischen Lehesten und Ludwigsstadt, bemerken wir kaum, wo Thüringen beginnt und Bayern aufhört. Aber, erinnert Martin Weber: "Wir waren am Ende der Welt”, und heute freut er sich:
"Es ist doch ein kleines Wunder wenn 'mer heute rüber nach Thüringen fahr'n, war jetzt heute Vormittag schnell mal in Erfurt auf'm Blumenmarkt, meine Frau brauchte Blumen für'n Garten, sind mer schnell mal nach Erfurt "gedüst" und haben uns dann auf'm Markt Blumen geholt, wunderbar... "
Wir blicken zurück: 1993, der "Tag der deutschen Einheit".
Unterhalb des Rennsteiges, im Tannenwald, wo einmal der "Eiserne Vorhang" zwischen Ost und West die Menschen trennte, sang ein Kirchenchor, trafen sich Thüringer und Franken, Junge und Alte, um an diese Grenze zu erinnern. Sie hinterließen:... einen Grenzstein !
An dem stehen wir jetzt.
Den hat Martin Weber selbst entworfen, jedenfalls den wichtigsten Teil:
"Das Wappen hab' ich entworfen, das drauf kam, hab' dann aus 'm Dienstsiegel die fränkische Raute genommen, die Volkskrone drübergesetzt, Freistaat Bayern 1993, und im Thüringer Wald Diskussion ob man auch Freistaat wieder werden will, ne, und da war 's für mich klar, die werden Freistaat und da hab' ich einfach Freistaat Thüringen, hab' den Thüringer Löwen genommen, mit den Sternen, und hab' die bayerische Volkskrone oben 'rüber kopiert und eingereicht und als Beamter weiß man, dass man schreibt, falls keine gegenteilige Weisung ergeht, wird es als genehmigt angenommen.
Is' nie eine gegenteilige Weisung ergangen, und so wurde der Stein so nach den Vorlagen, die ich da gemacht hatte, gemacht, gefertigt. "
Ein kleines Fest im Wald. Vor allem Schulklassen waren eingeladen. Begegnungen und Freundschaften, Nach jahrzehntelanger Trennung sind die
Kontakte zwischen hüben und drüben wieder hergestellt. Sie werden auch in diesem Jahr gemeinsam Advent feiern: evangelische und katholische Christen aus der thüringischen und der fränkischen Rennsteigregion. Sie proben in einem Chor und treten gemeinsam auf.
Unsere nächste Grenzgeschichte.
Vom bayerischen Ludwigsstadt in 's thüringische Lehesten ist es ein Katzensprung. Der Ort ist nicht nur wegen des Schieferbergbaues bekannt. Seit 1994 ragt aus bewaldeter Höhe, nahe des Rennsteiges, ein Turm heraus. Wir fragen uns, wie solch ein steinernes Ungetüm dorthin, auf den Wetzstein kommt?
Der Altvaterturm - so heißt er - stand im Altvatergebirge, in den Ostsudeten, in der heutigen Tschechischen Republik, und wurde gesprengt. Lange hatten die aus den ehemaligen deutschen Gebieten Vertriebenen einen Platz gesucht, wo sie ihrer Heimat gedenken konnten. Die Mitglieder des Altvatertumvereines in Hessen wurden durch eine Städtepartnerschaft mit dem thüringischen Neustadt fündig. Der wiedergegründete Thüringerwaldverein zeigte auch Interesse an einem Turm auf dem Wetzstein. 1998 stimmte das Thüringer Landratsamt seinem Bau zu, sechs Jahre später wurde der Turm eröffnet.
Gerüchte sagen, an schönen Tagen würde man sogar den Rand der Alpen sehen können! Und so hatte sich auf dem Wetzstein im ehemaligen Grenzgebiet eine Abhörstelle der DDR-Volksarmee angesiedelt. Deren Reste, rostende Container und Antennen, stehen noch herum. Mit Kurt Weese sind wir den Altvaterturm hinaufgestiegen. Ein freundlicher Mann, hoch in den 70ern, leicht gebeugt, mit halblangen, grauen Haaren. Als Architekt und Bauleiter hat Weese den Turm hierher gesetzt. Hier, auf den Wetzstein, der höchsten Erhebung des südöstlichen Thüringer Waldes mit dem herrlichen Rundblick:
"Sie können gucken, im Osten das Erzgebirge, vor zwei Jahren hab' ich im Herbst mal das Völkerschlachtdenkmal sehen können, von hier mit bloßem Aug', war ne herrliche Sicht, dann Thüringer Wald, die höchsten Berge vom Thüringer Wald, ....und dann nach Süden Veste Coburg, dann Kloster Banz sieht man gut und den Staffelstein und dann rüber ins Fichtelgebirge"
Kurt Weese besorgte Abrisssteine für den Altvaterturm, klopfte vier Jahre lang Steine, passgerecht für den Bau. Die Erinnerung an den zerstörten Turm im Altvatergebirge gaben im die Kraft durchzuhalten.
"Ich stamme aus dem Kreis, wo der erste Turm gestanden hat, aus dem Altvatergebirge. ... Mein Vater hat mich mit sechs Jahren das erstemal schon mit an den Turm genommen (lacht) und da hat er noch zwei Cousins mitgenommen, der eine war Acht und der andere Zehn und da haben die zu meinem Vater immer gesagt, nimm' den Kleinen nicht mit, der geht das sowieso nicht und nachher war 'n die früher müd' als ich ! (lacht) "
Der Wille vieler Vertriebener wie Kurt Weese war es, ein Wahrzeichen der alten Heimat wieder zu errichten. Dazu kam der Wunsch der Einwohner des nahen Städtchens Lehesten, dass Wanderer wieder ungehindert zum Wetzstein hinaufpilgern könnten. Diesem Gedanken folgte auch Manfred Wagner. Der 72jährige, mit rundlichem Kopf, grauen Haarstoppeln und Brille, war in dieser Gegend zu Hause. Die Familie wohnte in Lehesten bis zu ihrer Vertreibung durch DDR-Organe am 3. Oktober 1961. Damals mussten die Wagners weg von der Grenze. Ihnen wurde - wie es hieß -
" im Interesse der Sicherheit des Staates und ihrer eigenen Sicherheit "
ein neuer Wohnsitz im Landesinneren, im Kreis Rudolstadt, angewiesen. Warum hat Manfred Wagner den Bau des Turmes unterstützt ?
"Einmal die Bindung immer an Lehesten als sehr bodenständiger und anhänglicher Lehestener Bürger, ehemaliger Lehestener Bürger, über den Thüringerwald-Verein, der sich 1990 wieder gründete, mit der ersten Zielstellung eben unseren Turm zu beleben, den Wetzsteinturm, der der auf der anderen Hälfte des Berges stand und 1979 gesprengt wurde, er war bis dahin hinreichend verfallen schon, aber musste dann eben Platz machen für dieses militärische Objekt zur Luftraumüberwachung, ja und das andere war, dass ich eben auch dem Verein dann beigetreten bin, kurz vor einer Hauptversammlung, um dann Rederecht dort zu bekommen in dem Verein, um die Altvatervereinsmitglieder, die Heimatvertriebenen in Kenntnis zu setzen, dass es solche Vertreibungen hier - vor Ort - gegeben hat, zweimal, ... "
Manfred Wagner - ein DDR-Vertriebener. Wagner erlebte diese Grenze übrigens auch als Religionsgrenze:
"Die Franken, die Hannessen heißt das hier, weil jeder zweite Johann hieß, war'n katholisch, katholisch geprägt, aber es gab in Lehesten eine kleine katholische Gemeinde, die erwachsen war eigentlich aus diesem bayerischen Einfluß aus den vergangenen Jahrhunderten und es gab ja dann natürlich Eheschließungen über die Grenzen hinweg und diese Verbindung war da !"
Im evangelisch geprägten Lehesten hatte Martin Luther gepredigt, als er 1530 während einer Reise in der Berg- und Schieferstadt Station machte. Dank Menschen wie Martin Weber aus Ludwigsstadt in Franken und Manfred Wagner aus Thüringen bringt diese Grenzlinie die Leute wieder zusammen!
Rund 70 Kilometer sind es von Lehesten in südwestlicher Richtung über die Rennsteigstraße, an Kronach und Coburg vorbei, dann folgen wir der Bundesstraße 303. Auf einer schmalen, sich durch ein Tal windenden Straße erreichen wir unser nächstes Ziel: Ummerstadt.
Das Bild von Ummerstadt bestimmt fränkischer Fachwerkstil, im Unterschied zu den schiefergedeckten dunklen Häusern in Lehesten und Ludwigsstadt.
837 urkundlich erwähnt und seit 1394 Stadtrecht besitzend, wird Ummerstadt liebevoll und nicht zu unrecht "Klein-Rothenburg" genannt.
Ummerstadt gehörte im Mittelalter zum Bistum Würzburg, gehört heute zum Land Thüringen. Ein paar mal abgebrannt, aber einige Häuser stehen seit 1540 oder 1558, andere wurden mit viel Holz und kleinen Fenstern wieder errichtet.
Heute gibt es zum denkmalgerechten Erhalt der Fachwerkbauten Fördermittel.
Auch zu DDR-Zeiten, als das Baumaterial knapp war, ließen die Ummerstädter ihre Häuser nicht verkommen, sie werkelten mit Nachbarn und Verwandten, halfen sich gegenseitig. 1987 war 1150-Jahrfeier, da wurde der Ort aufgemöbelt.
Alle seien interessiert ihr Eigentum in Ordnung zu halten, erzählt Immanuel Scheffel, den hier alle "Nelly" nennen. Ein drahtiger Rentner aus Westbrandenburg stammend, mit wachen, braunen Augen.
"Fünf Kilometer Sperrgebiet, von Hildburghausen 'runter, ... da oben ... das Gebiet ist die ehemalige Grenze und dort ringsum, sagen wir mal von hier aus, ... 1 1/2 bis 2 Kilometer ist die Grenze ringsum. Ummerstadt war so richtig im Sack drinne, ne. "
Ummerstadt hatte Glück. Nur 1 1/2 Kilometer von Ummerstadt entfernt, wurden Orte dem Erdboden gleich gemacht. Billmuthausen, Leitenhausen und Erlebach gibt es nicht mehr. Mit der Aktion "Ungeziefer", so die Bezeichnung für die dort lebenden Menschen, zwang die DDR-Regierung ab 1952 alle Bewohner zum Verlassen ihrer Dörfer. Die Aussiedlungen zogen sich in Billmuthausen bis 1976 hin, als die letzten Bewohner auf Grund von Schikanen von Partei und Staat ihre Höfe verließen. Dann wurde der Ort ausgelöscht.
"Bis zur Grenze sind's zwei Kilometer ... Nur mit Passierschein und dann auch nicht jeder. Ich weiß, von mir 'ne Tochter, die war denn in Leipzig, hat studiert, da war irgendwie der Passierschein abgelaufen, die ist Weihnachten nicht 'reingekommen. "
Dieses Gebiet gehörte lange zu Franken, der Dialekt klingt wie im angrenzenden Franken. Später haben die Herrscher gewechselt, schließlich kamen die Ummerstädter zu Thüringen. Ihr fränkischer Dialekt ist bis heute geblieben.
"Wir sind nur nach Coburg gegangen, bestätigen mir die Leute hier, einkaufen, alles wurde nur in Coburg gemacht. Die Bauern haben ihr Holz dahin verkauft, haben auch mal ihr Bier da getrunken, ... nur wenn se ins Amt mussten, sind sie nach Hildburghausen. "
Im 16. Jahrhundert gehörte Ummerstadt zu Coburg und ab dem 17. Jahrhundert zu Sachsen. So gesehen sind 40 Jahre DDR eine kurze Zeit um nun wieder an alte Traditionen anzuknüpfen. Die Leute aus Ummerstadt sind nun nicht mehr "im Sack drin" sondern fahren wieder nach Coburg, Rodach und Kronach.
Der Fachwerkbau und das Handwerk haben Ummerstadt geprägt. Die Menschen waren früher in der Tuchmacherei, Wollspinnerei, Gerberei und Töpferei tätig. Als wir durch den Ort gehen, hören wir das Kreischen der Sägemaschinen und Bohrer.
Ohne Maschinen und Antrieb, nur durch natürliches Gefälle funktionieren die Brunnen in Ummerstadt, mit reinem, klaren Wasser, das für ein spezielles Gewerbe die Grundlage bildet.
"Guten Tag, Chilian, Ur-Ummerstädter, da oben, in der Stub'n bin ich gebor'n, schon 70 Jahre, kräftig, fleißige Leut' hab'n wir in Ummerstadt ...
So, das ist das Brauhaus. Wird im Frühjahr, und Herbst wird hier gebraut, hier zum Eigenbedarf ... "
Franz Chilian, Braumeister in der dritten Generation, ist an den Bottichen tonangebend. Der rotwangige, kräftige Ummerstädter braut seit 33 Jahren im Frühjahr und Herbst das feine Ummerstädter Bier. Gemeinschaftlich rühren sie nach alter Tradition per Hand die Maische.
"Mein Vater hat 54 Jahre gebraut und hab's von mein' Vater übernomme' . Ich brau' auch schon wieder 35 Jahr' -
Scheffel: Da musst' aber noch 'ne Weile brauen !
Chilian: Na ja, aber ich bin ja 70! "
Immanuel "Nelly" Scheffel diente von 1952 bis 1955 als DDR-Grenzsoldat an der thüringisch-bayrischen Grenze. Alles sei friedlich gewesen zu seiner Zeit, meint Schaffel. Mehr "aus Versehen" sei einmal ein Grenzsoldat erschossen worden. Mit dem Fernglas konnte er sehen wie im Nachbardorf, das schon zur Bayern gehörte, die Leute am Küchentisch ihre Mahlzeiten einnahmen. Später, nach dem Fall der Grenze, ist er dieser Familie persönlich begegnet.
"Komm trink mal einen Schnaps undsoweiter. Ich bin gar kein Schnapstrinker. Ich sag', da muss ich mit 'n Fahrrad komm' und da sitzen wir in der Küche bei dem, da sag ich, guck mal Heini heißt der, der ist jetzt, glaub ich 83, gucke mal da rüber, da drüben am Hang, da haben wir gesessen mir Ferngläsern und haben euch beobachtet. Ich hab' nie gedacht, dass ich mal hier zu dir in die Küche komme! Du bist verrückt, hat der gesagt, ja siehste, nun sitzen wir zusammen am Tisch und trinken Schnaps, ne ? So ist das manchmal im Leben, ne. "
Wir rollen durch den Frankenwald in Richtung Vogtland, fahren nach Nordosten auf der B 173, über Coburg, Kronach, Selbitz, kreuzen die Autobahn 9 und biegen kurz vor Hof nach Norden ab. Hier, zwischen Töpen und Gefell, zwischen Bayern und Thüringen liegt: Mödlareuth !
Kurz hinter dem Ortseingang steht ...ein Panzer! Hier sind wir richtig. auf einer kleinen Anhöhe weithin sichtbar eine weiße Mauer, oder das, was von 700 Meter Betonmauer durch den kleinen Ort noch übrig ist. Die wenigen Segmente wirken im Verhältnis zu den flachen Häusern des Dorfes wie ein Fremdkörper.
Hier treffen wir Arndt Schaffner. Der große, kräftige Mann beschäftigt sich seit seiner Gymnasialzeit mit der Mauer. Seine Familie komme aus Sachsen, erzählt er. Und wie schon bei Ludwigsstadt begegnen wir wieder alten Grenzsteinen:
"Ja also hier steht noch einer der alten Grenzsteine aus Granit, auf der einen Seite können Sie die Initialen KB für Königreich Bayern lesen, auf der gegenüberliegenden Seite FR, das war das thüringische Fürstentum Reuß, das heißt, die Grenzlinie ging hier seit 1810 quer durch das Dorf, entlang des Tambaches, der hier fließt. Also eine Seite war bayerisch eine war thüringisch, verwaltungsmäßig geteilt, aber diese Teilung hatte zu der Zeit also keine Einwirkungen auf die Bevölkerung..."
Bis zum Kriegsende 1945, als die Alliierten die alten Grenzen zur Grundlage einer Teilung zwischen Ost und West machten. Doch zunächst gab es Irritationen.
"..Man war froh, dass die Amerikaner hier als Besatzungstruppen waren ... und war entsetzt, wie uns Zeitzeugen erzählen, als dann Mitte Juli 1945 die Rote Armee hier einmarschierte und jetzt nicht an der Demarkationslinie Stopp machte, sondern das ganze Dorf Mödlareuth besetzte, also auch den eigentlich amerikanischen Teil.
Im Laufe des Jahres '45 wurden neue Ausweise ausgegeben, russisch-deutsch, auch auf bayerischer Seite, also wenig Hoffnung, dass sich an der Situation was ändern würde und erst ein Jahr später erkannte man diesen "Besatzungsirrtum", nenn' ich's mal, seitens der Alliierten und von der Zeit ab, war also eine Seite amerikanisch, eine Hälfte sowjetische besetzt. Für die Bevölkerung bedeutete das, wenn man von einer Seite des Baches, des Grenzbaches, auf die andere wollte, brauchte man einen Passierschein. Wir hatten sogar zwei Brüder hier im Dorf, den Max (Goller) aus bayerischer Seite und den Kurt (Goller) auf Thüringer, wenn die sich also besuchen wollten, um zu umgehen, dass man mit diesem Passierschein nun großes Theater machte, da ging der Max einfach durch 'ne Scheune, die stand an der Grenze, von bayerischer Seite durch 's Scheunentor in die Scheune und ging durch die Fenster auf Thüringer Seite wieder 'raus! "
1952, nach der Gründung der beiden deutschen Staaten wurde auch an den Grenzen ein anderes Regime eingeführt, Kontakte zwischen den Menschen von heut' auf morgen abgebrochen. Sperrgebiet, Besuche nur mit Passierschein, mit 60 Kilometer Umweg. Abgerissen, wie anderswo ganze Dörfer, wurden hier "nur" vereinzelt Gebäude, unliebsame Bewohner zu "Ungeziefer" erklärt und ins Inland weggesiedelt.
"Wenn wir hier auf der Höhe steh'n, da ist 'n Haus, da wohnte der schon erwähnte Max Goller im Westen, der konnte tatsächlich vom Küchenfenster aus sein' Bruder im Hof stehen sehen, mit bloßem Auge, über die Mauer weg, der brauchte nicht mal aufsteh'n, hatte aber zusätzlich 'n Fernglas am Fenster stehen, mit dem er dann zu seinem Bruder schaute.. teilweise ist er auch vor 's Haus gegangen, hat 'n Busch da hat er sich dahinter versteckt, dem Max Goller hat es zwar im Westen niemand verboten rüber zu schauen, aber die Grenzposten auf DDR-Seite, wenn die den vor 'm Haus sahen, wußten die natürlich, sie wußten ja um die verwandtschaftlichen Beziehungen, dann haben die aber ganz schnell nachkontrolliert, ob der Kurt auf DDR-Seite auch irgendwo mit'm Fernglas steht und der Kurt Goller hat mir nach der Wende erzählt, es ist ihm einmal passiert, dass er also mit'm Fernglas erwischt wurde, vom Grenzposten und es wurde ihm angedroht, wenn das noch mal vorkommt, kommt er weg! "
Immer wieder versuchten in dieser Region Menschen aus der DDR zu fliehen, die Mauer zu überwinden. Arndt Schaffner schätzt, rund 1.000 Flüchtlinge sind dabei umgekommen (Quelle: Schmochlitzer Forum, 03.04.2006). An eine geglückte Flucht in Mödlareuth erinnert sich Schaffner genau: Da war ein Barkas B 1.000, ein Transporter ähnlich einem VW-Bus. Der Fahrer hatte einen Passierschein für das Grenzgebiet. In einer Nacht, Ende Mai 1973, wagte er es:
" ... , er wusste es standen große Bäume zwischen Straße und Turm, als er dann hinter den Bäumen war, hat er die Fahrzeugbeleuchtung ausgeschaltet, ist genau hier an diese Stelle gefahren, hat mittels einer Eisenleiter, die er genau für diesen Zweck gebaut hat, die Mauer überwinden können ... "
Im Dezember 1989 öffnete sich auch in Mödlareuth die Mauer. Zunächst nur ein Loch, ein offizieller Grenzübergang für Fußgänger und Radfahrer. Der DDR-Bürgermeister schlug vor, eine Tür anzubringen, für Treffen zwischen Ost und West bei "gewissen Anlässen". Ein paar Monate später, am 17. Juni 1990, dem vormaligen Tag der Deutschen Einheit, beschlossen beide Bürgermeister vermutlich in Bierlaune, ein Stück Mauer einzureißen...:
"... und plötzlich tauchte der Bagger auf und fing an Mauer einzureißen, zum Entsetzen der beiden Grenzer an dem Grenzübergang, der beiden DDR-Grenzer. Die sprachen also von Zerstörung von Volkseigentum der DDR, was letztlich ja wohl auch stimmte, aber auf Grund des Jubels der Bevölkerung und des Applauses hat der Baggerfahrer dann weiter gemacht und vielleicht 'ne Strecke von 200 Metern der Mauer plattgelegt. "
Arndt Schaffner aber, fing an zu sammeln. Erinnerungen an diese Grenze, für das Deutsch-Deutsche Museum in Mödlareuth, das er mit gründete und viele Jahre leitete.
Durch Mödlareut fließt immer noch der Tambach. Er ist wieder die natürliche Grenze zwischen Bayern und Thüringen. Die Menschen trennt er nicht mehr, sie haben zueinander gefunden.
Ossis und Wessis gibt es nicht mehr, dafür wieder Thüringer und Bayern. Sie haben Freundschaften geschlossen und helfen einander in der Landwirtschaft.
Alltag in Deutschland !